Aus der Neuen Einheit 1986, Nr1/2

 

Zurückweisung der Anschauungen Willi Dickhuts nach der Veröffentlichung von längeren Auszügen des Briefes vom 9. Februar 1971

Die MLPD hatte diesen Brief besonders betont in ihrer „Geschichte" behandelt

Auszug 

II. Die Frage der ökonomischen Krise [1]

In dem folgenden Teil ("Geschichte der MLPD" S. 219 ff.) wird nicht zufällig unser Brief vom Januar 1971 über die Gespräche mit dem KAB(ML) nur in minimalsten Ausschnitten zitiert, alle irgendwie näheren Begründungen der Anklagen gegen den KAB(ML) fallen so fort. (Wir haben diesen Brief hinten abgedruckt, Dok. Nr.l [2]) Die Auszüge aus dem Brief von Dickhut vom 9.2.71 allerdings sind hochinteressant, obwohl es nur Auszüge sind. Es lohnt sich, sie einmal näher zu betrachten.

Diese Auszüge aus dem Brief vom 9.2.71 empfehlen wir eigentlich doch jedem Mitglied von uns, aber auch allen Mitgliedern der MLPD, intensiv zu studieren. Mehr revisionistische Flachheit im Bekenntnis kann man eigentlich kaum erwarten.

Da wird zuerst unsere damalige Ansicht –

"Wir meinen, daß in den nächsten Jahren der Imperialismus im Weltmaßstab in eine allumfassende tiefe Krise geraten wird, infolgedessen wird es auch in der Bundesrepublik und Westberlin zu einer erheblichen Verschärfung der Klassenkämpfe kommen."

- als falsch angegriffen. Und dann stellt Dickhut eine Theorie auf, daß der Imperialismus imstande sei, seine Widersprüche mit Hilfe von finanziellen und konjunkturellen Maßnahmen abzustumpfen, und er bringt verschiedene Zahlen und Angaben, in der Art, wie man sie auch aus den Wirtschaftsteilen der bürgerlichen Zeitungen serviert bekommt, nämlich daß der Staat mit einem guten Finanzpolster in die Krise geht. Erstmal geht diese Widerlegung gar nicht auf das obige Zitat aus unserem Brief ein. Denn dieses argumentiert an erster Stelle mit einer internationalen Krise und dann mit ihrer Auswirkung auf dieses Land. Die ganze Argumentation von Dickhut behandelt die internationale Krise überhaupt nicht. Dickhut hatte die Stirn, die internationale Krise zu leugnen und sich in puncto Zuspitzung der Situation auf ein paar Konjunkturdaten und auf die angeblichen oder tatsächlichen Finanzpolster der Bourgeoisie zu beschränken, um zu sagen: die Krise wird nicht so schlimm. Um zu einer richtigen Einschätzung zu kommen, muß man aber sowohl die internationalen politischen als auch ökonomischen Faktoren in Betracht ziehen.

Was war denn nun in Wirklichkeit? In den Jahren 1971-73 führte die Bourgeoisie in der Bundesrepublik mindestens 1 Million, wahrscheinlich aber über 2 Millionen ausländische Arbeiter in der Produktion in der Bundesrepublik ein. Diese bekamen Arbeitsbedingungen, die man in dieser Form deutschen Arbeitern nicht: zumuten konnte, erhielten geringere Löhne, so daß die Bourgeoisie Lohnsenkungen durchführen konnte, ohne daß dies zu sozialer Unruhe führte. Als 1974/75 die massive ökonomische Krise kam, wurden hunderttausende ausländischer Arbeiter nach Hause geschickt und zum Beispiel in der Türkei soziales Elend erzeugt und dort weitere erhebliche Klassenkämpfe hervorgerufen. Das alles hat wohl mit uns hier gar nichts zu tun!?
Die Belegschaften ganzer Betriebe wurden ausgewechselt, die Lebens- und Wohnbedingungen dieses neuen "unteren Sockels" der Arbeiterklasse in Deutschland waren unhaltbar.
Den Deutschen wurden Versprechungen in großem Umfang gemacht wie Studium, qualifizierte Ausbildung, "Bildungsrevolution". Die Ausländereinfuhr erfaßte alle Bereiche der Groß- und Mittelindustrie aber auch der kleinen Betriebe, sogar die Landwirtschaft und alle schlecht bezahlten Bereiche des Dienstleistungsbereichs. Was meinen Sie, Willi Dickhut, was wäre wohl passiert, hätte man die gleichen Bedingungen für deutsche Arbeiter und Angestellte geschaffen!

Zunächst gab es nur eine Ausnahme: die Stahlindustrie. Aber auch diese zog in der Ausländerbeschäftigung nach. Hat so eine soziale Umwälzung im Land nichts mit einer Krise des kapitalistischen Systems zu tun? Diese ganzen durchgreifenden Maßnahmen, die nachhaltigste Auswirkungen auf das Sozialgefüge in diesem Lande hatten, hatten in dieser Form sehr wohl etwas damit zu tun, daß die Bourgeoisie mit allen Mitteln der damaligen revolutionären Bewegung das Wasser abzugraben trachtete. Dickhut sieht in seinem Brief überhaupt nur die Oberfläche. Geht es einem Teil der deutschen Arbeiter besser, nimmt der Anteil der Studierenden und der Spätausbilder zu, dann ist das wohl für diese Leute ein Grund davon zu reden, daß "heute (Anf. 1971) noch kein Ende der sozialen Reformen zu erwarten ist."(S.224) So etwas hat sich auch die Rote Fahne oder der Revolutionäre Weg 1971 noch nicht öffentlich zu sagen getraut. Im Grunde wird hier die Epoche Brandt [3] als eine Epoche der sozialen Reformen bezeichnet.


Und  die internationale Krise?

International hat sich eine Krise entwickelt seit dieser Zeit, die an Tiefe und Umfang ihresgleichen noch nicht gesehen hat. Wir konnten nicht alle Wendungen ihrer Entwicklung voraussehen.

Die Dickhutschen Ausführungen richten sich gegen das prinzipielle Begreifen der internationalen Lage, das aus der Erkenntnis der Großen Proletarischen Kulturrevolution, aus dem Vietnamkrieg seine Anstöße bezog. Diese Ereignisse wurden von der Jugend- und Studentenbewegung vollkommen zu recht als welterschütternde Ereignisse gesehen. Es folgte aus der Erkenntnis, daß der scheinbare Antikommunismus in Wahrheit ein Antirevisionismus und eine Ablehnung des russischen Sozialimperialismus war und aus dem darauf basierenden Wissen über die Möglichkeiten für einen erheblichen Wandel in der politischen Tendenz des ganzen Landes. Aus alledem konnte man sehen, daß eine große Unruhe im internationalen Maßstab bevor stand. Die internationale Krise wurde auch daran deutlich, daß auf sämtlichen Kontinenten sich Widerstand gegen die USA und die Sowjetunion entwickelte.

Und gegen alles das setzte Dickhut ein paar Konjunkturdaten, ein paar Daten über die Verschlechterung der Lage des Einzelhandels u.ä.. Das spielt auch sehr wohl im sozialen Leben eine Rolle. Nur ist es überhaupt nicht geeignet, zu widerlegen, daß vom internationalen Maßstab her eine Krise heranreift. Und alle die oben angeführten ökonomischen Maßnahmen aus dieser Zeit beweisen nur, wie gut die Bourgeoisie diese für sie gefährliche Krise begriff und zu was für radikalen Mitteln sie griff, um dieser Gefahr vorzubeugen.

In der Tat haben uns diese ökonomischen Ausführungen endgültig vom revisionistischen Charakter Dickhuts überzeugt.

Im Grunde blinkt durch all diese Ausführungen die alte bekannte "Theorie" des organisierten Kapitalismus, daß dieser imstande sei, seine Widersprüche langfristig abzustumpfen. Um diesen offenkundigen Punkt zu kaschieren, sind interessanterweise Zitate regelrecht umgefälscht bzw. einige besonders offenkundige Stellen herausgelassen worden. So heißt es auf S.224:

"...wiederholt sich eine Wirtschaftskrise nicht in dem damaligen Ausmaß, denn die Kapitalisten haben auch gelernt und bereiten rechtzeitig bremsende Maßnahmen vor... Die gewaltige Weltwirtschaftskrise zermalmte die sozialen Reformen, während heute noch kein Ende der sozialen Reformen zu erwarten ist."

Dies ist allein ja schon eine ungeheuerliche Aussage, eine Verniedlichung der damaligen internationalen Krise, aber noch deutlicher wird es, wenn man beachtet, daß es im Original heißt:

"...wiederholt sich eine Weltwirtschaftskrise nicht in dem damaligen Ausmaß..." etc. (Unterstreichung von uns)

was eine noch unverblümtere und angesichts der Realität absurde Aussage ist. Dies war den Verfassern des Buches wohl doch ein wenig peinlich. Auch an einer weiteren Stelle werden wir sehen: Zitat ist nicht unbedingt Zitat bei der MLPD.

Wenn jetzt die MLPD-Führung kommt und fragt: wo ist denn nun die Krise geblieben, habt ihr denn nicht Unrecht gebabt? Und da können wir nur sagen: Wer so fragt, der hat wirklich keinerlei Verbindung zur sozialen Realität. Habt ihr denn nicht gemerkt, daß wir seit" mindestens 1974 in einer offenen Krise leben, daß sich die Klassengegensätze längst verschärft haben.

Im Jahre 1973 kam es zu regelrechten Emeuten der ausländischen Arbeiter in unserem Land, bei denen zum teil die ausländischen Arbeiter mit dem Polizeiknüppel und sogar mit Hunden wieder an die Arbeit gejagt wurden. Dabei spielten auch Provokationen eine Rolle, bestimmte Techniken, die unsere herrschende Klasse anzuwenden versteht, wenn sie die Arbeiter sozusagen vorzeitig hervorlockt. Das ist aber eine andere Frage. Tatsache ist auch, daß die ausländischen Arbeiter damals radikal, sogar unter Anwendung einer regelrechten Pogromhetze, unterdrückt wurden. Ist sowas Ausdruck von einer Verschärfung von Klassenkämpfen oder nicht?

Wenn man untersucht, wohin die Krise abgewälzt wurde, wohin sie gegangen ist, dann muß man eben auf den Punkt mit den ausländischen Arbeitern, mit den Millionen von ihnen und der Verschleppung der Krise ins Ausland gucken. Wir konnten doch 1971 nicht jede Wendung, wie diese Krise sich nun entwickelt, voraussehen, daß sie in unserem Lande nicht unmittelbar solche Kalamitäten hervorrufen würde, sondern viel stärker nach außen abgelastet wurde. Marxisten haben doch die Pflicht, diese Widersprüche grundsätzlich ins Auge zu fassen und in der Praxis herauszufinden, wie sie sich nun konkret entwickeln. Man kann doch nicht, wenn man jetzt nachträglich die Ding, beurteilt, solche Fakten wie Ausländereinfuhr und Abwälzung der Krise auf ausländische Arbeiter und ausländische Ökonomien einfach beiseite wischen, wie das in diesem Buch geschieht.

Was ist das denn für eine Analyse, die uns Dickhut hier bringt? Was ist das für eine Ökonomie? Kommen in diesen Ausführungen irgendwo die ausländischen Arbeiter vor? Nein, und sie kommen tatsächlich auch in dem ganzen Brief nicht vor. Es ist kein Wunder, wenn man den Blick auf die Arbeiteraristokratie beschränkt, auf den verkleinbürgerlichten Teil der Arbeiterklasse, daß man dann auch keinen Blick für das soziale Elend hat. Aber das soziale Elend erfaßt auch keineswegs nur die ausländischen Arbeiter. Wir wissen, daß sehr vorsätzlich vom Kapital hunderttausender von deutschen Arbeitern und vor allen Dingen Jugendliche auf schleichende Weise aus der Ökonomie freigesetzt wurden und in die Subkultur oder sogar in das Lumpenproletariat abgedrängt worden sind. Wird hier irgendwo die Strukturkrise, deren umfassende Existenz selbst bei den Bürgerlichen unbestritten ist, in der Dickhutschen Charakteristik der ökonomischen Lage auch nur erwähnt? Der Mangel, sich um die objektive Situation nicht zu kümmern, der dem ganzen Buch der MLPD anhaftet, wird in diesen an uns gerichteten Ausführungen ganz besonders deutlich.


Zur Frage der damaligen Einschätzung des Faschismus

Dann zur Frage, daß man damals mit dem Faschismus als Hauptgegner der Arbeiterklasse rechnen mußte - wohlgemerkt rechnen mußte. Das hieß nicht, daß mit absoluter Sicherheit der Faschismus eintritt. Wir mußten damals eine solche These aufstellen, weil die NPD in den Jahren 1970/71 zum Teil über zehn Prozent aller Stimmen gewann und deutlich vom Kapital aufgebaut wurde. Die Gefahr einer ultrarechten Regierung, die mit der gesamten Jugend- und Studentenbewegung aufräumen würde, etwa ein faktischer Block NPD, CSU, Teile von CDU und der FDP, bestand als Möglichkeit.

Das hat erst dann wieder abgenommen, als unter der Führung der Sozialdemokratie ein anderer Weg eingeschlagen wurde und das Kapital verstärkt sogenannte Linke in den Staatsapparat zog, sie korrumpierte, sie gegen die Bewegung ausspielte und den offenen Faschismus á la NPD wieder abbaute, weil dieser nicht geeignet war, die linke Bewegung kleinzukriegen. Aber das konnten und durfte uns nicht davon abhalten, eine Zeit lang, wo die Sache aufgebaut wurde, den Faschismus (der offen rechten Sorte) als möglichen zukünftigen Hauptgegner ins Auge zu fassen. Außerdem haben wir uns in diesem Brief ja nicht auf die Variante des Faschismus festgelegt. Die Reaktion hätte angesichts der revolutionären Einstellung vieler Jugendlicher und des Bestehens revolutionärer Kreise sich mit einem Aufbau der NPD sicherlich das Gegenteil von dem erzeugt, was sie beabsichtigte.

Zitieren wir schließlich einmal,  was der KAB(ML) im gleichen  Jahre,  zum 1.Mai 1971, selbst zu dieser Sache sagte:

"Gemeinsam gegen Ultrarechtsblock und Faschismus !

Kollegen! Begünstigt durch die Aufrüstungspolitik der imperialistischen Brandt/Scheel-Regierung werden die Rüstungskonzerne in der Bundesrepublik von Tag zu Tag mächtiger und einflußreicher. Mit der Militarisierung und Kriegsvorbereitung steigt auch die Gefahr eines neuen Faschismus. Die Schlägerbanden der faschistischen Aktion Widerstand bedrohen friedliebende Bürger. NPD-Saalschutzstaffeln schlagen Demokraten blutig, bewaffnete Geheimorganisationen des Faschismus führen Mordanschläge gegen Friedenskräfte und Patrioten durch, zerstören Gewerkschaftshäuser. Von dem Junker Thadden über den ehemaligen HJ-Gebietsführer Zoglmann bis zu Strauß, der bereits dem deutschen Volk mit Maschinenpistolen droht, hat sich ein ultrarechter und faschistischer Block gebildet, der mit sozialer Demagogie und offenem Terror der Herrschaft zustrebt. Die Barzel und Strauß sind schon heute bereit, mit dem Segen der Monopole dem arbeitenden Volk neue Bürden aufzuerlegen. Gegen diese ultrarechte und faschistische Gefahr, gegen Militarismus, Revanchismus, Aufrüstung und Kriegshetze demonstrieren wir am 1.Mai. Nie wieder Faschismus! Keine Chance dem Ultrarechtsblock! das sind unsere Losungen. Die breiteste Aktionseinheit von Sozialdemokraten, Gewerkschaftern, Christen, Parteilosen und Kommunisten muß sich der ultrarechten Gefahr und dem neuen Faschismus in den Weg stellen. Gerade das schaffende Volk weiß, daß Faschismus, Hitlerismus Knechtschaft und Krieg bedeuten; deshalb sind die Arbeiter die Grundkraft des Widerstands gegen Ultrarechtsblock und Faschismus."

Man halte sich einmal die gehässigen Bemerkungen des Buches vor Augen, wir hätten den "nahenden Faschismus" gesehen, und quasi Gespenster laut MLPD gesehen. Offenbar litten nicht nur wir unter der "Einbildung". In der öffentlichen Propagierung der faschistischen Gefahr ging der KAB(ML) bereits unter Leitung von Dickhut viel weiter als die KPD/ML(Neue Einheit). Dieses obige Zitat der "Roten Fahne" stammt zudem von April 71, wo sich diese faschistische Gefahr abschwächte, aufgrund der genannten politischen Umgruppierungen.

Was aber bei dem KAB(ML) und bei Dickhut wirklich der Grund für die Opposition gegen unsere Thesen war, das zeigte sich im Herbst des gleichen Jahres. Für das weitere Jahr 1971 zeigte sich immer stärker, daß die Bourgeoisie in der Bundesrepublik während der Brandt-Epoche die Verbindung mit dem sowjetischen Revisionismus und den unter der sozial imperialistischen Herrschaft stehenden Cliquen suchte. Es war nicht die NPD schließlich, die das Verbot der KPD/ML forderte, sondern niemand anders als die Führung der IG-Metall. Sie forderte in einer Entschließung das Verbot, der marxistisch-leninistischen Parteien und Organisationen. Dabei wurde sie von niemandem anders als der DKP mit angestiftet. (Sept., 71) Die enge Verbindung mit der sowjetrevisionistischen Clique, die selber einen Faschismus repräsentiert, die "Entspannungspolitik" machte sich hier bemerkbar.

Und wie stellte sich die "Rote Fahne" nun dazu? Sie erklärte den "Roten Morgen" zum Schuldigen, daß es soweit kommen konnte!!! Von der Entspannungspolitik, von den reaktionären Verbrechen der verantwortlichen Gewerkschaftsführer kein Wort. Man lese sich dieses interessante Dokument im Anhang durch. (Siehe Dock. Nr. 12 )

Wir antworteten auf diese schmutzige Anfeindung der Gewerkschaftsführer mit dem deutlichen großen Flugblatt "Nieder mit der korrupten Gewerkschaftsführung! Gegen das Verbot der KPD/ML (NEUE EINHEIT)!", das nicht nur das Notwendige zur Gewerkschaftsführung und zur 'DKP' sondern auch beiläufig zu dem schmierigen Verhalten des KAB(ML) und der Gruppe "Revolutionärer Weg" sagte.

Es war ein Verdienst der KPD/ML, daß sie von Anfang an gegen diese Entspannungspolitik stand. Damit stand sie gegen den dauerhaften vorherrschenden Trend, der damals das imperialistische System in unserem Land prägte. Diese Schreiberei der "Roten Fahne" und der Gruppe "Revolutionärer Weg" war eine Beuge vor diesem nunmehr vorherrschenden Trend im kapitalistischen System.

Ganz dementsprechend wird auch in verantwortungsloser Weise die Rolle der SPD bei der Vorbereitung des Faschismus heruntergespielt. Man kann nicht sagen, daß in der Vergangenheit die SPD überhaupt nichts gegen die Nazis getan hat. Gewisse Widerstände gab es. Aber das ist nicht alles. Auf der anderen Seite deckte die SPD zum Beispiel über die Notverordnungspolitik, die bekanntlich sehr wichtig für die Machtübernahme des Nazifaschismus war, den Faschismus.

Zu erklären, daß die Sozialdemokratie nichts unternimmt, was den Faschismus begünstigt, ist doch eine ganz unerhörte Reinwaschung.

 

III. Die "Stalin-Frage"

Dann kommt als letzter Punkt die Stalin-Frage. Und dieser Punkt ist nicht weniger blamabel als die vorherigen, werden hier doch tatsächlich solche Sätze wie der folgende herausgestellt:

"In den theoretischen Arbeiten Stalins liegen ja gerade seine Verdienste, aber in der Praxis beging Stalin Fehler, die im Widerspruch zu seinen theoretischen Arbeiten standen." (S.225)

Hat man denn dort richtig gelesen. Wie sollen denn etwa die Fehler, die ein Mensch in seiner langjährigen umfassenden Praxis macht, in der Theorie keine Widerspiegelung erfahren? Das ist erst mal Unsinn. Zum andern ist es auch eine ganz bösartige Unterstellung, weil damit eigentlich gesagt wird, daß bei Stalin Theorie und Praxis auseinanderklafften. Dieser Ansicht sind wir auch heute nicht.

Zu diesem Punkt Stalin gibt es aber einiges zu sagen. In der Tat hat unsere Organisation damals Stalin gegen diese Art von Angriffen, wie sie vom KAB/ML und dann von Dickhut gegen Stalin gestartet wurden, intensiv verteidigt. Unsere Partei kannte damals im wesentlichen noch keine Fehler Stalins und war diesen in den theoretischen Studien und in den historischen Studien über seine Praxis noch nicht begegnet. Das hat sich allerdings geändert. Wir haben seit dem Jahre 1972 eine intensive Diskussion über Stalin und haben historische Forschungen immer wieder und wieder dazu angestellt, um dieses Problem zu lösen. Wir sind bei diesem Problem noch nicht völlig am Ende, aber wir hoffen doch in einiger Zeit dazu eine Lösung vorlegen zu können.

In der Tat darf man die Bedeutung der sogenannten Stalin-Frage, das heißt, der Einschätzung der politischen Führung der Sowjetunion in einer ganz ganz langen Periode, zwischen 1923 und 1953, nicht herunterspielen. Das ist für uns und nicht nur für uns - man denke allein an die immer wiederkehrenden Kommentare der KP Chinas, der PA Albaniens zu dieser Frage - in der Tat eine Hauptfrage der marxistischleninistischen Bewegung, was denn sonst. Aber Dickhut schreibt hier ungeniert: "Die Stalinfrage ist meines' Erachtens keine Hauptfrage in der ML-Bewegung." Das ist ja wirklich lächerlich. Wir finden es nicht bedauerlich, daß die MLPD dieses Dokument veröffentlicht hat.

Wenn wir also heute eine Kritik an Stalin, eine Diskussion um Grundfragen haben, dann bedeutet das noch lange nicht, daß wir etwa sagen: unsere damalige Antwort an den KAB(ML) war falsch.

Gegen diese Art oberflächlicher Vorwürfe, wie sie vom KAB(ML) vorgebracht wurden, von wegen Stalin hätte eine Kulturrevolution machen sollen, ohne zu fragen, ob das ging, ob die historische Situation dafür da war, von wegen Stalin habe unrechtmäßig unterdrückt, ohne das konkret zu beweisen, mußten wir uns zur Wehr setzen und haben dies zurecht als Verleumdungen angesehen.

Wir führen diese Kritik an Stalin sehr gründlich durch. Sie hat aber noch ganz andere Themen, wie wir jetzt auch schon öffentlich geschrieben haben. Wir befassen uns mit dem Kulturleben in der Sowjetunion, wir befassen uns mit der grundlegenden Frage der Fortsetzung des Klassenkampfes in der sozialistischen Periode, ein Punkt, der ja längst von der KP Chinas unter Mao Zedong herausgestellt worden ist, und der sehr wohl, wenn er ein Fehler ist, auch ein theoretischer Fehler von Stalin ist.

Für uns steht eine ganz andere Frage der Geschichte der Sowjetunion im Vordergrund, die vielleicht mit der Frage des Parteimaximums, die in dem Brief vom 9.2.71 angesprochen ist, in gewisser Weise etwas einher geht. Das ist die Frage, wie man zur russischen Geschichte, zum großrussischen Chauvinismus steht. Ist dieser ausreichend kritisiert worden oder nicht? Gibt es nicht dort erhebliche Mängel? Und mit diesen Fragen sollten wir uns dann tatsächlich einmal ausführlich befassen, was aber nicht Gegenstand dieses Artikels ist. Jedenfalls wurden diese Punkte überhaupt nicht erwähnt.

Hier sei noch auf den folgenden krassen Widerspruch in der Praxis der MLPD bzw. des KABD zur Frage der Sowjetunion hingewiesen. Diese Organisation, die Stalin hier faktisch die Förderung der Bürokratie, Fehler gegenüber der KP Chinas, Fehler im Fall Slansky usw. vorwirft, ohne das näher zu begründen, dieselbe rechtfertigt vollkommen einen Fehler, der unserer Ansicht nach eine wirkliche Katastrophe darstellte, nämlich die Unterstützung des Zionismus, der selbst eine Abart des Rassismus darstellt, durch die Sowjetunion 1947/48. Das heißt, dieser Akt, der unserer Ansicht nach wirklich ein Akt imperialistischer Politik ist, der wird von dem KABD gerechtfertigt und gebilligt, während andererseits vollkommen fragwürdige, unbelegte Kritikpunkte vorgebracht werden.

Es ist doch merkwürdig, daß diese Organisation, die gerade die Frage gewisser imperialistischer Züge der Politik beiseite wischt und z.B. die Unterstützung des rassistischen Zionismus zur normalsten Angelegenheit der Welt erklärt, auf der anderen Seite leichtfertig Sachen einstreut wie: Stalin hätte dies nicht tun dürfen, Stalin hätte so vorgehen müssen, Stalin habe Verantwortung bei der angeblich ungerechtfertigten Verfolgung von Rajk, Kostow und Slansky, also eine Blutschuld auf sich geladen, ohne dies überhaupt näher zu belegen. Der KAB und Dickhut versuchten uns auf eine Linie zu verpflichten, die uns allerdings sehr leicht als eine Art Selbstdenunziation unserer eigenen Grundlagen hätte ausgelegt werden können. Unserer Ansicht nach besteht, zwischen diesen beiden Punkten ein enger Zusammenhang.

Wir sind der Ansicht, daß man die von den Chinesen vorgebrachte Kritik an mangelhafter Fortführung des Klassenkampfes in der sozialistischen Periode in der Epoche Stalins weiterführen und untersuchen muß, daß man die Frage der Wiedererzeugung der Bourgeoisie aus dem Kleinbürgertum und aus den noch vorhandenen kapitalistischen Gewohnheiten weiter untersuchen muß. Des weiteren hat auch das Leben ganz anders die großmachtchauvinistischen Züge der Sowjetunion zu Tage gefördert.

Wir sind der Ansicht, daß man gerade diese Punkte des Großmachtchauvinismus kritisieren muß und tiefer und tiefer die Quellen hervorfördern muß und das Richtige an der Sowjetunion verteidigen muß und sich vor vorschnellen Kritiken hüten muß. Und der KABD ist in dieser Geschichte in der Tat umgekehrt vorgegangen.

Selbstverständlich hatte der KAB(ML) das Recht, Stalin zu kritisieren, nur mußte diese Kritik dann richtig und wohl begründet sein, davon aber konnte bei ihnen keine Rede sein. Der oben zitierte unsinnige Satz deckt aber nur die faule, gegen die historische Untersuchung gerichtete Haltung von Dickhut und dem KAB(ML) zu, denn ihre Organisation erkennt überhaupt nicht die theoretischen Leitsätze Stalins alle an, man denke allein an die sehr deutlichen Ausführungen Stalins über den Zusammenhang Sozialdemokratie und Faschismus. Wir sollten Stalin in der Theorie anerkennen, keine Kritik nach außen führen, und gleichzeitig dulden, daß das, was wir nach außen verteidigten, innerhalb der Organisation mit Schmutz beworfen wird und als praktisch zutiefst fehlerhaft deklariert wird. Zu Recht empörten wir uns über den Punkt, daß die "Kritik" an Stalin nicht nach außen geführt werden sollte. Gemessen am damaligen Erkenntnisstand konnten wir nicht anders reagieren (vgl. auch das Dokument Nr.1, "3) Die Stalinfrage"[4] )

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Schließlich noch eine Bemerkung zu einem weiteren Angriff in diesem Buch.

Fast die einzige Schrift, die bislang von der MLPD angegriffen wird unter den Schriften Klaus Senders, ist "Über das Wesen des DGB" vom Dezember 1971. Auch in diesem Buch werden diese schmutzigen Anwürfe wieder erwähnt, die einzig und allein als theoretische Grundlage haben, daß Willi Dickhut solche Konzerne wie die Bank für Gemeinwirtschaft nicht als Monopolkapital ansehen will, sondern lediglich als ein Stück Arbeiterbewegung, als Hausbank der Gewerkschaften mit einigen falschen Praktiken usw. Von daher wird von W.Dickhut selbst eine spinnitiöse Phantasterei aufgebaut von wegen Klaus Sender würde Illusionen über 'Zurückdrängung der Monopole’ verbreiten, wo dieser in Wirklichkeit die Rivalität verschiedener Kapitale beschreibt, das Strebertum der pseudolinken Richtungen, sich im Kapitalismus emporzukriechen und sozialimperialistische Formen durchzusetzen. Er analysierte, daß die Mitbestimmungsforderung in einem engen Zusammenhang mit eben diesem "DGB-Kapital" steht, das unter Kontrolle der Gewerkschaftsführer steht, und diesem Kapital entspringt.

Derartige Ausführungen, zusammen mit den schleimigen Anbiedereien an die Gewerkschaftsführung im "Revolutionären Weg Nr.11", bezeugen nur, daß W. Dickhut zwischen Arbeiterbewegung, den gewerkschaftlichen Massen und den Gewerkschaftsführern nicht unterscheiden kann, die im Jahre '71 nichts anderes als Manager, als Topleute des Kapitals sind, und zwar vorwiegend des größten, des monopolistischen Kapitals.(siehe hierzu auch Anm.04 über den Revolutionären Weg.Nr.11 [5] )

 

 


[1]  Dies ist Kapitel II in der NE-Ausgabe 1986, Kapitel I befaßt sich mit Darlegung des Ablaufs der Auseinandersetzungen  in dem Buch  „Über die Geschichte der MLPD“.  Schon der Titel ist anmaßend. Es gehört zu den Merkmalen einer solchen Organisation, bevor überhaupt irgendwelchen wesentlichen Schritte in Form historischer Ergebnisse erreicht sind, bereits eine „Geschichte ihrer Partei“ herauszugeben. Dies ist karikaturhafte Nachahmung der KPdSU von 1938. Diese Partei hatte damals größte epochemachende Kämpfe hinter sich.

[2]  Siehe Neue Einheit, 1986, Nr.1/2 Anmerkungen zum „MLPD-Geschichtsbuch“ , 1.Teil, S.42-45

[3] Willi Brandt war Bundeskanzler von 1969 - 1974

[4]  Siehe ebenda, S.43

[5]  Siehe ebenda, S.30-37