NEUE EINHEIT-Extrablatt Nr. 14, erschienen im Februar 1992:
Der jugoslawische Krieg
Diese Stellungnahme wurde im September/Oktober
1991 verfaßt. Sie diente als Grundlage für verschiedene öffentliche
Vorträge und Diskussionsbeiträge und wird hier in etwas überarbeiteter
Fassung veröffentlicht, um sie zugänglich zu machen. Wir begrüßen
die inzwischen aus der hier aufgezeigten Entwicklung erzwungene Anerkennung
von Slowenien und Kroatien durch die EG und die bereits vorhandene Anerkennung
durch viele europäische Staaten. Der Standpunkt der Großmächte,
wie er sich im Sommer 1991 gezeigt hatte, erwies sich als diskriminierend
und unhaltbar. Man muß auch jetzt berücksichtigen, daß
die USA und Rußland diese Anerkennung noch nicht geleistet haben
und eine radikale Wendung noch im Bereich des Möglichen liegt.
Feb. '92
(Zusatz der Redaktion, Herbst 1994):
Seitdem haben die USA zumindest
formal ihre Position gewandelt, weil sie durch ihre Unterstützungder
Serben in Mißkredit geraten sind. Durch die Praxis versucht man immer
noch, den Serben Vorschub zu leisten.
Die folgenden Unterüberschriften
entsprachen der damaligen Situation vom Februar 1992.
In den letzten Junitagen und Anfang Juli 1991 griff die jugoslawische Bundesarmee in einer unverhüllten Weise Slowenien an. Trotz der enormen zahlenmäßigen und technischen Unterlegenheit konnten die Slowenen die Auseinandersetzung für sich entscheiden, weil sie ihre authentischen Interessen verteidigten und die serbische "Bundesarmee" letztlich als nackter Vergewaltiger kam. Wieder einmal zeigte sich, daß es in unserer heutigen Zeit ohne Tarnung, ohne pseudogerechte Bemäntelung einem Aggressor nicht leicht möglich ist, ein Volk zu überfallen. Wieder einmal zeigte sich, daß ein Überfall auf das Volk sich zerstörerisch auf den Aggressor selbst auswirkt.
Dabei hatten die Serben die USA, Großbritannien sowie anfänglich auch Frankreich und Italien sowie die Gorbatschow-Administration in der Sowjetunion auf ihrer Seite. In Deutschland wurde der Widerstandskampf der Slowenen und Kroaten anfänglich von Genscher und anderen auf eine jugoslawische Staatslegalität vertröstet, die in Wirklichkeit nicht mehr existierte. Dieser sah sich aber aufgrund der Kritik im eigenen Land im weiteren gezwungen, das Recht zur Unabhängigkeit von Jugoslawien deutlich anzuerkennen, worauf er selber der Gegenstand heftigster Attacken in verschiedenen ausländischen Blättern wurde.
Bemerkenswerterweise haben mehrere angeblich linke Organisationen in Erklärungen faktisch die Position der Aggressoren und unverhüllten Okkupanten begünstigt. [ 1 ]
Die kroatische Regierung hat sich im Konfliktfall mit Slowenien geweigert, sich den serbischen Truppen entgegenzustellen, obwohl dies von der Bevölkerung in Kroatien gefordert wurde.
In der Auseinandersetzung mit Kroatien versuchte die serbische Führung und die zu ihr gehörende militärische Leitung sich auf den historischen Vorwand der früheren Ustascha-Republik 1941-44 zurückzuziehen, um ihre eigenen Taten zu begründen. Dabei haben sie selber unverblümt ihre eigenen Stoßtrupps nach den damaligen faschistischen "Tschetniks" benannt und gerieren sich selbst ohne Einschränkung als Faschisten. Dabei kam es schon im Juli zu ungeheuren Massakern und Grausamkeiten gegenüber der kroatischen Bevölkerung, die immer noch, vor allem von Großbritannien und den USA, geduldet werden. Unter dem Vorwand des Eintretens für die serbische Minderheit in Kroatien hat die serbische Bundesarmee derweil den unmittelbaren Okkupations- und Vertreibungskrieg gegen Kroatien begonnen.
Das Vorgehen der serbischen Führung, und zwar sowohl der sog. Kommunisten als auch der sog. oppositionellen "Marktwirtschaftler" ist von höchster nationaler Eigensucht geprägt. Mag die übrige Welt in Brand gehen, Hauptsache, Serbien dehnt sich aus überallhin, wo Serben leben, Hauptsache, die serbische Hegemonie über das ganze bisherige Jugoslawien kommt zustande, vielleicht mit Ausnahme von Slowenien und von Teilen Kroatiens.
Derweil wird der Krieg mit unerhörter
Grausamkeit eskaliert, werden systematisch zivile Objekte in Kroatien zerstört,
werden Krankenhäuser angegriffen, historische Kunstschätze zerstört
und vor allem mit modernsten Waffen Menschen massakriert. Aber auch hier
wirkt trotz der Demagogie der serbischen Regierung und Militärführung
bereits die Zersetzung auf die Aggressoren. Es besteht einige Hoffnung,
daß die Serben selbst sich das militärbürokratische Regime
nicht gefallen lassen wollen und selber am Sturz der Aggressoren arbeiten.
Wenn dies gelänge, würde man dem Weg zu tatsächlicher Konföderation
und Kooperation auf dem Balkan näherkommen, die allerdings bei den
verworrenen Grenzen zwischen den Volksgruppen nottun. Damit würde
man einen vernünftigen Entwicklungsrahmen für die ganze Region
schaffen, denn es gibt in der ganzen Region dort nicht eine Nation, die
nicht gegen eine andere Gebietsforderungen hat. Warum sollte ein derartiges
föderatives Statut nicht von den übrigen europäischen Staaten
mit abgesichert werden?
Geschichtliche Hintergründe
Um die mörderischen Vorgänge in Jugoslawien zu verstehen, ist es vor allem wichtig, das Wesen des jugoslawischen Staates zu begreifen, zu wissen, wie er zustande kam. Man wird sehen, daß die de-facto-Parteinahme der maßgeblichen Mächte auf der Welt für ein blutiges Gemetzel mitten in Europa, oder auch ihre indirekte Beschönigung und Duldung durch Teilnahmslosigkeit, "verständlich" wird. Die Ursachen für die heutige Situation liegen in diesem Fall ganz besonders in der Geschichte begründet.
Was waren die Prinzipien bei der
Gründung dieses Staates Jugoslawien? Mit seiner Gründung wurden
Nationen und Nationalitäten recht unterschiedlicher kultureller Herkunft
zusammengefaßt, und zwar unter massivem Zwang. Ausschließlich
die Tatsache gemeinsamer ethnologischer Herkunft und ähnlicher
Sprache
waren ausschlaggebend. Die geschichtliche Entwicklung dreier verschiedener
Hauptnationen — Slowenen, Kroaten und Serben — war schon vor 1300 Jahren
verschiedene Wege gegangen und hatte sich in neuester Zeit auch in verschiedenartiger
Industrialisierung und unterschiedlichem bürgerlich-zivilisatorischem
Niveau ausgeprägt.
Die Serben hatten einen bedeutenden
Kampf gegen die osmanische Türkei geführt, die jahrhundertelang
die Entwicklung des Balkan behindert hatte. So haben sie einen großen
Freiheitskampf auf dem Balkan unter Beweis gestellt. Dennoch wurden sie
in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von der gesamten Arbeiterbewegung
und den fortschrittlich denkenden Menschen der damaligen Zeit zunehmend
mit Argwohn beobachtet, und zwar weil sie zunehmend die zaristische Politik
unterstützten. Mit dem Putsch des Hauses Karadjordjevic 1903 kam diese
Politik einer Vorreiterrolle des Panslawismus endgültig zum Durchbruch.
Die serbische Führung vor dem
1. Weltkrieg fühlte sich als Vorposten der russischen Expansion. In
einer "Zirkularnote" vom 4. September 1914, die die Schaffung eines "Nationalstaates"
aller Serben, Kroaten und Slowenen behandelt, erklärte die serbische
Regierung z. B. ganz unverhohlen:
Der erste Weltkrieg war ein Konflikt zwischen imperialistischen Interessenkoalitionen. Als offenkundige Kriegsparteien standen sich Preußen-Deutschland, Österreich-Ungarn und die Türkei als Mittelmächte einerseits und Großbritannien, Frankreich und das zaristische Rußland andererseits gegenüber, im Hintergrund wirkten die imperialistischen USA dabei entscheidend mit. 1917 traten auch sie unmittelbar in den Krieg ein. 1917 wurde Rußland durch zwei Revolutionen umgestaltet. Im Februar 1917 stürzte der Zar und wurde durch eine bürgerlich-demokratische Regierung ersetzt, die aber selbst die rigideste Diktatur betrieb und den imperialistischen Krieg fortsetzte. Erst die bolschewikische Revolution vom Oktober 1917 beendete Rußlands Teilnahme am imperialistischen Weltkrieg, während die sogenannten Demokraten, die im Februar 1917 die erste Revolution unter dem Druck der Situation vollzogen hatten, den imperialistischen Krieg vor allen Dingen gegen Mitteleuropa ausdehnen wollten.
Mit dem Zusammenbruch Österreich-Ungarns
kam im ganzen österreichisch-ungarischen Gebiet die Rätebewegung
auf. Dies war schon zu Beginn des Jahres 1918, also zehn Monate, bevor
sie sich im preußisch-deutschen Reich ausbreitete, der Fall.
Die serbische Monarchie etablierte,
gestützt auf die imperialistischen Siegermächte, vor allen Dingen
Frankreich, einen neuen Staat ohne Rücksichtnahme auf den eigenen
Willen der Bevölkerung. Am 1.12.1918 ließ der serbische König
Alexander, ohne auf irgendwelche gewählte Körperschaften oder
Plebiszite Rücksicht zu nehmen, die Monarchie über das ganze
Territorium ausrufen (das zunächst "SHS-Staat" und später Jugoslawien
genannt wurde) und ließ diese in der blutigsten Weise, gestützt
auf die serbische und französische Armee, durchsetzen. Rücksichtslos
wurde die relativ weit entwickelte Arbeiterbewegung im Norden
niedergeschlagen. Jugoslawien bedeutete Gewalt und Terror von Anfang an.
Die Eigenständigkeit der slowenischen und kroatischen Nation wurden
anfangs von der serbischen Monarchie, den serbischen Panslawisten, Bakunisten
und anderen bestritten. Jugoslawien war der erste Staat in Europa, in dem
sich der faschistische Barbarismus ausbreitete. [ 3
]
Einer der Hauptvertreter der jugoslawischen Konzeption, der Ministerpräsident (bis 1926) im "Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen", Svetozar Pribicevic, der später mit der kroatischen Bauernpartei zusammenarbeitete, charakterisierte 1932 in seinen Memoiren den jugoslawischen Staat selbst mit folgenden Worten:
Die KP Jugoslawiens war nicht nur
unfähig, dies zu erfassen. Sie hat anfänglich in vielem das Vorgehen
der monarchistischen faschistischen Kreise gedeckt. Dies wurde später
oftmals durch andere kommunistische Parteien, auch durch die KPdSU, kritisiert.
In der Komintern wurde Mitte der zwanziger Jahre immerhin durchgesetzt,
daß man Slowenien und Kroatien als eigenständige Nationen anerkennt,
mit denen man ein Bündnis schließt und für die man das
Selbstbestimmungsrecht der Nationen grundsätzlich anerkannte. Dies
war zweifelsohne ein großer Fortschritt. Man muß sagen, daß
sich die KPdSU und
J. W. Stalin selbst für ein
allgemeines Selbstbestimmungsrecht der Nationen auch im Falle Jugoslawien
ausgesprochen haben.
Was aber nicht kritisiert wurde, war der kulturelle Hintergrund und der Inhalt dieser Okkupation, die Jugoslawien in Wirklichkeit darstellt. Die KP hätte nämlich die Okkupation weiter entwickelter Gebiete im Norden durch serbische Monarcho-Faschisten verurteilen müssen und den Inhalt eines solchen Vorgehens aufdecken müssen und nicht nur abstrakt von einem Selbstbestimmungsrecht der Nationen reden dürfen.
Die unterschiedslos gleichartige Behandlung jeder Art von nationaler Frage kann zu nichts führen. Nicht jede Nationalität oder nur Gruppierung kann nationalstaatlich unabhängig sein, weil dies aus Gründen der Grenzbildung und aus Gründen des kulturellen Zusammenhangs gänzlich unmöglich ist. Jede nationale Frage muß in ihrem gesellschaftlichen Zusammenhang gesehen werden, ob sie letztlich der sozialen Emanzipation förderlich ist oder nicht.
Bei Ausbruch des Krieges in Slowenien hat man den Slowenen vorgeworfen, wenn sie unabhängig werden wollten, dann könnten auch die Andalusier und Waliser und Schotten und wer weiß welche Gruppierungen von Völkern, die seit Jahrhunderten innerhalb einer bestimmten Nation leben, ihre Unabhängigkeit verlangen. Gerade diese Argumentation läßt jeden konkreten historischen Hintergrund aus. Sie ist demagogisch. Sie läßt aus, daß die Slowenen erst in jüngerer Zeit gewaltsam in den jugoslawischen Staatsverband eingegliedert worden sind, daß sie keine Minderheit sind, sondern selbst ein vergleichsweise homogenes Volk, das zur Staatsbildung fähig ist.
Wenn man diesen Ländern vorhält, daß sie Verbindungen zu anderen Staaten suchen, im Falle Sloweniens beispielsweise zu Österreich, oder im Falle von Slowenien und Kroatien zur EG oder Italien usf., so liegt das im freien Ermessen dieser Staaten. In der Tat zieht ein Slowene den Vergleich, welche Entwicklung sein Land in Jugoslawien genommen hat, und welche Entwicklung Österreich oder Norditalien genommen haben.
Man muß auf der anderen Seite erwähnen, daß der kroatische Präsident Tudjman als Historiker sich zum Anwalt sogenannter Unabhängigkeitsbewegungen von teilweise autonomen Minderheiten macht, die auf Zerstückelung der größeren Nationalstaaten hinauslaufen, was den Gegnern der kroatischen Unabhängigkeit direkt Argumente liefert. Dadurch wird der kroatische Fall allerdings zum Problemfall.
Das Terror-Regime Jugoslawiens ist somit nicht neu. Schon vor dem zweiten Weltkrieg war es eine einzige blutige Geschichte gewesen. Was die serbische Politik zu dem damaligen Zeitpunkt bereits antrieb, waren völkische, rassistische Prinzipien, die ohne Gnade alles das vereinen sollten, was Serbien in der Donaumonarchie verwandt schien. Die Politik der Rätebewegung auf dem Balkan 1918/19 ging dahin, zu einer Föderation der ökonomisch und historisch verwandten Staaten des Balkanraumes, wie Rumänien, Bulgarien, Serbien zu kommen, eine Sache mit ganz anderem Charakter.
Es wird in der Diskussion um die jugoslawische Frage immer wieder auf die kroatischen Ustascha-Faschisten und ihre Massenmorde verwiesen sowie auf die kroatische reaktionäre Rolle, die schon in früherer Zeit bestanden hat, etwa in der Revolution von 1848, als sie als Henkerarmee gegenüber den revolutionären Kräften auftraten. Es ist aber dabei zu berücksichtigen, daß die Ustascha nicht die erste Welle des Faschismus in Jugoslawien war, sondern auch durch die vorherige faschistische Welle der Tschetniks begünstigt worden war. Und so schlachteten sich während des zweiten Weltkrieges faschistische serbische Tschetniks und faschistische kroatische Ustascha-Leute massenweise gegenseitig und dabei die Zivilbevölkerung ab. Heute bekommt Europa einen Nachgeschmack dieser barbarischen Metzeleien, allerdings vor allen Dingen von Serbien verantwortet. Man muß den serbischen Führern sogar unterstellen, daß ihre Politik darauf hinauszielt, faschistische Ressentiments und Revanche-Gedanken in Kroatien selbst zu züchten, um dann wieder ihren eigenen Vorstoß damit zu begründen.
Mit dem Krieg von 1941-45 verschwanden
die Probleme scheinbar. Unter Tito wurde aufgrund der Gegenreaktion aller
jugoslawischen Völker gegen den Nazifaschismus eine gewisse Einheit
hergestellt. Außerdem hatte auch der Titoismus alsbald die Engländer
und Amerikaner als Stütze im Rücken, und dadurch wurde die Klammer
auch noch zusätzlich gefestigt. Die jugoslawische Klammer wurde durch
das internationale System gesichert. Man kann auch einen gewissen positiven
Aufbau als Folge dieses Kampfes gegen den Nazifaschismus in der Nachkriegsphase
sehen, ungeachtet dessen, daß das jugoslawische Modell des "Kommunismus"
in Wirklichkeit am frühesten und längsten einem dem Kapitalismus
ähnelnden System gleicht. Das Wesen des jugoslawischen Staates setzte
sich zudem in vieler Hinsicht unter Tito fort, z. B. in der rücksichtslosen
Unterdrückung und barbarischen Behandlung aller politischen Gegner.
Die aktuelle Entwicklung
Mit der Zerstörung des etablierten Ost-West-Verhältnisses durch die deutsche Einheit, vor allem durch die schnell vollzogene Vereinigung und den Zusammenbruch des Blocksystems in Europa, verschwand die Klammer, die Jugoslawien sicherte, und zugleich war es so, daß die Völker Sloweniens und Kroatiens nicht mehr einsahen, in dieser rückständigen Republik zu leben und dies als ein Hindernis für ihre eigene Entwicklung zu begreifen begannen. Von daher muß man die massenweise und faktisch einhellig vollzogene Abwendung Sloweniens und Kroatiens von dem jugoslawischen Staatsverband begreifen.
Die jugoslawische Verfassung sichert diesen Nationen das Selbstbestimmungsrecht der Nationen zu, wenn dabei zugleich die Minderheitsrechte berücksichtigt werden. Slowenien und Kroatien haben das Recht, ihre Unabhängigkeit zu erklären. Was also kann die internationale Gemeinschaft anderes tun, vorausgesetzt, sie nimmt ihre eigenen Prinzipien ernst, als zu erklären: das ist in Ordnung, wir verlangen allerdings, daß Kroatien den serbischen Enklaven die entsprechenden Autonomie- und Minderheitsrechte gibt? Aber nichts dergleichen geschah.
Als Ende Juni 1991 die Sache ernst wurde und Slowenien seine Unabhängigkeit erklärte, waren Bush und Major die ersten, die erklärten, der jugoslawische Staatsverband müsse bestehen bleiben. Auf dem hier behandelten historischen Hintergrund aber werden diese Erklärungen vollkommen verständlich, denn die Auflösung des jugoslawischen Staatsverbandes bedeutet aus der Sicht dieser imperialistischen Mächte die Auflösung eines politischen Stützpfeilers ihres ganzen internationalen Systems. Auch in Deutschland wurde von Genscher anfänglich eine Politik der Konservierung dieser jugoslawischen Verhältnisse betrieben. Die Sowjetunion unter Gorbatschow hatte sich schon früher in ganz besonders markanter Weise für Serbien und die serbische Dominanz eingesetzt. Somit sind die bestimmenden Mächte der KSZE auf Seiten der Schlächter und Henker, die sich im Balkan betätigen.
Die überraschenden Erfolge Sloweniens im Kriege, die auf der Identität und der Überzeugung der Bevölkerung beruhten, sowie auch die Unfähigkeit Serbiens, mit einem Schlage Kroatien zu besiegen, haben dazu geführt, daß auch diese Mächte in ihrer Übereinstimmung mit Serbien haben Abstriche machen müssen. Es kann eben heutzutage niemand so ohne weiteres mehr ein offenes Schlächter-Regime unterstützen. Die serbische Propaganda begann daraufhin mit einem Riesengeheul, daß Deutschland und Österreich Slowenien und Kroatien abtrennen wollten. Aber Deutschland und Österreich brauchten überhaupt keinen Finger zu rühren, was die Unterstützung der Unabhängigkeit betrifft, denn die Völker selber verwirklichen sie. Und was das deutsche Kapital betrifft, so war es im jugoslawischen Staat bestens aufgehoben und hat dort bestens Profite gemacht.
Die Politik von Außenminister Genscher war auch dergestalt, daß er anfänglich die Kroaten darauf vertröstete, daß Mesic seine Rolle als Staatspräsident wahrnehmen und eine friedliche Lösung herbeiführen würde, wenngleich er später in der Öffentlichkeit als außerordentlicher Befürworter der kroatischen Unabhängigkeit erschien und auch den wütendsten Angriffen von Seiten der serbischen Medien ausgesetzt war. Aber eine friedliche Lösung kam nicht, denn die serbische Führung sagte sich: man mag in ganz Europa friedliche Lösungen herbeisehnen, wir führen unseren Schlächterkrieg und werden ihn entscheiden. Sollte Europa zusehen, wie eine Handvoll Chauvinisten Okkupation und Massenvertreibung in Gang setzen? In der Tat müssen die blutigen Geschehnisse in Europa an der Wurzel begriffen werden. Es darf nicht mehr sein, daß die Pariser Vorortverträge von 1920, die in Wirklichkeit immer noch im Hintergrunde wirken, heute noch den Maßstab bilden für das, was Recht und was Unrecht ist. Auch die USA decken dieses System ab, weil es ihnen zur Spaltung dient.
Slowenien und Kroatien werden, wenn sie auf Dauer ihre Unabhängigkeit erreichen wollen, als unmittelbar Betroffene selbst diese historischen Hintergründe aufdecken und angreifen müssen. Niemand anderes kann das für sie tun. Es sind bis heute die panslawischen oder zumindest pan- südslawischen Ideen, die der serbische Bürokratismus und Militarismus benutzt, um seine Expansion zu rechtfertigen. Nicht zufällig war der langjährige Ministerpräsident des Königs Alexander Karadjordjevic, Pasic, von seiner Herkunft her Bakunist. Diese Ideen waren immer schon reaktionär und haben immer schon Deutschland als die Quelle allen Übels attackiert, womit sie in Wirklichkeit ganz Europa meinten.
Wir unterstützen daher jede Initiative, Serbien die Legitimation für sein Handeln zu nehmen und durch entschiedene Maßnahmen zu erreichen, daß Serbien seine Okkupationsarmee zurückzieht und die serbischen Minderheitsrechte in Kroatien verwirklicht werden.
Die Propaganda kroatischer Auslandskreise läuft darauf hinaus, das Kapital des Westens anzuflehen, es möchte sie doch unterstützen. Die USA, Großbritannien, Deutschland werden angemahnt, sie möchten doch ihre Unabhängigkeit unterstützen. Aber die ersteren beiden wollen das nicht, und das letztere kann das nicht, weil es gar nicht die Macht dazu hat und weil es selber den Einschränkungen unterliegt. Und Österreich als kleiner neutraler Staat erst recht nicht. Diese Propaganda erklärt auch, man wolle Kroatien vom Kommunismus befreien. Aber kämpfen denn in Serbien noch irgendwo Kommunisten? Erklären denn die "Marktwirtschaftler" in Serbien nicht genauso die Expansion Serbiens? Und will man sich selbst damit die Argumentation aus der Hand schlagen? Wenn jetzt Serbien z.B. zu einer bürgerlichen Republik erklärt wird, was durchaus im Rahmen der weiteren Möglichkeiten ist, soll dann die Okkupation Kroatiens gerechtfertigt sein? Die Agitation, die diese kroatischen Kreise betreiben, schlägt gegen Kroatien selbst. Nicht der Kommunismus, nicht die Arbeiterbewegung, nicht der Sozialismus ist die Ursache der Vergewaltigung Kroatiens, sondern ganz schnöde, blanke hegemonistische Interessen, die gegen diese Völker verwirklicht werden. Und der jugoslawische Staat, daran sei hier noch einmal erinnert, war eine Zeit lang der antikommunistische Staat per se, als solcher ist er gegründet worden.
Angesichts der Auflösung der
Konstellation ist die Verbissenheit verständlich, mit der gewisse
Kräfte dieses serbische Vorgehen decken. Die USA, die gezeigt haben,
daß, wenn es um ihre Interessen geht, um die kuweitische Finanzclique,
sie einen Terrorkrieg größten Ausmaßes entfalten können,
schauen schnöde zu, wenn hier mitten in Europa so etwas geschieht,
und die westeuropäischen Staaten selber können sich nicht aufraffen,
irgendwo dort entschieden Partei zu ergreifen. Es bedarf keines Kommentars,
daß die Entwicklung eines solchen Krieges in Europa eine markante
Sache ist, die morgen den Krieg zu uns selbst hineintragen kann. In der
Tat muß eine Spaltung Europas über balkanische Fragen verhindert
werden. Es ist jetzt aber an der Zeit, nachdem die serbische Zentralregierung
selbst das jugoslawische Staatswesen aufgekündigt hat, Slowenien und
Kroatien anzuerkennen. Militärisch werden Slowenien und Kroatien ihre
Schlacht alleine zu schlagen haben, und sie können nur darauf setzen,
daß in Serbien selbst bei einem anhaltenden Kampf ein Umsturz stattfindet.
Wir fordern deshalb auch, daß generell föderative Pläne
auf dem Balkan, die auf einen Zusammenschluß von etwa auf gleichem
Niveau stehenden Staaten hinauslaufen, gefördert werden.
Anmerkungen
[1] Wie rabiat bestimmte 'linke'
Gruppierungen die Unabhängigkeitsbestrebungen Sloweniens und Kroatiens
ablehnten, soll hier einmal anhand eines Zitats aus dem "Arbeiterkampf"
beispielhaft belegt werden:
Ein weiteres bemerkenswertes Dokument
ist das Telegramm, das Miroslav Spalajkovic, Botschafter des Königreichs
Serbien in St. Petersburg, am Tag vor der österreichischen Kriegserklärung
an den serbischen Ministerpräsidenten sandte.
Es heißt u.a.:
[4] Zitiert in: Wolfgang Libal, Das Ende Jugoslawiens, Wien/Zürich 1991, S. 30 zurück zum Text
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© 1992 Verlag NEUE EINHEIT
(Inh. Hartmut Dicke)