Internet Statement 2004-65
Vor einer wichtigen Entscheidung
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Die
Zuspitzung ist in letzter Konsequenz unvermeidlich
Nach den großen Demonstrationen und Kundgebungen in Bochum, Rüsselsheim,
Kaiserslautern und den Solidaritätsaktionen und Streiks in Trollhättan, in Antwerpen und in den brasilianischen Werken stellt
sich für die Belegschaft von Opel für den 20. Oktober ein Datum der Entscheidung.
Nach den machtvollen Demonstrationen gab es auf den Kundgebungen durch
die offiziellen Redner keine konkreten Ermunterungen zum Kampf. Und mehr
noch, es gab sogar die Aufforderung, den Kampf einzustellen. Zurecht wurde
der Kirchenvertreter, der dies am offensten aussprach, ausgepfiffen. Opel
Bochum steht vor der harten Entscheidungsprobe. Es ist angebracht, hier
noch mal die Lage zu sondieren.
Es müssen noch einmal einige
Rahmenbedingungen dieses Kampfes bedacht werden. Aus allen Medienkanälen
tönt es, daß man doch nun „zur Vernunft übergehen“ solle,
daß man doch etwas erreicht habe und angeblich deswegen die Arbeitsniederlegung
aussetzen könne. Was aber erreicht wurde, ist bis jetzt völlig unklar.
Das Versprechen von Verhandlungen besagt absolut nichts. Es ist übrigens
schon wiederholt so gewesen, daß Aktionstage der IG-Metall dazu geführt
haben, daß nichts weiter als leere Verhandlungsversprechungen gemacht
worden sind, daß auf Abbruch von Widerstandsaktionen gedrängt worden ist.
Von Wert waren die großen Demonstrationen, auf die Versprechungen sollte
man besser nicht achten.
Wenn der Kampf fortgeführt wird, wird der Druck erhöht werden. Schon jetzt
gibt es Drohungen, daß man sich an „Rädelsführern“ schadlos
halten will. Tatsache ist aber, daß sie auf jeden Fall diesen Kampf außerordentlich
fürchten, weil er prinzipielle Fragen aufwirft, die Millionen von Kollegen
etwas angehen. Es wurde zum Beispiel im Rundfunk berichtet, daß die Vauxhall-Arbeiter
in Großbritannien gar nicht an Solidaritätsstreiks teilnehmen dürfen,
weil dort prinzipiell Solidaritätsstreiks nicht erlaubt sind.
Wir haben innerhalb der Europäischen
Union kein wirkliches Streikrecht!
Das ist erst einmal ein wesentlicher Punkt und vielleicht sogar eine Sache,
die mit diesen Kampf bei Opel unter
allen Bedingungen in der ganzen EU konsequent aufgeworfen werden
muß. Was ist ein Streikrecht wert, wenn unter den Bedingungen der Internationalisierung
der Produktion keine internationalen Solidaritätsstreiks erlaubt sind?
Das ist ein vollkommen zusammengestutztes Streikrecht ohne Wirkung. Das
Streikrecht muß innerhalb der EU voll hergestellt werden.
Weiter ist es so, daß das Streikecht in einigen Ländern wie Polen oder
anderen osteuropäischen Ländern de facto nicht existiert, weil Leute,
die in der geringsten Weise auf einen solchen Widerstand hinwirken, mit
Entlassung bedroht werden. Das freie gewerkschaftliche Koalitions- und
Streikrecht muß eine der ersten Forderungen sein, die
in jedem Fall aus diesem Kampf resultieren.
Mit Interesse haben einige Kollegen unsere Forderung aufgenommen, sich
auch für eine Lohnerhöhung gerade in den sog. Billiglohnländern Europas
einzusetzen. Das ist ein elementarer Bestandteil der Solidarität, der
im weiteren verfolgt werden muß. Solange die
Erpressung durch die Dumpinglöhne in Osteuropa existiert, ist es
sehr schwer, hier den Kampf zu führen.
In diesem Zusammenhang kam auch wieder das Argument auf, breitgetreten
von den Medien: ‚Dann geht die Produktion eben nach Asien.’
Das wird sie so ohne weiteres nicht. Wenn die Arbeiter und Angestellten
in ihrer Mehrzahl in jedem Automobilbetrieb zusammenhalten zum gegenwärtigen
Zeitpunkt, besteht für das Kapital keine Chance auf Verlagerung. Im Gegenteil,
wenn sie stillhalten, wenn sie sich zurückziehen, wenn sie nicht streiken,
wenn sie „friedliche Abkommen“ schließen, dann wird Stück
für Stück die Verlagerung weiter durchgeführt werden nach dem Prinzip:
den Belegschaften müssen ihre Druckmittel aus der Hand genommen werden.
Deswegen ist das gar kein Argument. Und Asien kriselt auch, unbegrenzt
kann man dort auch nicht alles machen.
Während die Politiker der EU in allen ihren Spielarten von Menschenrechten
und Demokratie und Grundsätzen der Europäischen Union etwas vorschwafeln,
müssen wir ihnen vorhalten, daß sie in Wirklichkeit der krudesten Ausbeutung
den Weg bereiten und nicht einmal die elementarsten Rechte der Demokratie,
nämlich Streikrecht und Koalitionsrecht dulden, die vor 100 Jahren von
der Arbeiterbewegung durchgesetzt wurden. Das Gerede von den sog. Menschenrechten
ist eine hohle Farce, hinter der sich Nicht-Demokratie und Verweigerung
elementarer Rechte verbirgt.
Natürlich nimmt der Bochumer Betrieb eine Pilotfunktion ein, die eine
erhebliche Härte des Widerstandes erfordert. Er hat aber auf jeden Fall
die Chance, falls er die Maßnahmen fortsetzt, daß durch die Auswirkung
der Arbeitsniederlegung wenigstens ein Teil der anderen Betriebe, vielleicht
nicht Rüsselsheim, aber andere, deutlich vor die Frage gestellt werden,
daß sie sich klarer zu der Maßnahme der Bochumer und vielleicht weiteren
Schritten bekennen.
Auf den Kundgebungen haben Vertreter wie Klaus Franz wieder große Reden
gehalten, um den Eindruck zu erwecken, sie unterstützten den Kampf. Aber
gerade Klaus Franz, der schon im Zusammenhang mit dem ostdeutschen Streik
hervorgetreten ist als jemand, der Partikulärinteressen vertritt und sich
um die Interessen der vorwiegenden Mehrheit der Kollegen nicht kümmert,
arbeitet auf die Liquidation dieses Kampfes hin. Eine Auseinandersetzung
mit ihm und seinen engen Gefolgsleuten ist von daher unvermeidlich.
Wenn schließlich Jürgen Peters fordert, man solle „zum bewährten
Weg“ der Verhandlungen zurückkehren und nicht den „amerikanischen
Weg“ gehen, dann muß man sagen, daß das ziemlich kurzsichtig und
geistlos ist. Der Weg der Verhandlungen, der hier in Europa eingeschlagen
worden ist, der Weg das allmählichen Abbaus und der allmählichen Untergrabung
jedes Widerstands, hat doch jetzt wirklich keine großen Erfolge mehr aufzuweisen.
Was hier an Zerstörung der Produktion und Zerstörung der sozialen Rechte
gelaufen ist, ist doch fast beispiellos. Was soll daran „bewährt“
sein?
Die Aktionen der Bochumer haben deswegen ein wichtiges Zeichen gesetzt
und werden weitere wichtige Zeichen setzen. Unserer Ansicht nach bestehen
auch bei weiterer Zuspitzung gute Chancen, noch weit mehr zu erreichen.
Auch durch die weiteren Drohungen
und Erpressungen von der Gegenseite werden solche Kämpfe wie dieser in
jedem Fall unvermeidlich bleiben.
Redaktion Neue Einheit
-hd
19.10.04
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