Information zum
Streik bei Honda Motorcycle and Scooter India (HMSI)
Einleitung
Der einmonatige Streik bei HMSI und der Polizeiübergiff auf die streikenden
ArbeiterInnen sorgte in Indien für großes Aufsehen. Dies lag
vor allem daran, dass der Streik in einer modernen Fabrik eines multinationalen
Unternehmens in einer bisher als konfliktfrei erachteten neuen Investitionszone
stattfand und er drohte, zum Funken in einer insgesamt spanunngsgeladenen
Atmosphäre der modernen indischen Industrie zu werden. Die Brutalität
des Polizeiangriffs kann nicht aus dem Streik bei Honda allein, sondern
nur aus der allgemeinen Unruhe in den Investitionsregionen erklärt
werden.
Zur Region
Gurgaon liegt im Bundesstaat Haryana in der Nähe von Neu Delhi. Eine
Stadt innerhalb einer ländlichen Region ohne Tradition von ArbeiterInnenkämpfen.
Der neue Stadtkern ist geprägt durch moderne Bürokomplexe, Call
Center, Einkaufszentren. Firmen wie Nokia, IBM Microsoft haben hier ihre
Firmensitze. Die Regierung von Haryana fuhr bisher eine harte anti-gewerkschaftliche
Linie, u.a. durch spezielle rechtliche Regelungen und Repression gegen
Organisierungsversuche von ArbeiterInnen. Dies wird als Standortvorteil
gegenüber internationalen Investoren verkauft. Der Industriegürtel
ist innerhalb der letzten fünf Jahre aus dem Boden geschossen und
umfasst rund 90 Fabriken, vor allem der Automobilindustrie. So werden
zum Beispiel 70 Prozent aller in Indien produzierten Motorroller in der
Region hergestellt. Besondere Präsenz haben japanische Unternehmensgruppen.
Japan ist der viertgrößte ausländische Investor in Indien,
und rund 70 Prozent aller japanischen Unternehmen in Indien haben ihren
Sitz in Gurgaon. Die wichtigste Gewerkschaft in Gurgaon ist die AITUC,
die von der kommunistischen CPI(M)unterstützt wird. Die CPI selbst
ist Regierungspartei in West Bengal, dem Bundesstaat mit dem zweitgrößten
Zufluss von ausländischen Direktinvestitionen, u.a. hat Mitsubishi
gerade einen Vertrag für eine 500 Millionen USD schwere Investition
abgeschlossen.
Zur Situation in der modernen Industrie
Dem Streik bei Honda gingen verschiedene Konflikte innerhalb der neuen
Automobilindustrie und innerhalb der internationalen Unternehmen voraus,
die ein wachsendes Selbstbewusstsein der dort beschäftigten ArbeiterInnen
ausdrückten und zu zum Teil beachtlichen Lohnsteigerungen führten.
Bei HMSI haben die ArbeiterInnen laut Unternehmensführung bereits
im Jahr vor dem Streik 100 bis 150prozentige Lohnerhöhungen erhalten.
Im Juni 2005 forderten die ArbeiterInen bei Toyota in Bangalore 100prozentige
Lohnerhöhungen. Ein Streik wurde abgewendet, das Management versprach
25 Prozent mehr Lohn. Bei den Autozulieferern Speedomax, Hitachi Electrics
und Omax Auto in Gurgaon wurden Arbeitsniederlegungen erst einen Tag vor
dem Polizeiangriff auf die Honda-ArbeiterInnen am 25. Juli 2005 beendet.
Zur Fabrik
Die Fabrik ist modern, erst vier Jahre alt. Sie produziert rund 2.000
Motorroller am Tag, beschäftigt zwischen 1.900 und 2.500 ArbeiterInnen.
Diese werden zum Großteil über Tagesverträge und/oder
Subunternehmen eingestellt. Die Löhne reichen ‚gerade zum Überleben’.
Auch kommen die meisten ArbeiterInnen aus dem ländlichen Umfeld,
viele von ihnen sogar aus den benachbarten Bundesstaaten. Insgesamt soll
HMSI im Jahr 2004 rund 550.000 Roller in Indien verkauft haben.
Zum Anlass des Streiks
Der Konflikt begann im Dezember 2004, als Manager einen Arbeiteraktivisten
geschlagen und vier weitere ArbeiterInnen entlassen haben, die angeblich
an den Gründungsversuchen einer Gewerkschaft im Betrieb beteiligt
waren. Als offiziellen Grund der Kündigung gibt das Unternehmen ‚Disziplinlosigkeit
im Betrieb’ an. Die Unruhe im Betrieb steigerte sich in den folgenden
Monaten und brach in offenen Konflikt aus, als die Unternehmensführung
57 weitere ArbeiterInnen feuerte, die sich solidarisch mit den vier KollegInnen
gezeigt hatten. Mitte Juni 2005 traten fast alle ArbeiterInnen der Fabrik
in Streik. Das Unternehmen reagierte Ende Juni mit der offiziellen Entlassung
von 1.000 ArbeiterInnen und Aussperrung der Streikenden.
Zum Streik
27. Juni: ArbeiterInnen aus dem Umland werden nicht von den Unternehmensbussen
abgeholt. Sie sollen ein Papier unterschreiben, nach dem sie von Forderungen
und Streiks absehen.
10. Juli: Rund 38 Prozent der ArbeiterInnen sollen weiterhin an der Arbeit
seien. Es ist unklar, wie viele davon neu eingestellte Streikbrecher sind.
Zwei Tage später wird die Anzahl der Arbeitenden mit 200 (unklar
ist, ob pro Schicht oder insgesamt) angegeben. Die Produktion soll auf
30 Prozent geschrumpft sein. Der Verkauf des Rollers Unicorn soll im Juni
66,5 Prozent gegenüber Vormonat Mai zurückgegangen sein.
13. Juli: Die Arbeitgebervereinigung der Autozulieferindustrie (ACMA)
fordert von der Regierung Schritte gegen den Streik bei Honda zu unternehmen,
da er die Produktion in den umliegenden Fabriken zu beeinflussen droht.
17. Juli: Die Presse berichtet, dass das Unternehmen bereits 200 Millionen
USD durch den Streik verloren hat. Sie berichtet ebenfalls, dass ein Großaufgebot
an Polizeieinheiten aus den umliegenden Regionen nach Gurgaon verlegt
werden. Gewerkschafter berichten von ersten Provokationen und Einschüchterungsversuchen
seitens der Polizei und des Managements. Das Management bietet gleichzeitig
an, 100 der ausgesperrten ArbeiterInnen wieder an die Arbeit zu lassen.
25. Juli: Zwischen 2.000 und 3.000 ArbeiterInnen von Honda und von benachbarten
Fabriken demonstrieren in Gurgaon. Sie werden unterstützt durch Angehörige.
In der Nähe der Fabrik kommt es zu Handgemenge mit der Polizei. Die
Demo geht weiter. Es wird berichtet, dass ArbeiterInnen versuchen, den
Highway 8 zu besetzen. Die Polizei greift angeblich ohne Vorwarnung die
Demonstration mit Schlagstöcken, Tränengas und Gummigeschossen
an. Im Fernsehen werden Bilder von Polizisten gezeigt, die auf bereits
bewusstlose ArbeiterInnen einschlagen. Ein Arbeiter soll bereits auf der
Straße gestorben sein. Die Angabe zur Anzahl der Verletzten schwankt
zwischen 300 und 800. Viele haben Knochenbrüche und schwere Kopfverletzungen.
Es kommt zu weiteren Straßenschlachten. Polizeifahrzeuge und Busse
werden in Brand gesteckt. Das Fernsehen zeigt Bilder einer Gruppe von
hunderten von Frauen, die Polizisten mit ihren eigenen Schlagstöcken
verprügeln. Rund 300 ArbeiterInnen werden festgenommen, 60 –
80 von ihnen sitzen weiterhin im Knast, einige von ihnen sind wegen versuchten
Mordes angeklagt.
26. Juli: ArbeiterInnen und Angehörige suchen in Krankenhäusern
und Polizeistationen nach Vermissten. (Später gibt ein Gewerkschaftsanwalt
an, gesehen zu haben, wie ein Arbeiter in einer Polizeistation zu Tode
geprügelt und anschließend verbrannt wurde. Indische Zeitungen
melden am 26. August, dass weiterhin 28 ArbeiterInnen als vermisst gelten.)
Es kommt zu weiteren Straßenschlachten mit der Polizei, die sich
auch am Folgetag fortsetzen.
28. Juli: Solidaritätsstreik in Gurgaon, ausgerufen von linken Parteien,
allerdings laut offiziellen Medien mit geringer Beteiligung. Ein Indienweiter
Protesttag wird für den 1. August angekündigt.
1. August: Die Produktion wird offiziell wieder aufgenommen, produziert
werden allerdings nur 800-900 Roller pro Tag. Der Arbeitsaufnahme ist
eine Schlichtungsvereinbarung vorausgegangen, an der jedoch keine ArbeiterInnenvertreter
teilgenommen haben.
Zu den Resultaten des Streiks
Insgesamt soll der Streik bzw. die Aussperrung das Unternehmen 1,2 Billionen
Rupien gekostet haben. Als offizielles Resultat wird in der Presse präsentiert:
Wiedereinstellung der entlassenen ArbeiterInnen mit der Bedingung, dass
sie eine ‚good conduct’-Erklärung unterschreiben, also
von zukünftigen Konflikten und Forderungen absehen. Lohnerhöhung,
ohne Angabe der Höhe, aber mit Vorbedingungen, dass für den
Rest des Jahres keine weiteren Forderungen gestellt werden. Es gibt widersprüchliche
Angaben zur Frage, ob die Streiktage bezahlt werden. Einige Quellen geben
an, dass die Löhne für Mai und Juni gezahlt werden. Andere sagen,
dass ‚Streiktage’ nicht bezahlt wurden. Die AITUC fordert
die Freilassung der noch inhaftierten ArbeiterInnen und ihre Anerkennung
im Betrieb. Es ist unklar, wie sie zu dem Schlichtungsresultat steht.
Sie wird allerdings von der CPI(M) besänftigt.
Zu den Reaktionen auf den Streik
Der Streik und der Polizeiangriff sorgten in Indien für großes
Aufsehen und zwischen Indien und Japan für diplomatische Spannungen.
Premierminister Singh traf Vertreter der linken Parteien, um über
den Streik und seine Konsequenzen zu beraten. Am zweiten Tag der Straßenschlachten
traf die Vorsitzende der regierenden Kongreßpartei Sonia Gandhi
in Gurgaon ein, um zu vermitteln. Der japanische Botschafter spricht in
den Medien davon, dass zukünftige Investitionen auf dem Spiel stehen.
Lokale Automobilunternehmen drücken die Befürchtung aus, dass
der Streik das Produktionsklima in ihren Fabriken gefährden wird.
Im Fernsehen flimmern Hunderte von SMS, die Solidarität mit den Honda-ArbeiterInnen
ausdrücken. In den Tagen nach dem Streik erscheinen zahlreiche Artikel
in den großen Tageszeitungen, die sich fragen, ob der Streik ein
Vorläufer einer Welle von Kämpfen in der Exportindustrie bzw.
in den multinationalen Unternehmen sei, nachdem seit 2000 die allgemeinen
Streikaktivitäten stark zurückgegangen waren. Die BJP übt
sich in Nationalismus gegen ‚ausländische Investoren’,
die CPI schließt sich dem einerseits halbherzig an, ruft aber einen
Generalstreik für den 29. September gegen die Verschärfungen
beim Arbeitsrecht aus. Die Unternehmer diskutieren ihre Forderungen hinsichtlich
der veränderten Arbeitsgesetze vor dem Hintergrund des Streiks, nehmen
ihn zum Anlass. Sie fordern u.a., dass Streiks in Zukunft drei Wochen
vorher angekündigt werden müssen und Zustimmung von rund 75
Prozent der Belegschaft haben sollten. Für jeden Tag eines wilden
Streiks sollen den ArbeiterInnen acht Tageslöhne abgezogen werden.
Quelle: http://germany.indymedia.org/2005/09/127163.shtml
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