Internet Statement 2002/3
 

Wie an die Frage des Islam herangehen-
Ein Beitrag zu einem Seminar am 3. November 2001 in London
Von Hartmut Dicke

Eine der entscheidenden Fragen des Vorgehens des Imperialismus und der Auseinandersetzung mit ihm ist die Frage des Islam und seine Funktionalisierung durch die USA und andere Imperialisten.


Unsere Intention ist es, die kulturellen Wurzeln des Islam richtig zu erfassen. Man kann den heutigen Islam nicht von dem früheren Islam trennen, gleichwohl natürlich der heutige Islam um einiges aggressiver sein muß, weil er stärker im Widerspruch zur Wirklichkeit steht als der frühere. Aber: man kann überhaupt nur dann anfangen, wirklich als Kommunist zu arbeiten, wenn man die Religion in ihrer Absurdität und in ihren materiellen Wurzeln erklärt, d.h. sowohl in ihrer Differenz zur Wirklichkeit als auch in ihren Wurzeln in der Realität. Jede Vorstellung, jede Religion, jede Idee hat auch ihre materielle Quelle. Wir lehnen die abstrakte Kritik der Religion ab, die bspw. nur den Unsinn einer Religion aufzeigt, aber nicht darauf eingeht, wo eine Religion herkommt. Alle menschlichen Vorstellungen haben eine materielle, soziale Quelle. Das gilt auch für die Religion. So haben alle christlichen Vorstellungen ihre Quelle, z.T. sind es ja auch Dinge verschiedenster Epochen, die da zusammengemischt worden sind zu einer Religion, und beim Islam ist es ebenso. Auch da wurden aus verschiedenen Epochen Ideen zusammengefügt. Aber der Islam ist nicht nur eine Zusammenfügung von verschiedenen Epochen, des Christentums, des Judentums, der alten arabischen Religionen, sondern er hat auch einen bestimmte Dreh- und Angelpunkt, der ihn zu einem bestimmten Zeitpunkt so stark gemacht hat, daß er ganze Kontinentalgebiete sich hat unterwerfen können. Er muß einem bestimmten Bedürfnis der damaligen Zeit entsprochen haben, sonst hätte er nicht gesiegt. Dieses Bedürfnis ist in den Regionen, wo er gesiegt hat, sicher etwas Anderes gewesen als in den Regionen, wo das Christentum sich hat halten können.

Wir meinen, daß die Kommunisten in den islamischen bzw. vorwiegend islamischen Ländern gerade die Islamfrage in ihrer kulturellen Herkunft in ihrer ganzen Tragweite aufgreifen müssen.

Gehen wir noch einmal auf die Herkunft des Kommunismus aus der europäischen Klassengesellschaft zurück.
Gerade weil die europäischen Kommunisten aus einer Tradition kommen, wo der Materialismus die europäische Religion Stück für Stück immer weiter kritisiert hat und an Boden gegenüber dem Christentum gewonnen hat, bis schließlich die materialistische Ideologie die Religion dominiert hat, gerade deshalb war ein wichtiges Unterpfand gegeben für den Erfolg materialistischer Theorien, für den Kommunismus in diesen Ländern.

Beim Islam muß dieser Weg etwas anders aussehen. Wie knüpft man dort an materialistischen Faktoren an, wie entwickelt sich Dialektik, um diesen Islam zu überwinden? Bei einer ganzen Reihe von Kommunisten findet man die folgende schwerwiegende Herangehensweise.
Sie sagen, der Islam sei ursprünglich gar nicht so schlecht gewesen, und versuchen. kommunistische Ideen mit dem Islam zu verschmelzen. Damit liefern sie sich selbst aus. In der gleichen Weise würden sich auch Kommunisten ausliefern, die sagen, das Christentum sei eigentlich von seinen Anfängen auch eine kommunistische Ideologie, man könne sich mit ihm verbinden. Auch das führt in die Irre, weil diese Einschätzung absolut einseitig ist, und das Christentum auch ganz andere, dem vollständig zuwiderlaufende Elemente hat.

Das heißt nicht, um das noch einmal zu betonen, daß das Christentum etwa keine positiven Ansätze hätte, z.B. bei der Entwicklung des Individuums, der Beherrschung der Natur, Verwerfung bestimmter älterer völlig verkommener Anschauungen, die z.T. mit der Korruption verbunden waren, wie z.B. bestimmte, schon vom Judentum ausgegrenzte Fruchtbarkeitskulte u.ä. Wir wissen bestimmte Elemente des Christentums und des Judentums zu schätzen, aber es würde uns nie einfallen zu sagen, das Christentum ist insgesamt etwas, mit dem wir uns verschmelzen können. Kommunisten können sich auch nicht mit dem Islam verschmelzen, das ist auch wichtig, sondern wir müssen versuchen, den Islam selbst zu erklären, und zwar auch in seinen reaktionären Wurzeln von Anfang an.
(Unterschied zur Entwicklung in Europa: Die Kirche hat in der hohen Feudalzeit im Mittelalter in Europa auch eine sehr starke Stellung gehabt und den Materialismus beiseite gedrückt, aber sie hatte niemals die Alleinherrschaft. Die Frage: Ist das bei dem Islam anders? P.Scholl - Latour behauptet, der Islam kenne keinen Klerus, das heißt wohl keinen Klerus, der zugleich Feudalbesitzer ist. Als solches stand die Kirche nämlich im Konkurrenz zum weltlichen Feudalbesitz.)

Es ist absolut notwendig, und für uns heute in Europa, wo wir auch mit dem Islam konkret konfrontiert sind, umso mehr notwendig, daß die verschiedenen Parteien aus den Islamischen Ländern selber, aber auch den europäischen und den nicht-Islamischen Ländern sich zusammentun, um zu beraten, wie man sich mit den Religionen auseinandersetzt.
Die Auseinandersetzung mit dem Islam ist in seinen ursprünglichen Ländern eine Voraussetzung, um zu tatsächlich demokratischen und revolutionären Verhältnissen zu gelangen. Das erscheint mir auch deswegen so wichtig, weil die Bourgeoisie in diesen Ländern sehr oft den Islam für sich in Anspruch nimmt.


Es ist unzweifelhaft, daß der islamistische Umsturz Ende der siebziger Jahre in einer engen Beziehung zur revisionistischen Degeneration bestimmter sozialistischer Länder steht. Die revisionistische Sowjetunion unternahm nichts Entscheidendes gegen den islamischen Fundamentalismus, sondern kokettierte sogar mit ihm, und einige der Parteien, die ihr nahestanden, haben ganz ungeniert geglaubt, sie könnten mit den Islamisten zusammenarbeiten. Aber auch das reicht nicht aus, der sowjetische Revisionismus war zu diesem Zeitpunkt bereits 20 Jahre alt. Man kann den Umsturz im Iran nicht begreifen ohne die niederschmetternde Wirkung, die vorübergehend der Umsturz in China hatte, der die Schwächung der proletarischen Parteien in der Dritten Welt nach sich zog, und muß auch gewisse Intrigen gewisser rechter chinesischer Parteiführer schon vor 1976 berücksichtigen, die zur Schädigung der marxistisch-leninistischen Bewegung beigetragen haben.
Wir betonen aber ausdrücklich dabei, daß die Politik, auch die Widersprüche des Iran gegenüber den USA und z.T. auch gegenüber der anderen Supermacht zu nutzen und die Tendenzen zur nationalen Unabhängigkeit zu ermuntern, von seiten Chinas durchaus richtig war.Eine andere Frage ist aber, daß man nicht die revolutionären Ansätze im Lande zu gering schätzen darf, sich nicht ihnen aktiv in den Weg stellen darf.

Der Umsturz des Khomeini wie auch die verstärkte Infiltration des CIA in Afghanistan ist von der Schwächung und dem Chaos, das mit dem Umsturz in China namentlich ab 1977 stattgefunden hat, nicht zu trennen. Es gibt in der kommunistischen Bewegung immer auch sehr viele, die auch bloß halbe Anschauungen haben, die nicht gefestigt sind, und wenn solche Situationen eintreten, wo allgemeine Unsicherheit herrscht, dann können solche Typen wie Khomeini, oder auch Khomeini in Verbindung mit dem USA-Imperialismus in die Lücke hineinstoßen, und dann gibt es Menschen, die fallen um, weil sie nicht gefestigt sind. Viele Kommunisten hatten in der damaligen Situation die Orientierung verloren, hatten die jahrelange Infiltration von den USA unterschätzt.

Wir müssen auch auf diesem Gebiet das entscheidende Kettenglied anpacken.


In der Zukunft müssen wir die Frage des Islam und der anderen Religionen ausführlich und im weltweiten Maßstab behandeln.

Wir würden auch gerne eine Konferenz in Deutschland dazu organisieren.

Übersetzt und vorgelesen von Genossen CK im Auftrage des Autors, der selbst nicht anwesend war.


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