Internet Statement 2002-4

 

Das Schicksal der Palästinenser und das Jahr 1982


Der Krieg zwischen dem israelischen zionistischen Staat und den Palästinensern erreicht eine seit dem Libanonkrieg nicht erreichte Stufe. Heute erscheint die Konfrontation unlösbar, und viele Kommentatoren geben einem tiefen Pessimismus Ausdruck, in dem nur noch eine Eskalation bis hin zu neuen größeren Kriegen im arabischen Raum möglich erscheint. Niemand mehr stellt auch nur die Frage, wie aus all dem eine demokratische und progressive Entwicklung für die Bevölkerung der Region entstehen soll. Weder die USA als immer noch politisch und militärisch entscheidende Macht des ganzen Konflikts, noch die europäischen Staaten haben überhaupt ein Konzept, wie die Konfrontation gelöst werden soll, und auch die organisierten Kräfte auf palästinensischer und israelischer Seite haben offenbar bisher kein zukunftsweisendes Konzept.

Ohne selbst, aus grundsätzlichen Erwägungen, diesen Pessimismus zu teilen, möchten wir ein paar Punkte zusammenstellen, die unserer Ansicht nach eine große Rolle dafür spielen, daß die Palästinenser heute in einer derartig miserablen Lage stecken. Die Entscheidungen das Jahres 1982 haben dabei noch immer großen Einfluß.

Der "Deal" von 1982

1982 war es zu der bis dahin größten militärischen Konfrontation zwischen der palästinensischen Widerstandsbewegung und dem zionistischen Staat gekommen. Große Teile der israelischen Armee unter dem Kommando des damaligen Regierungschefs und Friedensnobelpreisträgers Begin und des Kriegsministers Scharon stießen in den Libanon vor, wo die Palästinenser ihre hauptsächlichen Stützpunkte hatten, schlossen West-Beirut ein und hielten monatelang zahlreiche Positionen aus der Luft, von See und vom Land her unter Feuer, um die Widerstandsbewegung zu schlagen und zur Aufgabe zu zwingen. Jedoch gelang es Israel nicht, sich militärisch durchzusetzen, bis schließlich die palästinensische Führung unter Arafat sich aufgrund von Versprechungen der USA zu einem "Deal" bereit fand. Den Palästinensern wurde die Unterstützung der USA auf dem Weg zu einem eigenen Staat in Palästina zugesagt, und dafür waren sie bereit, ihre bewaffneten Kräfte aus dem Libanon abzuziehen. Auf Kriegsschiffen der USA verließen mehrere Tausend Kämpfer Beirut und wurden auf andere Länder zerstreut. Dies bedeutete faktisch die Aufgabe einer eigenständigen palästinensischen militärischen Macht, während die zugesagte Gegenleistung natürlich nie verwirklicht wurde.

Schon damals haben politische Beobachter die Auffassung geäußert, daß dieser Handel nicht zu einer Lösung für die Palästinenser führen könne, und daß alles, was der Arafat-Führung zugestanden würde, bestenfalls so etwas Ähnliches wie palästinensische „Bantustans", nach dem Muster der damaligen südafrikanischem Apartheid, in den besetzten Gebieten sein würde. Auch innerhalb der Fatah, der damals noch bedeutendsten palästinensischen Organisation wurde eine ähnliche Kritik geäußert, es kam zu einer Rebellion in der Fatah. Auf der anderen Seite kam es nach dem Abzug aus Beirut zu den berüchtigten Massakern an Frauen, Kindern und Alten in den Palästinenserlagern Sabra und Schatila, für die die israelische Führung selbst eine unmittelbare Verantwortung trägt und die als erneutes Menetekel der grundsätzlichen Haltung ihres Staates gegenüber den Palästinenser gewertet werden mußten.

Der sogenannte "Friedensprozeß"

Die folgenden 18 Jahre sind dem äußeren Bild nach geprägt von einer Hinausschleppung der versprochenen Lösung, während auf palästinensischer Seite der Widerstand auf ein für die israelische Führung wenig gefährliches Maß gedämpft wurde und die Massen immer wieder auf die politischen Versprechungen vertröstet wurden. Die sog. Intifada der 80er Jahre nach Beirut kanalisierte den Kampfwillen der palästinensischen Massen, viele Tausende Palästinenser, vor allem Jugendliche, haben dabei alles geopfert, gleichzeitig aber konnte damit auf Israel kein wirklicher Druck mehr ausgeübt werden, so daß es in dieser Zeit seine Positionen ausbauen konnte. Die besetzten Gebiete wurden systematisch mit einem Netz von Wehrsiedlungen fanatischer zionistischer Siedler inclusive "Sicherheitszonen" und vom Militär kontrollierten Verbindungsstraßen durchzogen, mehr und mehr Land der Palästinenser dafür enteignet. Die Versuche der Arafat-Führung, sich durch die Unterstützung des Irak in der Konfrontation mit den USA etwas mehr politischen Spielraum zu verschaffen, konnten ihre Abhängigkeit von den USA nicht wesentlich ändern.

Der Höhepunkt der Heuchelei wurde mit dem sog. Oslo-Friedensprozeß erreicht. In Abkommen, die 1993 und 1995 unter unmittelbarer Leitung der USA zwischen der Arafat-Führung und Israel in den USA ausgehandelt wurden, erhielten die Palästinenser das Zugeständnis lokaler Selbstverwaltungen und einer gewissen internationalen Aufwertung. Eine wirkliche Autonomie des so entstehenden Flickenteppichs palästinensischer Enklaven in Gaza und im Westjordanland konnte jedoch so nicht zustande kommen, da sich Israel immer das Recht vorbehielt, mit Absperrungen, ökonomischer Erpressung und auch militärischen Eingriffen sowie dem ständigen weiteren Eindringen mit eigenen Siedlungen in die eigentlich den Palästinensern zugerechneten Gebiete die Entwicklung in seinem Sinne zu lenken. Weder hatten die USA die Absicht, das zu unterbinden, noch die Europäer, wenn sie es denn wollten, die Macht dazu. Der Arafat-Selbstverwaltung wurde von Israel hauptsächlich die Aufgabe zugedacht, den palästinensischen Widerstand selbst zu unterdrücken, und sie wird bis heute daran gemessen; ein Maßstab, den sich auch die deutsche Diplomatie unter Josef Fischer zu eigen gemacht hat.
Aber selbst das geringe Maß an Autonomie-Zugeständnissen wurde widerrufen, als die Verhandlungen sich schließlich im Jahre 2001 auf die Jerusalem-Frage konzentrierten. Offensichtlich war diese Frage für den zionistischen Staat der Punkt, mit dem man den ganzen ungeliebten „Friedensprozeß" platzen lassen konnte. Denn ein wirklicher Kompromiß mit der palästinensischen Bevölkerung ist dem Zionismus vom Wesen her konträr. Er strebt eine rassistische Dominanz Palästinas an, und eine Teilung Jerusalems mit gleichen Rechten für alle Religionsgruppen kommt für ihn nicht in Frage.

Aufgabe des säkularen demokratischen Programmes
zugunsten des Islamismus

Man muß aber auch die politische und kulturelle Entwicklung innerhalb der politischen Kräfte der Palästinenser kritisch betrachten, die sich seit 1982 abgespielt hat. Entscheidend dabei ist, daß die frühere PLO, die fast alle Strömungen unter den Palästinensern integriert hatte, ihr demokratisches, antirassistisches und säkulares Programm selbst aufgegeben hat, mit dem sie in den sechziger und siebziger Jahren organisatorische Kraft und internationale Unterstützung in hohem Maß hatte gewinnen können. Unter diesen Vorzeichen hatte die Arafat-Führung große militärische wie diplomatische Erfolge gegenüber dem israelischen Zionismus erringen können.
Die frühere PLO-Charta hatte dem Rassismus, sowohl in Gestalt des Zionismus wie auch eines Antisemitismus auf arabischer Seite, einen entschiedenen Kampf angesagt und forderte einen demokratischen säkularen Staat für palästinensische und jüdische Kräfte auf palästinensischem Boden. Das war gleichzeitig auch eine Front gegen den Islamismus. Die Erosion dieser grundsätzlich richtigen Haltung in den vergangenen 20 Jahren, in untrennbarem Zusammenhang mit der Selbstauslieferung an die helfende Hand der USA und der Aufgabe des bewaffneten Kampfes, hat zweifellos entscheidend dazu beigetragen, daß heute die islamistische Ultrareaktion die Rolle einer dominierenden politischen Strömung unter den Palästinensern spielen kann. Hinzu kommt die grundsätzliche, oft jedoch verdeckte Förderung des Islamismus durch die USA und ihre Verbündeten wie Saudi-Arabien, mit der den modernen emanzipativen Strömungen in allen traditionell islamisch geprägten Gesellschaften ein Strick um den Hals gelegt wird. Auch den israelischen Zionisten selbst wird eine verdeckte Förderung der Hamas gegenüber der PLO nachgesagt, was jedenfalls von Standpunkt der Zionisten aus seine Logik hätte.

Was von der PLO übriggeblieben ist, wird von der Hamas der Kapitulation und Kollaboration mit dem Feind angeklagt, sicher nicht ohne Grund, gleichzeitig wissen wir aber, daß trotz alles radikalen Kampfgeschreis die Hamas die palästinensische Bevölkerung niemals zu einem wirklichen Erfolg führen kann. Denn dem steht im Wege, daß der gesamte islamische Fundamentalismus mit der Steuerung und Instrumentalisierung durch die USA kontaminiert ist, wie erneut an Taliban und El-Kaida jetzt deutlich geworden ist. Das ganze aufgeblasene Gehabe von Islamisten, wenn sie sagen, sie wollen gegen die USA kämpfen, bricht wie ein Papptiger zusammen, sobald es wirklich ernst wird. Sie sind nur als Provokateure gut, nicht als wirkliche Kämpfer. Es steht dem auch vor allem im Wege, daß ein islamistischer Widerstand von keinerlei demokratischen und sozialistischen Kräften in der Welt unterstützt werden kann, denn ein Regime des Islam bedeutet eine noch wüstere Unterdrückung von Demokratie und Arbeiterbewegung als selbst der Zionismus sie leisten kann.

Eine Umkehr ist notwendig

Heute haben die Palästinenser im Ergebnis dieser ganzen Entwicklung noch weniger politische Bewegungsmöglichkeiten als vorher und sind jetzt im Grunde vollkommen ausgeliefert. Die Panzer standen die ganze Zeit vor Arafats Büro und rächen auf blutige Weise jede Aktion, mit der palästinensische Organisationen glauben, sie könnten Israel einschüchtern. Die Palästinenser können auch ihrerseits kaum etwas anderes tun, als bei den Gewaltanwendungen der israelischen Zionisten verstärkt mit Selbstmordkommandos und anderen Grausamkeiten unter der Zivilbevölkerung zurückzuschlagen.
Die israelischen Zionisten haben leichtes Spiel, daraus ihre Aktionen zu begründen, obwohl sie die Urheber der Gewalt sind, aber das können sie mit Leichtigkeit überspielen.

Die Lage, die jetzt in Palästina entstanden ist, ist die am meisten zugespitzte, die je existiert hat. Die Palästinenser haben sich auf die Hilfe der USA verlassen, und jetzt wird alles an Selbständigkeit zerschlagen, was sie sich selber erobert hatten. Und was sollten die israelischen Zionisten auch anderes tun aus ihrer Sicht? Der israelische zionistische Staat existiert doch nicht dazu, beispielsweise daß in Jerusalem wirklich gleichberechtigt auch die islamische und die christliche Religion existieren. Das widerspricht seinem ganzen Selbstverständnis. Auch der Islamismus ist nicht dafür, die Gleichberechtigung aller Religionen zu erzeugen, das demokratische Programm der PLO hingegen ist faktisch tot.
So scheint es im Grunde keinen Ausweg zu geben. Das, was den Palästinensern als Ausweg versprochen wurde, die Einmischung und die gnädige dirigierende Hand der USA, erweist sich als absolut unfähig, irgend etwas zu erreichen. Die USA sind unfähig, den Konflikt noch zu beherrschen.
Im Extremfall ist es sogar denkbar, daß Israel aufgrund seiner Überlegenheit die Palästinenser insgesamt oder so weitgehend, wie es ihm möglich ist, vertreibt. Wenn Israel noch weitere Gebiete besetzt und die ganze Al-Fatah ausschaltet - was aus israelisch-zionistischer Sicht das einzig Erfolgversprechende ist - wird es einen Riesenaufschrei unter all den arabischen Staaten geben, aber sie werden nichts machen. Das ist entscheidend. Diese Regime sind alle durch ihre inneren Probleme derart gefesselt, daß ihr Eingreifen sehr unwahrscheinlich ist. Als sie 1991 gemeinsam mit den USA Krieg gegen den Irak geführt haben wegen des Scheichtums Kuweit, das im Grunde ein abstoßendes reaktionäres Nichts ist, abgesehen von seinen Positionen an internationalen Finanzmärkten, haben sie sich selbst aufgegeben. Dieses Fehlen jeder substantiellen Unterstützung aus den Staaten der Region für die palästinensische Sache ist ein ganz wichtiger Faktor.

Die Palästinenser haben im Grunde nur eine einzige Wahl, nämlich zu ihrem demokratischen Programm zurückzukehren, den Islamismus zu isolieren, und dann mit den Menschen in Israel, die an einer zivilen Lösung interessiert sind, zusammenzuarbeiten, und das bedeutet letztlich auch den Umsturz des Zionismus insgesamt. Sonst wird diese Schlächterei, auch diese Schlächterei unter Zivilisten, sich fortsetzen, dem Fundamentalismus und Rassismus beider Seiten weiter Nahrung geben und jeden Fortschritt blockieren.

Redaktion Neue Einheit
Anfang März 2002