IS 18/99 --- 7.6.99, zuerst in Englisch erschienen
 
 

Zur aktuellen militärischen Lage Serbiens

Mit ihren monatelangen Zermürbungsbombardements hat die NATO anscheinend eine grundsätzliche Erklärung der jugoslawischen Führung über den Abzug aus dem Kosovo erreicht. Trotzdem gehen die Bombardements weiter. Obwohl politisch entscheidende Festlegungen noch nicht existieren, obwohl unklar ist, wer die Armee zur Besetzung des Kosovo kommandiert und wie sie zusammengesetzt werden soll, obwohl die versprochenen UNO-Entscheidungen dazu noch nicht vorliegen und es fraglich ist, ob sie überhaupt zustande kommen, versucht die NATO, mit der erneuten Intensivierung der Bombardements das jugoslawische Militär zur Unterschrift unter einen sofortigen Abzug aus dem Kosovo zu erpressen. Die NATO stellt sich das so vor, daß sie im Kosovo ab sofort tun und lassen kann, was ihr gefällt. Es ist bspw. keineswegs ausgeschlossen, daß sie die Besetzung des Kosovo nutzen wird, um gerade dort eine noch größere Armee zur militärischen Kontrolle oder Besetzung ganz Serbiens aufzubauen, denn Serbien und Jugoslawien überhaupt in den Griff zu nehmen gehört zur eigentlichen Agenda des Kosovokrieges. Das Ganze zielt in einer verdächtigen Weise weiter in Richtung Unterdrucksetzung Rußlands und möglicherweise auch noch mehr als das.

Als Beobachter von außen muß man natürlich davon ausgehen, daß Serbien als kleines Land in einer schwierigen Lage ist. Es führt einen tapferen Verteidigungskampf gegen eine enorme Übermacht, und man muß anerkennen, daß Serbien selbst wissen muß, wie es vorgeht. Aber es stellt sich angesichts des gesamten NATO-Vorgehens die grundsätzliche Frage, ob man zulassen soll, daß die NATO-Mächte weiter sozusagen völlig ungestört ihren Aufmarsch fortsetzen, um dann eines Tages mit einem großen Schlag gegen ein noch weiter geschwächtes Serbien vorzugehen. Darauf lief die ganze Taktik hinaus. Erst Serbien monatelang kaputtbombardieren, bis der Widerstand zermürbt ist, dann gegen eine möglichst geschwächte Armee mit Invasionstruppen vorgehen. 

Die Kalkulation Serbiens ging immer auf eine Spaltung innerhalb der NATO aus. Das ist verständlich, denn für das kleine Serbien, winzig im Vergleich zur NATO, ist das die einzige Chance, diesen Krieg irgendwie für sich zu entscheiden. Aber wie spaltet sich denn die NATO am besten? Mit Sicherheit dann, wenn die Frage der Bodentruppen konkret wird. Zahlreiche Länder wollen keine Bodentruppen stellen, weil sie das in eine ganz andere innenpolitische Lage bringen würde.

Serbien hätte durchaus das Recht gehabt, bspw. gegen Elemente des Aufmarsches an seinen Grenzen vorzugehen, insbesondere aber auch gegen alle Vorbereitungen einer Invasion des eigenen Landes. Und was das Terrorbombardement der NATO betrifft, so wird es ja ohnehin durchgeführt, gleich wie Serbien sich in der oder jener Einzelfrage verhält. Vielleicht hätten sich die Serben mehr auf die Abwehr der NATO als auf die lokale UCK und auf Vergeltung konzentrieren sollen. Die NATO-Terroristen bombardieren alles platt, bis sie die endgültige Ohnmacht und Niederwerfung Serbiens erreicht haben. Von daher gesehen muß man sich fragen, ob es für Serbien nicht besser gewesen wäre, selbst partikulär in die Offensive zu gehen, sofern es dazu überhaupt die Kraft hatte. 

Unter bestimmten Umständen würde das auch jetzt noch gelten. 

Verurteilen könnte man Serbien deshalb keineswegs. Daß die NATO-Aggressoren "Aggressor" schreien, wenn die serbischen Truppen irgendwo die Grenze überschreiten, das ist selbstverständlich. Sie verbiegen ja sowieso alle Wahrheit, also wäre das auch egal. Zur Selbstverteidigung kann ein Land sehr wohl gegen Truppen an seinen Grenzen vorgehen, wenn diese zur Ausweitung der Aggression, die bereits im Gange ist, vom Boden her vorbereitet werden. Albanien bspw. hat diese Aggression längst begünstigt, ist längst in den Krieg involviert. 

Diese Ausführungen, die der äußere Beobachter machen kann, sind natürlich nur beschränkt. Wir müssen das unumwunden zugeben, denn entscheiden, wie man vorgeht, das können nur die Leute, die die militärische Übersicht vor Ort haben.

Man bekommt den Eindruck, daß wesentliche Elemente der serbischen Militärpolitik bisher von der Diplomatie und der diplomatischen Hoffnung auf Bundesgenossen in Europa mitbestimmt sind. Zweifelsohne steht die Milosevic-Regierung unter einen gewissen Druck eines Teils der Diplomatie Rußlands, auf die die Politik Jugoslawiens schon mindestens seit Anfang Mai setzt. Aber diejenigen europäischen Staaten, die die Neigung haben, den Krieg nicht zu sehr auf die Spitze zu treiben, werden nichts daran ändern können, wenn die NATO-Oberen, die USA und Großbritannien, beschließen, eine völlige Zerstörung, eine schließliche Besetzung Serbiens durchzuführen. Außerdem gibt es auch in Deutschland und Frankreich ausreichend imperialistische Reaktionäre, die solch einen Kurs grundsätzlich mitmachen. Der Vertragstext der G-8 ist ohnehin nur noch soviel wert wie etwa das NATO-Statut, das auch einen Angriffskrieg untersagt. Die G-8 bildet absolut keine Garantie, denn die NATO wird weitermachen, bis Serbien sich völlig gehorsam verhält. 

Jugoslawien könnte bspw. auch in der gegenwärtigen Situation erklären, daß es alles für den Frieden zu tun bereit war, sogar sich aus den eigenen Territorium Kosovo zurückzuziehen und sogar eine NATO-Beteiligung an der UNO-Truppe zuzulassen. Jetzt pocht die NATO auf Weiteres, auf Abzug innerhalb einer Woche, und verweigert eine Begrenzung ihre Truppenanteils. Also ist auch eine neue Lage gegeben. 

Redaktion Neue Einheit
7.6.99

IS 18/99, zuerst in Englisch erschienen

 


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