Internet Statement 2006-45

 

      Terrorangriff gegen die Zivilbevölkerung Gazas
                 
                
Was Israel wirklich will

  Walter Grobe, 1. 7. 2006        

Im selben Moment, wo nach langen Auseinandersetzungen der verschiedenen politischen Fraktionen der Palästinenser nunmehr auch seitens der Hamas die Bereitschaft zu einer sog. Zwei-Staaten-Lösung angedeutet wird, eröffnet Israel massiven militärischen Terror gegen die Bevölkerung des Gaza-Streifens und verhaftet im anderen palästinensischen Gebiet, dem sog. Westjordanland, fast die gesamte Hamas-Regierungsmannschaft.

Der angegebene Grund, die Verwendung eines gefangenen israelischen Soldaten als Geisel für die Forderung nach Entlassung junger und weiblicher Gefangener in Israel, steht in absolut keinem Verhältnis zu der Schwere der israelischen Aktion. Israel hat sofort wesentliche Teile der zivilen Infrastruktur im Gaza-Streifen angegriffen. Das einzige Elektrizitätswerk wurde völlig zerstört, etwa die Hälfte der 1,4 Mio. Einwohner ist ohne Strom, die andere bezieht ohnehin ihren Strom aus Israel und kann ebenfalls abgeschnitten werden. In einem äußerst dicht besiedelten Gebiet von gerade mal 360 Quadratkilometern, wo das Wasser mit Pumpen aus der Tiefe gefördert werden muß, ist dies eine schwere Bedrohung für Leben und Gesundheit von Hunderttausenden. Die Versorgung mit Treibstoffen und Lebensmitteln wurde ebenfalls unterbrochen. Auch ohne die Bevölkerung direkt mit größeren Bombardements anzugreifen – wozu es überdies die militärischen Mittel bereithält -, hat Israel hier einen Angriff mit Massenterrorcharakter eröffnet, der sich sogar zu großen neuen Vertreibungen, neuer militärischer Besetzung und einer neuen demütigenden Unterwerfung von zurückbleibenden Bevölkerungsteilen ausweiten kann, die dann als Arbeitskräfte zweiter Klasse gebraucht werden. Das alles kann man keineswegs ausschließen.

Der Angriff hat nichts mit der Entführung zu tun. Auch die kleineren bewaffneten Aktionen bestimmter Palästinensergruppen wie Raketenangriffe auf Grenzorte, die es schon lange gibt, taugen nicht als Rechtfertigung. Der Angriff ist vielmehr als desperate Reaktion auf bestimmte politische Entwicklungen auf palästinensischer Seite zu sehen. Ende Juni 2006 einigen sich die entscheidenden politischen Kräfte auf palästinensischer Seite auf ein Programm, das, wie die westlichen Medien und Politiker zu sagen und zu fordern pflegen, das „Existenzrecht Israels in den Grenzen von 1967“ anerkennt. Lediglich in den Territorien, die sowieso von aller Welt einschl. der offiziellen USA als Opfer illegaler Besatzung eingestuft werden, soll noch ein Befreiungskampf geführt werden. Wenn Israel seine expansionistischen Bestrebungen wirklich nicht weiter verfolgen würde, müßte angesichts dieser Neuigkeiten allen Verantwortlich dort ein Stein vom Herzen fallen. Die israelische Reaktion deutet aber genau auf das Gegenteil, dort sind die Alarmlampen angegangen. Die betreffenden Kräfte auf palästinensischer Seite werden verhaftet, und der militärische Terror gegen die Zivilbevölkerung, der gerade in Gaza schon die ganze Zeit über permanent ausgeübt wurde, wird ganz gezielt so verschärft, daß jetzt, wenn es nach den bisherigen Mechanismen weiterläuft, unbedingt diejenigen Kräfte auf palästinensischer Seite gestärkt werden müßten, deren Politik nicht über Verzweiflungs- und Rachereaktionen hinausgeht.

Das unmittelbare Ziel besteht offenbar in einer entschiedenen Schwächung derjenigen palästinensischen Kräfte, die, den Versprechungen auf westlicher Seite und selbst auf israelischer Seite folgend, auf einen politischen Kompromiß der Koexistenz mit Israel hinarbeiten. Israel möchte von derartigen Bestrebungen nicht politisch in die Enge getrieben werden. Solche Hoffnungen haben im Kern des Staates Israel und der zionistischen Ideologie in der Tat keine Entsprechung. Hier gibt es in Wirklichkeit nur Konzepte des permanenten Kriegs- bzw. Halbfriedenszustands mit der Bevölkerung und den Staaten der Region, Konzepte der permanenten langfristigen territorialen Expansion. Das war eigentlich schon vor langem, in den 60er und 70er Jahren, von der früheren palästinensischen Befreiungsbewegung im Einklang mit der großen Mehrheit der damals sich befreienden Völker und Staaten der Dritten Welt und den revolutionären Kräften auf der Welt richtig analysiert worden. Es hatte zu der Forderung geführt, daß der im Kern rassistische, theokratische und mit allen möglichen imperialistischen Bestrebungen verbundene zionistische Staat durch einen ganz anderen, demokratischen und säkularen Staat ersetzt werden muß, der von allen jüdischen wie arabischen und anderen Bevölkerungsteilen gemeinsam getragen wird, die auf der Demokratie und der Trennung von Staat und Religion bestehen.

Nachdem im Jahre 1982 im Verlauf der monatelangen israelischen Belagerung Beiruts die Führung des palästinensischen Widerstandes unter Arafat auf die verlogenen Versprechungen der USA eingegangen war, ihr eine Teilstaatsexistenz zu verschaffen, und damit ihren eigenen Abstieg in die politische Ohnmacht und Korruption besiegelt hatte, war es zur Stärkung der islamistischen Strömungen gekommen. Wir haben die ultrareaktionäre politische Programmatik der Hamas, ihre abscheuliche Strategie der Selbstmord-Attacken und ihre Abhängigkeit von finsteren islamistischen Regimes wie Saudi-Arabien und indirekt von den USA in den letzten Jahren mehrfach öffentlich zum Thema gemacht und waren in keiner Weise bereit, eine derartig rückwärtsgewandte Bewegung zu unterstützen. Allerdings zeigt das jetzige Vorgehen Israels, daß in dessen inneren Zirkeln die Befürchtungen wachsen, es könnte zu Anpassungen der Islamisten an die moderne Zeit, zum Anwachsen der Tendenzen sowohl bei Palästinensern wie bei der israelischen Bevölkerung, die Auseinandersetzung nicht weiter von reaktionären Exzessen bbestimmen zu lassen, kommen.

All denen, die die Schwierigkeiten dieses Prozesses unterschätzen und sich bspw. über das Wesen des zionistischen Staates Illusionen machen, erteilt dieser gegenwärtig wieder einmal massiven Anschauungsunterricht. Die Brutalität des israelischen Terrors gegen die Zivilbevölkerung entspricht der der Selbstmordattentate, von denen die palästinensische Seite abzurücken im Begriff scheint, nur ist sie viel größer angelegt und systematischer. Es läßt sich derzeit kaum einschätzen, ob das palästinensische Volk, vielleicht unterstützt durch Kräfte in Israel, in der Lage sein wird, die neue Aggression einzudämmen oder gar zurückzuschlagen. Wirkliche Verbündete, die politisches und militärisches Gewicht gegen Israel und seine Unterstützer in den USA in die Wagschale werfen könnten, hat das palästinensische Volk aufgrund der politischen negativen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte, auch derer im eigenen Hause, derzeit wohl kaum. Aber es ist wenigstens zu hoffen, daß die Härten der neuen Konfrontation zu genaueren politischen Einsichten führen und die Notwendigkeit einer modernen und revolutionären Politik klarer machen, die ihrerseits auch wieder internationale Unterstützung bekommen wird.

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