Internet Statement 2005-25

 

 

Außenminister Dr.Alí Rodríguez Araque auf einer Pressekonferenz in Berlin am 13.4.05:

 

Venezuela stärkt die Selbständigkeit der lateinamerikanischen Staaten und strebt engere (wirtschaftliche) Kooperation mit den europäischen Staaten an - zum gegenseitigen Vorteil

 

Eigener Bericht

 

 

Heute nachmittag fand eine Pressekonferenz mit dem Außenminister Venezuelas, Dr. Alí Rodríguez Araque in der Botschaft der Bolivarischen Republik Venezuela statt, an der eine ganze Reihe Journalisten verschiedenster Provenienz (insgesamt ca. 25), unter anderen auch wir, teilnahmen. Die Konferenz, bei der relativ locker eine ganze Reihe verschiedenster Fragen gestellt werden konnten und auch wurden, dauerte etwa eine Stunde. Zunächst referierte der Außenminister, Dr. Rodriguez Araque kurz über sein Gespräch mit dem deutschen Außenminister Fischer, welches u.a. Fragen der gegenseitigen Entwicklung der Wirtschaftsbeziehungen und ihres Ausbaus, sowie Fragen, die sonst in der Presse immer  stark betont werden, wie das Thema „Menschenrechte“, kürzliche Waffenkäufe Venezuelas, die Gesetzgebung und speziell das Landgesetz, Fragen der bilateralen Beziehungen betrafen. Die Gespräche seien kurz, höflich und produktiv gewesen. Er sprach davon, daß sich sein Land, Venezuela, sehr stark um die Einheit Lateinamerikas bemüht und darum, Spaltungsversuchen zwischen den verschiedenen Ländern entgegenzuwirken, gegenseitige Kooperation und Hilfe betreibe und er sprach sogar davon, daß sie ja eigentlich alle mehr oder minder "eine Nation" seien. Auch eine Ausdehnung auf Zentralamerika und die Karibik wird angestrebt. Man will auf der Grundlage von gegenseitigem Respekt und Nichteinmischung die Zusammenarbeit mit anderen Regionen vorantreiben. In Europa gäbe es großes Interesse an den neuen Prozessen in Lateinamerika. Lateinamerika mit seinen 530 Millionen Konsumenten sei  ein interessanter Markt. Es besteht ein großer Energiebedarf, großer Bedarf an Investitionen in diesem Sektor. Argentinien, Brasilien und auch Venezuela haben große und noch unerschlossene landwirtschaftliche Ressourcen. Lateinamerika habe die weltgrößten Süßwasserreserven und sei mit dem Amazonas- und Orinokogebiet die grüne Lunge der Welt. Der Ausbau der Beziehungen mit den europäischen Ländern wird angestrebt.

Diese Entwicklung könne helfen, von einer zu großen Abhängigkeit von den USA wegzukommen. Es richte sich aber gegen niemanden. Auch die USA könnten von einer wirtschaftlichen Entwicklung in Lateinamerika profitieren. Man beliefere sie jetzt seit 80 Jahren zuverlässig, außer zur Zeit des “Erdölstreiks”, bei dem Kräfte aus den USA beteiligt gewesen seien. Von einer täglichen Förderung von 3,2 Millionen Barrel gingen 1,5 Millionen in die USA. Man wolle die Förderung auf 5 Millionen erhöhen und den Kreis der Abnehmer mehr diversifizieren, wozu ein Land das Recht hätte. In die USA müsse deshalb nicht weniger geliefert werden. Abnehmer wie China und Indien oder Abnehmer in Lateinamerika selbst müßten aber auch stärker beliefert werden können.

Auf unsere Fragen hin [1] ging er vor allem auf die Entwicklung seines Landes in den letzten zwei Jahren ein, beispielsweise habe das Wirtschaftswachstum im letzten Jahr bei 18 Prozent gelegen. Das sei ein historischer Rekord. Dieses Wachstum wurde vor allem in den anderen Bereichen erzielt, aber Öl sei weiterhin vor allem wegen der Einnahmen von besonderer Bedeutung. Venezuela bemühe sich vor allen Dingen darum, nicht nur den Rohstoff Öl zu exportieren, sondern diesen möglichst vielfältig selbst zu verarbeiten (Stichwort: Deep Conversion), um so mehr Möglichkeiten der Nutznießung für sein Land und die Kooperation mit den anderen lateinamerikanischen Länder zu gewinnen wie auch mehr verschiedenartige (diversificante) Möglichkeiten  für den Export zu erreichen.

Deutliche Worte fand der Außenminister auch zu der von uns gestellten Frage zur Nuklearenergie und erklärte dazu, sein Land "unterstützt prinzipiell sämtliche Bestrebungen, die zur friedlichen Nutzung der Kernenergie beitragen" und "es gibt keine vernünftigen Gründe dafür, diese Energieform auf solche Länder zu beschränken, die auf der anderen Seite bei sich so viele Nuklearwaffen konzentriert haben, daß sie den gesamten Erdball damit mehrfach zerstören könnten". Derartiges sei irrational. Für sein Land gäbe es nichts Dringlicheres als für die völlige Beseitigung dieser Möglichkeit zu sich einzusetzen. Sie sind für die Zerstörung aller Nuklearwaffen.

Zur  Frage bezüglich des Verhältnisses zu Argentinien führte er noch einmal die Prinzipien seines Landes an, die auf eine enge Kooperation und gegenseitige Unterstützung und Hilfe der Länder Lateinamerikas basieren, und nannte einige Beispiele. Es habe sich erwiesen, daß Beziehungen auf der Basis von Konkurrenz und Streben nach Dominanz zum Scheitern verurteilt seien. Zum Beispiel gäbe es seit kurzem eine Kooperation mit Argentinien bei der Lieferung von Benzin aus Venezuela (8 Millionen Barrel letztes Jahr). Nach Paraguay und Brasilien wird auch Benzin geliefert. Umgekehrt würden in argentinischen Häfen venezolanische Schiffe repariert, was u.a. zum Abbau der Arbeitslosigkeit in Argentinien beitrage. Venezuela habe im letzten Jahr 5 Mio. Dollar in Argentinien investiert. Dies sei zum Beispiel auch nützlich für den Abbau der Auslandsschulden. Eine solche Politik der gegenseitigen Hilfe, solidarischer Wirtschaftsbeziehungen, festige sich gegenwärtig.

Die Auslandsschulden stellten in der Tat ein riesiges Problem in Lateinamerika dar. Sein Land stehe aber vergleichsweise gut da. Es habe seinen Schulden sogar in der Zeit des “Erdölstreiks” bezahlen können. Obwohl es seine Auslandsschulden alle bezahlt hätte, "schulden wir gegenwärtig noch mal so viel". Argentinien sei noch schlimmer dran, aufgrund von neoliberaler Politik und Ausbeutung des Landes. Argentinien hat im 19. und 20. Jahrhundert einen erfolgreichen Aufschwung erlebt, aber im 21 Jahrhundert stehen sie vor großen Problemen. Argentinien ist in Armut abgesunken.

Daher werde nunmehr versucht eine gemeinsame Politik zu entwickeln, wobei es  vor allem  auch um die Bedingungen geht, die ihnen bei der Begleichung der Schulden auferlegt werden.

Im Sommer soll Präsident Chávez eine Europareise machen und man  würde es begrüßen, wenn auch ein Besuch in Deutschland ermöglicht wird. Noch in diesem Jahr sei eine Reihe weiterer Treffen mit deutschen Unternehmen geplant, wo festgelegt werden soll, in welchen Bereichen der Wirtschaft noch Investitionen gebraucht werden, welche Waren aus Venezuela für den hiesigen Markt interessant seien. Umgekehrt auch, welche Dienstleistungen aus der Bundesrepublik für Venezuela von Interesse seien. Viele Unternehmen hätten Gelder bereitliegen, die nur darauf warteten, in Venezuela investiert werden zu können. Energieunternehmen haben 15 Milliarden $ für Investitionen. Frankreich und Norwegen, auch die USA, seien bereit, ihre Investitionen auszuweiten.

Konkret gibt es eine Ausschreibung für die Förderung eines Gasblocks im Westen des Landes. Auch Stahl, Aluminium und Elektro ist im Gespräch. Die Infrastrukturentwicklung ist ebenfalls ein wichtiger Bereich. Gespräche mit Unternehmern seien meist erfreulich, weil diese bei Geschäften  sehr aufgeschlossen seien.

Strategisch gesehen plant Venezuela die eigene Verarbeitung seiner Rohstoffe, vor allem des Rohöls auszuweiten. Auch will man aus weniger profitablen Zweigen die Mittel in profitablere umleiten. Unter diesem Aspekt seien auch angestrebte Firmenverkäufe zu sehen. Es gibt einen Plan für Investitionen in Höhe von 3 Mrd. Dollar für die "Tiefenkonversion". Ein Großteil des Rohöls ist "schweres Öl" welches sich nicht gut verkauft. Mit dem Ausbau eigener Raffinerien könnte dieses Öl verarbeitet werden. Produkte, die sich schwer verkaufen lassen, sollen in solche, die sich auf dem Markt gut verkaufen, verwandelt werden. Zum Beispiel ist auch geplant, durch vermehrten Zuckerrohranbau Alkohol zu gewinnen, mittels dem dann die Benzinqualität verbessert werden soll. Mit Brasilien ist eine Kooperation auf dem Gebiet von Biodiesel geplant. Es soll so der größtmögliche Nutzen aus den im Land hergestellten Produkten gezogen werden.

Insgesamt wurde der Eindruck vermittelt, daß sich in den Ländern Lateinamerikas eine ganze Menge tut, daß sozusagen die Welt dort  im Aufbruch ist und man bestrebt ist, auch international eine stärkere Rolle zu spielen. Insbesondere mit der EU, aber auch mit asiatischen Ländern wie z.B. China und Indien, sollen die Beziehungen noch weiter intensiviert werden.

Verlag Neue Einheit

Redaktion Neue Einheit

M.W. und G.W.   13.4.05



[1]  Fragen seitens des Verlags Neue Einheit:

Mit Interesse verfolgen wir die Politik Venezuelas unter dem Präsidenten Hugo Chávez. Hierzu auf ökonomischem Gebiet:

a) Können Sie bitte darüber sprechen, in wie weit Venezuela eine weitere Industrialisierung außerhalb des Erdölsektors vorantreibt?

b) Mit großem Interesse haben wir gehört, daß Venezuela unter Präsident Chávez sich für das Recht aller Staaten auf Kernenergie und für ihre Anwendung auch durch die Staaten der Dritten Welt eingesetzt hat. Das halten wir für positiv. Hat es hiergegen Widerstand durch die USA oder Deutschland gegeben?

c) Venezuela stützt die Zusammenarbeit lateinamerikanischer Staaten. Kann Venezuela auch Argentinien in seiner Drucklage unterstützen?