Internet Statement 2002-05

 

Was heißt hier Zuwanderungsdiskussion?

                                                                                                                                                20.3.2002           

Seit Wochen steigt wegen des sog. Zuwanderungsgesetzes bei der Regierung und allen Parteien eine regelrechte Hektik. Warum aber wird einem Gesetz, das angeblich nur eine Reihe von Regelungen bei der Genehmigung von Arbeitserlaubnissen verändert, eine solche prinzipielle Bedeutung beigemessen? In der Tat geht es dabei um weit mehr, um die sogenannte Konzeption „Einwanderungsland“, die prinzipiell auch eine Reihe von sozialen Vorgehensweisen der Vergangenheit rechtfertigen soll. Mit diesem Gesetz sollen eine Reihe von Maßnahmen, die für einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung Herabdrücken und Verwerfung bedeutete, gestützt werden. Deshalb muß dem prinzipiell geantwortet werden.

Was heißt hier Zuwanderungsdiskussion? Der Kernpunkt liegt in der demographischen Frage, in der „Bevölkerungsfrage“.
Dieses Problem mit seinen gravierenden Auswirkungen ist seit Jahrzehnten bekannt und hat seine sozialen Ursachen. Darüber muß diskutiert werden. Die sog. Zuwanderungsdiskussion berührt die Probleme überhaupt nicht und versucht, mit einzelnen Vorschriften günstige Bedingungen zu schaffen, daß ausreichende Arbeitskräfte aus dem Ausland auf diesem oder jenem Gebiet vorhanden sind, wobei sie sich die Arbeitskräfte so aussuchen möchten, wie es dem Kapital gefällt.

Warum soll die Bevölkerungsfrage nicht in der Öffentlichkeit diskutiert werden? Es fällt auf, daß die SPD und eine Reihe Vertreter aus anderen Parteien fordern, daß diese Frage vor der Bevölkerung nicht diskutiert wird, nicht in dem Wahlkampf diskutiert werden darf.  Sie haben etwas zu verstecken.
Wollen diese Leute nicht Vertreter eben dieser Bevölkerung sein? Wie kann es Themen geben, die sie vor der Bevölkerung nicht diskutieren wollen!
Wie kann man sagen, daß eine Diskussion in der Bevölkerungfrage zu Lasten der Asylsuchenden oder der Migranten geht? Ein politisches System maßt sich an, eine substantielle Frage des Landes, die die ganze Bevölkerung angeht, aus der Diskussion vor der Bevölkerung auszuklammern.


Das Zuwanderungsgesetz versucht nur Verhältnisse zu stabilisieren, die nicht stabilisiert werden dürfen.

Die mangelnde Kinderzahl in Deutschland, ein wohlbekannter Fakt, immer wieder ein öffentliches Thema, doch niemals ernsthaft angegangen, ist mit den sozialen und politischen Verhältnissen in der Bundesrepublik auf das engste verknüpft. Sie ist mit einer Politik verbunden, die immer breitere Kreise sowohl von Arbeitern wie Angestellten und sogar eine Reihe Akademiker aus der Produktion drängte. Dies erfolgte nicht nur dadurch, daß sich die Produktion internationalisierte und man zu den Billiglohnländern zog, vielmehr kann man über Jahre hinweg eine regelrechte forcierte Demontage der eigenen Industrien beobachten, die in jeder Beziehung die Arbeitenden in diesem Land unter Druck setzen mußte.
Dies entsprang sowohl den inneren Verhältnissen in diesem Land, als auch hat es mit internationalen ökonomischen Entwicklungen, dem Aufschwung und der Neuindustrialisierung Asiens etwas zu tun.
Unzweifelhaft gab es bei der hiesigen Reduzierung der Arbeiter und Angestellten  ein gezieltes politisches Element. Seit den Aufständen von 1918 bis 1933 und seit der wieder aufkommenden Unruhe innerhalb der Bundesrepublik selbst seit Mitte der sechziger Jahre, der ständigen spannungsgeladenen Situation bis tief in die siebziger Jahre hinein galten Deutschland und später die Bundesrepublik als „gefährdetes Land“, ein Land, in dem soziale Widersprüche immer wieder aufbrechen konnten. Sowohl der Nazismus als auch die politische Ordnung, die nach 1945 begründet wurde, setzen sich zum Ziel, gerade diese Bewegungen, die aus dem hohen Industrialisierungsgrad entsprangen, zu bekämpfen. 1973 traten die ausländischen Arbeiter selbst als eine soziale Kraft in einer großen Streikbewegung hervor, die deutlich unterdrückt und etwas später mit dem „Gastarbeiterstop“ beantwortet wurde. Damit begann auch die ausufernde bürokratische Reglementierung.

Ein Blick auf Veränderungen der letzten dreißig Jahre von 1970 bis 2000 verdeutlicht das Ausmaß. 1970 war dieses Land noch geprägt von der Aneinanderreihung des einen Industriezentrums zum nächsten, Deutschland war das Land mit der größten Konzentration an Arbeitern und Beschäftigten, eine der Hauptwerkstätten auf der Welt. Heute gibt es noch einige wenige Industriezweige hier, ansonsten haben sich die Dinge grundlegend verändert. Viele Unternehmen haben  zwar noch ihren Sitz in der Bundesrepublik, produzieren aber auf allen Kontinenten. Diesen Prozeß konnte niemand aufhalten, denn er ist objektiver Natur.
Aber das Ausmaß der Demontage, der gezielten Zerstörung von Industrien geht weit über das dadurch bedingte Maß hinaus. Niemand kann sich gegen die Internationalisierung der Produktion wehren, aber gegen die gezielte Verminderung der Beschäftigung, die vorsätzliche Freisetzung von Arbeitern innerhalb dieses Landes, die auch einen erheblichen Teil der ausländischen Arbeiter betraf, muß man sich wehren und kann man sich wehren.

Eine ganze Generation hat unter den Bedingungen dieser Veränderungen gelebt, und es war ein grundlegendes Merkmal dabei, daß man auch die eigene „Reproduktion“ der Menschen, die Aufzucht von Kindern enorm erschwerte. Eines der reichsten Länder der Erde war Schlußlicht in der Versorgung mit alledem, was man zum Großziehen von Kindern benötigt. Alle wußten, daß die Kinderzahl in Zukunft zu Problemen führen mußte. Seit den siebziger Jahren gibt es darüber Meldungen in der Presse, trotzdem aber wurden die Verhältnisse zur Normalität erklärt. Es wurde sehr wohl in den Medien erörtert, trotzdem blieben die kinderfeindlichen Maßnahmen, hohe Kitagebühren und ungenügende Zahl von Kitaplätzen, Unvereinbarkeit von Beruf und Arbeit, negative Einstellung überhaupt gegen Nachwuchs, und Erziehung zur Selbstverleugnung  der eigenen Geschichte der Nation bestehen. Gerade Sozialdemokratie und Grüne, aber auch verschiedenste andere Kräfte versuchten diese Verhältnisse zur Normalität zu erklären.  Ganz unverhohlen erklärte so mancher von ihnen in den siebziger und achtziger Jahren: wenn die Bevölkerung um 20 oder 30% sinke, sei das ein ganz normaler Vorgang, wir seien ohnehin „überindustrialisiert.“

Bei allem, was die Politiker dieses Landes zu dieser Thematik sagen, schwebt eines wie ein Gesetz darüber: die Kinderzahl in Deutschland ist nicht veränderbar, sie ist so, wie sie ist. Ja man muß mit einem weiteren Absinken rechnen, als wäre es ein Naturgesetz, was den Deutschen anhaftet. Dies ist aber Unsinn, die Deutschen existieren seit eintausendzweihundert Jahren und konnten sich reproduzieren und entwickeln. Es muß in den sozialen und politischen Verhältnissen der Bundesrepublik Deutschland begründet liegen. Ebensowenig liegt es in den Gesetzen der entwickelten Industriegesellschaften im allgemeinen, da gibt es eine Fülle von Gegenbeispielen.

Vielen Menschen ist aufgefallen: während jahrzehntelang durch soziale Bedingungen, unter anderem durch die Unvereinbarkeit von Beruf und Arbeit, durch die völlig zurückhängende Kinderversorgung ein sozialer Druck gegen das Kind in der Bundesrepublik Deutschland existierte, wurden zugleich bestimmte  Schichten ausländischer Arbeiter, unter anderem auch als Aussiedler und sog. Asylsuchende, nach Deutschland hereingebracht, nicht nur mit der vollen Billigung der Herrschenden, sondern auch mit ihrer absichtlichen Förderung, woran einzelne Maßnahmen  und Gesetze zur kosmetischen Tünchung nichts änderten. Man schuf einen großen Teil von Bürgern, die faktisch in einem halblegalen Zustand lebten, die bereit waren, jede  Sorte von Arbeit anzunehmen, oder zwielichtige Milieus auffüllten, oder aber materiell so unterstützt wurden, daß sie bedingungslos den Staat unterstützten. In allen Fällen setzte man damit die eigene Bevölkerung unter Druck.
Es geht hier nicht um Migration im allgemeinen. Es gibt Länder, bei denen eine umfangreiche Migration eine Selbstverständlichkeit ist, sie leben bei ihrem Aufbau mit davon, und das ist absolut normal. Allgemein ist ein Austausch von Arbeitskräften in der heutigen Zeit selbstverständlich. Aber in der Bundesrepublik ist das unter den hier existierenden Verhältnissen zu betrachten. Diese sog. Migration steht nicht einzeln für sich, sondern sie ist gleichzeitig auch mit dem sozialen Druck gegen das Kind bei der eigenen vorhandenen Bevölkerung zu sehen und muß dazu ins Verhältnis gesetzt werden. Dadurch hat sie auch einen spezifisch ausgeprägten gesellschaftlichen Charakter in diesem Land.
Diese Verhältnisse müssen bekämpft werden, sie müssen endlich umgestülpt werden. In der Frage des Nachwuchses und der Kinderfeindlichkeit spiegelt sich ein Kernproblem der gesamten Gesellschaft wider. Wenn man so will, äußert sich darin eine Art versteckten Kriegs, den letztlich das kapitalistische System und die Bürokratie in diesem Land gegen die eigene Bevölkerung führen.

Die Rolle dieser Politik nehmen nicht nur die Koalitionsparteien wahr, für die alle „Arbeitgeberorganisationen“ des Lobes voll waren in dieser Frage, sondern auch die CDU/CSU, die von Zeit zu Zeit so tut, als  würde sie sich diese sozialen Fragen zu eigen machen. Diese Partei ist aber selbst viel zu sehr mit eben jener genannten sozialen Entwicklung verknüpft und fürchtet von daher die öffentliche Diskussion selbst.

Die Zuwanderungsregelung ist ein Flickschusterwerk mit keinem anderen Ziel, als die bisherigen Verhältnisse zu konservieren, lediglich einige soziale Folgen der Entwicklung, Mangel an Arbeitskräften auf bestimmten Gebieten zu beheben. Von daher sind alle diese Maßnahmen der Bevölkerung in ihrer überwiegenden Mehrheit einschl. der hier seit langem lebenden Ausländer und der Nation als Ganzes  in der Konsequenz feindlich. Man kann nur hoffen, daß dieses Gesetz nicht durchkommt, wenn es aber beschlossen wird keinerlei Erfolg hat, und endlich eine Besinnung auf die Aufgaben erzwungen wird, die tatsächlich aus der Stagnation, aus der verheerenden Entwicklung herausführen.

Redaktion Neue Einheit
20.3.2002