Internet-Statement
2004-16
Nochmal zu Blüm in Köln und Edith
Bartelmus-Scholich
In der Bewegung zur Demonstration in Köln schlagen die Wellen hoch,
weil Norbert Blüm dort reden soll - vollkommen zurecht.
Was Blüm angeht, so ist er heute ein politischer Rentner, der gut
reden hat und sagen kann, daß es nicht mehr seine CDU ist, der er
früher einmal gedient hat. Er irrt übrigens, das ist dieselbe
CDU, der er 1950 beigetreten ist. Sie macht nur unter unterschiedlichen
Bedingungen eine unterschiedliche Politik, die Lage damals nach dem Kriege
und in Konfrontation mit den revolutionären Kräften auf der
Welt machte eine ganz andere Attitüde gegenüber dem Volk und
den zahlreichen Arbeitern im eigenen Lande notwendig. Die CDU war immer
eine, wenn nicht die Hauptpartei des Kapitals wie der besitzenden Schichten
überhaupt.
Für uns ist aber etwas ganz Anderes wichtig. Wenn ein
Betriebsrat für die Kundgebung vorgeschlagen wird, um ein paar konkrete
Worte auf der Demonstration zu sagen, dann tut sich die Demonstrationsleitung
des DGB wer weiß wie schwer, dies zuzulassen. Vielleicht wird gerade
einmal einer zugelassen, aber einer, der deutliche Worte spricht, schon
gar nicht. Ein Mann wie Blüm aber wird ohne weiteres dort als Redner
aufgestellt, obwohl er eine Insider-Persönlichkeit des Kapitals ist,
mag er sich auch mit schönen Worten umgeben.
Aber was Edith Bartelmus-Scholich dazu schreibt [Anmerkung],
ist schier unerträglich. Ich halte es für angebracht, einmal
kurz ein paar charakteristische Sätze zu zitieren.
"In der politischen, christlich orientierten Mitte, wo geistige
Grundlage die u.a. die Katholische Soziallehre ist (CDA, KAB u.ä.)
wirkt Blüm als Integrationsfigur, d.h. seine Meinung hat Gewicht,
wie etwa auch die Meinung von Heiner Geißler oder Friedhelm Hengsbach
(SJ)."
Das sind aus dem Munde einer angeblich emanzipierten linken Vertreterin,
die im organisatorischen Gefüge einer angeblich marxistisch-leninistischen
Partei sich betätigt, doch ganz erstaunliche Sätze. Heiner Geißler
ist ein Erzreaktionär, ein CDU-Vertreter, der zu den Leitsätzen
der Grünen tendiert, der die CDU aus reaktionärstem Winkel kritisiert,
und Friedhelm Hengsbach (SJ) ist ein Vertreter des Klerus, der an der
Versöhnung verschiedener reaktionärer Gruppierungen arbeitet.
Seit wann schätzen wir denn diese Leute als unsere Bundesgenossen?
"Klar ist, dass Blüm seine eigenen Ideale in 16 Jahren als
Minister in der Regierung Kohl ununterbrochen verraten hat, weil er
stets und selbstverständlich eine "Politik des Machbaren"
betrieben hat, die in Wirklichkeit eine Unterordnung unter den wirtschaftsorientierten
Mehrheitsflügel der Union bedeutete."
Hier werden doch die Märchenschreibereien bürgerlicher Biografen
als bare Münze ausgegeben und die persönliche Geschichte eines
Ministers, der 16 Jahre zur Garde der Spitzenpolitiker gehörte, mit
menschlich rührendem Ton beschrieben. Die Ideale eines Politikers
sind nicht von der Partei, die er substantiell vertritt, verschieden.
Insgesamt wird ein unglaublich naives Bild gemalt über die Katholische
Sozialbewegung, und zwar über ihre Spitzenvertreter, sodaß
man sagen kann: soviel Naivität kann es gegenüber diesen Kräften
normalerweise nicht geben.
Es ist erstaunlich, was für ein rechtes Umfeld die MLPD umgibt. Was
schreibt diese eigentlich zu den Vorgängen in NRW?
Dann schließlich die Empfehlung der Edith Bartelmus-Scholich:
"Kommt zur Demo, macht deutlich , daß der Anstoß zu
dieser Demo von der Bewegung von unten, nämlich vom Europäischen
Sozialforum ausgegangen ist."
Dies zeugt auch davon, daß die Autorin von der Entwicklung des
letzten Jahres keine Ahnung hat. Diese Bewegung wurde geboren von unten,
von Basisgruppen, von Anti-Hartz-Organisationen, von Betriebskämpfern,
von Erwerbslosengruppierungen und nicht zuletzt durch Anstöße
revolutionärer Gruppen wie unserer. Und es war im Gegenteil das Europäische
Sozialforum (ESF) die Stelle, an der die Entscheidung, das Ganze in Richtung
des offiziellen DGB zu lenken und in dessen Hände zu legen, offiziell
gefällt worden ist. Sie wurde allerdings schon vor dem 1. November
2003 von gewissen Kräften vorbereitet, worüber es in Berlin
heftige Diskussionen gab, und wobei führende Attac-Leute eingriffen
und dies mit ihrem Einfluß durchsetzten. Das ESF war nicht die Quelle
des Widerstandes von unten, auch das ist ein bürgerliches Märchen.
Man muß auch daran erinnern, daß Edith Bartelmus-Scholich
seinerzeit den ersten Hauptstreitpunkt der Auseinandersetzung um die Gestaltung
der Demonstration vom 1. 11. bildete, daß der "bundesweite
Vorbereitungsausschuß" mit aller Gewalt erzwingen wollte, daß
Edith Bartelmus-Scholich als zweite Rednerin aus dem Umfeld der MLPD -
unter insgesamt fünf Rednern - auf dieser Kundgebung reden sollte.
Der Berliner Vorbereitungsausschuß hatte zehnmal recht, wenn er
dies hinausgefegt hat. Eine solche Stellung des absoluten Verständnisses
für einen im Grunde gescheiterten Politiker aus der oberen Garde,
und auf der anderen Seite Empfehlungen zu akzeptieren, daß der DGB
ja sowieso von Anfang an bloß die "politische Mitte" ins
Spiel bringen wollte, wie Edith Bartelmus-Scholich schreibt, sind unerträglich.
Wir haben damals diese rechten Sachen in der Angelegenheit gesehen und
vollkommen zurecht verhindert, daß diese damals namentlich über
die MLPD in das Zentrum der Demonstration vom 1.November geschoben wurde.
Diejenigen, die das letztere damals unterstützt haben, tragen eine
erhebliche Verantwortung. Mögen sie sich damit trösten, daß
man in der Politik arbeitet, um daraus zu lernen.
Hartmut Dicke, GNE
28.3.2004
www.neue-einheit.com
[ Anmerkung:] Der Brief von
Edith Bartelmus-Scholich vom 21.3.2004, der in NRW versandt wurde.
Er wurde quasi öffentlich verschickt, ua. an bahnhofpol@aol.com,
dem Verteiler des Sozialbündnisses Ruhrgebiet, an Attac-Adressen.
Dieser Brief sollte auch anderen in der gegenwärtigen Organisierung
zu den Demonstrationen und Aktionen nicht vorenthalten werden.
Der Brief (Mail) trägt die Titelzeile:
Blüm soll auf der Demo
in Köln reden. - Weshalb wohl ? ...Und ändert das etwas an unserer
Haltung zum Wider stand?
und hat den folgenden Text:
Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter,
nun soll Norbert Blüm am 3.4. auf der Demo in Köln sprechen.
Weshalb wohl?
... Und ändert das etwas an unserer Haltung zum Sozialabbau?
Dass Blüm sprechen soll, steht deutlich für den Versuch des
DGB den Protest
und das Bündnis in Richtung soziale Ausgestaltung der Agenda 2010
zu
entwickeln und dafür auch Bündnisse bis in die politische Mitte
mit
christlich orientierten Menschen und Gruppen zu schließen. Dies
ist nichts
Neues.
In der politischen, christlich orientierten Mitte, wo geistige Grundlage
die
u.a. die Katholische Soziallehre ist (CDA, KAB u.ä., wirkt Blüm
als
Integrationsfigur, d.h. seine Meinung hat Gewicht, wie etwa auch die Meinung
von Heiner Geißler oder Friedhelm Hengsbach (SJ).
Klar ist, dass Blüm seine eigenen Ideale in 16 Jahren als Minister
in der
Regierung Kohl ununterbrochen verraten hat, weil er stets und
selbstverständlich eine "Politik des Machbaren" betrieben
hat, die in
Wirklichkeit eine Unterordnung unter den wirtschaftsorientierten
Mehrheitsflügel der Union bedeutete. Damit hat er den Interessen
der
ArbeitnehmerInnen während seiner Amtszeit geschadet. Hinzu kommt,
dass er
ein Familien- und Frauenbild vertritt, welches ungefähr so fortschrittlich
ist, wie die Auffassungen des Heiligen Paulus.
Deutlich wurde aber auch in den letzten Monaten, dass er den
Paradigmenwechsel hin zu einem konsequenten Neoliberalismus in der Union,
der auf deren letzten Bundesparteitag festgeschrieben wurde nicht mitgeht.
Auf dem Bundesparteitag war er der Einzige, der gegen diese Neuausrichtung
aufgestanden ist und klar gesagt hat, dass dies nicht mehr die CDU ist,
in
die er 1950 eingetreten ist.Zwischenzeitlich nimmt auch die Spitze der
CDA
eine kritische Haltung zum Herzog-Papier ein.
Im Anschluss hat er selbstkritisch auch eigene Fehler auf dem Weg in den
Neoliberalismus zugegeben und in diesem Frühjahr den Standortwechsel
der
deutschen Bischöfe in der Sozialpolitik scharf angegriffen. Das Papier
findet Ihr unter:
www.sozialraeuber.de/verlinktedokus/2004/a-b-c/AussenansichtBluem110104.rtf
.
Natürlich bezieht Blüm nicht Positionen, die auf eine vollständige
Ablehnung
der Agenda hinauslaufen, trotzdem ist seine Kritik an der Agenda und am
Sozialabbau wertvoll, gerade weil Blüm nicht zum "linken Rand"
zählt. Ich
finde daher, wir sollten die Gelegenheit nutzen, mit den CDA- und
KAB-Mitgliedern in eine sachliche Auseinandersetzung um gemeinsame Ziele
im
Widerstand gegen den Sozialabbau einzutreten. Unser Verständnis sollte
dabei
sein: Wer auch immer die Katholische Soziallehre ernst nimmt, kann diese
Politik nicht mittragen und gehört an unsere Seite in den Widerstand.
Deshalb ändert der Auftritt von Norbert Blüm als Redner auf
der Demo in Köln
für mich auch nichts Grundsätzliches. Es war von Anfang an klar,
dass der
DGB Bündnispartner in die politische Mitte hinein sucht und nicht
in einer
emanzipatorischen, linken Bewegung gegen die Agenda. Es war immer deutlich,
dass der Widerstand von unten gegen die Agenda sich seine Stellung gegenüber
allen etablierten Organisationen und Institutionen erstreiten muss, denn
von
einer gleichberechtigten Zusammenarbeit kann nicht die Rede sein. Es ist
wichtig für unsere Ziele, diese Auseinandersetzung um eine gleichberechtigte
Zusammenarbeit kontinuierlich zu führen.
Diese Auseinandersetzung kann nicht durch Fernbleiben am 3. April geführt
werden. Sie kann aber durch einen unübersehbaren und unüberhörbaren
eigenen
und vielfältigen Auftritt der Bewegung von unten gewinnen. Daher
rate ich
uns: Kommt zur Demo, macht deutlich , dass der Anstoß zu dieser
Demo von der
Bewegung von unten, nämlich vom Europäischen Sozialforum ausgegangen
ist.
Bringt Transparente mit auf denen steht: "Es ist unsere Demo! Wir
sind der
Widerstand! Weg mit der Agenda 2010!" Verteilt in den Bussen Flugblätter,
die unsere Positionen deutlich machen - jeweils mit einer örtlichen
Kontaktadresse und sprecht die Menschen, die ihr auf der Demo trefft,
kurze
Zeit später für eine aktive Zusammenarbeit wieder an.
Ich bin sicher, wir können aus der Demo viel Gewinn für den
Aufbau des
Widerstands von unten ziehen, egal wer dort redet.
Mit solidarischem Gruß
Edith Bartelmus-Scholich
...(Adresse....)
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