Die Verfemung Karl Liebknechts begann bereits im Sommer 1914,
als dieser sich nicht bereit erklärte, den offenkundigsten
Verrat an allen Beschlüssen der Sozialistischen Internationale
mitzumachen. Man übte Druck auf ihn aus, sich dem opportunistischen
Trend der Mehrheit in der Parteiführung zu beugen. Er war
es, der bereit war, für die von ihm vertretenen Prinzipien,
die vorher auch die Prinzipien der Sozialistischen Internationale
waren, diese Verfemung in Kauf zu nehmen und sogar ins Zuchthaus
zu gehen. Die Sozialdemokratie begann eine Verfemung, Verlästerung
und Verhetzung von ihm und seinen Genossen, um die eigene völlige
Skrupellosigkeit, ihren Verrat, ihre Denaturierung zu verdecken,
an der Spitze solche Verräter wie Bernstein und David wie
auch Karl Kautsky und Konsorten und die schwarz-weiß-roten
"Sozialisten" wie Ebert, Scheidemann und Noske. Als
die Revolution 1918 ausbrach, schwenkte die Sozialdemokratie
mit einem Schlage um und tat nun, als ob sie selbst die Revolution
mit vertreten würde. Ihre maßgeblichen Repräsentaten
engagierten die rechte Soldateska und schlugen in den Januartagen
den Arbeiteraufstand in Berlin aufs brutalste nieder.
Heute blickt eine erstaunte linke Öffentlichkeit auf die Tatsache, daß Parteien, die von der Zahl her riesengroß und angeblich "monolithisch" gewesen seien, nicht mehr existieren, sich buchstäblich in Luft aufgelöst haben und ihre absolute Kraftlosigkeit in der Auseinandersetzung mit dem Kapital erwiesen haben. Nur dann, wenn mit diesen Dingen abgerechnet wird, wird auch mit den Prinzipien der Mörder von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht abgerechnet. Nur dann, wenn der moderne Revisionismus deutlich kritisiert wird und benannt wird bei dem, was er ist, kann von einer ernsthaften Vertretung revolutionärer Prinzipien die Rede sein. Leider ist dies bei vielen Kräften, die unter der Fahne und unter dem Namen etwa von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht und der revolutionären Arbeiterbewegung marschieren, nicht der Fall. Man weint über den Verlust, man beklagt ihn, aber man ist nicht bereit, über die Rose hinaus, die man auf das Grab wirft, nachzudenken und irgendwelche Konsequenzen zu ziehen. Wenn mit der sozialistischen Bewegung ein wirklicher Neuanfang gemacht werden soll, dann ist es unabdingbar, über die Quellen des Verfalls und des Verrats nachzudenken. Ein bemerkenswerter Satz war neulich zu lesen, er hieß in einem Kommentar der Jungen Welt: "Das 20. Jahrhundert, geprägt von der Dialektik von Revolution und Konterrevolution, endet in der Regression auf der ganzen Linie." Zum einen stimmt das nicht, denn es entwickeln sich international auch eine Menge vorwärtsweisender Dinge. Aber bezogen auf unser Land: wenn man in das Programm etwa der Grünen schaut, die von den verschiedenen Revisionisten gerne hofiert und als Linke herausgestellt worden sind, braucht man sich über Regression nicht zu wundern. Dieses Programm, das aus den tiefsten Schößen des Kapitals selbst stammt, bedeutet ganz offiziell, ganz formal tiefste Regression, Zurückfallen in ältere Zustände. Es ist nicht zufällig heute direkt und indirekt in das Programm fast aller bürgerlichen Parteien eingegangen. Das Beweinen der Gegenwart, der Industriegesellschaft, der Haß gegen moderne Industrie, der dort gepredigt wurde, kann überhaupt nur einen Rückschritt und den Zerfall der Arbeiterbewegung zur Folge haben. Revolutionäre Arbeiterbewegung unter roten Fahnen kann es zu Recht nur geben, wenn wir uns auf die Positionen derjenigen gesellschaftlichen Elementarkräfte stellen, die die Revolution nach sich ziehen: das sind die höhere Vergesellschaftung, das Erwachen der Völker und Nationen aller Länder, ihre berechtigte Forderung nach Wohlstand und Weiterentwicklung, und selbstverständlich auch die Bejahung moderner Technik, die Bekämpfung etwa der viele Jahrzehnte alten Umtriebe des USA-Imperialismus gegen die zivile Nutzung der Atomenergie. Wer in diesen Positionen Gegenteiliges vertritt, ist automatisch auf Seiten der Reaktion, ganz egal als was er sich bemäntelt. Noch nie war das anders, und noch nie ist das so klargeworden wie heute. Heute haben wir eine grüne Partei an der Macht - man möchte fast sagen: dankenswerterweise -, und man kann sehen, was diese Partei (zusammen mit der Sozialdemokratie) an der Macht tut. Sie hat die atomare Aufrüstung der NATO und namentlich der USA und ihren absoluten, totalen Dominanzanspruch akzeptiert, stellt einen Außenminister in den Reihen dieser Politik und ist immer noch natürlich, im Kontrast dazu, gegen die zivile Nutzung der Atomenergie. Es könnte sein, daß ein Minister, der aktiv die atomare Hegemonie der USA verteidigt, morgen wegen angeblicher Gefahren eines Castor-Transportes sich auf die Straße legt und Blockade macht, oder einen Stellvertreter dazu schickt. Das sind die Spitzen der Absurdität, das sind die Perversitäten von heute, und die werden, wenn sie nicht bekämpft werden, auch mit verschärfter Unterdrückung von Sozialisten einher gehen; und die Verknüpfung mit solchen Leuten etwa am Grab von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht ist eine Beleidigung derselben. Was immer sie in pcto. demokratische Revolution, in pcto. Verbindung mit breiten Massen selber an Fehlern gemacht haben, so hätten sie niemals eine anti-industrielle Kampagne unterstützt. Es ist allerdings notwendig, sich über die Einheit der sozialistischen Bewegung, auch und vor allem über den ganzen Ablauf der Spaltung vor allem zwischen der KPdSU und der KPChinas sich Gedanken zu machen, einiges kritisch zu resümieren, aber auch klar festzustellen, daß die KPChinas unter Mao Zedong unbedingt die revolutionären Prinzipien hochgehalten hat und notwendige Schritte zu ihrer Verteidigung ergriffen hat. Umgekehrt hat der Umsturz in China nach 1976 die heutige radikale kapitalistische Entwicklung in die Wege geleitet. Die Kritik am Chruschtschowschen Revisionismus der späten fünfziger und sechziger Jahre, der in seiner Essenz bis zum Ende der Sowjetunion weitergeführt wurde, bleibt ein Minimalpunkt jedes Neuanfanges. Ohne diese elementaren Dinge aufzuarbeiten und in all ihren
Facetten zu diskutieren, kann von einer Wiederherstellung der
Einheit keine Rede sein. Ohne klare Verurteilung des Revisionismus
und Sozialdemokratismus kann auch von einem Gedenken für
Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht keine Rede sein, im Gegenteil,
man wird das Gefühl nicht los, daß die heutigen Nachfolger
der Auftraggeber des Mordes an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht
mit der Rose im Knopfloch und Krokodilstränen im Gesicht
mitmarschieren. Dies muß auch beachtet werden, und man
muß heraus aus der reinen Feierei und Gedenkerei zur praktischen
Verwirklichung. Nicht umsonst gibt es den weitverbreiteten Spruch,
daß so mancher mit der Rose auf dem Grabmal auch seinen
revolutionären Elan abgegeben hat. Redaktion Neue Einheit |