Internet Statement 2005-36

 

Bundeswehr demnächst mit ganzer Besatzungszone in Afghanistan?

Hartmut Dicke, Red.NE, 7.5.05            

Am 27.4.05 erschienen als Schwerpunktthema in der Finanz- und Wirtschaftszeitung  „Handelsblatt“ die Vorschläge, die von den heute in Afghanistan militärisch aktiven Mächten der NATO unterbreitet werden, nachdem dies in den Medien am Vortage kurz berührt worden war. Unter der vergleichsweise unscheinbaren Überschrift „Struck will Engagement in Afghanistan verstärken“ heißt es gleich:

„Die Bundeswehr ist bereit, ab Oktober die Kontrolle des gesamten Nordens von Afghanistan zu übernehmen. Außerdem sicherte Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) der afghanischen Regierung bei seinem Besuch in Kabul am Dienstag zu, logistische Hilfe beim Kampf gegen den Drogenanbau zu leisten."

Und dann als Pflichterklärung:

„Die Ausweitung des Einsatzgebietes auf den gesamten Norden setze ’natürlich die Zustimmung des Bundestages’ voraus.“

Unter dem Vorwand des angeblichen Kampfes gegen die Drogen militärischen Expansionismus zu betreiben, ist nichts Neues. Viele der Operationen der USA etwa auf dem amerikanischen Kontinent werden mit einem angeblichen Kampf gegen Drogen gerechtfertigt.

Und natürlich wird diese von den NATO-Mächten betriebene Aufteilung nicht als Wunsch eben dieser, sondern als  ’Wunsch der afghanischen Regierung’ ausgegeben:

„Sinnvoll sei die Entsendung von maximal 2 500 Soldaten. Wunsch der afghanischen Regierung ist es, das Land in vier Militärbezirke aufzuteilen: Großbritannien soll sich auf den Süden konzentrieren, Italien - mit Unterstützung Spaniens - auf den Westen, Deutschland auf den Norden, und die USA sollen den Osten kontrollieren.“

Dies wäre ein deutlicher Sprung in der ganzen Entwicklung in Afghanistan. Die Bundesrepublik würde Besatzungsmacht an einem äußerst komplizierten und neuralgischen Punkt werden und Gefahrenpolitik für das Land betreiben. Also auch der „Verteidigungsminister“ der SPD-Grünen-Koalition betreibt nun eine offene und direkte aggressive Politik mit  abenteuerlichen Vorzeichen. Denn es ist ein erheblicher Unterschied, ob nur einzelne Kontingente der Bundeswehr in bestimmten Städten stehen, oder ob sie über ein ganzes Territorium ausgedehnt quasi Hoheitsmacht in diesem Land wird. Aus solchen „Einteilungen“ von Ländern sind schon viele Kriege entstanden, in dem die Besatzungsmächte selber später gegeneinandergeraten. Deshalb ist ein unten zitierter buchstäblicher „Einpeitscher“-Artikel auch auf dem Hintergrund der internationalen Verhandlungen wie auf dem der Verschärfung der Situation im Lande selbst zu sehen.

„Die Bundeswehr hält sich bereit, ihren Einsatz auf den ganzen Norden Afghanistans auszudehnen.“

heißt es arrogant. Ein Land, das pleite ist, macht Militärpolitik in großem Stile, die Konflikte vorprogrammiert.

Solch eine Besatzungszone würde genau an den chinesisch-tadschikisch-usbekischen Bereich angrenzen und das Durchgangsgebiet für eventuelle Maßnahmen US-imperialistischer Kräfte in Richtung Norden bilden, wenn diese im südöstlichen Raum (Kabul), angrenzend an Pakistan, stationiert werden, wie es der Plan vorsieht. Ein offener Interessenkonflikt zwischen der Bundesrepublik und den USA könnte hier zu direkten Reibungen militärischer Art führen.

Und wie es zur Stimmung dieser rechten abenteuerlichen Politik gehört, erscheint auch gleich im Auftrag dieser Regierung ein dreister Kommentar, der unverblümt dieses Land in eine Rolle als Gernegroß-Militärmacht drängen möchte.

Unter dem Titel „Wichtiger Schritt“ schreibt ein Andreas Rinke:

„Ein Land, das einen ständigen Sitz im UNO-Sicherheitsrat anstrebt, muß globaler agieren. Und tatsächlich ist seit einigen Wochen spürbar, daß Verteidigungsminister Peter Struck offensiver und aktiver mit Einsätzen deutscher Soldaten in internationalen Krisenherden umgeht.“

Und zuvor wird schon Bundeskanzler Schröder zitiert:

„Wenn der Bundeskanzler also eine Debatte um eine stärkere sicherheitspolitische Rolle der EU anstößt und zugleich eine Wiederbelebung strategischer Debatten in der NATO fordert, kann dies nicht ohne Konsequenzen für die Bundeswehr bleiben.“

Laut dem Kommentator Rinke kommt das beabsichtigte Vorgehen nicht nur von Struck, sondern von Schröder, von der höchsten Spitze der deutschen Bourgeoisie. Man kann diesen Kommentar durchaus als einen Hinweis darauf einschätzen, was die „höchsten“ Kreise wünschen.

„In den vergangenen Jahren hat sie (die Bundeswehr) sich zu einem wichtigen Mitspieler bei internationalen Einsätzen gemausert. Sie trägt bereits heute einen erheblichen Teil der Last sowohl in Afghanistan wie auch auf dem Balkan. Aber über neue und ausgeweitete Einsätze wurde nach dem Afghanistan-Krieg stets mit der These diskutiert, daß die 'Grenzen der Belastbarkeit' nun erreicht seien. Dafür war nicht nur der tatsächlich noch lange nicht abgeschlossene Umbau der Bundeswehr von einer Landesverteidigungs- zu einer Interventionsarmee verantwortlich.“

Aber jetzt soll die Bundeswehr dazu fähig sein. Und die Wünsche gehen auch gleich weiter:

 „Der Sudan-Einsatz richtet den Fokus der deutschen Öffentlichkeit auf einen Kontinent, auf dem die internationale Gemeinschaft in den kommenden Jahren sehr häufig zu Einsätzen gezwungen sein könnte. Denn die Zahl der sog. ’failing states’ und blutigen Dauerkonflikte ist groß.“

Die Bundeswehr soll also nicht nur als „Schutzmacht“ in Osteuropa, sondern als sog. Schutzmacht in Afrika mit größeren Kontingenten operieren, auch hier auf einem Weg in völlig undurchsichtige Konflikte mit Auswirkungen auf den gesamten europäischen Kontinent.

Derartige Anheizungen von Konflikten dienen dann auch im Inneren dazu, die Stimmung für weitere Repression zu schaffen.

„Es ist absehbar, daß die Sicherheit in Afghanistan zukünftig von vier großen Nato-Ländern garantiert werden soll: USA, Großbritannien, Italien und eben Deutschland. Jeder soll federführend eines von vier Gebieten übernehmen und dann kleinere Nato-Nationen in die diversen Stabilisierungsaufgaben einbinden.“

Die Bundesrepublik, die ihre eigenen Probleme nicht gelöst bekommt, die im Grunde gar kein wirklich selbständiger Staat ist, als anleitende Besatzungsmacht in Afghanistan! In Gang gesetzt von einer Regierung von angeblichen Pazifisten, von Leuten, die bis vor noch gar nicht allzu langer Zeit so getan haben, als könnten sie eine Waffe nicht einmal angucken. Und dieser Kommentar hält auch nicht hinter dem Berg, wer weiter noch hinter diesen Plänen steht.

„Zum Teil ist die Strucksche Offensive also auf Druck von außen zu erklären. Zum Teil ist sie aber auch die Folge von internen Veränderungen. Denn je mehr die Umstrukturierung der Bundeswehr voranschreitet, desto höher ist die Zahl der Soldaten, die für Auslandseinsätze zur Verfügung stehen.“

Der zweite und dritte Satz lenken mehr ab, denn selbst wenn mehr Soldaten zur Verfügung stehen, folgt daraus noch lange nicht der Einsatz in Afghanistan oder Afrika. Hier sind politische Vorgaben am Werk.

„Dazu kommt eine gewisse Entspannung auf der Finanzseite.“

Ein Hohn, wenn man die fast täglich neuen Meldungen sieht. Die Entlastung auf der Finanzseite existiert nicht!

 „Nach dem Afghanistan-Krieg ist die Zahl der im Ausland eingesetzten Bundeswehr-Soldaten stetig gesunken. Nur so konnte Struck die Jahr für Jahr von ihm verlangten nachträglichen Kürzungen in seinem Etatansatz realisieren. Die Änderungen am Europäischen Stabilitätspakt aber sprechen dafür, daß ihm ähnlich überraschende Einschnitte künftig seltener drohen werden.“

Die abenteuerliche Staatsverschuldungspolitik zugleich als Grundlage für Militärausgaben. Der europäische ökonomische Rahmen in Form der Stabilitätskriterien, der von den eigenen bürgerlichen Kräften so gesetzt worden ist, wird dem Risiko des völligen Zerfalls ausgesetzt, um militärische Abenteuerpolitik am Hindukusch zu machen.

„Dazu kommt schließlich die Einbettung der Sicherheitspolitik in die generelle außenpolitische Debatte in Deutschland. Schon mit dem Hinweis auf die UNO-Reformdebatte läßt sich heute wieder leichter argumentieren, daß die Bundeswehr international eine größere Rolle spielen sollte.“

Hier meldet sich in der Tat ein Kommentator zu Wort, der die abenteuerliche Großmachtpolitik der jetzigen Regierung zum Ausdruck bringt und forciert und klarmacht, daß diese Regierung schnöde imperialistische Expansionspolitik betreibt, wobei die Grünen keineswegs nur den Part eines Anhängsels spielen. Denn deren militärpolitischer Sprecher, Nachtwei, ist gleich dabei, wenn es gilt, diese Maßnahmen zu beschönigen und Bedenken zu zerstreuen. In einem Interview zu diesen Vorschlägen behauptet er:

„Da gibt es natürlich erhebliche Risiken, ganz klar. Aber ich meine, für diese Risiken ist bestmöglich vorgesorgt.“  

Er ist voller „Optimismus“:

„Wir werden da intensiv diskutieren. Aber ohne den Dingen vorgreifen zu wollen: Ich denke, dass dies dann auch eine breite Zustimmung bekommen wird.“

Das alles muß unverzüglich unterbunden werden, und der Einsatz in Afghanistan darf in keiner Weise ausgeweitet werden, sondern muß zum schleunigen Ende geführt werden.

Das Märchen, daß die Mächte von den USA bis zur Bundesrepublik Deutschland dort den Drogenanbau bekämpfen, ist ein alter Vorwand. Selbst jemand, der nur über eine gewisse Erfahrung verfügt, weiß, was dort gespielt wird. Trotzdem wird dieser Vorwand durch die Medien unterbreitet werden, und er bedarf der öffentlichen Bekämpfung. Es ist deshalb bemerkenswert, daß der erwähnte Kommentar hier nicht hinter dem Berg hält. A. Rinke:

 „Der erweiterte Afghanistan-Einsatz wiederum ist ein Bekenntnis dazu, dass die Bundeswehr künftig auch gefährlichere Jobs übernehmen muss. Wenn Struck gleichzeitig ankündigt, dass deutsche Soldaten eine aktivere Rolle bei der Drogenbekämpfung spielen werden, meint er zwar nicht, dass die Bundeswehr nun selbst Mohnfelder abfackelt.“

Nein, natürlich nicht. Die Aufgabe der angeblichen Drogenbekämpfung wird an die afghanische Regierung delegiert. Aber große Truppenkontingente werden an der Südflanke der ehemaligen GUS stationiert und ein Pulverfaß für die ganze Welt geschaffen!


 (Presseschau, Alle Zitate aus Handelsblatt, 27.April 2005)

 

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