Internet Statement 2004-76
Die Finanzkrise der USA Tiefere Erschütterungen des internationalen Systems kündigen sich an
Dies ist die höchste Staatsverschuldung, die es je gegeben hat. Allein im laufenden Finanzjahr sei auf diese Weise eine Neuverschuldung von 800 Mrd. $ möglich gemacht worden, hieß es. Um die Größenordnungen deutlich zu machen: allein diese Neuverschuldung beläuft sich auf etwa das Dreifache eines gesamten deutschen Bundeshaushalts in Höhe von ca. 250 Mrd. Euro. Die offizielle Neuverschuldung der BRD beträgt derzeit ca. 42 Mrd. Euro jährlich im Bundeshaushalt, rund ein Zwanzigstel der 800 Mrd. $ der USA. Allerdings sind außerdem auch die Länder- und Kommunalhaushalte Deutschlands überwiegend stark defizitär. Die derzeitige öffentlichen Schuldenlast aller staatlichen Ebenen einschl. der Kommunen und der Spezialfonds beträgt nach den offiziellen Angaben derzeit annähernd 1,4 Billionen Euro mit weiter steigender Tendenz. In Deutschland weiß seit langem niemand mehr, wie diese Schulden je getilgt oder auch nur deutlich vermindert werden sollen, seit vielen Jahren wachsen sie stattdessen unaufhaltsam, ein dem Staatsbankrott sich zwangsläufig nähernder Prozeß. Aber was die USA auf diesem Gebiet zu bieten haben, sprengt selbst deutsche oder sonstige europäische Maßstäbe. Hinzu kommt, daß die 8 Billionen $ nur die Schulden auf US-Bundesebene umfassen. Die Schulden der einzelnen Staaten und der unteren Ebenen der USA sind hier noch nicht mit erfaßt, ihr Ausmaß ist aus den öffentlichen Mitteilungen nicht ohne weiteres zu entnehmen. Das gesamte Welt-Bruttosozialprodukt, nach Angaben der Weltbank um die 35 Billionen $, ist gerade mal das Vierfache dessen, was die USA zurückzuzahlen haben. Bereits Ende der 80er/Anfang der 90er Jahre war die Staatsschuld der USA zu einer Höhe von ca. 4 Billionen angestiegen, was Voraussagen über einen anstehenden Staatsbankrott auslöste, der dann aber nicht eintrat. Unter Clinton war es dann sogar zeitweilig angeblich gelungen, das jährliche Defizit des Bundeshaushalts in einen Überschuß zu verwandeln, die Staatschuld allerdings stieg in dieser Zeit weiter munter an. Die jetzige Entwicklung aber ist zahlenmäßig noch weit krasser als die damalige. Außerdem haben sich die politischen Rahmenbedingungen geändert. Große Erschütterungen im weltweiten Finanzsystem als mögliche Entwicklung in unmittelbarer Zukunft ins Auge zu fassen, scheint ratsam aufgrund der gesamten heutigen Situation. Einer der wichtigsten Faktoren des US-Bankrotts sind die militärischen Ausgaben. Der Irak-Krieg fordert viel mehr Mittel als bisher veranschlagt. Die tatsächlichen Kriegskosten im Irak werden mit 5,8 Mrd. $ monatlich angegeben, gegenüber einer Planung von 4 Mrd. Allein im Irak verpulvert demnach das US-Militär jährlich den Betrag von rd. 65 Mrd. US-$, mit dem Resultat des weiteren Ruins des Landes, immer größerer Verluste unter der Zivilbevölkerung, u.a. einer entsetzlichen Kindersterblichkeit, die anscheinend politisch absichtsvoll durch die weitere Destruktion des Gesundheitswesens und der gesamten Infrastruktur immer weiter gesteigert werden. Die erhofften Öleinnahmen hingegen scheinen unter den Bedingungen einer Besatzungspolitik, die alle Kräfte des Landes gegen die Besatzer aufbringt, keineswegs reichlich zu fließen. Außerdem verschlingt das reguläre militärische Budget der USA offiziell 402 Mrd. $ in 04/05, weitere Steigerung bis auf 488 Mrd. $ in 2009 ist geplant. Darin dürften vor allem die Kosten für Unterhalt und Weiterentwicklung der atomaren Bewaffnung, der weltraumgestützten Systeme wie Satelliten und Raketenabwehr, der im Aufbau befindlichen Raketenabwehr-Systeme und sonstiger angeblicher Superwaffen, des weltweiten Stützpunktsystems und der gesamten riesigen Waffenarsenale enthalten sein, mit denen die USA erklärtermaßen die absolute Militärdominanz auf der gesamten Welt ausbauen und permanent machen wollen. Dieses ganze System mit seinen erdrückenden Kosten wird keineswegs nur von dem Regime Bush verantwortet, es ist Kernbestand aller Regierungen der USA. Die USA werden von kapitalistischen Kritikern seit langem beschuldigt, gegenüber allen wichtigen Regionen der übrigen Welt die Stellung eines Kapitalabsaugers einzunehmen, der seine ständig negative Handels- und Leistungsbilanz, d.h. vor allem das permanente Ungleichgewicht zwischen geringer eigener Warenproduktion und der Masse der importierten Waren, durch den Zustrom ausländischen Kapitals in die US-Staatsschuld wie auch in US-Firmen zu überspielen in der Lage ist. Dieser Zustrom schien jahrzehntelang nie versiegen zu können, nun aber gibt es Anzeichen, daß sich das ändern könnte. Es heißt, daß die wachsende Verschuldung des US-Staatshaushalts in der letzten Zeit vor allem von asiatischen Notenbanken, China eingeschlossen, aufgesogen worden sei. Die seit langem aufgehäuften Staatschulden der USA sind in bedeutendem Maße Anlagen von japanischem, europäischem und inzwischen auch chinesischem Kapital. Allgemein ausgedrückt, die größtenteils außerhalb der USA produzierten Werte der Weltökonomie, die Arbeit und Überarbeitung des internationalen Proletariats und anderer werktätiger Schichten, soweit sie in verfügbares Geldkapital verwandelt sind, dienen demnach zu erheblichen Teilen durch ihren Transfer in die USA der Finanzierung des US-terroristischen Militärsystems gegenüber derselben übrigen Welt, der sie abgeschöpft werden; sie verwandeln sich in die gehobene Lebenshaltung eines beträchtlichen Teils der US-Bevölkerung, die auf diese Weise bei der Stange gehalten wird. So wird als eine der Ursachen des zunehmenden Finanzdesasters die Politik der Steuergeschenke für die Wohlhabenden angeführt, die das Regime Bush dringend und in großem Umfang praktizieren muß, um sich die elementaren Fragen nach Wahlfälschung, Krieg etc. mit einem Polster spießiger Lebenszufriedenheit bei einer immer noch großen Zahl von US-Bürgern vom Leib zu halten. Auf die Frage, wie dieses internationale System von Tributzahlungen an die Hegemonialmacht überhaupt zustande gekommen ist und wieso es bislang für die USA noch immer weiter erfolgreich ausgebaut werden konnte, muß man die Geschichte der internationalen Beziehungen, bereits seit dem Versailler System von 1918, dessen politische und finanzielle Hauptnutznießer gegenüber Europa bereits die USA waren, und insbesondere seit 1945 sich vergegenwärtigen. Die USA waren seit 1945 die überlegene Führungsmacht der gesamten kapitalistischen Welt in der Konterrevolution gegen die Unabhängigkeitsbewegungen der Kolonialvölker, Chinas, Indochinas, Afrikas, Lateinamerikas usf., und gegen die sozialistischen Staaten. Alle kapitalistischen Staaten waren im Ergebnis des Zweiten Weltkriegs im Prinzip gezwungen, ihre Kräfte für diese Konfrontationen zu bündeln und sich der Fuchtel der USA zu unterstellen, und sie mußten dadurch massive Beeinträchtigungen ihrer eigenen Entwicklung hinnehmen, die immer wieder auch zu versteckten oder offeneren Anstrengungen, mehr Eigenständigkeit zu gewinnen, führten. Längere Zeit war für die USA eine Art weltweiten Zweier-Dominions unausweichlich, das sie mit dem Chruschtschowschen-Breschnewschen Regime in der Sowjetunion seit etwa Ende der 50er Jahre offen praktizierten, das System der beiden sog. Supermächte. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und derem formellen Ende 1991, nachdem bereits 1977 der Umsturz des Sozialismus in China im Wesen stattgefunden hatte, setzte sich dieser Widerspruch unter veränderten Bedingungen fort. Die USA machten sich anheischig, die weltweite militärische Führungsmacht zu bilden, die fähig scheint, im Zeitalter der Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft und der natürlichen Ressourcen in ausnahmslos allen Ländern jede neue soziale Revolution, selbst jedes Aus-der-Reihe-Tanzen anderer kapitalistischer Mächte, wenn es für das System gefährlich zu werden droht, zu unterdrücken. Daß es neue Revolutionen geben wird, ist aufgrund des Wesens des Kapitalismus unvermeidlich, ebenso wird es neue schwerste Interessenskollisionen der großen kapitalistischen Mächtegruppen geben, dagegen kann selbst die größte Militärmacht sich letztlich nicht behaupten. Bis jetzt noch jedoch sollte es nach der Logik, die im Kapitalismus bisher überwiegt, einen Sheriff geben, dessen Waffen und auch dessen gehobene Lebenshaltung er sich von allen seinen Klienten, den westlichen kapitalistischen Staaten, bezahlen läßt. Sie mußten es hinnehmen, daß er sich doppelt und dreifach bezahlen läßt und die Knarre im Prinzip auch mal gegen solche Länder losgehen kann, die sich in dieser „Wertegemeinschaft“ eigentlich versichert fühlen wollen. Diese Struktur war mit solchen Slogans wie „neue Weltordnung“ nach dem Zusammenbruch der Reste der SU gemeint, mit denen unmittelbar die alleinige militärisch-politische Führungsrolle der USA am Exempel des Irak bestätigt und weiterentwickelt werden sollte. Wie der Jugoslawienkrieg von 1999 zeigte, der dies fortsetzte, waren gerade die BRD und andere europäische Staaten aktive Teilhaber dieser kriminellen „Ordnung“. Interessant, daß wiederum der Irak, der neue Irakkrieg, wegen des Widerstandes dort, wegen der weltweiten Ablehnung und der Bildung einer Art von Bündnis ablehnender Staaten nun offenbar eine wichtige Rolle bei der weiteren Zersetzung eben dieses Bündnissystems, aber auch des Weltkapitalismus überhaupt spielt. Die Obergrenze dessen, was die Welt an Finanzierung des US-Militarismus und der US-Ökonomie aufzubringen in der Lage oder bereit ist, scheint erreicht. Der Krieg im Irak ist ein Faß ohne Boden ohne Aussicht auf politischen Erfolg, warum sollte man sich daran noch immer weiter beteiligen, wenn auch nur in der indirekten Form der Finanzierung des US-Staatshaushaltes? Der Vorsitzende der US-Zentralbank selbst, Greenspan, sagte auf einer Tagung der Banker der G 20 in Frankfurt/M. am 19.-21. Nov., die Schuldenlast sei zu groß geworden, die Bonität des Staatsschuldners USA komme in Verruf, der Dollar falle immer weiter, die Zinsen müßten erhöht werden, um noch weiter den internationalen Kapitalfluß anzulocken, das aber sei schlecht für die Konjunktur, etc. Im Ergebnis seiner Rede fiel der Dollar noch weiter. Gleichzeitig sind Bestrebungen zu mehr wirtschaftlicher und politischer Eigenständigkeit in anderen Teilen der Welt weiter deutlich geworden. Als Bush vor kurzem zur APEC-Tagung in Santiago de Chile eintraf, mußte er nicht nur 70.000 Gegner, die erbittert auf den Straßen gegen ihn demonstrierten, sondern auch eine Attacke Chinas auf die Stellung der USA in ganz Lateinamerika zur Kenntnis nehmen. Zeitgleich mit der Tagung wurden mehrere bedeutende Wirtschaftsabkommen Chinas mit Ländern wie Argentinien und Kuba und der Ausbau der Kooperation mit Brasilien bekannt, durch die ungewöhnlich hohe chinesische Investitionen und Kredite in die lateinamerikanischen Länder fließen sollen, allein Argentinien soll fast 20 Mrd. US-$ erhalten. Gleichzeitig allerdings darf man die starke ökonomische Bindung gerade Chinas an die USA nicht außer Acht lassen, die einstweilen weiterbesteht und sich auch in den massiven Käufen der im Grunde bankrotten US-Staatsanleihen durch China ausdrückt, die gerade in der letzten Zeit gemeldet wurden. Dergleichen ist in gewissem Sinn auch eine politische Stützung der USA durch China. Der Zusammenbruch der finanziellen Grundlagen der militärischen Dominanz und der Erpresserstellung der USA ist unvermeidlich, obwohl man auch jetzt noch nicht sagen kann, wie bald, wie stark und in welchen Formen er sich vollziehen wird. In diesem Zusammenhang rücken schwere weltwirtschaftliche Erschütterungen und politische Neugruppierungen in den Bereich des unmittelbar Bevorstehenden. Im Falle der Ukraine zeigt sich bereits eine Zuspitzung internationaler Beziehungen zwischen den USA, Rußland und auch der EU, mit ungewissem Ausgang. Die USA ihrerseits werden allerdings dazu neigen, ihr zentrales Potential, das sie auf den geschilderten Grundlagen über Jahrzehnte hindurch zielstrebig ausgebaut haben, das militärische, um so rüder einzusetzen, daher ist größte Wachsamkeit gegenüber neuen Kriegsgefahren geboten. Andere Mächte wie z.B. die EU oder auch China stehen vor der Frage, ob sie die USA weiter stützen, um weltweite Zusammenbrüche zu vermeiden, von denen sie selbst in einem Ausmaß betroffen wären, das sie selbst nicht abschätzen können. Damit würden sie sich gleichzeitig in die Kriegs- und Zerstörungspläne gegenüber anderen Teilen der Welt einbinden. Die USA mit der EU gegen Rußland? Die USA mit China gegen Europa? Oder gelingt es einem größeren Bündnis anderer Staaten, die USA weiter zu isolieren und Ausbruchsversuche wenigstens zeitweise zu blockieren? Größere Aufmerksamkeit für diese Fragen und ihre genauere Analyse sind erforderlich. Dazu sollen diese skizzenhaften Zeilen mit anregen. Jedenfalls aber machen auch diese Fragen klar, daß die Entwicklung von revolutionärer Arbeiterbewegung und ihrer internationalen Zusammenarbeit die höchste Priorität haben müssen. Walter Grobe |