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Statement 2004-82
„Junge Welt“: „das gedeihlich
sich entwickelnde Gemeinwesen BRD“ – Siegfried Wenzel, oder: wo Revisionisten
heute landen
Am 13.12. 04 brachte die „Junge Welt“ einen Artikel „Es fehlt nicht an
Geld, es ist nur falsch verteilt.“ Der Autor Siegfried Wenzel redet hier die öffentliche Verschuldung der BRD zum
Problemchen herunter. In Wirklichkeit sei ja derart viel Reichtum da,
mindestens 8 Billionen Euro gegenüber den gerade mal 1,3 Billionen Staaatschulden,
daß deren Tilgung eigentlich mit einer erträglichen 16%-igen Besteuerung
der Vermögens der reichsten privaten Haushalte locker möglich sei.
Im Laufe dieser Predigt von der angeblichen grundgesetzlichen Sozialpflichtigkeit
des Eigentums kommt es auch zur folgenden Bekundung einer völlig verspießerten
Grundeinverstandenheit mit dem System BRD:
„Sowohl das Steueraufkommen des Staates als
auch das Vermögen der privaten Haushalte ist das Ergebnis der gedeihlichen
Entwicklung und des – wenn auch mit Problemen behafteten – Funktionierens
dieses Gemeinwesens. Man kann das eine nicht vom anderen trennen. Voraussetzung
für Vermögenswachstum sind eine effektive Wirtschaftspolitik, eine ausgebaute
Infrastruktur, ein möglichst auf hohem Niveau stehendes Bildungswesen
(was gegenwärtig gefährlich zurückzubleiben droht), ein erschütterungsarmes
soziales Klima und eine im ganzen funktionierende Gesellschaftsstruktur.“
Die Botschaft wird Begeisterung im ganzen Land auslösen,
z.B. bei den Belegschaften, die immer durchgängiger mit der Verlagerungsdrohung
erpreßt werden, und bei den vielen Millionen, die längst schon Dauerarbeitslose
und Hartz- IV-Armutskandidaten sind. Allen wird hierdurch endlich aufgehen,
daß sie eigentlich doch in der richtigen Gesellschaft leben. Und gewiß
werden die Reichen nach dieser eindrucksvollen Solidaritätsbekundung durch
die „Junge Welt“ gern ein bißchen abgeben, damit auch weiterhin „ein erschütterungsarmes
soziales Klima und eine im ganzen funktionierende Gesellschaftsstruktur“
die Fortsetzung ihres Wirkens garantieren. Einige Millionäre haben lt.
S. Wenzel ja bereits Einsicht gezeigt....
Spaß beiseite.
Immer wieder, wenn die gesellschaftliche Krise offenkundiger wird, reagiert
ausgehaltenes Spießertum mit verstärktem Realitätsverlust und fleht das
Kapital an, es solle doch nicht mit einem Übermaß an Selbstsucht - nach
innen, wohlgemerkt; das Außen wird aus guten Gründen nicht thematisiert
- den Konsens gefährden. Diese Haltung liegt auch oft der Anbiederung
an faschistische Strömungen zugrunde. Das ist nichts Neues in der Geschichte.
Aber etwas überraschend ist es doch, mit welcher patzigen Selbstsicherheit
sich dergleichen nunmehr in einer Zeitung wie der „Junge Welt“ zu Wort
meldet, die einen linken Anspruch hat und bisher noch immer auch Beiträge
gebracht hat, die von Linken genutzt werden konnten. Dafür muß es eine
Erklärung geben, und wir können nur empfehlen, diese in der Entwicklung
und der heutigen Lage des Revisionismus zu suchen, mit dem die „Junge
Welt“ unter allen politischen Strömungen am engsten verbunden ist.
Es ist noch nicht lange her, daß in
Kreisen der DKP, auch teilweise der PDS, und ähnlichen vereinzelt auch
solche Stimmen zu Wort kamen, die forderten, daß endlich auch bei ihnen
die Ursachen des friedlichen Untergangs der DDR, der Sowjetunion und des
gesamten mit diesen Staaten verbundenen politischen und ideologischen
Systems untersucht werden müßten, um durch die Überwindung der Fehler
sich für den unvermeidlich wieder aufkommenden Klassenkampf fit zu machen.
Bspw. hatte die Zeitschrift „Offensiv“, die solchen Kreisen nahesteht,
selbst die Auseinandersetzung mit dem Revisionismus zum Hauptthema erklärt
und Arbeiten zur Kritik des Chruschtschowschen Revisionismus, des XX.
Parteitags der KPdSU, zur Aktualität des Leninismus etc. gebracht. Unsere
Organisation hat zu diesen Problemen ihrerseits eine Reihe von Analysen,
Thesen und Diskussionsangeboten veröffentlicht und versucht auch weiterhin,
hier Diskussionskanäle zu eröffnen und auszubauen. Der derzeitige Stand
aber bei diesen Organisationen ist deutlich von einem offenkundigen Abbruch
der antirevisionistischen Diskussion, von erneutem Totschweigen der Probleme
oder auch, wie bei „Offensiv“, von abstoßenden Quasi-Heiligsprechungen
der gesamten Sowjetunion vor Chruschtschow und idyllischen Schilderungen
der DDR gekennzeichnet, als gebe es nicht auch historische Wurzeln der
Fehlentwicklungen zu untersuchen, wenn man heute wieder ein glaubwürdiges
revolutionäres Programm entwickeln will.
Nicht die Wiederhinwendung zum Klassenkampf, sondern die weitere Kollaboration
mit dem Kapitalismus, die Unterordnung und schließlich sogar das völlige
Aufgehen in bürgerlichen Strömungen, mitunter den reaktionärsten, muß
zum Gesetz werden, wenn man vor dem völligen Bruch mit dem Revisionismus,
vor der Aufdeckung seiner kapitalistischen Wurzeln zurückschreckt. Das
zeigt sich auch hier. Die BRD ist heute insgesamt davon geprägt, daß ihre
Grundprobleme, die von der gesamten kapitalistischen Herrschaft, auch
der internationalen kapitalistischen Herrschaft seit vielen Jahrzehnten
herrühren und immer weiter verschärft werden, nach oben drängen. Die sozialen
Spannungen sind erheblich, die Produktionsverlagerungen und die Zersetzung
haben die Entwicklung einer kampffähigen Arbeiterklasse in diesem Land
bisher verhindert; es gibt eine massive demografische Frage, die
engstens mit der kapitalistischen Klassenherrschaft zusammenhängt, usw.,
und während die öffentliche politische Diskussion dieser Dinge offener
und härter wird, machen manche
Revisionisten umsomehr die Augen zu, denken rückwärts und gehen zur direkten
Verherrlichung des kapitalistischen Sozialstaats BRD über, der doch offenkundig
vom Kapital aufgekündigt ist.
Sie können nicht anders, wenn sie sich
nicht der klassenmäßigen Analyse der heutigen kapitalistischen Gesellschaft
und der eigenen Vergangenheit öffnen.
Der Autor Siegfried Wenzel war bis 1989
stellvertretender Vorsitzender der Staatlichen Plankommission der DDR.
Heute schreibt er über den Reichtum der BRD, als handele es sich nicht
um Kapital, das in einem internationalen Wettbewerb steht, teilweise gegen
größere und politisch-militärisch mächtigere Kapitalgrupppen, und jeden
Euro, dessen es im Lande habhaft werden kann, maximal für den kapitalistischen
Verwertungsgprozeß ausnutzen muß. Siegfried Wenzel stellt diesen Reichtum
dar, als wären es Sparstrumpfgelder, von denen die Reichen eben mal ein
paar Prozente für die armen Verwandten rausrücken sollten. Im Bestreben,
den kapitalistischen Charakter der Vermögen, ihre Herkunft aus der Ausbeutung,
auch gerade der internationalen Ausbeutung, und den Zwang, sich in weiterer
Ausbeutung zu verwerten und zu akkumulieren, zu leugnen, kommt es zu solchen
dämlichen ökonomischen Märchenbildern über den bundesdeutschen Kapitalismus
wie in diesem Aufsatz.
Wenn hier bestimmte Leute sagen, eigentlich
sind „wir“ reich, denn „unser“ Vermögen beträgt 8 Billionen und mehr,
vergessen sie vollkommen, daß kapitalistisches Vermögen, das nicht durch
den Verwertungsprozeß, die innere und die internationale Ausbeutung, umgewälzt
wird und weiter beschleunigt akkumuliert, sehr schnell abgewertet und
leicht auch von stärkeren Konkurrenten enteignet wird. Vor der Akkumulationswut
des Kapitals ist unter den heutigen Bedingungen kein Euro Lohn, Rente
oder Sparguthaben sicher. Ein Großteil dieser 8 Billionen
ist darüberhinaus von vornherein fiktiv, denn es sind Ansprüche auf zukünftige
Profite, Zinsen und Renten, deren
Realisierung heute mehr denn je in den Sternen steht, von denen man sogar
mit Sicherheit sagen kann, daß sie entwertet werden.
Um nur einen Punkt konkret herauszupicken:
Die Staatschulden von 1,3 Bio. Euro (selbst lt. offizieller Statistik
sind es mehr) sieht Siegfried Wenzel ebenfalls vom Verwertungsstreben
des Kapitals isoliert. Sie sind es aber nicht. Die Staatsschulden sind
zum großen Teil durch Zahlungen der Staatsinstanzen entstanden, die seit
Jahren ständig steigend ungedeckt auf soziale Ansprüche wie Arbeitslosengeld,
Sozialhilfe, Renten und Leistungen des Gesundheitssystems geleistet wurden
und noch werden. Ungedeckt deswegen, weil das Kapital schon lange auch
im Inland nicht mehr genügende Lohnsummen zahlt, sodaß noch ausreichende
Beiträge zu diesen Versicherungssystemen aufgebracht werden könnten. Die
Reformprogramme fordern nun von den Werktätigen, noch mehr Lohnverzicht
zu leisten, noch mehr Steuern zu bezahlen, und von den Arbeitslosen, Rentnern
und Kranken, auf Ansprüche zu verzichten, damit diese Staatschulden von
ihnen, nicht etwa vom Kapital, bezahlt werden und dieses, davon freigestellt,
international konkurrenzfähige Profitraten erwirtschaften kann. 1,3 Billionen
Euro Staatschulden sind unter der politischen Herrschaft des Kapitals
wirkliche Bleigewichte für die Masse der Werktätigen. Demgegenüber ein
paar billige Worte von „Umverteilung von unten nach oben“ fallen zu lassen
und an einen Gesetzgeber zu appellieren, er solle den Trend umkehren, ist nur soziale Theologie. Ein Gesetzgeber mit
dieser Allmacht gegenüber dem Kapital kann vielleicht über den Wolken
gefunden werden. Nicht grundlos sucht Siegfried Wenzel Hilfe bei Friedhelm
Hengsbach SJ.
Real möglich
ist dagegen, im internationalen Zusammenwirken den Weg klassenkämpferischer
und revolutionärer Ansätze weiter zu verfolgen, um in der weiteren
Entwicklung wieder zu Massenbewegungen zum Sturz des Kapitalismus zu kommen.
Auf diesem Weg werden auch in manchen Fällen zeitweilige Zugeständnisse
des Kapitals erreicht.
Siegfried Wenzel vertrat vor kurzem
ebenfalls in der „Junge Welt“ die These, die DDR sei 1989 nicht pleite
gewesen. Das ist sehr wahrscheinlich falsch. Jedenfalls aber ist es kein
Wunder, daß dieser Staat der BRD mehr oder weniger übergeben worden ist,
wenn erhebliche Teile seiner Funktionäre selbst eine derartig servile
Haltung gegenüber dem westdeutschen und internationalen Kapitalismus eingenommen
haben, so wie Siegfried Wenzel heute, und ihm seine Widersprüche weggeredet
haben.
W. Grobe
16.12.04
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