Internet Statement 2004-26
Gruppe
Neue Einheit
Zur
Grundlage des Berliner Sozialbündnisses (Vorschlag) 25.April 2004
Das Berliner Bündnis gegen Sozial- und Bildungsraub, kurz Berliner Sozialbündnis, hat seine Arbeit mit der Organisierung und Unterstützung von Protesten gegen radikalen Sozialabbau auf allen Gebieten begonnen und dabei durch Aktionen und Demonstrationen einige öffentlichkeitswirksame Erfolge für den Anfang errungen. Für die weiteren Aktionen braucht es einen tragfähigeren Rahmen, eine Perspektive der Arbeit, die im Konsens von möglichst vielen getragen werden kann. Sowohl die Rücksichtnahme auf alle Richtungen als auch das Bemühen, die objektiven Grundlagen in ausreichendem Umfange einzubeziehen und dies immer zu verbessern, müssen bestimmend ein. Einige sind der Ansicht, wir brauchen keine Analysen. Aber alles was wir bisher gemacht haben, beruht schon auf gewissen Analysen.
I. Das Bündnis kann auf die Dauer nicht die gewaltigen ökonomischen Veränderungen umgehen, die sowohl das soziale Leben in Berlin wie das des ganzen Landes bestimmen. In den letzten Jahrzehnten haben Änderungen in der Struktur der Ökonomie wie selten zuvor in der menschlichen Geschichte stattgefunden. Sowohl durch die Automatisierung und Rationalisierung, wie durch die Entstehung neuer industrialisierter Regionen auf der Welt und eine bisher unbekannte, von Seiten des Staates und der Unternehmungen forcierte Verlagerung der Produktion hat sich in Europa eine radikal veränderte Lage ergeben. Der Angriff, der von der Bundesregierung wie von allen im Parlament vertretenen Parteien gegen die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung gefahren wird, steht vor diesem Hintergrund. Ganz sicher gibt es unterschiedliche Meinungen über diese ökonomischen und sozialen Vorgänge, die uns umgeben, aber daß sie einen fundamentalen Einfluß auf uns ausüben und die Dinge bestimmen, das können wir nicht umgehen. Das Berliner Sozialbündnis hat sich auf der Grundlage der Abwehr der sozialen Verschlechterungen gebildet. Es ist zum Teil die Fortsetzung der Aktivitäten um die Demonstration vom 1.11.2003, zum anderen die Fortsetzung des Kampfes gegen den Berliner Doppelhaushalt. Es wurde eine Verbindung mit dem DGB eingegangen, die Demonstration am 3.April mitgestaltet, und man hat den berechtigten Kampf der größten studentischen Bewegung in dieser Stadt in den letzten Jahren unterstützt. Gerade auch der studentische Kampf, der vor einigen Monaten in der Stadt auflebte und der bis jetzt unter den Studenten untergründig weitergärt, braucht für seine Fortführung die ökonomischen und politischen Hintergründe. Gerade die Berufe aller Geisteswissenschaftler, ebenso wie Ingenieure und Planungsberufe sind von den neuen Entwicklungen betroffen. Sie treffen mit ihrem Kampf gegen „Bildung als Ware“, gegen Studienkonten, die neuen Wahnwitzigkeiten der Herrschenden an einem neuralgischen Punkt und bedürfen einer möglichst breiten Unterstützung.
II. Der Kampf gegen Neoliberalismus Für die meisten Teilnehmer
dieses Bündnisses ist der Kampf gegen den Neoliberalismus ein zentrales
Kettenglied. Wir müssen aber die Westberliner wie die Ostberliner Ökonomie
beide kritisch sehen; wir können hier nicht nur gegen den Neoliberalismus
ankämpfen, denn was stellt dieser eigentlich dar? Allerdings ist es nicht die
Aufgabe derjenigen, die das nicht zu verantworten haben, die gesamten
Folgen zu tragen, während diejenigen, die seinerzeit die großen Profiteure
dieser Berliner Zustände waren, nicht nur ohne Belastung davonkommen,
sondern sich auch noch erneut bereichern. Das Sozialbündnis hat sich zum Ziel gesetzt, ungerechtfertigte Privatisierungen zu bekämpfen, die unverantwortlich wichtige Organe des Gemeinwesens wie z.B. Krankenhäuser abenteuerlichen Spekulanten und Geschäftemachern in den Hals werfen, die noch nicht einmal die Verantwortung für das, was sie dort ökonomisch unternehmen, übernehmen. Das gleiche gilt für die Berliner Verkehrsbetriebe, die Outsourcing betreiben und immer mehr Teile ihrer Belegschaft unter schlechte Bedingungen stellen wollen. In den letzten Jahren hat die BVG bereits unermeßlich viele Arbeitsplätze wegrationalisiert, im Grunde nicht selten den Service verschlechtert und trotzdem den Fahrpreis drastisch erhöht. Mit zwei Euro für eine einzelne Fahrt haben für viele Menschen in dieser Stadt die Fahrpreise eine astronomische Höhe erreicht. So etwas kann überhaupt nicht funktionieren, denn von einer gewollten Konkurrenz zu Individual-Verkehrsmitteln kann überhaupt keine Rede sein. Leute, die trotz Rationalisierung es nicht vermögen, im Laufe der Zeit der Bevölkerung vernünftige Preise darzubieten, muß man als unfähig klassifizieren. Niemand darf glauben, daß diese Preise der BVG nur für den notwendigen Unterhalt der BVG dienen. Deshalb muß z.B. die Forderung nach Transparenz der Finanzen der BVG erhoben werden. Diese BVG unterhält eine Armada von Kontrolleuren, die auch bezahlt werden müssen. Zweifelhafte Elemente werden hier auf die Bevölkerung gehetzt. Die BVG soll z.B. offenlegen, was das ganze Kontrolleurunwesen kostet. Dies hat wahrscheinlich nicht nur Gründe, die überhöhten Gebühren einzutreiben, sondern hat wahrscheinlich auch innerhalb der BVG und vielleicht für Teile des städtischen Lebens eine gewisse soziale Bedeutung. Wenn wir gegen Privatisierung kämpfen, dann dürfen wir nicht vergessen, daß das nur eine Seite des Verhältnisses von Privatisierungen und Verstaatlichung betrifft. Erinnern wir uns doch an die Telekom. Sie wollte uns seinerzeit erzählen, daß eine Telefongesprächseinheit im Ortstarif 23 Pfennig kosten müsse. Wir wissen heute, wie wahnwitzig bürokratisiert und unfähig diese staatliche Telekom war. Zurecht wurde darauf verwiesen, daß Änderungen herbeigeführt werden mußten, und innerhalb dieser kapitalistischen Gesellschaft wurde dies mit einer Privatisierung erreicht. Durch die relativ hohe Konkurrenz wurden auch relativ niedrigere Preise erzwungen. Dies zeigt, daß es durchaus Fälle bürokratisierter öffentlicher Unternehmen gibt, für die wir nicht den Fürsprecher bilden dürfen. Der Kapitalismus, der uns umgibt, ist sowohl im privaten als auch im staatlichen Sektor vielfach von völlig korrupten Strukturen durchzogen, in denen aberwitzig viele Milliarden versickern. Durch die opportunistische Entwicklung an der Seite von Großmächten konnte diese Bundesrepublik über Jahrzehnte so viele Gelder einheimsen, daß sie alle sozialen Probleme, die daraus längst resultiert sind, überdecken konnte. Damit ist jetzt Ende. Und nicht nur in der Bundesrepublik hat das ein Ende, sondern parallel trifft das in ähnlichem Ausmaße auch auf verwandte kapitalistische Staaten zu.
Aussichten des Vorgehens
gegen die ärmere Bevölkerung Wir müssen uns darüber im Klaren sein, daß die städtischen Behörden in Berlin offensichtlich dabei sind, diejenigen Menschen, die sie - manchmal schon in jungen Jahren - aus der Produktion herausgedrückt haben, die sie auf das Abstellgleis geschoben haben, letztlich nicht mehr lange unterhalten wollen und damit diese Menschen entweder zu völlig brutalen und sie verschleißenden Jobs verurteilen werden oder ihnen auf eine andere Weise die Existenzgrundlage entziehen werden. Wir haben deshalb allen Grund, den sich ausbreitenden Widerstand bei den betroffenen Menschen, Sozialhilfeempfänger, Arbeitslosenhilfeempfänger, Rentner mit geringem Einkommen u.a. zu verstärken und ihnen zu sagen, daß es das wichtigste ist, den sozialen Betrug, der hier bisher geherrscht hat, hinter sich zu lassen und sich untereinander und mit denen, die noch eine Arbeit haben, im Kampf zusammenzuschließen. Gleichzeitig damit, daß solche Angriffe z.B. in einem städtischen Gemeinwesen wie Berlin kommen, greifen Großkonzerne in einem bisher noch nicht gekannten Maße ihre eigenen bisherigen festen Beschäftigten, die man mit Sozialpartnerschaftsphrasen vollgetönt hat, an, z.B. bei Siemens. Man muß sich darüber im Klaren sein: desto mehr Menschen noch weiter aus der Produktion herausgeschoben werden, desto gefährlicher wird die Lage für alle. Und der Kampf in Berlin nimmt dafür eine besondere und große Rolle ein. Das Sozialbündnis kämpft deshalb nicht nur gegen falsche Privatisierungen, unterstützt den Kampf, fordert nicht nur die Transparenz der Finanzen von staatlichen wie auch von städtischen Unternehmungen, unterstützt nicht nur den Kampf gegen die Machenschaften um den Skandal bei der Berliner Bankgesellschaft, sondern es klärt auch auf über den Betrug der Sozialpartnerschaftsideologie, die an den heutigen Punkt geführt hat. Berlin braucht von ganz unten eine ganz andere Sprache als bisher. Diese Berliner Bevölkerung wehrt sich gegen die Vernichtung ihrer Existenz. Man muß aber auch überlegen, da wir wohl kaum von heute auf morgen eine Revolution bekommen, mit welchen Strömungen innerhalb der Stadt man sich verbinden kann. Diejenigen, die z.B. eine Modernisierung der Industrie und eine gewisse Reindustrialisierung fördern, können in gewissem Umfange Bundesgenossen sein. Die bisherigen Parteien kommen aber dafür kaum in Frage, weil sie alle mit der bürokratischen und Subventions-Mißwirtschaft auf das Engste verknüpft sind. Dies gilt ausnahmslos für alle Parteien, nicht nur für SPD und CDU, sondern auch für die FDP, die sich gerne als Partei der Erneuerung aufspielt, oder gar für die Grünen, die überhaupt eine Partei des Sumpfes und des sozialen Betruges waren. Auch die PDS hat sich in der Praxis in Berlin als völliger Bundesgenosse dieser korrupten Strukturen erwiesen. Deshalb kommt in etwa dem Berliner Sozialbündnis eine große Rolle zu. Das Berliner Sozialbündnis unterstützt alle Bemühungen an den Betrieben, den Kampf zur Abwehr der Verschlechterungen in Gang zu setzen, bei Demonstrationen und Kundgebungen und auch durch Hilfeleistungen, wenn bestimmte Belegschaften in Betrieben im Falle von Streiks bedrängt werden sollten. Der Kampf in den Betrieben selbst kann nicht die Aufgabe eines allgemeinen Sozialbündnisses sein, sondern muß aus den Betrieben selbst heraus organisiert werden. Aber unterstützt werden kann und muß der Kampf.
Zur Frage gemeinsamer Grundlagen
und Analysen des Sozialbündnisses Viele im Sozialbündnis meinen, man könne keine gemeinsamen Analysen vertreten. Erstens ist das nicht wahr. Es gibt permanent “Analysen” in diesem Sozialbündnis. Auch der Kampf gegen Neoliberalismus beruht auf einer bestimmten Analyse. Man kann nicht bestimmte Analysen nehmen und zur Grundlage erklären und gleichzeitig sagen, man wolle keine Analysen haben. Wir müssen Diskussionen über Analysen führen, alle zwei Monate sollte eine Strategiedebatte stattfinden. Vor allen Dingen muß das Forum auch offen für politische Argumentationen zur Erklärung der Ursachen sein. Es ist für uns als Gruppe selbstverständlich, daß wir auch aufmerksam den Ausführungen von Organisationen und Einzelpersonen mit anderen Anschauungen zuhören und dies sachlich diskutieren. Dies sollte der allgemeine Stil im Bündnis sein. Selbstverständlich kann auch Sinn oder Nichtsinn einer Parteigründung im Sozialbündnis diskutiert werden oder können sogar Vorschläge für dasselbe entwickelt werden. Eine Rücksicht auf die bestehenden, an die Korruption geketteten Parteien darf es für das Sozialbündnis nicht geben. Jeder kann einer Partei angehören, sofern er das für nötig hält, er kann aber nicht erwarten, daß das Sozialbündnis deswegen seinen Mund vor bestimmten Fragen verschließt.
Verf.:Hartmut Dicke
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