Internet Statement 2006-67

 


30 Jahre Mitbestimmung

2.9.06          

Dieser Tage feiert man das „Jubiläum“ von 30 Jahren Mitbestimmung. Über Jahre hatte der DGB sich ins Zeug gelegt, um die paritätische Mitbestimmung in allen Großbetrieben durchzusetzen. Am 30. August 1976 war es dann so weit.

Was hat nun die Mitbestimmung tatsächlich für die Arbeiter und Angestellten in der Bundesrepublik Deutschland gebracht?

Man kann kaum feststellen, daß irgendwelche wesentlichen materiellen Errungenschaften, seien es Lohnerhöhungen, seien es Fortbildungsmöglichkeiten oder Ähnliches, für die Arbeiter und Angestellten durch die Mitbestimmung erreicht worden wären. Durch die Mitbestimmung wurde die gewerkschaftliche Führung, die ohnehin schon durch die Alliierten 1945-49 ganz eng an die ganze staatliche Konzeption der Bundesrepublik Deutschland gebunden worden war, noch enger in das ganze Produktions- und Eigentumsgeflecht des Kapitalismus in der Bundesrepublik einbezogen.

Wenn man hört „30 Jahre Mitbestimmung“, fallen einem sofort schwerwiegende Dinge über diese 30 Jahre ein. In ziemlich genau diesen 30 Jahren wurde der produzierende Sektor in Deutschland radikal eingeschränkt, ganze Produktionszweige verschwanden, und in vieler Hinsicht wurde die ökonomische Weiterentwicklung gehemmt. Umgekehrt wurde über die Mitbestimmung für die Arbeiter und Angestellten nichts Wesentliches herausgeholt. Der Abbau der Arbeiterklasse in diesem Land, gerade des produzierenden Sektors, konnte in Ruhe durchgeführt werden. Betrieb für Betrieb, Jahr für Jahr Hunderte von Betrieben, konnten liquidiert und beseitigt werden, zumeist mit kleinen Widerstandsbewegungen, die vollkommen unter Kontrolle gehalten wurden. Die gewerkschaftliche Führung mitsamt der Mitbestimmung hat dabei ihre Rolle im Interesse des ganzen bundesdeutschen kapitalistischen Systems wahrgenommen.

Heute gibt es beträchtliche Teile der arbeitenden Klasse, die nur die Hälfte von dem verdienen, was die älteren, festangestellten Kollegen an Einkommen haben, und es gibt einen sogenannten prekären Sektor, in dem die Menschen faktisch rechtlos sind.
Vor allem aber ist es diesem riesigen DGB-Apparat mit seinen Verbindungen und seinem Geld nicht im geringsten gelungen - auch in 30 Jahren nicht! - wirksame Verbindungen etwa in die sogenannte Dritte Welt oder nach Osteuropa zu schaffen, um gemeinsame Fronten des Widerstands aufzubauen. Aber ohne daß die internationale Verflechtung der Arbeiter gesehen wird, ohne daß internationale Verbindungen geschaffen werden, kann hier kein erfolgreicher ökonomischer Kampf mehr stattfinden, das ist vollkommen klar. Bei dem Gefälle des Lohn- und Lebensstandards, das international heute existiert und das das Kapital jetzt ausspielen kann, ist der Druck gegen die Arbeiterklasse enorm und höhlt alle formalen Errungenschaften immer weiter aus.


Wenn der SPD-Vorsitzende Beck sagt, Deutschland sei mit der Mitbestimmung konkurrenzfähig geblieben, so hat das einen bitteren Beigeschmack. Die SPD und die mit ihr eng verbundene höhere Funktionärsschicht der Gewerkschaften, die auch in den Aufsichtsräten sitzt, sind es gerade, die die Liquidation der Kernenergie massiv zu verantworten haben. Sie haben ihren Einfluß dahingehend entscheidend geltend gemacht.


Vor 30 Jahren passierten noch andere Dinge.
Wenige Tage nach dem Beschluß über das Mitbestimmungsgesetz verstarb Mao Zedong, und es kam zu einem Umsturz in China, der den Weg für die internationale Ausbeutung der chinesischen Arbeiterklasse freigemacht hat. Damit wurde einer der Faktoren geschaffen, ohne die die heutige Situation gar nicht denkbar wäre.
Wenige Wochen darauf kam es zu der größten Anti-AKW-Kampagne der damaligen Zeit, der Kampagne zu Brokdorf, die völlig von den wesentlichen brisanten politischen Fragen dieser Zeit ablenkte und den Weg in die Liquidation der revolutionären Linken wies.
Der Sommer 1976 war auch die Zeit, in der die Drohung der Sozialimperialisten, ihren Einfluß auf Westeuropa auszudehnen, ihre größte Zuspitzung erreichte. Noch ein Jahr sollte es so weitergehen, dann begann sein Stern zu sinken.


Von Anfang der 70er Jahre an hatte der DGB die damalige revolutionäre Welle für sich genutzt, um sich verstärkt für eine sogenannte Mitbestimmung zu empfehlen. Die KPD/ML kritisierte die Mitbestimmung von Anfang an, nicht nur als ein illusionäres Konzept, sondern als ein Konzept, das im Grunde die Sozialbürokratie des DGB in die allgemeine Verwaltung der Arbeiter in Verbindung mit dem Kapital einbezog [Anmerkung]. Worauf stützte sich die Konzeption des DGB damals in den 70er Jahren , als er scheinbar einen solch großen Schub an Einfluß gewann? Es sind im wesentlichen drei Komponenten zu nennen:

- Allgemein verschaffte der revolutionäre Aufschwung den sowjetischen Revisionisten und Chauvinisten eine Möglichkeit, sich weltweit dem Kapital als „Schutzmacht“ anzubieten und eine hegemoniale Rolle neben den USA wahrzunehmen, in der Spekulation darauf, man könne die USA sogar überbieten, und der DGB setzte auf eine ganz enge Verbindung mit dem sowjetischen Revisionismus und der Ökonomie des Osthandels, von dem man sich Anfang der 70er Jahre wahre Wunder versprach.

- Eine weitere Komponente des Einflusses des DGB war der Umfang des DGB-Kapitals, das damals über die viertgrößte Bank, die europäisch größte Immobiliengesellschaft, große Versicherungen usw. verfügte, und dessen ökonomisches Gewicht in Verbindung mit den politischen Faktoren zu sehen ist.

- In Verbindung mit diesen damaligen Faktoren sollte der paritätischen Mitbestimmung in der ganzen Wirtschaft eine besondere Rolle zukommen. Denn wenn in allen Großbetrieben der DGB die Hälfte der Aufsichtsrats-Mitglieder stellt, dann ist klar, daß der DGB schon mittels der Zahl der Verbindungen einen Einfluß gewinnen könnte, den noch nicht einmal die Großbanken gehabt hätten - wenn denn diese Entwicklung so weitergegangen wäre.

Aber es sollte anders kommen. Die engste Verbindung mit den sowjetischen Revisionisten über die Schlüsselstellung im Osthandel erreichte nicht der DGB, wie er damals erwartete, sondern die hervorragendste Stellung erreichte die Deutsche Bank. Sie wurde zum engsten Partner der Sowjetunion. Und die ehrgeizigen Manöver des DGB-Kapitals von Anfang der 70er Jahre sollten sich als ein Bumerang erweisen. Schon Mitte der 70er Jahre fing dieses Kapital an zu erkranken, und Anfang der 80er war es faktisch insolvent. Das DGB-Kapital brach etwa 1982 vollständig zusammen und verschwand faktisch mit allen seinen Strukturen, nur Reste davon blieben.

Aber die Mitbestimmung, die paritätische Besetzung in allen Großbetrieben, blieb und wurde genutzt, um von Anfang bis Ende Abwiegelei und Kontrolle der Arbeiterklasse zusätzlich zu garantieren. Wäre es denn so, daß wirkliche Arbeitervertreter im Aufsichtsrat säßen und dort eine tatsächliche Interessenpolitik der arbeitenden Klasse betreiben würden, die Mitbestimmung würde höchstens einen Monat dauern, dann würde das Kapital sich etwas überlegen, wie sie sie mit aller Gewalt loswerden. Es ist die Struktur des DGB selbst, die diese Art von paritätischer Mitbestimmung ermöglicht, die Teilnahme an der Ausbeutung und sogar die Teilnahme an der Liquidationspolitik, die sich mit all ihren Konsequenzen und Verwerfungen in den letzten Jahren zu zeigen beginnt und sich noch weiter zeigen wird. Die Folgen dieser Freisetzung von Millionen von Arbeitskräften, die in dieser Gesellschaft überhaupt keinen mehr Platz haben, sind nicht mehr zu übersehen. Darüber können alle Maßnahmen wie Ein-Euro-Jobs, Umschulungen, sogenannte Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen oder ähnliches nicht hinwegtäuschen.

Red NE -hd

 

Anmerkung: Siehe hierzu auch Klaus Sender: "Über das Wesen des DGB" aus dem Jahre 1971.

 

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