Der Vorsitzende der Kommunistischen Partei Perus (PCP), Gonzalo, über die MRTA und über Versuche, die revolutionäre Partei in Peru zu missbrauchen.
Die MRTA, die Ende vergangenen Jahres in Lima Geiseln genommen hat, wurde im Jahre 1988 vom Vorsitzenden der PCP heftig angegriffen, als er ein umfangreiches Interview gab und auch über die Erfahrungen mit dieser Organisation sprach. Seine Einschätzung ist in mancher Hinsicht ähnlich der Analyse und der Bewertung ihrer Aktion, die wir haben. (Vgl.dazu NEUE EINHEIT Extrablatt Nr. 29, "Zu den Hintergründen der Botschaftsbesetzung in Lima")
Die MRTA wurde 1984 als Partei und bewaffnete Organisation in Konkurrenz zur PCP aufgebaut. Die peruanische Armee unternahm damals eine äusserst blutige Offensive gegen den Aufstand in den Bergen, die PCP sprach von Völkermord, und vielleicht nutzte die MRTA bei ihrem konkurrierenden Aufbau einige Schwachpunkte des bewaffneten Kampfes der PCP aus. Ihre Gründung hatte offensichtlich enge Beziehungen zur Machtergreifung der APRA Mitte der 80er Jahre. Während der ganzen darauffolgenden Jahre existierte eine Symbiose zwischen dem gesamten System des wachsenden Koka-Anbaus, des APRA-Regimes und der Diktatur der USA, die diese in Wirklichkeit ausübten. Das Verwirrung stiftende System von "zwei bewaffneten Organisationen" und einer in demagogischer Weise antiimperialistisch auftretenden Regierung war ein Nährboden für die Imperialisten zum Ausbau ihres Systems in Peru.
Es heisst in dem Interview:
"Als die Streitkräfte in den Kampf eintraten, gab es harte Kämpfe, denn sie zielten darauf ab, die alten Machtstrukturen zu restaurieren, während wir überall dort die Neü Macht einsetzen mussten. Es kam zu grausigem und erbarmungslosem Völkermord, aber wir sind nicht gewichen. Die Reaktion, und besonders die Streitkräfte, dachten 1984, sie hätten uns besiegt - ich beziehe mich hierbei auf Dokumente, die sie sehr gut kennen, weil sie von ihnen stammen. In diesen Dokumenten wird sogar behauptet, wir wären keine Gefahr mehr, die eigentliche Gefahr sei die MRTA - was aber war das Resultat? Die Volkskomitees und die Stützpunkte haben sich vervielfacht, und das hat uns erlaubt, unsere Basis auszubaün - in diesem Entwicklungsprozess sind wir heute." (zitiert nach dem Buch "Die Anden beben", S. 163)
"Abgesehen davon, dass es in Kuba keine kommunistische Partei an der Spitze der Revolution gab, handelt es sich hier im übrigen um das ganz spezielle Phänomen des sogenannten Kubanismus mit seinen fünf Wesensmerkmalen: als Folge nicht differenzierter Klassenstrukturen entstand ein Bedürfnis nach Retterfiguren, welche die Unterdrückten zu erlösen hatten; sozialistische Revolution, oder besser Karikatur einer Revolution; eine Einheitsfront ohne nationale Bourgeoisie; ausserdem gab es keine Notwendigkeit von Stützpunktgebieten, sowie keine Notwendigkeit einer Partei; was wir heute in Lateinamerika sehen, ist nichts anderes als eine Weiterentwicklung dieser Positionen, die mehr und mehr im Dienste des Sozialimperialismus und seines Kampfes mit dem US-Imperialismus um die Weltherrschaft stehen - Zentralamerika ist ein klarer Beweis dafür. Nach allem, was uns bekannt ist, bewegt sich die MRTA ebenfalls im Rahmen dieser Kriterien." (S. 161)
Das muss allerdings kommentiert werden. Gonzalo schätzt offenbar den Sozialimperialismus noch verhältnismässig stark ein. Zu dem Zeitpunkt 1988 war dieser aber bereits beträchtlich am Zerfallen. Wie sich im weiteren bestätigt hat, haben die USA zu diesem Zeitpunkt in dem gesamten sowjetischen System erheblich ihre Finger im Spiel. Im weiteren ging das Lager der sog. Entspannungspolitik mehr oder minder ganz zu den USA über, die der einzige Garant dessen wurden, was früher durch die sog. Detente garantiert worden war. Diese USA wurden zur einzigen weltbeherrschenden Macht. Fast der gesamte Revisionismus deckt heute umso mehr diese Vorherrschaft. Betrachtet man die MRTA, die pazifistische Losungen vertritt und gleichzeitig bezeichnenderweise, schon seit einiger Zeit und nicht erst bei dieser Geiselnahme, die Japaner angreift, merkt man, woher der Wind bei dieser Organisation heute weht. Deshalb ist dieses Zitat durchaus auch für die heutige Einschätzung der MRTA von Interesse.
Der Vorsitzende Gonzalo sagte:
"Die MRTA vertritt Positionen, die bedenklich sind, z.B. der Waffenstillstand, der mit der APRA vereinbart worden war, bis zu dem Moment - so hiess es - an dem sich die APRA erneut gegen das Volk wenden würde. Wir alle wissen aber, dass von dem Tag an, da Alan Garcia Perez die Präsidentschaft antrat, die Repression gegen die Volksmassen sogar in der Hauptstadt verstärkt wurde. Im Oktober ‘85 fand der Völkermord in Lurigancho statt. War das nicht ein Schlag gegen das Volk? Und wie lange hat die MRTA mit der Aufhebung der Waffenruhe gewartet? Diese Fragen muss man sich freilich in diesem Zusammenhang stellen." (S. 162)
Ganz in der Nähe der Betrachtungen in dem Abschnitt "Über die Partei" befindet sich dann bei Gonzalo ein weiteres sehr interessantes Zitat, das auch die eigene Rolle kritisch reflektiert.
"Eines allerdings soll klar sein: ein bewaffneter Kampf ist keine spontane Explosion, nein, das wäre zu gefährlich - es könnte aber passieren, und deshalb beschäftigt uns schon jetzt das Problem des bewaffneten Aufstandes. Wir glauben, dass es Leute gibt, die den Volkskrieg für ihre Zwecke missbrauchen könnten. In einer Veranstaltung des Zentralkomitees haben wir bereits derartige Möglichkeiten ins Auge gefasst, eine davon ist, dass der Revisionismus oder andere Kräfte ‘bewaffnete Aufstände’ künstlich generieren, um entweder den normalen Entwicklungsprozess zu unterbrechen oder um verlorene Positionen wiederzugewinnen - im Dienste ihres Herren, des Sozialimperialismus oder einer anderen Macht, denn es sind viele Mächte daran interessiert, uns zu benutzen." (S. 166)
Dies zeigt, dass auch schon damals dieser Punkt der Ausnutzung der revolutionären Bestrebungen im Interesse imperialistischer und bourgeoiser Kräfte gesehen wurde. Das ist sehr bemerkenswert. Die PCP leitet den revolutionären Volkskrieg, auch seinen konkreten Beginn, ab aus der Geschichte der PCP und aus der ewigen Unterdrückung und aus der Rechtlosigkeit der Massen seit Jahrzehnten. Sie entschlossen sich zu diesem Krieg zu einer Zeit, als durch den Umsturz in China weltweit die öffentliche Propaganda manifestierte, dass es nun wohl mit der Revolution ein Ende habe. Sie hat dadurch unter schwierigen Bedingungen schon einen wichtigen Beitrag geleistet. Gleichzeitig ist dieser Kampf unweigerlich äusserst erschwert, denn Peru ist nicht nur ein halbkoloniales Land, es ist auch von der Bevölkerungszahl her nicht sehr gross, und die Möglichkeiten für die USA, konzentrierte Manöver gegen diese Revolution zu machen, sind relativ günstig wegen verschiedener bedeutender Rohstoffvorkommen, aber auch wegen der Rolle des Landes als Koka-Anbaugebiet. Wir wissen seit langem - selbst Zeitschriften wie "Der Spiegel" lassen sich darüber aus - dass das Rauschgiftunwesen von massgeblichen Kreisen in den besitzenden Ländern, von der Finanzoligarchie gedeckt wird. Das Rauschgiftunwesen hat seine Rolle bei der Zersetzung der Bevökerung in der ganzen Welt, ist ein Bestandteil der Unterdrückung durch die Weltbourgeoisie und den internationalen Imperialismus. Noch mehr: während die USA von "Anti-Rauschgift-Einheiten" sprechen, von "Krieg gegen die Drogen", bekämpfen sie in Wahrheit die revolutionären Bewegungen in der Region und paktieren nicht selten mit den "Milizen" der Drogenhändler. Unter dem Deckmantel angeblicher Anti-Rauschgift-Aktionen wird in Wirklichkeit "Anti-Terrorismus" betrieben und stets versucht, Aufstandsbewegungen mit dem Rauschgiftunwesen zu verkoppeln, um so eine vollkommen desolate Lage zu schaffen.
Wir stimmen nicht in allen Punkten mit dem Vorsitzenden Gonzalo überein, in einigen Punkten hat er idealistische Ansichten, die auch von der Isolierung dieser Revolution, von ihrer verhältnismässigen Randlage, von ihren besonderen Bedingungen herrühren. Trotzdem sind seine Lehren wichtig für das Verständnis der Situation.
Und wir meinen, dass es notwendig ist, nicht hinter diese frühere Analyse zurückzufallen. Seine Theorien und politischen Erklärungen sind in dieser Weise ein Schlag gegen diejenigen, die die Hintergründe verschleiern wollen und komplexe Beziehungen durch simplifizierte Theorien erklären wollen, indem sie beispielsweise einen Einfluss des US-Imperialismus abstreiten und nur einige berechtigte Motive der MRTA-Mitglieder anerkennen - als wäre das ein Widerspruch.
So viel jetzt zu dem besonderen Ereignis.
Anfang Februar 1997