Jürgen Peters: Es gilt das gesprochene Wort url: http://www.igmetall.de/tarife/nachrichten/metall/arbeitszeit/peters_030707.html
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Diese Pressekonferenz ist für mich keine gewöhnliche Konferenz, keine Routine. Sie fällt mir nicht leicht und ich habe mir lange überlegt, ob ich sie durchführen soll. Aber anlässlich der außergewöhnlichen Situation in der sich die IG Metall befindet, scheinen mir auch außergewöhnliche Maßnahmen gerechtfertigt, ja notwendig. Sie alle haben vernommen, dass der Erste Vorsitzende der IG Metall, Klaus Zwickel, mich indirekt und über die Medien zum Rücktritt aufgefordert hat. Begründet hat er dies mit dem Vorwurf, ich hätte in der zurückliegenden Tarifrunde in Ostdeutschland den Vorstand der IG Metall getäuscht. Ja mehr noch: Indirekt wirft er mir und dem Streikführer Hasso Düvel darüber hinaus vor, nicht nur den IG Metall-Vorstand, sondern auch die streikenden Kolleginnen und Kollegen getäuscht zu haben. Diese Vorwürfe wiegen schwer, sie sind ehrverletzend. Ja sie sind geeignet, meine politische und meine persönliche Integrität auf das Schwerste zu beschädigen. Daher habe ich nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, diesen Vorwürfen entgegenzutreten. Klaus Zwickel ist offenbar nicht an einer Aufarbeitung der Vorgänge interessiert und will die Diskussion im Vorstand durch Vorverurteilungen präjudizieren. Ich werde nicht länger zu sehen, wie mit Unterstellungen und Unwahrheiten daran gearbeitet wird, eine gemeinsame und schwierige Personalentscheidung im Nachgang zu korrigieren. Diese Personalentscheidung haben einige Kolleginnen und Kollegen offensichtlich als persönliche Niederlage empfunden. Das bedauere ich. Meine jetzigen Kritiker sind allerdings exakt die gleichen, die bereits April nicht für mich waren. Ich bin es mir und den Kolleginnen und Kollegen, die diesen Arbeitskampf in Ostdeutschland geführt haben, aber auch der gesamten IG Metall schuldig, dass wir schonungslos aufarbeiten was gut und was möglicherweise weniger in Ordnung war. Klaus Zwickel hatte den Vorwurf der Täuschung bereits auf der letzten Vorstandssitzung erhoben. Allerdings blieb er jeglichen Beleg für diese schwere Anschuldigung schuldig. Der Vorstand hat daher vereinbart, dass in der Vorstandssitzung am 8. Juli 2003 eine ausführliche Bewertung der gescheiterten Tarifrunde vorgenommen werden soll. Auf dieser Grundlage soll dann über die notwendigen Schlussfolgerungen und Konsequenzen beraten werden. Sie werden morgen dem Bericht entnehmen, dass wir auch sehr selbstkritisch mit uns selbst umgehen; Fragen nach Fehlentwicklung und Fehleinschätzungen beantworten. Es ist aber ein ungeheuerlicher und in der Geschichte der IG Metall bisher einmaliger Vorgang, dass der Vorsitzende nicht einmal diese Aufarbeitung und die vorgelegten Fakten abwartet, sondern mit haltlosen Unterstellungen entgegen unserer Vereinbarung in die Medien geht. Man muß einem Vorsitzenden der IG Metall unterstellen, dass er weiß, was er damit auslöst. Der Vorwurf schmerzt um so mehr, als er nachweislich falsch ist. Sie werden Verständnis dafür haben, dass ich ihnen heute nicht den Bericht über die Unhaltbarkeit des Täuschungsvorwurfes vorlegen werde. Der gehört morgen auf den Tisch des Vorstandes. Dabei bleibt es. Danach werden wir ihnen die Ausführungen zur Verfügung stehen. Heute möchte ich jedoch die Gelegenheit nutzen, einige Punkte zu nennen. Wenn ich öffentlich angegriffen werde, bin ich gezwungen, öffentlich Stellung zu beziehen. Zu den Vorwürfen: Wann könnte man mit Berechtigung von einer Täuschung sprechen? Sicher erst dann, wenn ohne Wissen des Vorstandes eine andere Vorgehensweise praktiziert wird; oder wenn der Vorstand durch verschwiegene oder falsche Informationen in die Irre geführt wird. Beides war nicht der Fall. Hinter dem Täuschungs-Vorwurf verbirgt sich vor allem die Anschuldigung, die Streikpraxis sei in ungerechtfertigter Weise und ohne Wissen des Vorstandes von dem beschlossen Streikkonzept gravierend abgewichen. Deshalb sei es überraschenderweise zu Fernwirkungen gekommen, die dann nicht mehr zu bewältigen waren und somit zum Scheitern des Arbeitskampfes führten. Dies entspricht nicht den Tatsachen. In dem beschlossenen Streikkonzept wird zwar der zentrale Stellenwert sogenannter „Flexi-Streiks“ in Form von „zwei- und dreitägigen Streiks“ betont, um die Gefahr von Fernwirkungen zu minimieren. Aber auch dieses Streikkonzept schließt Fernwirkungen keineswegs aus. Vielmehr geht das Konzept davon aus, dass unvermeidbare Fernwirkungen politisch durchaus zu bewältigen sind. Dies vor allem aus zwei Gründen: Erstens: weil die vom Flexi-Streik-Konzept ausgehenden Fernwirkungen vom Umfang her relativ gering ausfallen dürften und zweitens weil geklärt war, dass eventuell kalt Ausgesperrte Kurzarbeitergeld beanspruchen. Ich möchte daran erinnern, dass wir intern vor der Tarifbewegung dies als Vorteil und nicht als Nachteil bewertet haben. Wörtlich heisst es: „Kein noch so intelligenter Streikansatz kann kalte Aussperrung letztlich verhindern.“ Und weiter. „Wir gehen davon aus, dass die möglichen Probleme des § 146 SGB III gering sind. Die Zulieferbeziehungen von Ost nach West als auch zwischen den Tarifgebieten in Ostdeutschlands sind überschaubar. Selbst wenn der Grenzbereich von Fernwirkungen bedingt durch Arbeitskampf zum Tragen käme, hätten die betroffenen Kolleginnen und Kollegen in Westdeutschland Anspruch auf Kurzarbeitergeld.“ Wir haben unsere Verwaltungsstellen rechtzeitig darauf hingewiesen. Übrigens - unabhängig davon hat unsere Bezirksleitung Bayern bereits Ende April ihre Verwaltungsstellen über die mögliche Entwicklung schriftlich informiert. Die Wirklichkeit des Arbeitskampfes bewegte sich in dem so abgesteckten Spielräumen. Die Erfahrung zeigt, dass Fernwirkungen ab einer bestimmten Streikdauer nicht zu vermeiden ist, nicht zu letzt durch unsere vernetzte Wirtschaft Als erstes waren bei BMW und Volkswagen Fernwirkungen und damit Produktionsunterbrechungen zu erwarten. Die Zahl der betroffenen Kolleginnen und Kollegen hielt sich in Grenzen. Und, das ist ebenfalls von zentraler Bedeutung: die Kolleginnen und Kollegen in den betroffenen Betrieben bekundeten eindeutig, dass sie für den in Rede stehenden Zeitraum zur politischen Bewältigung der Fernwirkungen in der Lage sind! Und sie sind ausgezeichnet damit umgegangen. Insofern haben die hervorgerufenen Fernwirkungen nicht zur Beschädigung des Streiks beigetragen. Die Situation war zu bewältigen! Und nun zum Vorwurf, der Vorstand sei durch vorenthaltene oder falsche Informationen in die Irre geführt oder getäuscht worden. Auch dieser Vorwurf lässt sich nicht aufrecht erhalten. Sowohl Hasso Düvel als auch ich haben mehrfach betont, dass es eine Phase geben wird, wo Betriebe in den Streik genommen werden, die Fernwirkung auslösen. Für die dritte Streikwoche würden Betriebe angefasst, die diese Fernwirkung auslösen, insbesondere wenn die befristeten Streiks verkettet werden. Dies wurde auf einer IG Metall-internen Schaltkonferenz zwischen den Bezirksleitungen am 13. Juni 2003 angekündigt. Der Vorstand wurde am 16. Juni 2003 und sogar der Beirat - das höchste Gremium der IG Metall zwischen den Gewerkschaftstagen - wurde am 17. Juni 2003 informiert. Fernwirkungen waren nach unserem Berechnungen am 23. Juni 2003 zu erwarten. Also zehn Tage nach dem die betroffenen Bezirksleitungen informiert wurden. Diese Zeit ist für die IG Metall normalerweise vollkommen ausreichend, um die notwendigen Schritte einzuleiten. Zugegeben: Im Vorstand hat es auch kritische Stimmen gegeben. Das ist aber nur natürlich, denn die Betroffenen müssen die Situation bewältigen. Aber es wurde von niemandem die Notwendigkeit eines neuen Beschlusses, noch sonstige Vereinbarungen gefordert, beantragt oder gar beschlossen. Im übrigen: Niemand hielt die damit verbundenen Folgen für nicht beherrschbar. Fazit: Alle Beteiligten waren in ausreichendem Maße informiert. Der Vorwurf der Täuschung des Vorstandes ist böswillig und vollkommen aus der Luft gegriffen. Wer diesen Vorwurf konstruiert, ist offenbar nur daran interessiert, meine persönliche Integrität in der Organisation zu beschädigen. Das scheint das alleinige Ziel zu sein. Ein anderes Motiv kann ich nicht erkennen. Ich erwarte von allen Beteiligten, insbesondere vom Ersten Vorsitzenden der IG Metall, die Vorwürfe zurückzunehmen und nicht mehr zu wiederholen. Ich erwarte, dass spätestens nach der Vorstandssitzung diese Vorwürfe auch öffentlich zurückgenommen werden! Jeder hier im Raum weiß, dass ich nicht der Wunschkandidat von Klaus Zwickel bin. Das war ich 1998 nicht und im April dieses Jahres auch nicht. Ich habe in den vergangenen fünf Jahre mehr als einmal Grund gehabt, mich über bestimmte Verhaltensweisen oder über Alleingänge - auch mediale Alleingänge des Vorsitzenden zu beschweren. Ich habe mich zurückgehalten. Meine Loyalität zur IG Metall und zur Funktion des Ersten Vorsitzenden lässt dies nicht zu. Aus Gründen der Organisationsräson und weil ich der Organisation eine zerstrittene Führungsspitze ersparen wollte, habe ich mich zurückgehalten. Aber ich habe nie im Traum daran geglaubt, dass es einmal so weit geht, wie in der vergangenen Tagen. Man will meine Person beschädigen und nimmt dafür in Kauf, dass die IG Metall empfindlich Schaden nimmt. Damit nimmt man auch in Kauf, dass die IG Metall zusätzlich und unnötigerweise in eine tiefe innerorganisatorische Krise gerät. Der Richtungsstreit ist offenkundig und eine Spaltung zwischen Ost und West wird billigend hingenommen. Nichts kommt der anderen Seite und unseren Gegnern in der Politik mehr gelegen, als eine zerstrittene IG Metall. Es bleibt auch in meiner Verantwortung, dass diese Entwicklung aufgehalten wird. Keine Frage, wir haben im Arbeitskampf eine empfindliche Niederlage erlitten. Ich bin an einer schonungslosen Analyse interessiert und will meinen Teil dazu beitragen. Wir brauchen eine klare Aufarbeitung; und vor allem brauchen wir ein Konzept für die Überwindung der Krise in der die IG Metall sich befindet. Ich werde morgen dem Vorstand dazu eine Reihe von Vorschlägen unterbreiten. Als erstes müssen wir die Tarifbewegung Ost zu Ende bringen. Wir müssen uns um unsere Kolleginnen und Kollegen, die dort gekämpft haben, intensiv kümmern. Wir müssen der drohenden inneren Spaltung und dem Misstrauen in der IG Metall entgegenwirken. Wir brauchen Konzepte, wie wir aus der gesellschaftspolitischen Defensive kommen. Das geht nur gemeinsam. Wir müssen die Strömungen in der IG Metall respektieren und wieder zusammenführen. Für dieses „Zusammenführen“ hat der Vorstand der IG Metall im April eine weise Entscheidung getroffen. Ich kann nur davor warnen, diese damals getroffene Entscheidung ohne
Not in Frage zu stellen. url: http://www.igmetall.de/tarife/nachrichten/metall/arbeitszeit/peters_030707.html
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