Internet Statement 2006-27

 

     Der Fall Schröder und die „Junge Welt“

9. April 2006       

Das Verhalten Schröders seit seinem Abgang als Bundeskanzler hat überall im Land die Gemüter erregt. Zu offen ist sein Auftreten als kapitalistischer Manager in verschiedener Hinsicht, als daß irgend jemand dazu schweigen könnte. Schröder als Berater des Ringier-Verlags in der Schweiz, Schröder als Mit-Investmentbanker der Rothschildbank, und schließlich, das non plus ultra, Schröder als Vertreter von Gazprom und Vorsitzender im Aktionärsausschuß des Pipeline-Konsortiums, das von Gazprom gemeinsam mit deutschen Konzernen betrieben wird.

Während die ersten beiden Fälle in der „Jungen Welt“ durchaus zu kritischen Bemerkungen geführt hatten, wird der dritte und wichtigste Fall, Schröders enge Verbindung mit Gazprom, hinter der sich auch die engen Verbindungen deutscher Energiekonzerne mit diesem russischen Energiegiganten verbergen, wochenlang fast völlig mit Schweigen übergangen. Kaum wird das notiert, geschweige denn kritisch kommentiert, obwohl es der eklatanteste Fall überhaupt ist.[1]  Schließlich getrieben von der Kritik gehen sie darauf ein, aber wie! Sie greifen solche bürgerlichen Vertreter an, die das Auftreten Schröders kritisieren, indem sie ihnen vorhalten, was  in ihrem Umfeld alles an Korruption existiert.[2]  Als wenn der Fall dieses Schröder, der als Kanzler die Abhängigkeit von bestimmten Energieformen erhöht, und sich dann im Auftrage der Gasprom  in den Aktionärsrat zu begeben, irgendein Fall sei. Damit decken sie erneut den ganzen Vorgang.

Warum sollte man denn ausgerechnet Gazprom nicht kritisieren? Hier spielen offensichtlich noch alte Verbindungen eine Rolle.  Die „Junge Welt“ kommt aus  der DDR her, sie war lange Zeit Organ der Freien Deutschen Jugend. Die Hauptschwäche der DDR war ihre Unfähigkeit, den Revisionismus und russischen Chauvinismus zu kritisieren, den - wie die Marxisten sagen - modernen Revisionismus der Sowjetunion, hinter der sich ein Großmacht- und Hegemonistenstreben verbarg. Der moderne Revisionismus in der Sowjetunion war mit dem russischen Chauvinismus eine enge Symbiose eingegangen. Dies ist Ende der achtziger/Anfang der neunziger Jahre zusammengebrochen.

In den siebziger und achtziger Jahren trat der russische Chauvinismus und Neokapitalismus noch unter einem sozialistischen Deckmäntelchen auf. Viele Menschen sind auf dieses sozialistische Deckmäntelchen noch hereingefallen, obwohl es immer durchsichtiger wurde. Leute, die damals einigermaßen Durchblick hatten, sahen die Entwicklung untergründiger kapitalistischer Strukturen, deren Widerspruch zur Hülle irgendwann aufbrechen mußte.
Ein verkappt-bürokratisches oder sogar offen kapitalistisches Element wirkte im Untergrunde. Dies begann in der Zeit von Gorbatschow endgültig an das Tageslicht zu treten. In den Jahren 1989 bis 1992 wurde die sozialistische Hülle endgültig abgeworfen. Das ist alles so klar, wie nur etwas sein kann. Die führenden Leute in den früheren vermeintlich sozialistischen Betrieben blieben in vielen Fällen an der Spitze, während oft die Arbeiterbelegschaften rücksichtslos auf die Straße gesetzt  oder aber in ihrem Lebensstandard auf ein Fünftel oder ein Zehntel reduziert wurden. Leute aus dem „sozialistischen“ Management beteiligten sich an der Spekulation und diesem neuen wilden Kapitalismus, und das westliche Kapital verband sich mit diesen Entwicklungen bestens. Nicht umsonst sind Leute aus den führenden Etagen der Sowjetunion heute als neue und alte Kapitalisten wieder in führender Rolle, wenn sie es nicht schon die ganze Zeit geblieben waren.
Diese Entwicklung des russischen Kapitalismus bildet ein wesentliches Element der gesamten internationalen Entwicklung seit 1992. Man kann überhaupt nichts analysieren, auch nicht den sog. Neoliberalismus, ohne diese Entwicklung in Rußland zu kritisieren, die sich hauptsächlich auf die Ausbeutung der Bodenschätze, von Öl, Gas und diversen Metallen stützt.

Und jetzt? Soll die Unfähigkeit, diesen neuen und alten Kapitalismus zu kritisieren, noch immer weitergehen? Sollen das Schweigen dazu, ja die Verbindung damit weitergehen, als wenn nichts gewesen wäre? Ist denn Gasprom kein kapitalistischer  und imperialistischer Konzern, kein Monopol? Eine Antwort erübrigt sich. Man kann nur eines feststellen: müssen die Verbindungen von damals aber eng gewesen sein, wenn sie heute noch derart nachwirken!

Die Tatsache, daß der russische Chauvinismus und der völlig offene Neokapitalismus nicht kritisiert werden, zeigt sich nicht nur am Beispiel Schröder. Diese Frage nimmt thematisch einen solch geringen Raum in der „Jungen Welt“ ein, daß man sagen kann: diese Kräfte werden gedeckt. Wo kritisiert die „Jungen Welt“ überhaupt den russischen Imperialismus? Es kann doch keinen „Antikapitalismus“ geben, der diese Grund- und Boden-Macht ausklammert! Kritik am deutschen Kapital gibt es in der „Jungen Welt“ an verschiedenen Punkten, dazu steht vieles Richtige drin. Nicht aber, wenn sich das deutsche Kapital mit den russischen Imperialisten verbindet.

In den vergangenen Jahren trat Bush als Vertreter der USA in einer Weise hervor, die alle Aufmerksamkeit auf sich ziehen mußte. Schon vorher war der Krieg gegen Jugoslawien 1999 dergestalt, daß sich alles gegen die NATO konzentrieren mußte und andere Widersprüche demgegenüber untergingen. Und Rußland selbst schien von der NATO bedroht und ist es vielleicht in Kürze wieder. Das bedeutet aber nicht, daß der russische Chauvinismus und Imperialismus selbst nicht auch eine aktive Kraft ist. In der Abwehr eines aggressiven USA-Imperialismus, der direkt, gestützt auf seine Atomwaffen, mit einem Kontrollanspruch gegenüber der ganzen Welt auftrat, traten bestimmte Widersprüche in den Hintergrund. In dem Moment, wo diese Politik schwächelt und sich das sogenannte multipolare System in der Welt augenscheinlich durchsetzt, muß auch die Auseinandersetzung mit dem russischen Imperialismus und die Verbindung des deutschen mit dem russischen Imperialismus auf die Tagesordnung treten. Aber nicht nur das. Auch die ganzen untergründigen Strukturen, die sich offensichtlich vom Gestern noch erhalten haben, sind hier deutlich anzugreifen. Wir sehen beispielsweise auch bei dem „Neuen Deutschland“, daß es bis heute eine Politik in den Fußtapfen der früheren modernen Revisionisten vertritt, die immer eine enge Verbindung mit den USA eingegangen sind. Für keine Kriecherei, und sei sie noch so niedrig, ist sich das sogenannte „Neue Deutschland“  zu schade, um seine Servilität gegenüber dem US-Imperialismus zu beweisen. Und wenn bestimmte Seiten des US-Imperialismus einmal kritisiert werden: die Verbindung zwischen russischen Kapitalismus und USA und europäischen Kapitalisten deckt das Blatt jedenfalls.

Es ist jetzt an der Zeit, daß diese Punkte in aller Deutlichkeit zur Sprache kommen. Man kann verschiedene Symptome, etwa die Beteiligung der „Jungen Welt“ an der antiindustriellen Kampagne, nicht mehr ausklammern. Diese Zeitung deckt durchaus verschiedene kapitalistische Phänomene auf und vertritt marxistische Standpunkte an verschiedenen Stellen, aber daneben ziehen sich solche zuwiderlaufenden Symptome durch. Es ist jetzt an der Zeit, daß man diesen ganzen Komplex mit angreift.

Redaktion NE – hd


[1]  Siehe IS 2006-26 vom 3.April 2006  „Was ist denn tatsächlich wichtig an dem Fall Schröder?

[2]  Junge Welt, 5.4.2006, „Unperson des Tages: Gerhard Schröder“, (balc)

 

 

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