Internet Statement 2005-67

 

Große Anteilnahme auf Gedenkfeier für den ermordeten kleinen Christian

Heftige Debatten in Berlin

Unmut über Justiz

5.September 2005

Am 2. September fand in Berlin-Schönow eine Trauerfeier für einen ermordeten 7-jährigen Schüler statt, der in einer äußerst brutalen Weise durch einen schon lange bekannten straffälligen Sechzehnjährigen ermordet worden war.
Dieser abscheuliche Mordfall hat erneut in Berlin für erhebliche Unruhe gesorgt. Wieder und wieder gehen Meldungen durch diese Stadt, wie auch durch das ganze Land, ob denn derartige Vorfälle unvermeidlich sind, und sie werfen die Frage nach der Justiz und ihrer Rolle auf, die in einer merkwürdigen Weise untätig bleibt, obwohl bei bestimmten Straftätern verschiedenen Alters sich derartige Straftaten vorbereiten und abzeichnen.

Der kleine Junge war am Samstag, 27. August, unter noch nicht bekannten Umständen auf ein etwas abseits gelegenes Gelände gelockt und dort brutal mißhandelt und erschlagen worden.
Umso schlimmer wirkten die Nachrichten, als bekannt wurde, daß er das Opfer eines als "Intensivtäter" geführten Jugendlichen geworden ist. Unter einem Intensivtäter wird ein jugendlicher Straftäter verstanden, der mindestens 10mal im Jahre straffällig wird. Dieser mehrfach vorbestrafte Täter hatte erst am 17. Juni diesen Jahres an einem Fast-Mordfall teilgenommen. Ein junger Mann war nicht sehr weit entfernt von dem jetzigen Tatort ins Koma geschlagen worden durch eine Gruppe von Tätern, worunter dieser jetzt bekannt gewordene vermutliche Täter einer war.

Der Bereitschaftsrichter hatte einen Haftbefehl ausgestellt und dennoch diesen vielfach vorbestraften Gewalttäter laufen lassen!!! Dies wirft in der Stadt nun nur zu Recht die Frage auf, ob denn der kleine Christian S. ohne die Verhaltensweisen der Justiz nicht noch leben würde.

In der Gehag-Siedlung in Berlin-Schönow, wo sich dieser Fall ereignete, sind der Presse zufolge die Ausbreitung einer gewissen Kriminalität und die Verwahrlosung von Jugendlichen an der Tagesordnung. Dies gibt es auch in einer Reihe anderer Bezirke. Rauschgift und Drogen werden am offenen Tage gedealt, der jetzige dringend zu vermutende Täter ist auch wieder ein Drogen-Konsument.

Fragt man Behörden, die sich mit solchen Problemen befassen, so hört man immer wieder: die verantwortlichen Dealer werden von der Justiz sowieso wieder freigelassen, ein Vorgehen habe nur bedingt Zweck.
Wieder und wieder wird das Licht auf die Justiz geworfen, die die elendsten und übelsten Erscheinungen in der Gesellschaft offenbar begünstigt.
Deswegen ist es auch kein Wunder, daß selbst die größten Medien in der Stadt von dem Unmut über die Justiz und ihr Verhalten berichten.
Die Justizsprecherin Michaela Blume versuchte das Verhalten des Bereitschaftsrichters zu beschönigen, ja zu entlasten mit der Argumentation, 'dieser Täter sei nur im Juni wegen Tatbeteiligung beschuldigt gewesen, deshalb habe er ihn gegen gewisse Auflagen laufen gelassen' (inforadio 2.9.). Eine solche Verfahrensweise sei üblich.

Dabei stellt sich allerdings die Frage: wie konnte der Bereitschaftsrichter übersehen, daß dieser mehrfach vorbestrafte Täter schon Bewährungsauflagen hatte, also hier auf keinen Fall freigelassen werden durfte? Und was heißt "nur eine Beteiligung" an solch einer schwersten Straftat? Wortwahl und Argumentationsweise der Justizvertreter werfen in der Tat gleich weitere Fragen auf.

Es kam auch zu Kritik in der Öffentlichkeit. So hat auch der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei kritisiert, daß ungeachtet einer stetig steigenden Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft seitens der politisch Verantwortlichen nichts passiere, und das Verhalten des Bereitschaftsrichters sei mindestens als grob fahrlässig zu bezeichnen. Mit anderen Worten, es ist mehr als fahrlässig, wenn ein Richter für einen mehrfach als Gewalttäter in Erscheinung getretenen Jugendlichen Haftverschonung anordnet.

Auch mehrere Boulevardblätter wie BZ und Bildzeitung hakten sich in die Angelegenheit ein. Manche nehmen das zum Vorwand, als bräuchte man sich um diese Angelegenheit nicht kümmern, da diese Zeitungen auf der anderen Seite selbst vielfach diskreditiert sind.
Die unmöglichen Zustände und das provokative Verhalten von Behörden wird damit keineswegs aus der Welt geschafft. Sie sind objektiv anzuprangern, und jede Aufklärung darüber ist von großem Nutzen. Diejenigen Presseorgane, die sich an solcher Stelle gerne mal über die Boulevardpresse auslassen, die Zustände aber beschönigen und diese Verhaltensweisen von Staatsorganen mit Gleichmut behandeln legen schon ein merkwürdiges Verhalten an den Tag.
Auch einige führende Vertreter der CDU haben sich in dieser Angelegenheit geäußert und die Praktiken in diesem Bereich anläßlich der öffentlichen Empörung kritisiert. Die zweifelhaften Verhältnisse haben sich aber auch unter ihrer Ägide so entwickelt. Es wurde auch eine Herabsetzung des Strafmündigkeitsalters gefordert, das jetzt bei 14 Jahren liegt, obwohl es längst Jugendbanden gibt, die angesichts dieser Gesetzgebung jedenfalls von dieser Seite her nicht zu bekämpfen sind.

Was jedoch offizielle Senatsvertreter in dieser Frage von sich geben, ist schier unerträglich. Die Justizsenatorin Karin Schubert sagt in der Abendschau des RBB, die Entscheidung des Richters sei nach den Regeln der Gesetze nicht zu beanstanden, und rechtfertigte diese grauenhafte Entscheidung.
Die Sache liegt ganz anders. Es ist ein Verfahren gegen diesen Bereitschaftsrichter einzuleiten mit der Untersuchung, ob er sich nicht zumindest grob fahrlässig verhalten habe. Welches war sein Kenntnisstand bei der Entscheidung, und wie hat er sich um die notwendigen Unterlagen in dieser Angelegenheit bemüht?
Es darf nicht sein, auch wenn es in vielen Fällen schon Realität ist, daß die Justiz sich selbst deckt.

Auch höhere andere Institutionen von Juristen haben versucht, die Handlungsweise des Bereitschaftsrichters zu rechtfertigen. So heißt es von einem Sprecher des Deutschen Richterbundes: der Gesetzgeber hat für die Freiheitsentziehung bei Jugendlichen hohe Hürden festgelegt. Kann also jemand, der schon an einem Fast-Mord beteiligt war, nicht mit den notwendigen Sanktionen belegt werden?
Es gab auch eine deutliche Diskussion darüber, ob nicht die Streichung von Mitteln in der Jugendarbeit eine der Ursachen für derartige Taten und ihre Ausbreitung ist. Und das ist sicherlich richtig. Durch das Streichen von Projekten werden die letzten Anker einer möglichen Sozialarbeit und Prävention geschwächt.
Das Wesen liegt woanders. Man muß sich fragen, warum duldet dieser Staat, diese Justiz, warum dulden andere Behörden derartige Szenerien, in denen sich Gewalthandlungen an verschiedensten Stellen wiederholen?
Dies hat auch eine Funktion in der Gesellschaft. Es schüchtert ein und lenkt von anderen Fragen ab. Menschen werden alltäglich verzettelt. In Wohnsiedlungen und in Parks und Freizeiteinrichtungen werden sie unter einen permanenten Druck gesetzt.
Ohne daß die Quelle der falschen "Toleranz" in den staatlichen Organen selbst einer deutlichen Kritik unterzogen wird, werden auch alle Therapieversuche und Sozialarbeiten nur sehr beschränkten Erfolg haben. Und die Äußerungen der Hochmut und die Arroganz, die sich bei Karin Schubert oder bei anderen Vertretern der Regierung zeigen, lassen darauf schließen, daß sie gewillt sind, diese Zustände weiterhin zu tolerieren oder gar zu fördern.

So erklärte zum Beispiel die Jugendstadträtin Anke Otto von den Grünen aus dem Bezirk Zehlendorf, in dem das Gebiet Schönow liegt: wir werden letztlich derartig tragische Fälle nie verhindern können (inforadio 30.8.). "Nie" verhindern kann man das auch nicht; daß es so häufig und in solch einer Verbindung mit staatlichem Verhalten geschieht, das kann man verhindern.

Zu der Diskussion um die Jugendgesetzgebung und ob geschlossene Anstalten Sinn machen oder nicht: Es ist erstmal die vorrangige Frage, ob die vorhandenen Gesetze konsequent angewendet werden. Weiter ist es doch selbstverständlich, daß endlich geeignete Institutionen geschaffen werden, die solche schwerkriminellen Leute, daran hindern, weitere Taten zu begehen.

Wenige Wochen ist es erst her, da hat die Justiz in Berlin einen Mörder, der eine junge Frau gefesselt und in den Westhafen geworfen hatte und so auf brutale Weise umgebracht hatte, nicht als Mörder verurteilt, sondern nur als Totschläger, der in wenigen Jahren wieder frei sein wird, weil dieser mit 21 Jahren angeblich nur eine Mentalität wie ein Jugendlicher habe, und zur Entschuldigung vorgebracht, daß er sich mit Rauschgift vorher vollgepumpt habe. Es ist deshalb auch kein Wunder, daß derartige Klientel meinen, sie können hier machen, was sie wollen, es passiert sowieso nicht viel.

Die Förderung solcher Jugendlicher ist selbst eine Form der Förderung von Gewalt gegen die Bevölkerung. Das gilt es einmal festzuhalten. Und solange ein solcher Geist von Justiz und Behörden ausgeht, wird sowohl die Bemühung um Sicherung oder Haft, wie auch jede Bemühung um Resozialisierung untergraben. In dem vorstehenden Fall sehen wir, es gibt Gesetze, um solche Täter zu verurteilen, aber es nutzt nichts, wenn dahinter eine Justiz steht, die diese Gesetze gar nicht anwenden will.

Wieder ist ein Opfer aus unserer Mitte gerissen worden, ein Kind, wieder werden den Angehörigen entsetzliche Schmerzen zugefügt, werden Menschen durch diese Verhältnisse extrem gedemütigt. Was ist denn ein Kind, was ist denn das Bemühen um Erziehung wert, wenn ein Staat so mit seinen Bürgern und den Kindern umspringt!

In der Presse wird gelegentlich schon von "ritualhaften Entschuldigungsformeln" gesprochen, die gewisse Behörden hier vorbringen. Es bedarf der Diskussion in der Gesellschaft, woher die Justiz ihr autokratisches, anmaßendes Verhalten ableitet und was sie dazu befähigt.

Es ist jedenfalls das Recht des Volkes und der überwiegenden Mehrheit in diesem Lande, einer solchen Institution auf die Finger zu sehen, Überprüfung zu fordern und durchzusetzen und zunehmend Widerstand dagegen zu entwickeln.


Redaktion NE
-hd

 

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