Internet Statement 2002-10

8.4.2002

Die Machenschaften der Berliner Bankgesellschaft
kommen immer mehr ans Tageslicht

-und der Senat will in aller Stille gesetzlich festschreiben lassen, daß die Bevölkerung die Lasten zu tragen hat!

Der Senat will am kommenden 9. April 2002 ein Gesetz beschließen lassen, mit dem er die Garantie für sämtliche Schulden der Bankgesellschaft in den kommenden 30 Jahren übernimmt. Zusätzlich zu den Milliarden an Steuergeldern, die in dieses Unternehmen schon gepumpt wurden, würden dadurch etliche weitere Milliarden in diese Kanäle geleitet werden! Dies alles, damit dieses Unternehmen weitermachen kann, an dem sich mehrere zehntausend "Betuchte" und "Prominente" mit schwindlerischen Geschäften gesund gestoßen haben, die vor allem Steuergelder in ihre Taschen leiten sollten, und damit der ganze Umfang des Raubes am öffentlichen Vermögen nicht zutage tritt. Wie es heißt, sollen auch 200 "Banker" aus dem ganzen Bundesgebiet unter den Profiteuren dieser Machenschaften sein.

Stattdessen müssen diese Schwindelgeschäfte für Null und nichtig erklärt werden und die Verantwortlichen und die Profiteure müssen zur Rechenschaft gezogen und für den Schaden haftbar gemacht werden!

Anfangs versuchte man aus Senats- und Bankkreisen zu beschwichtigen, daß es sich wahrscheinlich "nur" um 3,73 Milliarden handelt, später kamen höhere Zahlen und jetzt ist die Rede von 21 Milliarden Euro innerhalb der nächsten 29 Jahre! Der "worst case" seien sogar über 35 Milliarden Euro. Auf jeden Fall, so oder so, sollen in den kommenden Haushalten jährlich mehrere hundert Millionen Euro für diese Zwecke eingeplant werden!

Ursprünglich sollte das Gesetz schon vor Ostern in aller Stille durchgezogen werden, aber viele Abgeordnete bemängelten zu Recht, daß sie überhaupt nicht richtig informiert wurden. Inzwischen sollen die Abgeordneten entsprechende Unterlagen in speziellen Räumen einsehen dürfen, ohne sie nach außerhalb dieses Raumes mitnehmen oder kopieren zu dürfen. Das ist überhaupt nicht ausreichend für eine solche folgenschwere Entscheidung, deren Folge unter Umständen die Verdopplung der jetzt schon alles erdrückenden Schulden Berlins sein könnte, soweit die Folgen in den nächsten Jahren überhaupt heute schon übersehbar sind.

Gleichzeitig macht das Aufsichtsamt für das Kreditwesen Druck, daß es die Bank innerhalb von Stunden auflösen müsse, wenn das Gesetz nicht zustande kommt. Braucht man das Gesetz vielleicht auch, um die eigene Verantwortung zu vertuschen? Immerhin hat auch diese Instanz erst reagiert, als der Bankrott unmittelbar bevorstand.

Was die Abgeordneten bei Einsicht in die betreffenden Akten zu sehen bekamen, ließ bei manchen Entsetzen und Zweifel darüber aufkommen, ob der Bankrott überhaupt noch abzuwenden ist und ob nicht weitere Milliarden vom Senat den Bankrott nur aufschieben, damit er dann um so schlimmer hereinbricht.

Bisher wußte man schon Einiges von umfangreichen betrügerischen Geschäftspraktiken: daß mit erheblicher Überbewertung von Immobilien, mit üblen Tricks und mit regelrechten Schneeballsystemen bei Spekulationen mit Immobilienfonds "betuchten Anlegern" saftige Gewinne ermöglicht und sogar für 30 Jahre, unabhängig vom tatsächlichen Ertrag, vertraglich garantiert wurden, dazu gehören auch enorme Steuerabschreibungen, die nur bei Anlegern mit entsprechend hohen Einkommen greifen.. Beim berühmt-berüchtigten "Gardelegen"-Fonds z.B., der Bankern und Prominenten angeboten wurde, war die Einlage schon nach drei Jahren allein durch die Steuerersparnis finanziert.

In einem Interview mit der Zeitung "Junge Welt"  vom 5.4.2002 schilderte der SPD-Abgeordnete Lorenz die Geschäftspraktiken folgendermaßen:

"Ein konkretes Beispiel: Der LBB-Fonds 9 liest sich wie die Werbung einer betrügerischen Scheinfirma, die sich vor ihrer Flucht nach Südamerika noch etwas Kapital beschaffen will. Wer ein sehr hohes Einkommen hatte und 100000 Mark einzahlte, konnte 87 Prozent Steuerersparnis geltend machen. Der Fondszeichner zahlte damit in Wahrheit nicht 100000, sondern nur 54000 Mark ein, da er 46000 Mark vom Finanzamt erstattet bekam. Auf die 54000 Mark berechnet ergibt sich ein effektiver Jahreszins von zuerst zwölf Prozent und später 15 Prozent, für den die Landesbank Berlin 29 Jahre garantiert. Das sind über 200000 Mark, und am Ende erhält der Fondszeichner noch 115000 Mark ausgezahlt. Aus 54000 Mark werden in 29 Jahren mindestens 315000 Mark. Das sind Gewinne, die unmöglich erwirtschaftet werden können. Es war ersichtlich, daß diese Fonds zugunsten der Zeichner und zu Lasten des Landes Berlin und seiner Bürger aufgelegt wurden. "

Eine Gelddruckmaschine für Reiche auf Kosten des Steuerzahlers, Schwindelgeschäfte zum Abzocken von Steuergeldern. Dazu wurden nach Gefälligkeit und gegen Spenden Kredite an Parteifreunde vergeben, was allein im Falle der Aubis-Gesellschaft einen Schaden von 800 Millionen Euro verursacht hat.

Nun kam bei der Einsicht der Akten noch einiges mehr an Details heraus, wie Steuergelder umgeleitet wurden, um diese betrügerischen Aktivitäten zu finanzieren. Darüber waren im Berliner "Tagesspiegel" vom 30.3.02 auch nähere Einzelheiten zu erfahren:

- Die öffentlich-rechtliche LBB hat der formal privatrechtlichen Bankgesellschaft einen Kredit von 20,8 Milliarden DM gegeben, zusätzlich zu ihrer Stillen Einlage von 800 Millionen.

- Die LBB hat die Haftung für Verpflichtungen der Fondsgesellschaften IBG und LPFV in Höhe von 3,1 Milliarden Euro übernommen.

- Bei einem weiteren Geschäft, das in Dublin abgewickelt wurde, wurden der maroden Bankgesellschaft von der LBB weitere 8 Milliarden als Bürgschaft für kurzfristige Kredite zur Verfügung gestellt, die diese aufnehmen mußte, weil sie sonst ihr internationales Geschäft nicht mehr hätte betreiben können. Diese Kreditlinien können täglich auf Zahlung gestellt werden und Berlin müßte dann über Nacht den Betrag aufbringen, der immerhin etwa den Aufwendungen für "Soziales" für zwei Jahre entspricht.

- Es sei immer noch nicht genau bezifferbar, wie viele von der Bankgesellschaft vergebene Immobilienkredite notleidend sind. Die Beratungsfirma Consart, die diesen Bereich untersucht hat, schätzt den Anteil auf 42% der Kredite von ca. 33 Milliarden, also 14 Milliarden Euro.

- Im vergangenen Jahr war die Bankgesellschaft der zweitgrößte deutsche "Spieler" bei sogenannten Derivatgeschäften, gleich nach der Deutschen Bank. Das Volumen erreichte 1,2 Billionen Euro !!! Versuchte man etwa, durch riskante Spekulationen, den drohenden Bankrott doch noch abzuwenden? Inzwischen wurde dieser Bereich auf "nur" 800 Milliarden Euro zurückgeführt. Da es sich um Termingeschäfte handelt, sind die Risiken noch nicht voll abschätzbar und zeigen sich erst noch.

- Dann gibt es noch einen "Structure Finance" genannten Bereich mit schwer kalkulierbaren Risiken bei Steuersparmodellen wie Schiffsbeteiligungen u.ä., wo es speziell um Verlustzuweisungen geht.

und es bleibt die Frage, ob damit schon alles ans Tageslicht gekommen ist.

Insgesamt ist unklar, ob dieses Bankinstitut überhaupt noch sanierbar ist, abgesehen von der Frage, ob das angebracht ist. Die ehemalige Senatorin Krajewski, so Insider aus der SPD, soll sich schon 1996 intern geäußert haben, die ganze Bankenwelt der Bundesrepublik wisse, daß die Fonds der Bankgesellschaft nur Verluste machen könnten. Da haben also dann die vielen Banker und anderen "Insider", die angeblich so zahlreich unter den Fondszeichnern zu finden sind, genau gewußt, daß sie bei ihrem "prächtigen Geschäft" letztlich die Steuerzahler berauben. Kein Wunder, daß die Machenschaften so lange getrieben werden konnten, daß die Kontrolle so ungenügend war, daß so lange angeblich keiner was merkte, bis der Bankrott vor der Tür stand.
In dem angeführten Interview mit der Zeitung "Junge Welt" heißt es dazu:

"...Es soll auch eine 'Schweinefonds'-Liste geben, die von der halben Bankenwelt gezeichnet wurde.

F: Berlins?

Nicht nur Berlins, sondern insbesondere der alten Bundesländer. Da gab es Fonds mit bis zu 200 Prozent Einkommenssteuerersparnis aus Verlustzuweisung. Wer mehr als zwei Millionen Mark pro Jahr verdiente, konnte mit einem Zweimillionenkredit Fondsanteile kaufen und bekam das Doppelte: also zwei Millionen als Steuerrückzahlung, und er genießt 29 Jahre die garantierten Erträge, um am Ende die - in Wahrheit gar nicht eingesetzten - zwei Millionen zurückzubekommen. Dies sind übrigens die Leute, die den 'Sozialmißbrauch' geißeln und die Arbeitslosenhilfe auf Sozialhilfeniveau drücken wollen, um im Niedriglohnbereich Anreize zu geben. Ich finde das unerträglich.

F: Wenn die halbe westdeutsche Bankenwelt diese Fonds gezeichnet hat, erklärt das dann die verschleppte Aufklärung?

Da ich die Liste, die 200 Namen umfassen soll, noch nicht gesehen habe, sage ich nur soviel: Das birgt wahrhaftig genug Sprengstoff, die Republik zu erschüttern."

Und um solche Leute nicht in Verlegenheit kommen zu lassen, soll die sowieso schon unerträgliche Sparschraube weiter angedreht werden? Nein! Diese Leute müssen für die verursachten Schäden haftbar gemacht werden!


Der Bankenskandal und die Berliner Verhältnisse

Der Berliner Filz ist im Fall der Landesbank Berlin, die sich passenderweise besonders auf Immobiliengeschäfte verlegt hat, im Stil seiner gewohnten Mentalität vorgegangen, die ihm zumindest in solchen Machenschaften einen Spitzenplatz in der Republik sichert. Durch die Konstruktion einer Holding als Dachgesellschaft, die sowohl öffentlich-rechtliche als auch private Unternehmen überspannt, leitete eine Koalition von Abzockern aus Politik und Wirtschaft sowie anderen Privilegierten Steuergelder in großem Umfang in den unkontrollierten privatrechtlichen Bereich und in die eigenen Taschen und wälzte auf der anderen Seite die Verluste und Risiken auf die Steuerzahler ab. Es wurden für den betuchten Anleger die besagten Anlageformen mit vertraglich garantierten Gewinnen geschaffen, während für Verluste der Steuerzahler aufkommen muß.
Zur Abdeckung dieser Methoden wurde sogar zu solchen Mitteln gegriffen, wie daß eigene Tochterfirmen Anlageobjekte zu überhöhten Mieten anzumieten hatten, um den falschen Schein nicht platzen zu lassen. Regelrechte "Potemkinsche Dörfer" wurden so aufgebaut. Auch Schneeballsysteme wurden genutzt, bei denen immer neue und immer größere Fonds aufgemacht werden, um mit den Einnahmen die Verluste der alten zu decken. Vom Aufsichtsratsvorsitzenden Sandvoß bis zu Berliner Spitzenpolitikern inclusive Strieder und Gysi, alles profitierte schließlich von diesem Raubzug am öffentlichen Vermögen, und zwar selbst dann noch, als schon der Sparkurs gefahren wurde und Berlin sein Tafelsilber verscherbelte. Aber auch im gesamten Bundesgebiet sitzen die Profiteure, wie die genannten "200 Banker".

So lange diese Führungsschicht hier am Ruder ist, kann hier keine wesentliche Besserung erwartet werden. Eine Erhöhung der Subventionen für Berlin, wie sie schon als angeblicher Ausweg genannt wurde, würde ihnen nur noch mehr in den Hals werfen, während große Teile der ansässigen Bevölkerung hier keine nennenswerte Verbesserung zu erwarten haben. Schließlich haben diese Leute doch überhaupt kein wirkliches Konzept! Mehr Subventionen sind mit Sicherheit keines. Und so lange die Deindustrialisierung kein Ende hat, ist hier sowieso keine Lösung in Sicht.

Gerade auch in West-Berlin ist über Jahrzehnte ein Filz entstanden, der sich auf das Abziehen von Subventionen spezialisiert hat. West-Berlin wurde jahrzehntelang erheblich subventioniert. Weit über die Hälfte des Westberliner Haushalts bestand Jahrzehnte lang aus Subventionen. Aus politischen Gründen wurde eine Insel aufrecht erhalten und dies wirkte sich auf die Dauer negativ auf die Struktur aus. Die ehemalige große Industriestadt, die lange von einer großen Arbeiterbevölkerung geprägt war, begann schon frühzeitig ihren Charakter zu ändern, wenn auch nicht gleich so offensichtlich.

Die Betriebe der vorher hier prägenden Industriezweige, z.B. der Metallindustrie, Elektroindustrie, Textilindustrie verließen mehr und mehr die Stadt, (was allerdings z.T. auch im Rahmen der allgemeinen Deindustrialisierung in West-Deutschland und der Produktionsverlagerungen gesehen werden muß). Als Ersatz dafür wurden in West-Berlin Betriebe angelockt, die vor allem gut von den hohen Subventionen profitieren konnten, z.B. Tabakwaren, Kakao, Kaffee, die nach dem Ende der hohen Subventionen auch meistens schnell wieder weg waren. Berühmt-berüchtigt sind auch die sogenannten "verlängerten Werkbänke": So gingen Betriebe oder Teile davon nach Berlin, wo sie teurer produzierten oder zusätzliche Frachtkosten in Kauf nahmen, weil dies durch die Subventionen, die sich manchmal in Höhe der Lohnkosten bewegten, bei weitem wieder übertroffen wurde. Auch solche Unternehmen gingen natürlich wieder weg, als West-Berlin seine Rolle als "Schaufenster des Westens" ausgespielt hatte und die Subventionen zusammengestrichen wurden.

Der öffentliche Dienst wurde in Jahrzehnten immer weiter aufgebläht und wurde zum größten Arbeitgeber in dieser einstigen Industriestadt. In den letzten Jahren wurde die Zahl der Beschäftigten in diesem Sektor schon erheblich reduziert, aber die hochdotierte Führungsebene, wo Jahresgehälter von Hunderttausenden gezahlt werden, wurde gleichzeitig ausgebaut.

Es entwickelte sich auf der Grundlage der hohen Subventionierung auch ein besonders parasitärer Immobiliensektor, der sich darauf spezialisierte, so zu bauen, daß die höchstmöglichen Subventionen abgeschöpft werden konnten.
Kaum irgendwo waren die Baukosten so hoch, wie im Berliner sozialen Wohnungsbau, wo extra teuer gebaut wurde, weil ja der Staat die Miete auf ein bezahlbares Maß herunter subventioniert, was heute noch jährlich Kosten im Milliardenbereich verursacht. Oder in den "Sanierungsgebieten", wo die Substanz oft mutwillig zerstört wurde, um sie dann um so teurer "sanieren" zu können, denn höhere Baukosten brachten auch höhere Subventionen. Dabei ist der Übergang zum herkömmlich kriminellen Millieu teilweise fließend, wie unter anderem auch in mehreren großen Skandalen deutlich wurde. Die Machenschaften der Berliner Bankgesellschaft scheinen auch dieser Klientel unter die Arme greifen zu wollen. Man sollte sich übrigens in diesem Zusammenhang auch an die Initiative Landowskis erinnern, der vor wenigen Jahren versuchte, für einen Abriß von Mammut-Wohnungsbauprojekten der siebziger Jahre, wie dem sogenannten "Sozialpalast" oder "Neuen Kreuzberger Zentrum" Stimmung zu machen.

Insgesamt sind wir heute bei einer hochgradig von Subventionen abhängigen Struktur angekommen, bei der nur jeder dritte Arbeitsplatz sich selbst trägt und nicht von Transferleistungen abhängig ist. (Aussage des früheren Senators Stölzl in einem Interview, gesendet in ntv am 26.3.02)

Diese Verhältnisse haben ihren Anteil daran, daß Berlin in dem allgemeinen grünen antiindustriellen Trend eine Vorreiterrolle spielte, der die politische Begleitmusik zur De-industrialisierung in West-Deutschland darstellt, zur Verlagerung großer Teile der industriellen Produktion in die damals so genannten "Billiglohnländer". Was sollte man denn den industriellen Arbeitsplätzen nachweinen, wenn die "industrielle Großtechnik" doch sowieso nur "die Umwelt zerstörte". Berlin war wegen seiner Insellage auch ein geeignetes Experimentierfeld für diesen Trend. Hier, wo immer mehr von Subventionen und Transferleistungen lebten, konnten die grünen Luftschlösser von einer Gesellschaft ohne industrielle Großproduktion besonders gut blühen, denn die Verhältnisse, in denen die rauhe Wirklichkeit deutlich ans Tageslicht tritt, daß die Versorgung mit materiellen Existenzmitteln noch immer überwiegend durch harte Arbeit unter Bedingungen der Ausbeutung geschieht, daß Millionenheere von Lohnarbeitern in Fabriken und auf Feldern dafür schuften müssen, verlagerten sich immer mehr in andere Regionen. Die Bundesrepublik lebt derweil zu immer größeren Teilen von internationaler Ausbeutung, befindet sich (noch) auf der Sonnenseite der heutigen Weltordnung. Daß die Grünen heute bei der Verteidigung dieser Weltordnung an der Seite der USA, bei neuen Kolonialkriegen angekommen sind, ist von dieser Seite her gesehen ein völlig logischer Entwicklungsgang, der eigentlich nicht verwundern darf. Das eine sind die schönen Phrasen, die eine politische Richtung verbrämen und das andere ist ihr tatsächlicher materieller Gehalt.

Nach der "Wende" hat man dann, auf die Hauptstadtrolle setzend, auf Boom spekuliert, was aber völlig hirnrissig war, denn der tatsächliche Boom dauerte nur kurz und machte einem heftigen Kater platz. Trotzdem riß eine Art Größenwahn ein, der im deutlichen Gegensatz zur realen Entwicklung stand. Dabei wurden die Schulden gerade nach 1994 gemacht, als schon klar war, daß die Träume von einer boomenden "Global City" nicht in Erfüllung gehen würden.
Man glaubte, die Hauptstadtrolle würde ein Konzept von Immobilienboom, Finanzzentrum, Dienstleistung sowie Forschung und Entwicklung möglich machen. (Die Landesbank Berlin ist heute einer der drei größten Arbeitgeber der Stadt). Mit so primitiven Sachen von Gestern wie Industrie brauche sich die Hauptstadt nicht abgeben, weshalb dem verstärkt anhaltenden Schwund der industriellen Arbeitsplätze weniger Aufmerksamkeit gewidmet wurde. Auch der zeitweilige Bauboom am Potsdamer Platz und im Regierungsviertel hat daran nicht viel geändert, auch weil er an den vielen Tausenden von arbeitslosen Bauarbeitern der Region vorbeigegangen ist, weil stattdessen zu Dumpinglöhnen Bauarbeiter aus dem Ausland geholt wurden, die auf der Großbaustelle wie in einem Getto lebten. In dieser Realitätsferne steckt außerdem auch noch die Mentalität des Frontstadt-Westberliners, der immer darauf setzte, daß der Bund ihn ja schließlich aus politischen Gründen nicht fallen lassen könne. - Und natürlich schon garnicht, wenn Berlin Regierungssitz ist, dachte man.

Hier wird nun aber der alte Frontstadt-Westberliner von der Tatsache eingeholt, daß West-Berlin heute nicht nur von dem Gebiet der ehemaligen DDR umgeben ist und sogar mit einem Teil davon vereinigt wurde, sondern bereits mehr zu den "Neuen Bundesländern" als zum Westen gehört. Das "Schaufenster des Westens" hat seine Funktion erfüllt. Und nach dem Kahlschlag der Industrie im Osten hängt auch dieses Gebiet seit längerem am Tropf. Und Null plus Null ergibt am Ende wieder Null. Nichts ist mit Boom! Das alles hat mancher einfache berufstätige Berliner viel früher verstanden, als die Politiker hier, weil er es eher zu spüren bekam und sich schon früher gefragt hat, wer denn in die vielen neuen überteuerten Büropaläste und Luxuswohnungen einziehen soll. (Für deren Leerstand auch nicht unerheblich der Steuerzahler aufkommt). Aber diese Kräfte können anscheinend gar nicht mehr anders vorgehen, als sie es Jahrzehnte lang gewöhnt waren.

Die Verantwortlichen für das Desaster müssen dafür zur Rechenschaft gezogen werden!
Keine Dienstwagen und fürstlichen Alimentierungen für die betreffenden Manager sondern Pfändung bis zum Sozialhilfesatz!
Die zehntausenden betuchten Fondszeichner müssen das Geld, das sie mit betrügerischen Geschäften verdient haben, wieder rausrücken! Das gilt um so mehr für die "Insider", die wußten, daß da letztlich Steuergelder veruntreut werden.
Schluß mit dem Kaputtsparen der elementaren Sozial- und Bildungseinrichtungen für die Masse der Bevölkerung!
Schluß mit der Deindustrialisierung!

W. Gerhard
März/April 2002