Internet Statement 2004-33

 

Die zerstörerische Besatzungspolitik der USA im Irak und eine faule Entscheidung im UN-Sicherheitsrat

In der letzten Zeit war die Berichterstattung über den Irak vor allem von Versprechungen des Rückzugs der Besatzungstruppen, der Wiederherstellung der irakischen Souveränität und der Errichtung einer Regierung erfüllt, die das Land schrittweise zur Demokratie hinführen solle, vor dem Hintergrund wachsender Empörung über die Ergebnisse und die viehischen Methoden des US­-Regimes. Anfang 2006 werde dieser Prozeß zu einer demokratisch legitimierten Regierung geführt haben, hieß es. Sieht man jedoch die Realität der USA-Politik gegenüber dem Irak von Anfang an bis heute, dann kommt man zu Schlüssen, die große Zweifel daran nähren, ob überhaupt derartige Ziele bestehen, außer in einer gewissen Propaganda. Die USA haben in Wirklichkeit von Anfang an die Zerstörung der Selbständigkeit und Einheit des Irak, seiner ökonomischen Grundlagen und aller Bestrebungen, zu demokratischeren Verhältnissen zu kommen, angestrebt, und es gibt kaum Anzeichen, daß sich das ändern würde.

Am 8. Juni 04 hat der UN-Sicherheitsrat mit allen 15 Stimmen eine Resolution (Nr. 1546) befürwortet, die sich mit den angeblichen Plänen zur Demokratisierung und Wiederherstellung der Selbständigkeit befaßt. Das Bemerkenswerteste daran war, daß die früheren Opponenten der Kriegspolitik der USA und ihrer Verbündeten, Frankreich, Deutschland, China und Rußland, für diese Resolution ein ausdrückliches Ja abgegeben haben.
Welche Bedeutung hat diese Entscheidung? Bedeutet sie, daß nun durch verstärktes Engagement dieser Mächte die Besatzung doch noch etwas zivilisiert wird und es bessere Möglichkeiten gibt, Demokratie und Souveränität zu erkämpfen, oder sind sie Beleg eines Arrangements dieser Mächte mit der Besatzungspolitik auf Kosten des irakischen Volkes? Versuchen sie nunmehr selbst an dem, was die USA dort treiben, teilzuhaben und von diesen Konzessionen einzutreiben?

Die UN-Resolution mit ihren von den USA vorgeschlagenen Plänen für die kommenden eineinhalb Jahre, an deren Ende eine aus allgemeinen Wahlen hervorgehende irakische Regierung und der Abzug der Besatzungsmächte stehen sollen, liest sich in der Tat wie eine Parodie auf die angeblichen Ziele:

-  Erster Akt ist die Einsetzung einer sog. Interimsregierung durch die USA und UN, die dann ihrerseits die Besatzungsmacht und ihre Verbündeten zum weiteren Verbleib im Lande einlädt. Diese nennen sich ab jetzt „Multinational Forces“ und sind angeblich nur noch dazu, der Regierung zu mehr Sicherheit und Ordnung zu verhelfen. Dieser Teil der Legitimationsfarce ist bereits über die Bühne gegangen. Daß die Unsicherheit das Produkt der Besatzung selbst ist, wird vom Sicherheitsrat gnädigerweise nicht erwähnt.

Die Meinungsverschiedenheiten über die Interimsregierung zwischen UN-Vertretern wie Brahimi und den USA deuten eher auf den wachsenden Einfluß der bisherigen Oppositionsmächte hin, die jetzt die Resolution ermöglicht haben und dafür mitsprechen wollen, als auf eine Chance für das irakische Volk auf anerkannte Mitwirkung an den politischen Vorgängen.

- Vorsorglich wird im Zusammenhang mit der Resolution darauf hingewiesen, daß die US-Truppen etc., die plangemäß spätestens zum Ende 2005 das Land verlassen sollen, natürlich auch zu weiterem Bleiben eingeladen werden können, wenn die kommende Regierung dies „wünsche“. Da während des gesamten  Prozesses zur Bildung dieser Regierung das Land faktisch weiterhin unter der Kontrolle der Besatzer stehen wird, wird es an Motiven, solche Wünsche zu gegebener Zeit zu äußern, gewiß nicht fehlen.

Nicht weniger als 6 ausländische Organe sollen in den nächsten Monaten und Jahren entscheidenden Einfluß auf den „nicht mehr besetzten“ (!) Irak ausüben dürfen:

- Die USA werden offiziell mit einer riesigen „Botschaft“ präsent sein, es ist die Rede von mehreren Tausend Beschäftigten unter Negroponte, dem bisherigen UN-Botschafter der USA, der in vielen Berichten als „Prokonsul“ bezeichnet wird. Diese Botschaft ist nach Meinung mehrer Kommentatoren so angelegt, daß sie sowohl die faktische oberste Regierungsgewalt im Irak wie auch Aufgaben der Kontrolle der Region überhaupt übernehmen soll.

- Dahinter steht das USA-Oberkommando der „Multinational Forces“ (MNF), das um die 160.000 Mann befehligt, das „ehrenwerte“ britische Expeditionskorps natürlich nicht zu vergessen. Eine gewisse Dissonanz zu den Beteuerungen des Abzugswillens bilden Berichte, daß eine Reihe von festen Militärstützpunkten für diese Truppen im Irak derzeit aufgebaut wird. Daß dies eines der wichtigsten Kriegsziele war und ist, dürfte angesichts der gesamten Stützpunkpolitik der USA in Zentralasien und am Golf außer Frage stehen.

Die MNF bilden übrigens auch die sog. irakischen Sicherheitskräfte aus, die zahlen- und waffenmäßig nicht gerade eindrucksvollen Truppen, die das Rückgrat einer angeblich souveränen Regierungspolitik bilden sollen. Für alle Fälle wird also dafür gesorgt, daß ihre Offiziere durch eine bestimmte Schule gegangen sind.

Hinzu kommen ganze Armeen von teilweise schwerbewaffneten Söldnern, die von der Militärregierung, aber auch  von den US- und UK-Firmen nach Irak geholt wurden und in der UN-Resolution mit keinem Wort erwähnt werden, das heißt wohl unabhängig vom Status der Besatzungstruppen weiter vom Irak geduldet werden sollen. Allein die Firma Halliburton, die mit der US-Regierung und der Kriegspolitik besonders eng verbunden sein soll, hat angeblich 20.000 Söldner im Irak engagiert.

Neben den US-Organen finden sich offiziell mindestens 4 Organe der UN bzw. von ihr organisierte Gremien:

- Der UN-Sondergesandte des Generalsekretärs, bisher war dies L. Brahimi, der am Zustandekommen der Resolution und der Interimsregierung offenbar erheblichen Anteil hatte;
- UNAMI (UN Assistance Mission for Iraq)
- eine sog. Unabhängige Wahlkommission, die von der UN einberufen wurde
- eine internationale Konferenz, die in der UN-Resolution empfohlen wird und die irakische Regierung bei der Regierungsbildung, Wahlen etc unterstützen soll.


Diese Resolution stellt schon dem Wortlaut nach so etwas wie eine besondere Perle unter zahlreichen geschichtlichen Vorgängern dar, wo die USA mit oder ohne Verbündete ein schwaches Land besetzt, ihm eine Regierung und „Demokratie“ verpaßt und sich die gewünschten Militär- und sonstigen Stützpunkte dann „demokratisch“ haben einräumen lassen. Vergleichbar sind auch die zahlreichen UN-Missionen, die entweder direkt die Legitimation und Beteiligung an aggressiven Operationen der USA (Beispiele Koreakrieg, 1. Golfkrieg) beinhalten, oder die Aufrechterhaltung der Ergebnisse, die andere mit den USA und dem Westen befreundete Staaten durch ihre Aggressionen geschaffen haben. (Bspw. Palästina mit den mehrfachen Austreibungen von Hunderttausenden Bewohnern nach verschiedenen israelischen Eroberungen, Zypern usf.)

Obwohl in der UN-Entscheidung auch zum Ausdruck kommt, daß die USA im Irak mit ihrem Latein am Ende sind und die Hilfe anderer zur Aufrechterhaltung der Besatzung benötigen, was diese in die Lage versetzen dürfte, von den USA Konzessionen zu erreichen, deutet bisher nichts darauf hin, daß dies zur Milderung der bisherigen US-Politik gegenüber dem Irak beitrüge. Es ist hier notwendig, über diese ein paar klare Worte zu sagen.

Die USA verfolgen die Spaltung des Irak, die Stärkung separatistischer und theokratischer Reaktionäre, ihre gegenseitige Aufhetzung, die Zerstörung der Ökonomie und die völlige Abhängigkeit des irakischen Volkes. Und nicht alles, was als Widerstand gegen die Besatzung sich darstellt bzw. hier so dargestellt wird, ist tatsächlicher Widerstand gegen diese Politik im  Sinne des irakischen Volkes, sondern in manchem wird die politische Hand der Besatzungsmacht selbst spürbar.


Das Beispiel des Moqtada al-Sadr

In den vergangenen Monaten gab es sehr viel Aufhebens um einen sog. Aufstand eines schiitischen fundamentalistischen Mullahs namens Moqtada al-Sadr mit einer sog. Mahdi-Armee gegen die Besatzungsmacht. Welche Politik vertritt Al-Sadr? Die Welt weiß inzwischen eigentlich genügend über die mittelalterlichen Vorstellungen und die faschistischen Praktiken solcher islamisch-fundamentalistischer Theokratiesüchtiger. Sie hat das Beispiel des Iran vor Augen, das Beispiel der Taliban sowie auch der übrigen Mudschaheddinführer Afghanistans, die derzeit mit den USA und den anderen Besatzungsmächten in Afghanistan verbündet sind. So gibt es auch jetzt aus dem Irak Berichte, die sehr deutlich sagen, daß Organisationen wie die von Moqtada al-Sadr denselben fundamentalistischen Terror gegen alles in der Bevölkerung, was nicht ihren ultrareaktionären Vorstellungen entspricht, ausüben:

„Muqtada al-Sadr’s Gruppe ist eine islamische terroristische Bande, die von Anfang an Fatwas (religiöse Dekrete) zur Tötung von Kommunisten und progressiven Menschen herausgegeben hat. Sie haben auf brutale Weise Frauen und Anhänger anderer Glaubensrichtungen umgebracht. Sie haben Kinos und andere öffentliche Lokale in die Luft gesprengt. Sie haben den organisierten Kampf von Arbeitern und Arbeitslosen angegriffen. Sie haben öffentlich Menschen beraubt und Lösegelder auf sie gesetzt. Mit Unterstützung des islamischen Republik Iran und durch bewaffnete Milizen haben sie ihre reaktionäre Kultur den Menschen aufgepreßt.“
(Aus einem Interview mit Rebwar Ahmad, dem Vorsitzenden der Arbeiterkommunistischen Partei des Irak, http://www.wpiraq.org/english/2004/rebwar010504.htm, veröffentlicht am 1.6.04., Übs. von uns)

Die Essenz von solchen Richtungen ist die Unterdrückung des Fortschritts im eigenen Volk, während Aktionen gegen die Besatzungsmacht, wenn es überhaupt dazu kommt, eher eine Hilfsfunktion haben. Über al-Sadr wird berichtet, daß er mit der Errichtung von angemaßten Machtbereichen, wie z.B. in einem Bezirk Bagdads, von eigenen Scharia-Gefängnissen und -Gerichten dem Vordringen der Besatzungstruppen auf dem Fuß gefolgt ist. Lange Zeit war von bewaffnetem Widerstand gegen die Besatzer bei al-Sadr nicht die Rede, ebensowenig wie seitens der Besatzungsmacht von einem Vorgehen gegen diesen islamistischen Terror gegen das Volk die Rede ist. Man fragt sich, ob die zeitweiligen Kämpfe mit der sog. Mahdi-Miliz, die eh keinerlei Chance auf militärisch-politische Erfolge hat, nicht auch als ein Propagandamanöver für derartige Kräfte geführt wurden.


D
ie Mehrheit des irakischen Volkes ist nicht für Theokratie

Liest man detailliertere Berichte aus dem Irak, als die meisten Tageszeitungen und das Fernsehen sie bringen, so wird etwas ganz Wichtiges deutlich: die Mehrheit des irakischen Volkes ist nicht für die Theokratie. Wenn die Dinge so erscheinen, als seien die 60% der irakischen Bevölkerung, die der schiitischen Richtung des Islam zuzurechnen sein sollen, durchweg Befürworter der schiitischen Theokratie und deren Errichtung folglich das unabweisbare Ergebnis demokratischer Wahlen, so ist dies sehr irreführend, wenn nicht sogar bewußte Fälschung. In detaillierteren Berichten wird bspw. von Gegensätzen unter den politischen Vertretern der Schiiten in der Frage: theokratischer Staat oder nicht? gesprochen. Interesssant ist auch ein Bericht des  „Guardian“ über regionale Wahlen im Südirak, wo die schiitische Richtung die dominierende sein soll, bei denen es aber einen deutlichen Mißerfolg der theokratischen Kräfte gab. (http://www.guardian.co.uk/international/story/0,3604,1185644,00.html)

Ein anderes Beispiel für äußerst negative Aktivitäten sind die sog. Al-Qaida-Kämpfer und die Selbstmordattentäter, von denen es jetzt im Irak nach Aussage der Besatzer viele gibt - als seien auch sie der Besatzungsmacht auf dem Fuß ins Land gefolgt [1] . Es werden zahlreiche verlustreiche Attentate berichtet, deren Opfer größtenteils in der irakischen Bevölkerung zu finden sind. Man wird hier sehr an die Praktiken der palästinensischen Hamas erinnert, die das gegnerische Militär allenfalls am Rande treffen, aber in der Zivilbevölkerung Verzweiflung schüren, an die die Reaktionäre anzuknüpfen suchen. Auch werden Ausländer entführt, die Staaten angehören, die gegen den Krieg waren; der frühere UN-Repräsentant de Mello wurde von unbekannten Tätern in dem Moment in die Luft gesprengt, als er deutlich die Besatzung kritisierte und sich damals taktische Möglichkeiten über die UN eröffneten, der alleinigen Kontrolle durch die USA und GB sich zu entwinden.

Sicher gibt es Widerstandsaktionen, Gruppen und Organisationen, die einen anderen politischen Charakter tragen und Elemente eines tragfähigen Widerstandes gegen die Besatzer bilden. Aber hier ist es notwendig, einen klaren Trennungsstrich gegenüber dem Treiben von islamischen Fundamentalisten zu ziehen, denn das Regime, das sie im Irak zum allgemeinen Gesetz machen würden, bekämen sie das Oberwasser, würde hinter der Besatzungsmacht an Rückständigkeit und Grausamkeit nicht zurückstehen.


Die USA fördern die islamisch-fundamentalistischen Kräfte gegen die Demokratie

Zu Recht wurde, spätestens seit dem 11. September 2001, mehrfach von verschiedenen politischen Kräften ausgeführt, daß der islamische fundamentalistische Terror und der USA-Terror sich gegenseitig bedingen. Diese grundsätzliche Verknüpfung des US-Imperialismus mit islamisch-fundamentalistischen terroristischen Organisationen zieht sich durch viele politische Entwicklungen der vergangenen 25 Jahre. Es gibt sowohl direkte Verbindungen als auch viele politische Fälle von Hand-in-Hand-Arbeiten, wo die Abscheulichkeiten der einen Seite die der anderen geradezu herausfordern und scheinbar legitimieren. Ein Detail aus der jüngsten Zeit: die gerade auch mit sexuellen Erniedrigungen und Perversionen operierenden Folterpraktiken der USA geben islamisch-fundamentalistischen Kräften eine willkommene Handhabe, an die menschliche Würde zu appellieren, die angeblich nur der Islam gegenüber dem dekadenten Westen retten könne. Die Erfahrungen des Iran zeigen, daß solche Versprechen Heuchelei sind, denn unter der Theokratie dort spielen die menschliche Erniedrigung namentlich der Frauen, Prostitution, Korruption und Drogenhandel etc. eine große Rolle, ganz ähnlich wie da, wo die mit dem Westen offen kooperierenden Regimes oder die USA selbst das Sagen haben.


P
owell „erlaubt“ die islamische Theokratie

Kehren wir noch einmal zur Frage der wirklichen Absichten der USA im Irak zurück. Es ist sicher kein Zufall, daß der US-Außenminister Powell vor kurzem den Nicht-Widerstand der USA gegen eine Errichtung von Theokratie im Irak signalisiert hat, gerade während des Höhepunkts  (16.5.04) der  Kämpfe mit al-Sadr, der genau diese Theokratie anstrebt und in vielen Berichten als Verkörperung des irakischen Widerstandes dargestellt wurde. Für die USA kommt es in Wirklichkeit jetzt darauf an, daß die modernen und demokratischen Kräfte des Irak gegenüber den Islamisten in den Hintergrund gedrängt werden. Nicht umsonst haben sie in ihrer Berichterstattung keinen Namen und kein Profil, weil es dort nur Islamisten geben darf. Ziel ist, daß der Irak sich nicht aufrichten kann und bis auf weiteres als Kraft ausfällt, die den USA politisch wirkliche Schwierigkeiten machen kann.

Es geht um eine Erniedrigung des irakischen Volkes, die noch tiefer wäre als durch die Kriege und Besatzungen der letzten 13 Jahre. In den sog. Regierungen, die sich das Besatzungsregime selbst zusammenstellt, spielen Vertreter theokratischer Sekten und Parteien, die sich gegenseitig bekämpfen (Sunniten, Schiiten und deren Untergruppen), und ethnisch-separatistische Richtungen wie bspw.  bestimmte Kurdenparteien eine große Rolle. Dies weist auf ein Programm der Libanonisierung oder sogar der Somalisierung des Irak. Was Powell andeutet, entspricht den destruktivsten Absichten der USA: man bleibt im Lande, um diese spalterischen reaktionären Strömungen soweit hoch zu kochen, daß bei den sog. freien Wahlen die Verfechter der Theokratie und der Spaltung auftrumpfen können.

Im Verwaltungsgesetz der bisherigen Militärregierung („Coalition Provisional Authority: Law of Administration for the State of Iraq“) heißt es (Kap. I Art. 7), die offizielle Religion des Irak sei der Islam, er sei „eine der Quellen der Rechtsordnung“; „kein Gesetz, das den allgemein anerkannten Grundzügen des Islam, den Prinzipien der Demokratie oder den Rechten, die in Kapitel 2 dieses Gesetzes zitiert werden, widerspricht, darf während der Übergangsperiode in Kraft gesetzt werden.“ Solche Sätze sind eine Provokation gegen die Demokratie, denn es gehört bspw. zu den allgemein anerkannten Grundzügen des Islam, daß die Frau unterdrückt wird, die Demokratie also auf einem ganz elementaren Niveau von vornherein nicht gilt. Allgemein anerkannter Grundzug des Islam ist ferner die Unterordnung der Politik und aller politischen Organe unter den Spruch der Klerikerkasten, d.h. die letztliche Verweigerung der rationalen gesellschaftlichen und politischen Diskussion und Willensbildung. Diese Sätze geben den theokratischen Kräften in einer Verfassung, die angeblich zur Demokratie hinführen soll, massiven Rückhalt gegenüber dem Volk und sind ein aussagekräftiges Dokument der US-Politik.


Wahlen, zu denen die Theokraten seitens der Besatzungsmacht besondere Förderung erfahren, sind ein Hohn auf die Demokratie 

Unter dem Druck des US-Terrors, ergänzt durch den islamisch-fundamentalistischen Terror, käme es zu Wahlen, die die Theokratie legitimieren sollen. In Wirklichkeit würden sie nicht den Willen des irakischen Volkes widerspiegeln. Ein „Übergang der Souveränität“ unter diesen Umständen und an diese Kräfte würde den Irak sehr wahrscheinlich in einen Zerfalls- und Bandenkrieg verwickeln, und dieser könnte dann wiederum als Argument dienen, die Besatzung zu verlängern, so wie es in dem früheren US-Entwurf für eine UN-Resolution auch hieß: die Übergabe an die durch Wahlen legitimierte Regierung erfolgt unter der Bedingung, daß innerer Frieden hergestellt ist. Das gesamte Besatzungsregime einschließlich seiner selbstgeschaffenen Nachfolge-Gremien ist aber eine einzige Vorbereitung der inneren Zerfleischung.
Der Einwand, daß die theokratische Diktatur im Nachbarland Iran ja bisher immerhin die staatliche Einheit bewahrt habe, sodaß dergleichen auch für den Irak möglich sei, berücksichtigt nicht, daß im Irak ganz andere Ausgangsbedingungen herrschen, bspw. die Existenz einer relativ starken konkurrierenden und ebenfalls fundamentalistischen Richtung sunnitischer Prägung.

Mit der skizzierten Politik hätten die USA viele Möglichkeiten, bürgerkriegsähnliche Verhältnisse zu bekommen, ohne selbst noch direkt an militärischen Unterdrückungsaktionen beteiligt zu sein. Es würde dann wahrscheinlich keinen einheitlichen irakischen Staat mehr geben, sondern vielleicht drei Teile, einen „kurdischen“, einen „sunnitischen“ in der Mitte und einen „schiitischen“ im Süden, alle nicht lebensfähig, untereinander zerstritten und in sich nochmals gespalten (Bagdad kann aufgrund seiner gemischten Bevölkerung keinem Teil zugeordnet werden) und für weitere US-Stationierungen und Interventionen der geeignete Nährboden.

Der Irak wäre dann nach dem Iran der zweite Staat, in dem die USA die Errichtung eines Willkürregimes theokratisch-faschistischer Kräfte entscheidend mit begünstigen. Das wäre ein noch größeres Verbrechen als Kriege und Besatzungsregime und würde nicht nur das irakische Volk, sondern viele internationale Entwicklungen schwer belasten.

Der türkische Außenminister Gül hat sich übrigens ebenfalls im Sinne von Powell für die Errichtung der Theokratie im Irak ausgesprochen. Dies wirft ein Licht auch auf die EU-Eintrittspläne des türkischen Islamismus, für den Gül spricht, auf die Pläne der USA als seines Mentors sowie aller derer in Deutschland und der EU wie Schröder, Verheugen und Konsorten, die den Beitritt als Fortschritt verkaufen wollen.

Der Irak kann überhaupt nur in säkularer Verfassung als Staat weiterexistieren. Die Legitimierung theokratischer Bestrebungen muß die Zerspaltung begünstigen.

Der Irak hat aus verschiedenen Quellen ein großes modernes Entwicklungspotential, das auch durch zwei Kriege der USA nicht völlig zerstört werden konnte. Er hat große ökonomische Möglichkeiten, eine weltweit fast einzigartige kulturelle Tradition aus mehreren Jahrtausenden, und gerade auch von der Geschichte des 20. Jahrhunderts und den eigenen Kämpfen her viele moderne politische Erfahrungen. Die Entfaltung dieses Potentials können die USA und ihre Komplizen wie Israel und die reaktionären arabischen Regime und auch die Mullah-Theokratie im Iran, aber auch die Reaktionäre im Irak selbst nicht dulden, und was sie davon nicht unter Kontrolle bekommen, werden sie zu zerstören suchen.

Die USA haben den Krieg nicht geführt, um demokratische Verhältnisse im Irak zu schaffen. Sie haben ihn geführt, um das irakische Volk unter Kontrolle zu bekommen, ihm endlich das Rückgrat zu brechen und dort Stützpunkte aufzubauen. Sie haben ihn geführt, um den wachsenden regionalen Einfluß konkurrierender Mächte, bspw. europäischer Mächte, Rußlands und Chinas, auf den irakischen Staat bzw. die irakische Ölwirtschaft auszuschalten und damit die Gewichte in der Weltpolitik zu ihren Gunsten zu verändern. Sie haben ihn geführt, um dem irakischen Volk die Entwicklungsmöglichkeiten zu verbauen und es in eine Bevölkerung von Almosenempfängern zu verwandeln, die in ihrer Vorstellung vor den USA auf den Knien liegt, um ein paar Dollar aus der von den USA konfiszierten Ölwirtschaft zum nackten Überleben zu erbitten. Mit Krieg und Besatzungsregime haben sie daher Infrastruktur und Kultur absichtlich zerstört und bauen sie absichtlich nicht wieder auf. „Nation-building“, dieser arrogante Ausdruck der US-Imperialisten bedeutet im Klartext, daß sie eine Nation in zerstrittene Haufen von Kriecherlingen verwandeln wollen. Mit alledem haben die Besatzungsmächte das irakische Volk jedoch bisher nicht zwingen können, sondern es eher aufgeweckt, und was folgern sie daraus? Der Widerstand muß zerstört werden, und dies geschieht wirksamer als durch militärische Konfrontation durch seine fundamentalistisch-terroristische Pervertierung, die von den USA gefördert wird.

Wir hoffen, daß es dem irakischen Volk gelingt, diese Politik der Zerstörung in ihren zahlreichen Aspekten zu beenden und die Pläne der Besatzer und ihrer Komplizen soweit wie möglich zu Wasser zu machen. Unserer Meinung nach ist dazu ein ganz entschiedener Kampf gegen die Besatzer wie auch gegen diese reaktionären Kräfte des Landes und der Region selbst erforderlich.

 

Die faule Entscheidung des UN-Sicherheitsrates

Es ist die geschilderte Besatzungspolitik,  der die bisherigen Oppositionsmächte in Form der UN-Resolution 1546 nunmehr beigetreten sind. Zumindest gibt es keine Anzeichen für eine substantielle Kritik ihrerseits daran. Wenn aber von Einschränkung und Beendigung des Besatzungsregimes die Rede sein soll und die USA sich schon kompromißbereit geben müssen, dann wäre auch der Förderung der äußersten reaktionären Kräfte des Irak und der ganzen Region durch die Besatzungsmacht entgegenzuarbeiten, sonst wird man zu ihrem Komplizen.

Die bisherigen Oppositionsmächte nehmen mit dieser jüngsten Entwicklung die Rivalität mit den USA im Irak und der Region anscheinend wieder stärker auf, wozu sie sich durch den Bankrott der USA ermutigt fühlen. Daß sie eine derartige Farce von Demokratie und Selbständigkeit wie die Politik der UN-Resolution 1546 mit aufführen, zeigt, wie wenig das irakische Volk von ihnen zu erwarten hat. Möglicherweise kann es zwar die taktischen Möglichkeiten für seine tatsächlichen Repräsentanten etwas erweitern, wenn jetzt andere Mächte mit ihrer Konkurrenz zu den USA wieder ein stärkeres Mitspracherecht bekommen. Das bleibt aber abzuwarten.

Es geht nicht an, daß bestimmte Organisationen bspw. in  Europa, die als Linke auftreten,  keine Augen und Ohren dafür haben wollen, wie der irakische Widerstand sich politisch differenziert. Faktisch unterstützen sie mit die islamische Ultrareaktion und indirekt die Pläne der USA. Es fehlt hier die elementare Diskussion darüber, was es bedeutet, wenn der Irak einen theokratischen politischen Überbau bekäme. Organisationen, die Irak-Solidarität bekunden, aber sich dieser Problematik verweigern, sollten diese besser einstellen.

Von hier aus ist es selbstverständlich unmöglich, die unterschiedlichen Strömungen, Organisationen und Persönlichkeiten des Landes detailliert zu beurteilen. Wir können nur grundsätzlich aufgrund unserer Erfahrungen auf die Gefahren der islamistischen theokratischen Bestrebungen hinweisen. Wenn eine Organisation wie die „Arbeiterkommunistische Partei des Irak“ den Islamismus bekämpft und ihn international an den Pranger stellt, ist das von großem Wert und wird von uns unterstützt. Allerdings ist ihre Ablehnung von Bündnissen mit bürgerlichen Kräften im Land unserer Ansicht nach dem Kampf gegen die Besatzungsmächte abträglich. In der gegenwärtigen Situation werden in allen Klassen und weltanschaulichen Richtungen Kräfte geweckt, die zumindest zeitweise für Selbständigkeit und Demokratie, für die Erhaltung der Einheit und den Progreß des Landes zusammenarbeiten können. Auch unter Anhängern des Islam werden solche Bestrebungen zu finden sein. Sicher bietet die antiimperialistische und neudemokratische Revolution Chinas im 20. Jahrhundert in dieser Hinsicht ein wichtiges historisches Beispiel. Mao Zedong  hat es in seiner gesamten Politik immer wieder vermocht, den progressiven großen Zusammenschluß der Kräfte verschiedener Klassen in der jeweils aktuellen Situation herbeizuführen und damit entscheidend zu der Reihe der großen Siege des chinesischen Volkes beigetragen. Solche historischen Erfahrungen sollten unserer Ansicht nach in der heutigen komplizierten Situation im Irak und der gesamten Region herangezogen werden.

W. Grobe
18.6.2004

 



[1] Die Ankündigung  des stellv. Ministerpräs. des Irak zu Beginn des Krieges, der Irak werde sich zukünftig durch solche Kommandos verteidigen lassen, gehörte in den unmittelbaren Umkreis des damals bereits vorbereiteten Verrats wichtiger Truppenteile, aufgrund dessen die USA dann bald so überraschend schnell in Bagdad  eindringen konnten.

 

 

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