Internet Statement 2005-80

 


Der Ausstieg aus dem Atomausstieg

Wie eine besorgte "Financial Times Deutschland" gegenzuhalten sucht

Walter Grobe  24.10.05        

Das Thema Energieversorgung spielt aus offensichtlichen dringenden Gründen eine immer größere Rolle in den aktuellen politischen Auseinandersetzungen, in unserem Land, in Europa wie weltweit. Immer mehr zeigt sich, welchen riskanten, ja katastrophalen Kurs Länder einschlagen, die sich von der Versorgung mit Öl und Gas durch die westlichen Energiemonopole wie auch überhaupt vom Kartell der Ölbesitzer und Preistreiber abhängig machen. Der Unsinn der Versprechungen der sog. alternativen oder, wie es noch widersinniger heißt, „erneuerbaren“ Energien, wird wenigstens ansatzweise von manchen Kräften kritisiert.

Aber in den Koalitionsverhandlungen zwischen CDU/CSU und SPD figuriert das Thema der zukünftigen Energiepolitik bisher fast als no-event, jedenfalls soweit darüber berichtet wird. Und das, obwohl die Frage des Atomausstiegs im Wahlkampf keine geringe Rolle gespielt hat. Die CDU/CSU hatte wenigstens die Ankündigung in den Wahlkampf gebracht, sie könne die Laufzeiten der KKW verlängern und den sog. Atomausstieg um eine Reihe von Jahren verschieben, obwohl diese Formel den Ausstieg nicht prinzipiell antastet und die schwere politische und wirtschaftliche Hypothek kaum erleichtert, die er für die gesamte Entwicklung des Landes bildet.

Es muß Klarheit geschaffen werden, daß an eine Entfaltung der ökonomischen Kräfte des Landes ohne einen höheren Grad an Selbständigkeit und Modernität in der Energieversorgung nicht ernsthaft zu denken ist. Die Abhängigkeit von westlichen oder auch russischen Energielieferungen muß deutlich vermindert werden, weil sie eine Schlinge um den Hals ist, die zur internationalen ökonomischen oder politischen Erpressung, gerade auch gegen fortschrittliche gesellschaftliche Bewegungen im Lande bzw. in Europa, jederzeit zugezogen werden kann. Das Menetekel, das gegen die Entwicklung moderner Naturwissenschaften und Technologien ganz prinzipiell durch die Anti-Atomkraftsideologie inszeniert wurde und insgesamt deren Entwicklung kulturell, politisch und bürokratisch hemmt, ist überfällig. Es ist irrig anzuführen, daß ja trotzdem Erfolge auf einer Reihe wissenschaftlicher und technischer Gebiete möglich gewesen seien. Die Frage muß doch lauten, wie ein Land trotz all seiner Potenzen, die sich immer noch zeigen, in eine derartige Depression geraten konnte, welche Politik dafür an zentraler Stelle steht und was nicht weiter geschleppt, sondern überwunden werden muß.

Wenn die Koalitionsverhandlungen nicht dazu führen, daß die SPD mit ihrer Alternativpolitik deutlich zurückstecken muß, daß überhaupt politischer Kurs gegen die ganze Richtung der industriellen Liquidation genommen wird, auch gegen die durchaus ähnlichen Kräfte in CDU/CSU, dann muß eine solche Koalition in derselben Weise bekämpft und zum Sturz gebracht werden wie die rot-grüne Koalition. Das erfordern die Lebensinteressen der Arbeiter wie auch die Interessen an mehr Selbständigkeit des Landes gegenüber der internationalen Bevormundung.

Ein Blatt wie die „Financial Times Deutschland“, das grundsätzlich für die Abhängigkeit der BRD von der angemaßten Welthegemonie der USA mit ihrer britischen Hilfstruppe eintritt, kann nicht umhin zu ermahnen, daß am „Atomausstieg“ auch nicht ein Tüttelchen geändert wird, und leistet sich die vorwurfsvolle Überschrift „Union und SPD versuchen den Atomausstieg zu verschleppen“. Und was besagt dieser Tadel der FTD? Schon die Mutmaßung, die kleinste Modifikation am „Atomausstieg“ könnte vielleicht im Zuge der Koalitionsverhandlungen vereinbart werden, bringt sie auf die Palme; gleichzeitig versucht sie, in dieser Sache schon einmal den übelsten anzunehmenden Kompromiß zu lancieren, der ihr und ihren Interessen noch fast völlig entspricht. Sie macht Reklame für nicht näher bezeichnete Kreise in der CDU/CSU, die angeblich mit der SPD schon fast handelseinig seien mit einer Formel, daß nicht am „Atomausstieg“ und nicht einmal an den Gesamtlaufzeiten gerüttelt werde, sondern nur die ersten anstehenden weiteren Stillegungen etwas verschoben werden könnten, indem Strommengen anderer KKW auf die betr. Kraftwerke übertragen würden. Bspw. also Biblis A nicht schon 2009 schließen, sondern etwa 2012, und als Lockangebot für die Kernenergie-Befürworter ein Gerede, in der Zwischenzeit könnte ja vielleicht eine Regierung zustande kommen, die den „Atomausstieg“. tatsächlich abschafft.

Wer darauf hereinfallen würde, verkennt den Ernst der Lage. Wenn der „Atomausstieg“ nicht fällt, wenn nicht klar wird, daß auch in diesem Lande demnächst wieder KKW gebaut werden, bleibt der wichtigste Mühlstein am Hals der inländischen industriellen Produktion und des inneren Marktes erhalten, bleibt ein Kernelement der Erpressung der Arbeiter und Angestellten mit immer weiterer Liquidation der Produktion erhalten, und bleibt die fällige ideologische und politische Klärung der öffentlichen Debatte aus. Eine derartige Koalition ist schon gescheitert, bevor sie amtiert.

 

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