Internet-Statement 2003-36

 

Der Angriff von der anderen Seite

--Zu einem Artikel „Not gegen Elend“ von Mag Wompel (Labournet) in der “Jungen Welt“ vom 12.Juli


Noch nie hat es in der Entwicklung der Bundesrepublik eine derart massive Hetze gegen eine gewerkschaftliche Organisation gegeben, sie kam synchron aus den Medien, wie aus der Regierung, wie aus den Kapitalskreisen!  Warum ist das so? Der Streik entwickelte sich trotz aller schlechten Voraussagen und trotz aller Angriffe, die aus bestimmten gewerkschaftlichen Reihen und von einflußreichen Betriebsräten kamen. In einer Zeit, in der das Kapital jede Form von Widerstand vernichten will, kann selbst so ein Streik, bei dem die IG-Metall zu großen Kompromissen bereit war, trotzdem eine Signalfunktion bekommen. In einer Zeit, in der das Kapital die hiesigen Bedingungen an die  Teile der Welt, in der die ungezügelte Armut und die Diktatur des Kapitals wütet, anpassen will, entwickelt er sich zu einer Herausforderung für alle tragenden politischen Kräfte. Das gleiche Kapital, das hier auf demokratische Fassade macht, konnte dort jahrzehntelang neue Arbeitskräfte zur Lohnarbeit heranziehen, arbeitet dort mit jeder Art von Militärdiktatoren, mit mafiotischen Strukturen oder auch mit Theokraten zusammen, die jede demokratische Entwicklung hemmen. Dort entwickelte sich der Kapitalismus mit einer neuen Dynamik und mit seinem ganzen alten Erscheinungsbild. Eine Sache, die hier weitgehend ignoriert wurde aber unwillkürlich auf  die reichen Länder zurückschlagen mußte. Aber wir sollten keineswegs das Geschehen so hinnehmen. Überall entsteht auch Widerstand.

Zu dieser Anpassung, die das Kapital erstrebt, paßt es nicht, daß ein prinzipieller Erfolg errungen wird, der diesem Wind zuwiderläuft. Deshalb die Notbremse von Zwickel, der, als der Streik an Eigendynamik gewann, einfach ohne Legitimation erklärte, der Streik sei gescheitert. Von oben herab über die Medien wirkte er auf ein Ende des Streiks. Sein Hauptargument war die „öffentliche Meinung“. Aber er sagte nicht hinzu, daß dies die öffentliche Meinung gerade der vom Kapital abhängigen Medien war, die ihre Meinung als öffentliche Meinung ausgeben, egal ob die Mehrheit in der Bevölkerung etwas anderes denkt oder zumindest ihre Ansichten hinterfragt.
Erwartungsvoll hofften viele zu diesem Zeitpunkt, daß durch die Ausweitung des Streiks dem Kapital hier eine Lehre erteilt wird. Das durfte nicht sein. Eine Blöße hat sich nicht die IG-Metall gegeben, sondern jener begrenzte Kreis um Zwickel und die Medien, die gezwungen waren, zu einem recht durchsichtigen Manöver in der Öffentlichkeit zu greifen. Bei diesem Streik kommt hinzu, daß ein Teil auch der gewerkschaftlichen Funktionsträger begriffen hat, daß dieser Staat drauf und dran ist, letztlich überhaupt an der Vernichtung einflußreicher Gewerkschaften zu arbeiten, und daß sie jetzt dagegen steuern. Das dem so ist, ist nicht schlecht. Wir haben früher die Gewerkschaften und den Apparat immer wieder kritisiert, aber wir greifen ihn doch nicht da an, wo der dem allgemeinen Interesse der Mehrheit entspricht und sich zur Wehr setzt.

In dieser Hinsicht muß man den Artikel „Not gegen Elend“ betrachten, der in der „Jungen Welt“ veröffentlicht wurde.

Die Hetze, die persönlich auf den stellvertretenden Vorsitzenden der IG-Metall Peters gerichtet ist, kommt gerade daher, daß dieser diese Richtung repräsentiert, daß er, obwohl er zu der obersten Führung gehört, nicht das macht, was das Kapital von der IG-Metall erwartet, sondern mehr noch, in diesem Punkte jedenfalls, bis zu einem gewissen Grade direkt den Abbruch des Streikes kritisiert, und damit an jenen heiklen Punkt kommt, den das Kapital öffentlich zu nennen verbieten möchte. Zu Recht verweist Peters auch darauf, daß dieser Streikabbruch dazu diesen soll, eine hart umkämpfe Personalentscheidung rückgängig zu machen, die genau  aus dem Bestreben von Teilen der IG-Metall, sich nicht liquidieren zu lassen, entsprungen war.

Weiterhin wird durch die Medien versucht, die Gewerkschaft mit allen Mitteln zu kippen. So eine Streikbewegung, so eine (indirekte) Herausforderung der meisten Kräfte in diesem Staat, ist wichtige Bewegung, bringt durchaus die Dinge voran. Gelingt es dem zu widerstehen und weiterhin auch bei sozialen Kämpfen mit zumindest Teilen der Gewerkschaft zu arbeiten, ist ein wichtiger Pfosten für die Abwehr gelegt. 
G
erade deshalb wird der Staat die Dinge noch weiter zuspitzen, um sein Ziel zu erreichen. Es ist die Frage, inwieweit er das kann. Jedenfalls wird die Beibehaltung und nicht die Aufgabe von Institutionen, die gerade jetzt eine wichtige Rolle spielen können, die Sache von Streiks ungemein stärken. Es ist mit mehr Konflikten zu rechnen. Auch Streikbewegungen in unseren Nachbarländern etwa in Tschechien oder Ungarn sind denkbar, und wir sollten dies mit allen Mitteln unterstützten. Diesem extrem unsozialen Kapitalismus mit seiner Losung  „zurück ins frühe 19te Jahrhundert“, müssen wir mit allen, gemeinsam mit allen, die daran mitwirken können, den Kampf ansagen.

Der Artikel der Mag Wompel in der Zeitung „Junge Welt“ vom 12.Juli 03.

Unter dem Deckmantel der Abgrenzung von beiden Flügeln in der IG-Metall, wird in Wirklichkeit die konkrete Situation, um die es jetzt geht, beiseite geschoben. Die gewerkschaftlichen Kräfte, auch solche Leute wie Peters, kämpfen unter den heutigen Bedingungen gegen eine Übermacht im Staate, in den Medien, in den Parteien .Unter solchen Bedingungen Peters jetzt anzugreifen wegen angeblicher früherer Abschlüsse, deren genauer Ablauf dann ja auch erst mal offen gelegt werden müßte, bedeutet eigentlich, jetzt genau die Anstrengung auf die es ankommt, zu torpedieren.

Bezogen auf den gewerkschaftlichen Streik heißt es bei Mag Wompel:

Die erstmals offen ausgetragene Auseinandersetzung zwischen angeblichen Traditionalisten und angeblichen Modernisierern innerhalb der IG Metall ist in Wahrheit nicht mehr als der Streit um Nuancen der Selbstdarstellung der Gewerkschaftsspitzen.“ (!!!)
Das ist gerade das, was die Propaganda von ARD und ZDF uns in Form von Stimmen von der Straße erzählen möchte: „Der Machtkampf zwischen denen da oben ödet uns an. Zurücktreten! Zurücktreten! Zurücktreten!“ Als wenn es um den Kampf zwischen Personen gehen würde! Es geht aber um Richtungen in der IG-Metall.
Wie sehr darf eine Gewerkschaft dem Kapital um ihrer »Existenzberechtigung« willen weh tun?

Von uns aus ist da keine Grenze gesetzt. Aber das Kapital hat dazu auch eine Meinung, und die lautet bei dem was es vorhat: überhaupt nicht! Aber in dem Satz liegt auch indirekt eine Verleumdung des Kampfes, denn daß die Gewerkschaften nur oder vorwiegend um ihre eigene Existenzberechtigung diesen Kampf führen ist das Geschwätz der Westerwelle und Konsorten. Überhaupt liegt die Argumentation der Mag Wompel in diesem Artikel auf dessen Ebene.

Nirgends ist in diesem Artikel von der Empörung gegen den Abbruch die Rede, die unterstützt werden muß.

Aber wir finden folgendes:

Verlierer des IG-Metall-Arbeitskampfes ist neben den KollegInnen im Osten die gesamte Gewerkschaftsbewegung.“

Ist sie nicht! Denn daß in der Gewerkschaft endlich einmal Auseinandersetzungen sich entfalten, trägt letztlich zur Klärung und zur Stärkung bei. Eine Niederlage wird es nur, wenn diejenigen, die den Streik bisher getragen haben, nachgeben und den willkürlichen Abbruch legitimieren. Das wäre ein wirklicher Rückschlag, aber selbst dann würden die Konfrontationen in Form von Lerneffekten Früchte tragen.

Konsequent versucht Mag Wompel uns dann auf den generellen Kampf gegen Vorstände zu bringen, und es heißt dann bei ihr tatsächlich:

Nötig ist eine Art »Aufstand der Anständigen gegen ihre betonköpfigen Funktionäre« (Guido Westerwelle) auf dem Wege des Ignorierens.“

Das könnte der Reaktion so passen, gerade in diesem Moment. Dabei hat Mag Wompel auf dem Sozialforumstreffen am 1.Juli in Berlin noch erheblich anders gesprochen. Da hat sie den Streikabbruch angegriffen, allerdings auch schon hier mit antiautoritären Phrasen, wie wir müßten vielmehr das machen „was wir wollen“. Das Proletariat kann aber nicht machen was es will, sondern muß das tun, was sich aus der Notwendigkeit der Lage ergibt. An dem Beispiel wird deutlich, was  für Schwankungen es bei den Antiautoritären gibt. Wir haben gesehen, wie die Autonomenbewegung unter den Bedingungen des letzten Kriegs in das offene rechteste Lager des Imperialismus hinüber wechseln kann. Hier zeichnet sich auf dem ökonomischen Sektor etwas ganz ähnliches ab.

Ganz parallel mit diesen Äußerungen kommen Mag Wompels Ausführungen zu sog. „Alternativen zum Kapitalismus“. Damit ist nicht die Revolution gemeint, die aus dem Kapitalismus selbst entsteht, sondern eine irgendwie von uns zu schaffende „Alternative“ in der wir besser leben können.

In dem strategischen Dilemma, eine Gegenmacht sein, aber keine Arbeitsplätze gefährden zu wollen, sehen sich viele Gewerkschaftsmitglieder und Belegschaften.“

Und der Kampf gegen das Kapital gegen den internationalen Druck, gegen das Ausspielen der billigeren Arbeitskraft aus anderen Regionen, ist eben nicht einfach, und wenn endlich mal ein Streik dagegen entsteht, kann man den nicht so heruntermachen, wie Mag Wompel das tut.

Und auch von den die Gewerkschaftsbewegung ernst nehmenden Linken wurde versäumt, das besagte Dilemma auf die Systemfrage zuzuspitzen. Alternativen zum Kapitalismus – von dem nur noch eine verschwindende Minderheit profitiert – sind keine »Betonköpfigkeit«.“

Alternativen zu Kapitalismus gibt es nur insofern, als daß aus diesem Kapitalismus selbst die Notwendigkeit der Vergesellschaftung der Produktion erwächst. Der Kapitalismus bringt selbst die Kräfte zu seiner Überwindung hervor. Das ist nicht überholte These des Marxismus, sondern das ist die Realität, die heute sich auf einen ganz anderen internationalen Maßstab übertragen hat. Aber von solchen Vorgängen ist bei Mag Wompel nirgends die Rede, sie spricht von Alternativen, die wir einfach so schaffen. Diese Ideen sind vollkommen überholt. Fourier und Owen versuchten sie Anfang des 19.Jahrhunderts zu verwirklichen bis zur Erkenntnis, daß dies nicht möglich ist. Und die Alternativbewegung der siebziger Jahre war Fluchtbewegung von der Revolution weg, die nicht zufällig bei der Integration in den Staat gelandet ist. Die enorm gewachsenen Extraprofite in jener Zeit, die auch in vielen „Projekten“ und deren staatliche Unterstützung ihren Niederschlag fanden, machten diese Bewegung möglich.

Auch steckt in dem zitierten Satz ein weiterer Irrtum. Es profitieren vom Kapitalismus im Weltmaßstab nicht nur der verschwindend kleine Kreis von Milliardären. In den reichen Ländern gibt es ein wohlgenährtes Kleinbürgertum, das nach Millionen zählt, das erheblich und manchmal auf direkt parasitäre Weise von der internationalen Ausbeutung mitprofitiert. Und selbst unter den Ärmeren gibt es so manchen, der meint er habe zwar kein gutes Einkommen, aber doch so etwas wie ein garantiertes Auskommen, das ihm als Bewohner eines reichen Landes zustehe. Die Abgrenzung von diesem Kleinbürgertum und von jeder Form von Ausgehaltenheit ist notwendig für jede Art von linker Bewegung. Manchmal geben sich solche Schichten auch als links, als „antikapitalistisch“, aber daraus wird niemals eine ernste Kraft gegen den Kapitalismus werden, weil sie stets versuchen, die Entwicklung nach hinten zu ziehen oder allenfalls auf dem Stand zu halten, auf dem er sich befindet.

Derweil ich diesen Artikel schreibe, kommen schon die nächsten Attacken gegen die IG-Metall und Überlegungen, wie man den Widerstand brechen kann. Es gibt noch eine Reihe weiterer recht bezeichnender Zitate in dem besagten Artikel. Er greift jedenfalls unter radikaldemokratischem Deckmäntelchen genau die Kräfte des Streiks an, die systematisch von der öffentlichen Propaganda unter Druck gesetzt werden. Deshalb muß auch dieser Versuch auf den kommenden Sitzungen der sozialen Initiativen, wie auch gewerkschaftlicher Kreise seine entschiedene Zurückweisung erfahren.

Hartmut Dicke   18.7.03

 

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