Facetten der Situation


1. Mai 2002        

Das Jahr 2002 ist das Jahr des Zusammenbruches kapitalistischer Illusionen. Über zwanzig Jahre wurde dieser Kapitalismus gefeiert, als Sieger, der alle wesentlichen Probleme lösen könne. Der degenerative Verfall sozialistischer Staaten und ihr Aufrollen von innen sowie die Entwicklung des Kapitalismus in einer Reihe neuer Länder waren der Anlaß.
Wie haben sie geschwärmt von der neuen internationalen Arbeitsteilung, von der Entwicklung der Dienstleistungsgesellschaft. In den letzten zwei Jahren gingen auf diesem Sektor, zum Beispiel auf dem Telekomsektor, mehrere Hunderttausend Arbeitsplätze in Europa verloren, um die 50 % aller vorhandenen.
Und die Krise sitzt tief. Es ist eine wirkliche Überproduktionskrise, wie wir sie schon vom früheren Kapitalismus kennen, nur in internationalem weltweiten Maßstab. Die Vorstellung, die Staaten, die den Reichtum bei sich konzentrieren, die USA und Westeuropa könnten als "Konjunkturlokomotive" die Konjunktur immer wieder herausziehen, erwies sich als Irrtum, und kriegerische Abenteuer bringen nur ein kurzes Aufflackern. Es kann nicht sein, daß ein kleinerer Teil der Welt sich in immer größere Höhen schwingt, und auf der anderen Seite vier Fünftel der Menschheit, und zwar ein zunehmender Teil in immer größerer Armut lebt. Ihm ist die Anteilnahme an all dem technischen und kulturellen Fortschritt verwehrt.
Zweifellos hat es in Asien eine mächtige, revolutionäre industrielle Entwicklung in den letzten 30 Jahren gegeben. Aber insgesamt betrachtet, ist es in der "Dritten Welt" nur eine winzige Minderheit, die ausreichend an dieser Entwicklung einen Anteil hat.
Jahrzehntelang hat die Ausbeutung der früheren kolonialen Länder, die neu industrialisiert wurden und in denen die härtesten Lohnbedingungen diktiert wurden, jede revolutionäre Entwicklung in den alten kapitalistischen Ländern verhindert. Jetzt schlägt diese Ausbeutung auf diese Länder zurück. Historisch nicht zu Unrecht. Es zeigt sich, daß der Kapitalismus überhaupt keine angemessene Gesellschaftsordnung ist, bei dem Stand der Produktivkräfte und der weltweiten Verknüpfung, die wir heute erreicht haben. Nieder mit dem Profitsystem! Es ist absurd, daß bei der engen Verbindung der internationalen Produktion, die alles mit allem untereinander abhängig macht, die die Völker und Nationen der ganzen Welt zu einem Schicksal miteinander verbindet, die Interessen einiger weniger Milliardäre der Maßstab der Dinge auf der Welt sind. Das muß unweigerlich zur Krise führen.

Heute vermehrt sich auch in unserem Land die Unruhe in den Betrieben. Eine schleichende Verschlechterung haben viele zu spüren bekommen, ständig sind die Belastungen gestiegen. Deshalb gibt es Hoffnung auf vermehrten Widerstand. Aber man muß sich immer gegenwärtig sein, daß die internationale Ausbeutung mit ihren Milliarden an Extraprofiten sich immer noch auf die Gesellschaft auswirkt, auch auf die Arbeiter. Schnell wird der Kampf untergraben, sobald nur für einen Teil die Forderungen befriedigt werden. Wir sehen heute, wie die Bundesregierung ohne jedes Gegenwort der Gewerkschaften und vieler, die sich sonst als "links" bezeichnen, verkünden kann, daß die Bundesrepublik die Führung der Marineverbände am Horn von Afrika übernimmt. Unter dem Deckmantel des Kampfes gegen Terrorismus werden hier die Interessen der reichen Staaten, des Imperialismus gegenüber den armen Ländern gefestigt, unter unmittelbarer Beteiligung der Bundesrepublik. Dagegen ist Widerstand in der verschiedensten Art gerechtfertigt, gerade auch hier in der Zentrale Berlin.

Die internationale Ausbeutung ist das zentrale Thema jeder Art von Arbeiterbewegung, weil ohne dies anzugreifen, hier auf die Dauer nichts behauptet werden kann.

Das Beispiel Argentinien: Hier fällt ein Land, das jahrelang unter den Direktiven von IWF und Weltbank stand, ins Bodenlose. Das gesamte Finanzsystem ist zusammengebrochen. Und was machen die Regierenden mit Unterstützung der internationalen Institutionen der "demokratischen" Welt? Sie konfiszieren de facto die Sparguthaben sämtlicher Bürger, stehlen sie, um auch nur einen Moment eine Atempause zu haben. Gerade Argentinien zeigt, daß die Nationen, und die Arbeiter insbesondere, zuletzt nur den Weg des eigenständigen Aufbaus wieder gehen können, das heißt der Sozialismus kommt wieder auf die Agenda. Und Argentinien ist erst der Anfang, es gibt eine Reihe von Ländern, die auf einer ähnlichen Kippe stehen. Ganz Lateinamerika befindet sich in der Unruhe. In Kolumbien und Venezuela gibt es tiefe soziale Unruhen und Volksbewegungen. Korrupte Putschisten der USA wurden hinweggefegt, die Machinationen funktionieren nicht mehr.

Man braucht nicht in die Ferne zu sehen. Der Zusammenbruch der Finanzen ist auch für die entwickelten Länder typisch. Man siehe Berlin. Und was wagte dieses Regime hier: Die Mehrheit des Abgeordnetenhauses beschloss, die Interessen von Käufern zweifelhafter Immobilienfonds, die in Wahrheit keine Geschäfte im bürgerlichen Sinne, sondern gesetzwidrige Geschenke im Milliardenumfang an bestimmte Personen darstellen, abzusegnen und sogar noch zusätzlich zu garantieren. In der Stadt sollen Kindertagestätten verteuert und Schwimmbäder und Sportanlagen geschlossen werden, damit diese Pfründe gesichert bleiben. Die Forderung lautet klar: diese gesetzwidrigen Immobilienfonds müssen für ungültig erklärt werden.
Die Gelder dafür müssen freigemacht werden für die Aufgaben, die in der Stadt anfallen. Auch hier ist eine Kaste am Werke, die die jahrelangen Pfründe, die es auf Grund der internationalen Bedingungen gab, sich zur zweiten Natur gemacht hat, und gar nicht anders kann. Hier muß ein Machtwort von der Mehrheit der Bevölkerung gesprochen werden: Diese Pfründe müssen weg!

Die Krise erreicht inzwischen das Land, von dem die kapitalistische Welle nach dem Umsturz Ende der siebziger Jahre ausging. Am 29.April meldete zum Beispiel dpa: "China droht die schlimmste Arbeitslosigkeit der Geschichte, die Zahl der Arbeitslosen könne leicht mehr als 20 Millionen erreichen..." Dabei ist nur von den Arbeitslosen im industriellen Bereich die Rede. Die 150 Millionen freigesetzten Menschen aus den ländlichen Gebieten existieren obendrein. Skrupellos operiert der Kapitalismus mit der Arbeitslosigkeit und Ruinierung. Von Streiks und handfesten Widerstand in verschiedenen Regionen war die Rede. Und es kann auch gar nicht anders sein. Dabei ist es egal, ob China 1,4 Milliarden oder 700 Millionen Einwohner hat, unter den Bedingungen des Kapitalismus wird immer eine entsprechende Freisetzung betrieben und Arbeitslosigkeit existieren.
Alle diese Ereignisse gehören in das Zentrum der Aufmerksamkeit der Arbeiterbewegung in diesem Lande.

Die Ereignisse im Mittleren Osten - Palästina sind nur die Widerpiegelung des Zusammenbruches, den diese Art von "Ordnung" durchmacht. Wie sicher galt doch die Lage. Israel war ohnehin ein Vorposten der USA. Die Arafat-Führung verließ sich ebenfalls auf die USA und Europa. Und die islamischen Fundamentalisten hatten trotz ihres Anti - USA Geschreis ihre Verbindung mit dem westlichen Kapital, auch mit den USA. Schließlich wurden sie vorwiegend aus Saudi-Arabien und den Golfstaaten finanziert. Man sollte meinen, alles war unter Kontrolle. Und was ist jetzt! Die verschiedenen reaktionären Kräfte machen einen Strich durch die Rechnung. Israel existiert dort nicht, um die Situation zu konsolidieren, sondern um einen permanenten Druck zu schaffen, existiert nur auf der Grundlage der Expansion. Der islamische Fundamentalismus kann überhaupt keine Normalisierung der Situation gebrauchen. Die Situation ist den Initiatoren komplett außer Kontrolle geraten und wird weitere Umwälzungen nach sich ziehen. Aber die Entwicklungen im Mittleren Osten sind nur ein Aufsatz auf dem Ganzen. Die Grundlage bilden Veränderungen, die die gesamte Welt erfaßt haben.

1.Mai 2002
Gruppe Neue Einheit

 

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