NEUE EINHEIT Extrablatt Nr.26 vom April 1996
 
 
Berlin - Brandenburg - Fusion:   So nicht!
 

Am 5.Mai steht die Abstimmung über die Fusion von Berlin und Brandenburg an. Während von offizieller Seite und den Medien seit Wochen die Werbetrommel dafür gerührt wird, überwiegt in der Bevölkerung Berlins und auch Brandenburgs eher die Ablehnung. Mit Recht haben viele bei dieser Fusion ein schlechtes Gefühl, da sie den Machern dieses Fusions-Vertrages überhaupt nicht über den Weg trauen.

Die Brandenburger Bevölkerung hat Bedenken, daß sie von Berlin aus über den Tisch gezogen wird, auf Grund der Erfahrungen die sie früher mit Ost-Berlin gemacht hat, sowie auf Grund neuerer Erfahrungen.

In Berlin ist der Gedanke, daß Potsdam Landeshauptstadt wird, überhaupt nicht populär, zu Recht nicht. Denn wenn Potsdam Landeshauptstadt wird, dann ist das Verantwortungszentrum dieses Landes außerhalb der Hauptmasse der Bevölkerung gelagert. Der ziemlich starke Widerstand gegen die ganzen Maßnahmen der Verdrängung aus bestimmten zentralen Gebieten, der in der Bevölkerung noch kommen wird, der wird dann immer mit der Hin- und Herschieberei der Verantwortung praktisch abgebogen werden. Die Berliner Behörden werden sagen: ja, das ist das Land, das so entschieden hat, und die werden erwidern, es sei die städtische Verwaltung, die das so entschieden hat. In Wirklichkeit ist es doch so, daß das Machtzentrum dieses Bundeslandes Berlin-Brandenburg, wenn es denn jemals existieren würde, eindeutig im Berliner Rathaus läge. Dort wird das Hauptgewicht der ganzen Bevölkerung vertreten. Aber formal hätte das dann nur die Stellung eines Kreistages, formal ist die Landesregierung zuständig, in Wirklichkeit hat Berlin das Hauptgewicht. Deshalb muß dieser Plan, Potsdam zur Landeshauptstadt zu machen, schon mal als unakzeptierbar abgelehnt werden.

Selbstverständlich sind wir nicht gegen die Vereinigung als solche. Wer wird schon gegen die Vereinigung zweier Bundesländer sein, wenn sachliche Argumente dafür sprechen. Hier geht es aber darum, unter welcher konkreten politischen Konstellation das gemacht wird.

Erst hat sich Brandenburg eine zweifelhafte Verfassung gegeben (Juni 92), die nicht etwa die Mehrheit der Bevölkerung erreichte, sondern nur knapp 45 Prozent der Abstimmungsberechtigten. Nicht einmal die Hälfte ging überhaupt wählen. Trotzdem stand in Zeitungen: 92 Prozent der Brandenburger für die neue Verfassung. Dann wurde in Berlin eine Verfassung verabschiedet, als Annex der Landtags- und Kommunalwahl (Okt.95), wobei die wichtigsten Punkte in dieser Verfassung gar nicht diskutiert wurden. Und auch die Berliner Verfassung erreichte trotz der Zusammenlegung mit zwei weiteren Abstimmungen, weniger als die Hälfte der Abstimmungsberechtigten, nämlich ca. 48 Prozent. Auch hier wurde es, wie schon bei der Brandenburger Abstimmung, in der öffentlichen Propaganda so hingestellt, als hätte die überwiegende Mehrheit zugestimmt. In beiden Verfassungen gibt es sehr zweifelhafte Punkte sittlicher Art, die mit der Mehrheit der Bevölkerung niemals diskutiert wurden.

Man kann davon ausgehen, daß mit der Argumentation, daß beide Verfassungen sich sowieso mehr oder minder ähnlich sehen, das Ganze zusammengepackt wird und auf schleichende Weise aus zwei Verfassungen eine Verfassung gemacht wird, die dann, sozusagen unter dem Deckmantel der Vereinigung, die Zustimmung der Bevölkerung haben soll. Das muß erst recht abgelehnt werden.

Wenn über eine neue Verfassung verhandelt wird, muß erstmal vorausgesetzt werden: Demokratie kann nur da existieren, wo die vorherigen Verfassungen auch in einer einigermaßen akzeptierbaren Form, durch Mehrheitsentsscheidung, zustande gebracht wurden. Ohne daß das behandelt wird und die wirklich zweifelhafte Methodik, mit der diese Verfassungen zustandegebracht worden sind, kann auf der Grundlage dieser zwei Verfassungen auch keine neue Verfassung ausgearbeitet werden.

Die Macher dieser sogenannten Vereinigung, die ja im Grunde auch ein Verfassungsbeschluß ist, sind nach ihrem alten Prinzip vorgegangen, daß eben nichts passieren kann: sie legen selber die Schwelle so niedrig, daß gar nicht erst gegen sie entschieden werden kann. Nicht etwa die Mehrheit der Bevölkerung soll entscheiden, nein, wenn nur 25 Prozent der Wahlberechtigten zustimmen, soll das schon ausreichen, vorausgesetzt es ist die Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Dann ist die Sache schon durchgebracht. Das nennt man Von-vorne-herein-Betrug.

Wir rufen dazu auf: in diesem Fall ganz klar mit Nein zu stimmen, obwohl wir gleichzeitig auch erklären, daß wir den ganzen Modus dieser Abstimmung nicht anerkennen.

Mit welchen Köderungen gearbeitet wird, damit eine Mehrheit zustande kommt, zeigt der noch am 28. März abgeschlossene "Kooperationsvertrag" zur Länderfusion, zwischen Diepgen, Stolpe, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden des öffentlichen Dienstes. Den Beschäftigten im öffentlichen Dienst von Berlin und Brandenburg wird dort im Fall der Fusion ein weitestgehender Kündigungsschutz versprochen, dazu den Brandenburger Bediensteten im Falle der Fusion volle 100 Prozent Westgehalt.

Wer aber auf diese Köderung hereinfällt, der wird letztlich selbst der Dumme sein, denn die Verdrängung der hauptsächlichen Bevölkerungsteile durch den Hauptstadtbeschluß wird weitergehen. Damit wird die Bevölkerung in die Randzonen und in das Umfeld von Brandenburg gedrückt werden. Die Mieten werden in Brandenburg auch erheblich steigen, und auch die alteingesessene Bevölkerung von Brandenburg wird den Mietendruck verschärft zu spüren bekommen.

Deswegen sollten beide zur Zeit gegen die Fusion stimmen.

Es kommen auch bauernfängerische Argumentationen auf wie z.B.: man bräuchte ja nur noch ein Parlament statt zwei, und das sei doch im Sinne aller, das würde ja weniger Diäten bedeuten. Aber glaubt denn irgend jemand, daß z.B. die Berliner eingesessene herrschende Gruppe irgendwo auf ihre Pfründe verzichtet und daß sie sozusagen mit Null abgespeist wird? Nur Naive werden mit solchen Argumenten geködert. Mit Sicherheit wird man diese Kräfte ruhig stellen. Diejenigen aber, die es ausbaden werden, sind die Mehrheit der Bevölkerung, einschließlich eines Teils der mittleren Schichten, die die hohen Mieten auch mit tragen.

Es versteht sich doch eigentlich von selbst, daß die Regierenden in Brandenburg und erst recht die in Berlin nicht bei sich selbst irgendwo sparen. Sie haben sich unendliche Massen von Geld in ihre eigene Tasche gescheffelt und Posten zugeschanzt, sind richtige prassüchtige, durch nichts mehr zu hemmende Egoisten geworden, die aber gleichzeitig dem Volk bei Kindertagesstätten und bei Schulen das Sparen predigen und rücksichtslos Stellen streichen. Daß von solchen Cliquen auch nur irgendwas Positives in punkto Sparen zu erwarten ist, oder daß es denen darum geht, hier irgend etwas rational zu organisieren, das schließt sich von selbst aus. Man würde darauf reinfallen, wenn man den Sachargumenten, die für eine Vereinigung sprechen, folgen würde und diese Cliquen durch diese Vereinigung legitimieren würde.

Besser ist, sie wirtschaften sich ab, und dann kann man auch noch mal über die Vereinigung reden.
 

 
Noch ist es Zeit, den Unsinn
des Hauptstadtbeschlusses zu beenden

Bis jetzt ist noch nicht viel erfolgt. Es ist einfach verkehrt, daß zwei Städte wie Ost- und Westberlin, die heute eins bilden, die beide durch Bürokratie aufgeblasen worden sind, die in der Subventionswirtschaft in ganz Deutschland ungeschlagen sind, in denen die Korruption Normalmaßstab ist, daß so eine Stadt jetzt wegen irgendwelcher Versprechungen von 1949 zur Hauptstadt wird. Diese Stadt müßte sich erstmal auf eine eigenständige Grundlage stellen.

Man hat bei dem ganzen Konzept gar nicht danach gefragt wie die gegenwärtige Situation ist. Man fragt nicht danach, daß die Hauptstadt 80 Kilometer vor die polnische Grenze gelegt wird, was überhaupt nicht passend ist, was den Druck gegen Polen erhöht, was unter Umständen die Bemühungen in eine gewisse Richtung im Osten erhöhen wird, die doch angeblich von diesen Kräften abgelehnt werden. Warum muß man die Hauptstadt hier an diesen Punkt hinlegen? Und das noch zu Milliardenkosten, die jetzt gar nicht verträglich sind.

Diese Stadt bräuchte erstmal ein Neu-Industrialisierungskonzept, das über zwanzig Jahre die ganze Struktur dieser Stadt verändert, und dann kann man wieder über das Thema Hauptstadt reden. Außerdem hat sich dann in der Zwischenzeit wahrscheinlich auch der industrielle Schwerpunkt durch die Entwicklung in Osteuropa weiter nach Osten verlagert, so daß die Sache dann einigermaßen vernünftig wird.

Man müßte Berlin wirklich zu einem Zentrum der modernen industriellen Entwicklung machen. Das ist möglich, wenn man bedenkt, was sich heute in Polen, in Weißrußland ereignet, daß sich ein Handel entwickelt, daß industrielle Begehren in Osteuropa sich weiterentwickeln. Das muß gefördert werden. Allerdings ist wissenschafts- und industriefeindliche grüne Politik und Ökologismus, der bekanntlich in Berlin besonders große Blüten treibt, damit nicht vereinbar.

Weder die Berliner noch die Brandenburger Bevölkerung in ihrer Mehrheit noch die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland in ihrer Mehrheit hat jetzt ein Interesse an der Hauptstadt Berlin. Da wird ein Konzept von verbogenen Köpfen gemacht, die zum Teil ganz andere politische Absichten dahinter haben, wie eben daß Deutschland sich weiter nach Osten wendet oder daß dieser Korruptionssumpf, der der Finanzspekulation durchaus entgegen kommt, sich weiter auf das Land ausbreitet. Damit soll selbstverständlich nicht gesagt werden, daß Bonn keine Korruption hat. Was zur Genüge in Erscheinung getreten ist. Auch Frankfurt am Main ist eines der Zentren internationaler Korruption. Das ist allgemein bekannt. Aber was bringt es, hier in dieses Berlin eine Hauptstadt zu legen, außer daß die Mehrheit der Bevölkerung im Grunde an den Rand gedrückt werden wird, daß arrogante Bonner Beamte, die völlig subjektivistisch sind, die hier noch nicht einmal sein wollen, herkommen und maßlose Forderungen stellen. Ein Fortschritt in der Regierungstätigkeit ist nicht abzusehen.

Wir stehen auf dem Standpunkt: wenn die herrschenden Kreise sich unbedingt weiter ruinieren wollen, dann sollen sie es tun. Weder wir, noch irgend jemand anders wird sie letztlich daran hindern. Aber die Hauptstadtkonzeption Berlins wird nicht aufgehen. Selbst die Berliner administrativen Klüngel haben letztlich nur ein bedingtes Interesse an der Hauptstadt, obwohl sie die Sache früher vorangetrieben haben, weil sie unfähig sind, die notwendige tragende Rolle für solch eine Hauptstadtkonzeption zu füllen.

Schließlich ist noch festzuhalten: ob Berlin für sich genommen Hauptstadt ist oder ob es einer Landeshoheit unterstellt und z.B. nur zu einer Kreisstadt wird - von Potsdam aus verwaltet, mit den entsprechenden Verwaltungsstrukturen, die dort vorhanden sind - ist eine Frage, die nicht nur die Berliner- und die Brandenburgische Bevölkerung angeht, sondern die die gesamte Nation etwas angeht. Wo wird die nun eigentlich über die ganze Angelegenheit gefragt?

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