Internet Statement 2004-25

 

    Bravo, Zypern !

27.4.04                 

am 24.4. 04 erlebte der von UN-Generalsekretär Annan persönlich verantwortete UN-Plan  (http://www.cyprus-un-plan.org/Annan_Plan_Text_.html) für die weitere Zukunft der geteilten Insel Zypern bei einer Volksabstimmung ein Fiasko. Verschiedene Politiker und Medienkommentatoren beschuldigten daraufhin die Bevölkerung Zyperns, sie habe eine große Chance vertan und große Vorteile für sich selbst verhindert. In Wirklichkeit hat diese Mehrheit schlimmsten Schaden zunächst einmal abgewendet, für sich selbst wie auch für wichtige internationale Interessen.

Was von Annan und Mitstreitern wie dem EU-Erweiterungskommissar Verheugen der Öffentlichkeit als angebliche Vorteile präsentiert wurde, ist glatter Betrug.   

1. Es handelte sich mitnichten um die Einigung der geteilten Insel oder deren Anbahnung, sondern um die völkerrechtliche Legalisierung ihrer Aufteilung in zwei Teilstaaten mit dem Wasserkopf einer sog. Bundesregierung nach Proporzsystem und ohne wesentliche Kompetenzen obendrauf. Die Behauptung vom „Modell Schweiz“, die unsere Medien ebenso diensteifrig wie unzutreffend immer wieder anführten, wäre eine Beleidigung der Schweiz; das tatsächliche Modell der Annan und Verheugen ist Libanon.

 2. Die Entwicklung zu einem souveränen Staat Zypern wäre durch die Annahme des Planes jedenfalls verhindert worden. Das Hauptkennzeichen jedes souveränen Staates, das eigene Militär, sollte Zypern nach Annan vorenthalten werden, der Plan sieht für die sog. Bundesregierung nichts dergleichen vor, während die Türkei, der Aggressor von 1974 bis heute, das offizielle Recht auf Weiterstationierung von zunächst 6.000 Mann erhalten hätte, daneben Griechenland auf eine gleichgroße Zahl. Ferner: oft vergessen und in der offiziellen Berichterstattung kaum erwähnt, aber durch den Annan-Plan legalisiert könnte ferner Großbritannien, als „Garantiemacht“ installiert, weiterhin die ausgedehnten Militärbasen auf Zypern unterhalten, die es aufgrund „ewigen Rechts“ schon seit 1960 beansprucht.

In einem informativen Artikel der Zeitung „Junge Welt“  hieß es dazu am 27.4.04: 

„Großbritannien unterhält auf der Insel zwei riesige Militärstützpunkte, Akrotiri und Dhekelia. Ihre Gesamtfläche ist mit 256 Quadratkilometern größer als Frankfurt/Main und nimmt fast drei Prozent des Territoriums Zyperns ein. Das Gelände der Stützpunkte ist nicht etwa verpachtet, sondern »ewiges« Eigentum Großbritanniens. Die Basen gelten als »überseeisches Territorium«, unterstehen direkt dem britischen Verteidigungsministerium und gehören nicht zur EU. Zyprioten dürfen dort zwar arbeiten, aber nicht wohnen.

Akrotiri ist der größte Auslandsstützpunkt der britischen Luftwaffe, wurde in beiden IrakKriegen genutzt und steht auch den USA offen. In den 60er Jahren waren bis zu 10000 britische Soldaten auf den beiden Stützpunkten stationiert. Derzeit sind es 3500 bis 4000 und ungefähr ebenso viele Angestellte. Zu den britischen Stützpunkten auf Zypern gehören auch 15 kleinere Gebiete und Objekte, insbesondere Radarstationen, die britischer Jurisdiktion unterstehen. Überwachung und Spionage im östlichen Mittelmeer und Nahen Osten sind zur Zeit die Hauptfunktionen von Akrotiri und Dhekelia.

In Nordzypern sind außerdem seit 1974 rund 35000 Soldaten des NATO-Landes Türkei stationiert. NATO-Partner Griechenland hat 3000 Mann auf der Insel. Der UNO-Plan sah vor, nach der Wiedervereinigung Zyperns die türkische Präsenz innerhalb von zwei Jahren auf 6000 zu verringern und Griechenland Truppenstationierung in gleicher Stärke zu erlauben. Im Jahr 2011 sollte die Zahl je 3000 betragen: nach einem möglichen EU-Beitritt der Türkei sollen immer noch 950 griechische und 650 türkische Soldaten auf der Insel bleiben können.“

Schließlich sollten die UN-Truppen noch aufgestockt werden. Vier ausländische Mächte mit ausgedehnten Militärkontingenten auf der Insel, aber kein einziger Soldat im Namen der „souveränen Bevölkerung“ – das ist ein Verständnis von Demokratie und Völkerrecht in den Fußtapfen des Schwarzmalers Orwell, das hier von solchen Funktionären des internationalen Kapitalismus wie Annan und Verheugen dargeboten wird. Daß dieses „Modell“ für schwächere Staaten, die der Vergewaltigung durch überlegene Militärmächte zum Opfer gefallen sind, erst einmal durchgefallen ist, dafür können die Völker den Zyprern ausdrücklich danken. Exponenten wie Verheugen sollten im übrigen schnellstmöglich aus dem Amt entfernt werden, diese Forderung ergibt sich unweigerlich aus dieser Affäre, für die sie sich weit genug aus dem Fenster gelehnt haben. 

3. Nach Annan hätte sich Zypern auf die Förderung der EU-Aufnahme der Türkei ausdrücklich verpflichten müssen. Es heißt in § 1 des Gründungsabkommens ("Foundation Agreement") des UN-Plans (http://www.cyprus-un-plan.org/Annan_Plan_Text_.html) wörtlich:

„Zypern soll besondere Bande der Freundschaft mit Griechenland und der Türkei unterhalten, unter Respektierung des Gleichgewichts, das durch den Garantievertrag und den Bündnisvertrag sowie das vorliegende Abkommen errichtet wurde, und soll als Mitglied der EU den Beitritt der Türkei zur EU unterstützen.“ (meine Übs., W. Gr.)  

Wieder bekommen wir hier eine ganz besondere „Souveränität der Republik Zypern“ Marke Annan vorgeführt. Sie manifestiert sich darin, daß sie die Festlegung auf bestimmte zweifelhafte internationale Schemata mancher „großen“  Mächte mit zur Grundlage ihres eigenen Zustandekommens macht.

Zu der Frage des EU-Beitritts der Türkei ist an dieser Stelle zunächst einmal zu bemerken, daß er in der EU selbst keineswegs schon eine Mehrheit hat. Allerdings ist er bekanntlich seit langem eine zentrale Forderung der Nicht-EU-Macht USA, die damit vor allem das Ziel verfolgt, die sich herausbildende politische Konkurrenz aus Europa von innen her zu lähmen.Bestimmte besonders volksfeindliche Strömungen in der EU selbst, bspw. diejenigen in unserem Lande, die die soziale Entrechtung der Bevölkerung fanatisch betreiben, wie auch der Islamismus in der Türkei und innerhalb Deutschlands sind in dieser Frage mit den USA im Bunde. Dies ist ein komplexes Thema, auf das wir die Aufmerksamkeit lenken möchten und auf das wir selbst zurückkommen werden. Mit dem Annan-Plan wäre in das Grundgesetz des neuen EU-Mitglieds Zypern von derartigen Kräften außerhalb und innerhalb der EU hineingeschrieben worden, daß dieses die EU-Aufnahme der Türkei fördern muß.

 4. Die „große Chance“ auf Wiederannäherung und friedliches Zusammenleben der Volksgruppen wurde ebenfalls gern angeführt. In Wirklichkeit hätte der Annan-Plan die Vertreibungen und Enteignungen, die hauptsächlich durch die türkische Invasion von 1974 und die darauffolgende Abtrennung des Nordteils als unmittelbare Militärkolonie der türkischen Chauvinisten verursacht sind, kaum angetastet und sogar faktisch legalisiert. Wie auf diese Weise Grundlagen für eine Wiederannäherung geschaffen werden sollten, wird wohl das Geheimnis der Befürworter dieses Plans bleiben. Das sog.  Rückkehrrecht der etwa 200.000 aus dem türkisch besetzten Norden vertriebenen Zyprioten war nach dem Annan-Plan auf lächerliche Ausnahmeregelungen zusammengestutzt. Faktisch hätte er die Errichtung einer türkischen Provinz auf Zypern legalisiert, die den Gestank  ethnischer Säuberung ausströmt. Eine Kostprobe dazu aus dem Paragraphenwerk:

In Artikel 3 des Foundation Agreement heißt es unter Pkt. 7:

„Außerdem darf für eine Übergangsperiode ein Teilstaat in Übereinstimmung mit Verfassungsrecht die Wohnsitznahme durch Personen, die aus den anderen Teilstaat stammen, beschränken. Zu diesem Zweck darf er bis zum Ende des fünften Jahres nach Inkrafttreten des Foundation Agreement ein Moratorium errichten, nach welchem Jahr Beschränkungen erlaubt sind, wenn die Zahl der Einwohner, die aus dem anderen Teilstaat stammen, 6% der Bevölkerung eines Dorfes oder einer Stadt zwischen dem 6. und 9. Jahr, und 12% zwischen dem 10. und 14. Jahr, und 18% der Bevölkerung des betreffenden Teilstaates [in den Jahren] danach erreicht hat, bis zum 19. Jahr oder dem EU-Beitritt der Türkei, falls dieser früher sein sollte. Nach dem zweiten Jahr dürfen keine derartigen Beschränkungen auf frühere Einwohner angewandt werden, die über 65 Jahre alt sind und von einem Ehegatten oder Nachkommen begleitet werden, ebenso nicht auf frühere Einwohner festgelegter Dörfer.“ (meine Übs., W.Gr.)

Zunächst einmal dürften demzufolge außer alten Menschen, evtl in Begleitung eines jüngeren Familienmitglieds, fünf Jahre lang überhaupt keine Vertriebenen zurückkehren. Für die spätere Zukunft würde folgendes Zahlenverhältnisse gelten:

Da die türkischen Invasoren etwa 200.000 Menschen vertrieben haben, die verbleibende Bevölkerung ihres Besatzungsgebiets derzeit aber auf etwa 200.000 plus 115.000 anatolische Siedler geschätzt wird, würden die Behörden des türkisch besetzen Teils ab dem 6. Jahr die Rückkehr auf etwa 18.000 ( 6% von 315.000) beschränken können, weniger als 10% der Vertriebenen, und nach dem Maximum, das dieser Paragraph nach 14 Jahren vorsieht, auf ca. 60.000 Menschen, etwa 30% der Vertriebenen. Überflüssig zu sagen, daß ohnehin niemand voraussagen kann, was in 15 oder 19 Jahren dort geschehen mag, und wie die türkischen Chauvinisten die Rückkehrer in der Praxis behandeln.

Selbst wenn man sich auf den Standpunkt stellen würde, daß eine staatliche Teilung mit äußerst schwacher politischer Verklammerung der beiden Teile sowie auch die faktische Verweigerung eines normalen internationalen Status für die Republik Zypern zunächst einmal hingenommen werden müßten, um wenigstens im sozialen und wirtschaftlichen Leben den Umgang der beiden Volksgruppen nach und nach normalisieren zu können und dann vielleicht später, getragen von beiden, die Abschaffung der politischen Anomalien in Angriff zu nehmen, müßte man von daher den Annan-Plan ablehnen.

Für die europäischen Länder, unmittelbar insbesondere für Deutschland, ist die Auseinandersetzung auch wegen der Verknüpfung der Zypern-Frage mit der Frage des EU-Beitritts der Türkei von großem Interesse. Das Ergebnis hat zunächst einmal verhindert, daß die türkischen Chauvinisten, sowohl die Militärkamarilla wie die Islamisten, vor ihrem eigenen Volk wie auch den anderen mit gestärkter Arroganz auftreten können. Eine Türkei, die auf europäischem Territorium eine massive militärische Aggression begeht, sich mehr als ein Drittel eines anderen Staates aneignet, über drei Jahrzehnte hinweg eine Militärkolonie einrichtet und munter massenweise Einwanderer aus Anatolien dahin verpflanzt, um nach dreißig Jahren von den obersten UN- und EU-Verantwortlichen darin mit kleinen Abstrichen bestätigt und den europäischen Völkern als der Wunsch-Beitrittskandidat präsentiert zu werden, dem gegenüber man leise treten und eben einiges hinnehmen müsse - dieses Konzept ist zunächst einmal blockiert.

Man sollte sich hier einmal die Frage vorlegen, ob die Absichten, die die türkischen Chauvinisten und Islamisten und ihre  Förderer in UN und EU mit dem EU-Beitritt verknüpfen, eigentlich von grundlegend anderer Qualität sind. Es geht hierbei zwar nicht um militärische Eroberungen – zumindest derzeit nicht -, aber um die Gewinnung politischer Positionen im Interesse der Ausbreitung ihres ganzen erzreaktionären Systems, das im internationalen Kapital massive Unterstützung hat, weil ihm zur Niederhaltung der modernen arbeitenden Massen wichtige Funktionen zugedacht sind, durchaus nicht nur in der Türkei selbst. In diesem Sinne unterstützt die Entscheidung auf Zypern auch mittelbar die Bevölkerung Deutschlands - einschließlich der Mehrheit der Migranten - , die an weiterer Verstärkung des Islamismus und des türkischen Chauvinismus im eigenen Lande kein Interesse hat.

Es ist jetzt im weiteren auf Zypern wie international große Wachsamkeit erforderlich, um zu verhindern, daß das Nein durch nachträgliche Manöver unwirksam gemacht wird, auf die bereits von verschiedenen Seiten gedrängt wird. Die Überwindung der Teilung, die Besserung und Normalisierung der Beziehungen zwischen den demokratisch eingestellten Teilen der verschiedenen Volksgruppen ist durch die Ablehnung des Annan-Plans nicht etwa erschwert worden, sondern ihre Sabotage durch den Annan-Plan wurde verhindert. Die Chancen, die sich dadurch eröffnen, wird die zypriotische Bevölkerung, so hoffen wir, nutzen, und dabei verdient sie internationale Unterstützung.

 W. Grobe

 

 

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