Internet-Statement 2004-03

 

Kritische Anmerkungen zu der Aktionskonferenz am 17./18. Januar 2004


Am 17./18. Jan. 2004 findet in Frankfurt/M. nach langer Vorbereitung eine Aktionskonferenz statt, die ursprünglich die von der Novemberdemonstration erbrachten Ansätze fortsetzen sollte. Einladung und Beschreibung dieses Treffens lassen allerdings erhebliche Fragen entstehen, in welche Richtung diese Konferenz, jedenfalls nach der vorgesehenen Struktur, laufen wird.

Auffällig ist, daß alles darauf zielt, die offiziellen Kräfte, die im Kampf gegen die Hartz-Konzepte versagt und zunächst eher die Regierungs- und Parteienaktivitäten bejaht haben, in den Vordergrund zu schieben. Jetzt soll das gesamte Augenmerk auf einen Aktionstag des Europäischen Gewerkschaftsbundes und des DGB am 2. bzw. 3. April 2004 gerichtet werden, es sollen Demonstrationen stattfinden. Wie soll man das bewerten?

Die maßgeblichsten Kreise des DGB hatten ursprünglich klargemacht, daß sie die Hartz- und die sonstigen Entrechtungspläne von Prinzip her billigen und nicht in einer ernsthaften Weise bekämpfen wollen. Es gibt allerdings auch Kräfte in den Gewerkschaften, die die Existenzfrage der Gewerkschaften aufgeworfen sehen und bereit sind, Widerstand zu leisten. Sie sind wir bereit zu unterstützen. Aber des DGB und die Einzelgewerkschaften in ihrer gegenwärtigen Struktur können nicht die tragende Kraft der Bewegung sein.

Noch weniger können die führenden Kreise von Attac eine entscheidende Rolle bei dieser Bewegung spielen. Sie haben ebenfalls klargemacht, daß sie im Grunde die Hartz-Pläne begünstigen, und waren anfangs sogar dagegen, daß die Demonstration zum 1. November organisiert wird.

Die spontanen Kräfte, die z.B. in der sog. Anti-Hartz-Bewegung vorhanden waren, sowie die Ansätze in den Produktionsbetrieben spielen bei dieser Aktionskonferenz entweder nur am Rande oder überhaupt keine Rolle. Jetzt heißt es, daß „Vertreter/innen aus Auszubildenden-Initiativen, Ökologie-Bewegung“ oder etwa der „gewerkschaftlichen Fraueninitiativen,“, der „christlichen Sozialinitiativen“ und „der Flüchtlinge“ (was immer das sein soll, denn da gibt es ganz verschiedene Kräfte) eine solche Bewegung tragen sollen. Wo sind diese Kräfte in der Vergangenheit beim Kampf gegen die Hartz-Pläne hervorgetreten?

Was die Ökologiebewegung betrifft, waren nicht wenige Vertreter davon schon frühzeitig dabei, die Senkung des Lebensstandards der Arbeitenden zu fordern, weil angeblich die Sorge um die Umwelt dies notwendig mache; sie waren in Wirklichkeit ein Sprachrohr derjenigen, die am meisten die demokratischen und sozialen Rechte der arbeitenden Menschen bekämpfen.

Man fühlt sich an eine „Bunte Liste“ erinnert, wie sie etwa Anfang der 80er Jahre auftraten. Sie waren doch Vorläufer für die Politik, die wir heute als offizielle Politik haben. Sie haben die Deindustrialisierung mit vorangetrieben und völlig gedankenlos auf den sog. Sozialstaat gesetzt, als könne das Kapital die sozialen Forderungen dauerhaft befriedigen. Man kann nicht, wenn man etwas bekämpfen will, die Bankrotteure von früher hervorholen und sagen: ihr sollt jetzt den Kampf gegen die Phänomene aufnehmen, die ihr selber vorher unterstützt habt. Wir erleben, daß das Kapital die Klassengesellschaft verschärft und rücksichtslos vorgeht, so wie es seine Natur ist, und daß die sozialen Vorspiegelungen nur für die Zeit gelten, während derer das Kapital sie für seine eigenen politischen Zwecke opportun findet. Heute ist beim Kapital die Anpassung der sozialen Bedingungen hierzulande an die Ausbeutungsbedingungen der ganzen Welt angesagt. Das ist seine Kampfansage, die die Gegenseite zwingt, sich zu sammeln und erneut Kampfkraft dagegen zu entwickeln. Natürlich geht das nicht von heute auf morgen, und natürlich muß das Bündnis breit sein. Aber man muß nicht diejenigen Kräfte nach vorne schieben, die von ihrem ganzen Wesen her gegen eine solche Bewegung sind und sie immer wieder an den Staat, an den offiziellen DGB und ähnliches anbinden wollen, oder gar an die Ökologiebewegung, die mit diesem Staat heute bekanntlich engstens verschmolzen ist und schon wie eine „moralische Instanz“ fungiert..

Man kann dieses verschärfte Auftreten des Kapitals nicht mit kleinbürgerlichen, längst gescheiterten Phraseologien bekämpfen. Man kann nicht das Kapital bekämpfen, indem man an Bewegungen, die im Grunde genommen in den letzten 20 Jahren bankrott gegangen sind, appelliert, den Kampf zu führen. Das führt alles in die falsche Richtung.

Die betrieblichen und gewerkschaftlichen Ansätze bilden bei dieser Konferenzeinladung im Grunde ein Randelement, ähnlich wie bei der bürgerlichen Soziologie, bei der die Arbeitenden hier als eine Randgruppe erscheinen, und bei der man sich nicht darum kümmert, daß aufgrund der internationalen ökonomischen Umstrukturierung eine gewaltige Änderung weltweit in der sozialen Zusammensetzung eingetreten ist. Überhaupt ist man nicht bereit, sich um die Realität der Klassengesellschaft und ihre Entwicklung zu kümmern. Das muß letztendlich scheitern.

Wir sind nicht dagegen, daß gewerkschaftliche Vertreter bei einer Bewegung gegen die Hartz-Pläne oder andere Entrechtungen ebenfalls hinzutreten und ihre Bereitwilligkeit erklären, konkrete Unterstützung durch ihre Organisationen zu erwirken. So dogmatisch braucht man in der Tat nicht zu sein, daß man das unter allen Umständen ablehnt. Aber es ist etwas Anderes, und es ist grundlegend falsch, die Bewegung auf diese Kräfte auszurichten. Dieses findet aber statt, die maßgeblichen Attac-Kreise und die Gewerkschaftsführung sind das, was hier in den Vordergrund gespielt wird.

Damit kommt man zurück zu dem Aufruf zum 2./3. April 04. Wir werden möglicherweise im Laufe der sich anbahnenden Auseinandersetzung um die Tarifrunde eine erhebliche Konfrontation bekommen, denn die Unternehmer fordern in diesem Land jetzt Rücknahmen bei den sozialen Leistungen, die im Laufe der vergangenen Jahrzehnte erkämpft worden sind, und stellen blankweg Negativkataloge auf. Den daraus folgenden Abwehrkampf der Metaller sollten wir ins Auge fassen und unterstützen. Aber die Aktion zum 3.4., so wie sie jetzt geplant ist, könnte sogar dazu dienlich sein, Abwiegelei selbst auf diesem Gebiet zu leisten, wenn es nämlich fast nur heißt: am 3.4. machen wir den großen Aktionstag. Überhaupt kein Aktionstag kann die Strategie ersetzen. Grundsätzlich ist es notwendig, daß die Gewerkschaften wieder mit einer betrieblichen Mobilisierung, mit einer Einzelarbeit beginnen. Ein Aufruf von offizieller Stelle ist leicht geschrieben und herausgegeben, die konkrete Arbeit fängt danach erst an. Und deswegen müssen auch von einer Konferenz gerade die Möglichkeiten konkreter Maßnahmen des betrieblichen Kampfes besprochen werden. Bewegungen der von den Sozialkürzungen Betroffenen müssen gegen ihre Benachteiligungen protestieren und sich gleichzeitig den Kernfragen der Gesellschaft zuwenden. Wenn es wirklich zu umfassender Kooperation auf europäischer Ebene kommt, ist es allerdings von Nutzen.

Aufgrund des bisherigen Kurses des Kapitals in diesem Land wie auch der internationalen Unternehmen, wie auch der politischen Parteien, ist dieses Land ökonomisch in einer besonderen Krise. Das kann man nicht wegreden. Es geht dabei nicht nur um Umverteilung, das ist eine Illusion, denn dieses Land ist Teil eines internationalen Kapitalismus und ist der Konkurrenz dieses internationalen Kapitalismus ausgesetzt. Es ist keine Insel, auf der einfach gewisse soziale Maßnahmen beschlossen werden können, sondern es ist ein Teil einer internationalen kapitalistischen Struktur.

Man muß sich diesen konkreten ökonomischen Bedingungen stellen. Allein mit einer Phraseologie der Umverteilung kann man dem nicht entgegenwirken. Es gibt Fälle, wie etwa in Berlin, wo man sagen kann, daß durch die Wüstenei der Korruption Gelder wirklich in die falsche Richtung umverteilt wurden; da kann man bis zu einem gewissen Grade einen gegenläufigen Trend erzeugen. Aber selbst da steht die Durchsetzbarkeit noch in Frage. Als internationales Konzept ist das völlig illusorisch. Zu sagen, wir wollen international von oben nach unten umverteilen, ist völlig illusorisch, da es an der Diktatur des Kapitals, wie sie real existiert, vollkommen vorbeigeht, ja ein dummes Kindergeschwätz ist, mit dem man höchstens noch ganz unpolitische Menschen täuschen kann.

Fragen also, wie die Ökonomie entwickelt werden kann, und wie die Arbeiterbewegung sich auf internationaler Ebene zusammenschließen kann, sind die erstrangigen Fragen, mit denen ernstzunehmende Kräfte im sozialen Kampf sich befassen müssen. Dies ist keine Spielwiese für bunte Ideen, sondern ein harter Klassenkampf, der auf uns zukommt.
Es ist deshalb notwendig, daß die soziale Bewegung in diesem Land sich solchen Fragen wie den Verlagerungen, den Deindustrialisierungstendenzen in den alten Industrieländern, der Ausnutzung der Arbeitskraft in den früheren kolonialen Ländern, der gegenwärtigen praktischen Unmöglichkeit des Zusammenschlusses aufgrund der faktischen unmittelbaren Diktatur des Kapitals in den größten Teilen der Welt und der Notwendigkeit der Enttarnung der demokratischen Fassade widmet. Auch die Frage, warum dieses Land praktisch zu einer ökonomischen Bremse international geworden ist, muß zu einem Thema der Linken werden. Davon kann man nicht abseits stehen. Es sind gerade die reaktionären kleinbürgerlichen Ideen, die diese Bremse mit verstärkt haben. Es ist nicht nur das Kapital, das wir bekämpfen müssen, es ist auch das reaktionäre pro-imperialistische Kleinbürgertum, das in hohem Maße eigensüchtig ist und sich um Grunde nur darum schert, daß ihm jetzt die Privilegien weggenommen werden, ansonsten aber die internationale Ausbeutung erhalten wissen möchte, als zumindest zeitweiliger Gegner zu sehen.

Redaktion Neue Einheit
16. Jan. 2004

 

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