Internet Statement 2005-49
Die Fünfzehn-Jahres-Garantie der BVG Überraschend wurde am letzten Donnerstag ein Tarifabkommen zwischen dem Senat von Berlin und Ver.di in der BVG-Tariffrage erzielt. Die Zeichen standen auf ausgiebigen Streik der BVGler gegen noch weitere Verschlechterungen ihrer Einkommen. Besonders herausragend ist die Bestandsgarantie für die BVG bis zum Jahr 2020. Obwohl erklärt wird, daß es ein ähnliches Abkommen bereits mit der S-Bahn gibt, so kommt dieser außerordentlich langen Garantiefrist wegen des Beispiels und des Umfangs der BVG-Belegschaft große Bedeutung zu.
Um das zu verstehen, muß man die Rolle der BVG in dem Berlin der
letzten Jahrzehnte sehen. Die soziale Entwicklung in Berlin hat in den letzten zehn Jahren erheblichen Zündstoff geschaffen. Es gibt heute zig Tausende von Menschen in prekären Jobs, die ungleich weniger verdienen als frühere sog. Arbeitnehmer sowohl in Großbetrieben als auch in den Betrieben des öffentlichen Dienstes. Der Trend zeigte insgesamt nach unten. Auch die bisher verhältnismäßig gut Verdienenden hatten Abstriche hinnehmen müssen. Kürzungsprogramme durchzogen auch die Ämter, aber wie? In den oberen Rängen der Beamtenschaft zu viele Leute für eine zu besetzende Funktion, so daß Leute bezahlt nach Hause geschickt wurden, ohne eine Arbeit zu verrichten, während demgegenüber auf den unteren Ebenen die Beschäftigtenzahlen zusammengekürzt worden waren und die Leute einem doppelten und dreifachen Arbeitsdruck ausgesetzt waren. Deswegen war die „soziale Gemeinschaft“ in Berlin, die früher existierte, auch obsolet geworden.
Der Betrieb der BVG hat derweil selbst über eine Milliarde Schulden. Für die überwiegende Mehrheit der Bürger Berlins ist es unerklärlich, weshalb bei einem Preis von 2,- Euro für jede Standardfahrt und bei Preisaufschlägen auf alle Sammelkarten in den letzten Jahren die Kosten der BVG nicht gedeckt werden. Die Finanzen dieses großen öffentlichen Betriebes müssen im Detail hinterfragt werden. Es heißt, daß die Fahrkarten der BVG vom Berliner Senat subventioniert werden müßten. Vermutlich hat die BVG erhebliche Pensions- und Alterszahlungen in welcher Form auch immer zu leisten, die eben damit zusammenhängen, daß in den 70er und 80er Jahren die Belegschaften aus ganz anderen Gründen als aus sachlichen Notwendigkeiten der Verkehrsbetriebe aufgestockt wurden. Dies war ein Phänomen der Vergangenheit, das aber bis heute Folgen hat. Inzwischen sieht vieles ganz gegensätzlich aus. Die Belegschaft wurde in den letzten Jahren bereits radikal gekürzt. Heute arbeiten bei der BVG noch 11500 Menschen, im Jahre 1991 waren es noch 27500 und im Jahre 2004 noch 12500. Sehr oft ist der Service für die Kunden verschlechtert worden. Es ist die Frage, wo sind die Einsparungen erfolgt? Das Phänomen der Ausweitung der Ausgaben bei den öffentlichen
Diensten gab es allerdings nicht nur in Berlin, sonder im ganzen Bund.
Die Welle der Beförderungen und der Verleihung von Beamtenstellen
und beamtenähnlichen Positionen der 70er Jahre schlägt jetzt
mit enormen Pensionskosten innerhalb der Staatsfinanzen durch. Die Korrumpierung
dieser Zeit muß inzwischen von der nachfolgenden Generation der
Arbeitenden bereits mitgetragen werden. Die Beschäftigten der BVG müssen zwischen 9,5 und 11% Einkommenseinbuße
hinnehmen. Dies ist für manche vielleicht etwas schmerzlich. Gemessen
an den sozialen Bedingungen, die für sie insgesamt noch existieren,
und unter Berücksichtigung einer Bestandsgarantie von 15 Jahren ist
dies im Vergleich zu anderen Branchen vergleichsweise vorteilhaft und
wird deshalb auch mit großer Wahrscheinlichkeit angenommen werden.
Mit solch einem Abkommen der 15-jährigen Garantie bekommen die Beschäftigten
der BVG bzw. Ver.di-Mitglieder etwas, was ganz aus dem Rahmen fällt,
was der ansonsten herrschenden Tendenz zur Entrechtung völlig zuwiderläuft.
Sie werden damit angebunden an eine weitere Staatsverschuldungspolitik,
man wird von ihnen erwarten, daß sie ja sagen, wenn die übrige
Bevölkerung gebeutelt wird.
III. Die Spekulation des Berliner Senats geht mit Sicherheit dahin, daß nicht sie eventuelle finanzielle Belastungen tragen müssen, sondern der Bund unter den Zwang kommt, sie tragen zu müssen. Deswegen kommt dem sehr wahrscheinlichen stillschweigenden Einverständnis des Bundes zu diesem Abkommen auch Bedeutung zu. Es ist dann zu erwarten, daß der Bund die Belastungen, die aus den Problemen von Berlin resultieren, übernehmen wird, auf Kosten der Steuerzahler und der Arbeitenden in Westdeutschland sowie derjenigen, die die Profite für dieses Land im Ausland erarbeiten. Dieser Berliner Klüngel ist ein Erbstück aus der Zeit der Besatzung Berlins durch die USA und der Alliierten, und offensichtlich spielt dieser auch heute noch in der Bundesrepublik eine Rolle und gedenkt, diese Existenz, obwohl sie offenkundig obsolet geworden ist, zu verteidigen. Zu auffällig, daß es gerade einmal ein bißchen formalen Protest von Seiten der Berliner FDP und ein paar kritische Bemerkungen von der sog. grünen Opposition gab, und ansonsten zu diesem Abkommen fast alle Kräfte schweigen oder es sogar begrüßen. Man hätte vermuten müssen, daß die Zeitungen, die doch sonst so voll mit ihrer Agitation für den „Neoliberalismus“ sind, jetzt wütende Tiraden über dieses Abkommen singen, aber das ist nicht der Fall. Es ist auf höchster Ebene abgesprochen, und sicher hat man Schröder und auch Merkel gefragt, ob sie es dulden. Und hier gibt es keinen Protest, es wird akzeptiert als eine Maßnahme, die Reaktion zu stützen, die mit Sicherheit auf vielen anderen Gebieten verschärfte Angriffe auf soziale Bedingungen nach sich ziehen wird. Was hier läuft, ist Spaltung und nicht Erfolg im Klassenkampf auf einem bestimmten Sektor. Das ist unserer Ansicht nach das Wesen dieser Sache. Redaktion Neue Einheit
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