Internet Statement 2005-31

 

Zum 30. Jahrestag des Sieges der vietnamesischen Revolution

30.April 2005           

Heute vor dreißig Jahren, am 30. April 1975, erstürmten die Truppen der Volksbefreiungsfront Südvietnams zusammen mit den bewaffneten Kräften Nordvietnams die letzten Teile Saigons, jener Stadt, die über 20 Jahre lang das Zentrum des USA-Einflusses in der Region gewesen war, ein Zentrum der Korruption und des faschistischen Regimes, das von der angeblichen “Macht der Demokratie” dort unterstützt worden war. Die Bilder, wie die letzten Anhänger dieses Regimes versuchten, sich mit Hubschraubern von den anstürmenden revolutionären Kräften zu retten, gingen um die ganze Welt.

Dieser völlige Zusammenbruch des von den USA abhängigen Regimes in Vietnam gehört zu jenen zahlreichen Ereignissen der siebziger Jahre, die von größter Konsequenz für das weitere Leben auf der Erde waren und ihren Nachhall bis heute haben. Und viel wird nicht in den Medien über dieses bedeutende Ereignis gesprochen, denn zuviel Zündstoff hat sich angesammelt, als daß die Erinnerung an einen erfolgreichen revolutionären Volkskrieg aus der Sicht derer, die heute die Macht in den Händen haben, zu hoch gehalten werden sollte.

Nach dem Sieg vereinigte sich Vietnam und begann einen sozialistischen Aufbau, der allerdings auch durch die Folgen dieses mörderischen und mit hohen Verlusten verbundenen über dreißigjährigen Krieges belastet war. Ca. 3,6 Millionen Tote hat dieser Krieg gekostet, und 10 Millionen Menschen wurden ihrer Häuser beraubt. Die USA haben diesen Krieg mit all ihren Mitteln betrieben, einschließlich chemischer Kriegführung mit systematischer Entlaubung ganzer Gebiete, Einpferchung der Bevölkerung in Konzentrationslagern und bestialischer Handlungsweisen gegenüber allem, was in ihre Hände fiel. Gleichzeitig existierte in den USA immer auch eine gewisse Opposition gegenüber den Auswüchsen. Sie deckte aber die Zusammenhänge, die Hintergründe dieses Krieges zu.

Am 30. April 1975 konnten die Vietnamesen ihrerseits einen 30. Jahrestag begehen. Im Jahre 1945 war das japanische faschistische Regime zusammengebrochen, und gleich danach entwickelte sich ein antikolonialer Krieg Vietnams gegen die Kolonialmacht Frankreich, über die sie 1954 triumphierten, in deren Fußstapfen aber alsbald die USA kamen, die mit noch brutaleren Methoden die Unterdrückung Vietnams und aller indochinesischen Völker betrieben.

Vietnam hatte auch das Verdienst, daß es durch seinen Volkskrieg die Jugend in der ganzen Welt wachrüttelte und aufklärte, was es mit unserem kapitalistischen “Wohlstandssystem und Sozialstaat” auf sich hat, daß die Ausbeutung der „südlichen Halbkugel“, der Dritten Welt, wie man sagte, der unterdrückten Völker und Nationen der Welt eine fundamentale Säule dieses kapitalistischen Systems ist. Und dieser Fakt fand Eingang in die Köpfe der Menschen in vielen reichen Ländern, vor allem der Jugend, und somit wurde die Revolution auch in diesen Ländern mit von dem Kampf in Vietnam entfacht.

Die USA haben ihre Kapitulation in Vietnam mehr oder minder akzeptieren müssen. Sie hatten schon Seitenblicke geworfen auf das, was sich in anderen Ländern in Asien vollzog. 1975 lief bereits der Umsturz in China, der eine noch größere Tragweite für ganz Ostasien, ja für die ganze Welt haben sollte. Wir wissen, daß heute die Billigproduktion in China auf kapitalistischer Basis die Grundlage bildet für die ganze Entfaltung des Kapitalismus, wie wir ihn heute haben. Und dieser Umsturz in China, der sich in den Jahren 1976 bis Anfang 1979 vollzog und etwa im Jahre 1977 den Höhepunkt hatte, wurde 1975 bereits massiv vorbereitet. Vietnam kam jedenfalls auch in den Sog dieser Entwicklung.

Einige Zeit nach dem Sieg gab es die “Boat People”-Propaganda. Die USA versuchten, bestimmte Schwächen in Vietnam auszunutzen und erzählten den Menschen, sie könnten einfach mit dem Boot aufs offene Meer fahren und würden dort von Schiffen aufgenommen. Diese Bilder gingen dann um die Welt um zu zeigen, daß Revolution keinen Zweck habe. Aber man braucht nur darauf zu schauen, was der Kapitalismus heute anrichtet, wo er relativ ungehemmt in den meisten Teilen der Welt agieren kann, um zu sehen, was für eine Bedeutung die sogenannte “Boat People”-Propaganda hatte. Niemand fährt mit einem kleinen Boot aufs offene Meer ins Ungewisse hinein, wenn er nicht wenigstens irgendwie ahnt, daß es dort Kräfte gibt, die ganz systematisch Menschen wie ihn aufnehmen.

Viel wichtiger sind die inneren Fragen, die sich dann im weiteren mit der inneren Entwicklung Vietnams verbinden. Das revolutionäre Vietnam hielt sich aus der Auseinandersetzung zwischen dem China Mao Zedongs und den sowjetischen Revisionisten heraus, die die ganzen sechziger und die siebziger Jahre bis 1976 beherrschte. Es entwickelte freundschaftliche Beziehungen zu beiden Seiten. Die Sowjetunion lieferte Waffen, obwohl sie überall solche revolutionären Kriege verurteilte und die Verbindung mit dem amerikanischen Imperialismus zu einem Prinzip machte. Sie konnte sich dem Sog dieser revolutionären Entwicklung nicht entziehen und mußte in gewissem Umfang Waffen liefern. Die VR China unterstützte Vietnam bis 1977 bedingungslos.

Ein solcher Krieg, wie er in Vietnam, aber auch in Kampuchea wie in Laos stattfand, drückt zunächst einmal viele innere Probleme beiseite. Man kann nicht alle Widersprüche auf einmal lösen. Alle Kräfte sind darauf gerichtet, gegen die technologisch überlegene Supermacht den Kampf durchzuhalten und zu gewinnen. Unter diesen Bedingungen entwickelt sich die Solidarität des Volkes mit großer Automatik und Heftigkeit, solange diese Nation nicht innerlich zersetzt ist. Alle Anstrengungen sind auf den Sieg im Volkskrieg gerichtet. Hinterher müssen zwangsläufig gesellschaftliche Widersprüche, die noch weiter im Untergrund existieren, aufbrechen und sind manchmal schwieriger zu bewältigen als der Krieg.

Vietnam lehnte sich auch theoretisch in vielem an die Sowjetunion an, die Bedeutung der spontanen kapitalistischen Kräfte, die sich aus den kleinbürgerlichen Verhältnissen heraus wie auch aus den weiterbestehenden staatlichen Strukturen heraus entwickeln, wurde mehr oder minder verdrängt, die Auseinandersetzung mit diesen Kräften negiert , so daß sie dann auch nicht beherrscht werden können.

Am 17.April 1975 war schon in Kampuchea die Armee der Roten Khmer gegenüber dem von den USA gestützten Lon Nol Regime erfolgreich gewesen Auch hier gelten grundsätzlich die gleichen Gesetze. Seit 1970 hatten die USA unter Nixon eine ungeheure Bombenflut auf Kampuchea niedergelassen, das ebenfalls einen revolutionären Volkskrieg im Bündnis der Roten Khmer mit Prinz Sihanouk gegenüber den USA vollzog. Der Staat, der da errichtet wurde, sollte später in den allerschwärzesten Farben gemalt werden. Angeblich sei es ein unglaubliches Mörderregime gewesen, das Kinder den Krokodilen zum Fraß vorgeworfen haben soll. Für solche Dinge gibt es keine Belege, aber es gibt durchaus Anzeichen dafür, daß auch hier ein Fundamentalismus asiatischer Art eine Verbindung mit der Revolution einging und zu abscheulichsten Auswüchsen geführt hat. Das Regime des Pol Pot nach April 1975 jedenfalls versuchte offenbar eine reine Agrarrevolution, zog die Bevölkerung aus der Millionenstadt Pnom Penh heraus und entwickelte ein Terrorregime, weil man offenbar meinte, die spontanen kapitalistischen Kräfte, die sich aus der Korruption des USA-Lakaien-Regimes im früheren Pnom Penh entwickelten, so unter Kontrolle halten zu können.

Insgesamt ist es bis heute nicht bekannt, welche sozialen Vorgänge sich tatsächlich in Kampuchea vollzogen. Unsere Organisation hat aus Vorsicht wegen der Unbekanntheit der Vorgänge in Kampuchea seinerzeit keine direkte Unterstützung der Regierung Pol Pot und der Roten Khmer betrieben. In Deutschland wurde diese Regierung unseres Wissens länger und direkt nur vom KBW (Kommunistischer Bund Westdeutschland) unterstützt, von dem der größere Teil etwa Mitte der achtziger Jahre in die Grünen eingegliedert wurde und der bei der Anti-AKW-Kampagne eine wichtige Rolle spielte.

Vietnam jedenfalls hat 1978 unter Verletzung der nationalen Unabhängigkeit einen Krieg gegen Kampuchea begonnen und als Übermacht gegen Pol Pot eine ihnen genehme Regierung in Kampuchea eingesetzt. Die Pol-Pot-Kräfte führten ihrerseits dann noch im weiteren über Jahre einen Volkskrieg gegen Vietnam und die von ihm eingesetzte Regierung. Das alles ist auf dem Hintergrund des Umsturzes zu verstehen, der sich in China vollzog und etwa 1978 seinen Höhepunkt erreichte. Die Entwicklung radikaler kapitalistischer Kräfte, die sich unter dem Schein der internen Kritik an den sozialistischen Verhältnissen an die Macht schlichen und sie auch gewaltsam mit Unterstützung des Westens eroberten, mußte die ganze Region aus dem Gleichgewicht bringen. Vietnam jedenfalls mußte sich ebenfalls diesem Sog entsprechend etwa ab den neunziger Jahren umändern und hat seitdem eine sogenannte “sozialistische Marktwirtschaft” betrieben, die auch enger mit ausländischen Konzernen operiert, aber es ist auch unzweifelhaft, daß Vietnam gewisse sozialistische Elemente beibehalten hat und verteidigt.

In der Tat ist es so, daß Revolutionen nicht alle Probleme auf einmal lösen können. Wenn heute hier revolutionäre Dinge in Angriff genommen werden, und das wird getan werden, weil der Kapitalismus gar keine andere Wahl läßt, dann können wir auch nicht garantieren, daß nicht hier oder da ein Auswuchs unvermeidlich wird. Man muß durch möglichst genaue theoretische Arbeit und Untersuchung der Probleme versuchen, eine Übersicht aller gesellschaftlichen Strömungen zu bekommen, so daß dann, wenn der Ernstfall eintritt und nicht mehr die Zeit zum Überlegen besteht, die revolutionären Kräfte wissen, was sie zu tun haben. Alles, was vorher nicht erledigt worden ist, kann oftmals in der Situation der revolutionären Zuspitzung und Anspannung nicht mehr gelöst werden.

Vietnam hat sich den blutigen revolutionären Krieg nicht ausgewählt. Er wurde ihm aufgezwungen. Aber das ist immer so, denn die Geschichte ist so und darüber gibt es kein Jammern. Die Klassenherrschaft auf der Welt, die seitens des Kapitals und anderer reaktionärer Klassen existiert, bringt dies unweigerlich mit sich. Und wenn die inneren Gegner überwunden werden, dann kommen die großen Supermächte wie die USA oder andere und mischen sich in ihrer Weise ein.

Heute ist die Umwälzung schon so weit vorangegangen, daß man gegenüber der Zeit von 1975 schon wieder von einer völlig veränderten Welt sprechen kann. Ein ganz anderes Ausmaß der Internationalisierung hat sich entwickelt. Durch die internationale Kommunikation rücken die verschiedenen Völker und Nationen enger aneinander, und es kann auch so etwas wie eine internationale Bildung einer öffentlichen Meinung unterhalb des Levels der offiziellen Presse entstehen. Diese neuen Chancen müssen genutzt werden. Trotzdem ist auch für die heutige Jugend der Kampf dieser kleinen vietnamesischen Nation gegenüber der riesigen Supermacht ein glänzendes Beispiel, aus dem man sehen kann, daß, wenn man prinzipiell richtig handelt, man auch dauerhaft den Kampf gegen einen solchen Gegner gewinnen kann.

In Deutschland gab es damals viele Menschen die sagten: uns geht es doch gut, wir fahren doch gut mit der Herrschaft der USA, und dann auch mit der Herrschaft der USA und der Sowjetunion. Aber dieses Land selbst ist vom Inneren her vom Wurm zerfressen, und es zeigt sich, daß die sogenannte Grundlage des Wohlstandes die Keime des Zerfalls und gefährlicher Entwicklungen für ganz Europa enthält. Auch das ist ein Kontrast zur Entwicklung in Asien, die nicht zufällig als ein riesiger Aufbruch begriffen wird. In letzter Konsequenz haben sogar die chinesische Revolution unter Mao Zedong bis 1976 und der Sieg des vietnamesischen Volkes 1975 dazu beigetragen, daß überall in Ostasien sich die nationalen Kräfte entwickelten und ein relativ radikaler und entfalteter Kapitalismus dann in einer riesigen Zone Einzug hielt, was heute die internationalen Zusammenhänge mehr bestimmt, als jeder andere Faktor.

Die USA in ihrem Gegensatz zu China und Vietnam konnten gar nicht anders, als den Kräften der Bourgeoisie der anderen Länder stattzugeben und ihnen zur Entwicklung Platz zu geben. Sie mußten etwas bieten, sonst konnten sie gegenüber der Revolution nicht bestehen.

Die Zuspitzung vor 30 Jahren am 30.4.1975 hatte ihre Widerspiegelung unbedingt auch in Europa selbst. Es war das Jahr der sog. OSZE, in der die USA und die damalige Sowjetunion um die Vorherrschaft in Europa rivalisierten. Gegen revolutionäre Organisationen, die an dem revolutionären Kurs von Anfang der 70er Jahre festhielten wie unsere, wurde rigoros vorgegangen. Aufgrund vollkommen ungerechtfertigter und willkürlicher Justizmaßnahmen waren wir damals gezwungen, von 1972-76 wesentliche Teile unserer Arbeit ins Ausland zu verlagern. Eine ganz wichtige Rolle spielte dabei das Hochtreiben der Hysterie in der Gesellschaft mittels der sog. „Baader-Meinhof“-Kampagne, heute vor allem auch unter dem Begriff „RAF“ bekannt. Diese Hysterie wurde im Jahre 1975 bewußt nach Schweden gebracht, das ganze Land in Aufregung versetzt und unserer Organisation Schwierigkeiten bereitet. Genau am 30.4. 1975 wurde ein kleines Haus, das von uns gerade als neuer Sitz eingerichtet wurde, von der Polizei nach Hinweisen auf Täter, die im Zusammenhang mit dem Bombenanschlag auf die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Stockholm am 24.4. 1975 standen, durchsucht. Danach verschwand das ganze Ereignis sofort aus der Presse und man beendete die Hysterie.
Auch das war eine Widerspiegelung der Zuspitzung der dramatischen Tage Ende April 1975, von der der Sieg Vietnams der vielleicht bekannteste und wesentlichste Ausdruck ist.

Angesichts der heutigen kapitalistischen Entwicklung von Korea bis Indonesien ist auch Folgendes zu bedenken: wären Thieu und Ky, frühere Machthaber in Vietnam, und Lon Nol in Kampuchea an der Macht geblieben, dann hätte ein brutales, völlig zersetztes und zur Entwicklung unfähiges kapitalistisches Regime weiter in Asien regiert und hätte dort die Entwicklung verpestet. Obwohl also in China der Sozialismus umgestürzt wurde, trotz der Verbrechen, die das daraus hervorgehende revisionistische Regime und andere revisionistische Kräfte dann im weiteren begingen, hat die Revolution also größte Umwälzungen nach sich gezogen.

Redaktion Neue Einheit

 

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