Internet Statement 2006-79
19. Streiktag bei Bosch-Siemens-Hausgerätewerk (BSH) Klas Ber, 13.10.06 Die dritte Wochen hält der Streik der Belegschaft des Berliner BSH-Werkes bereits an. Die Belegschaft wehrt sich gegen die geplante Schließung. Ihr geht es vor allen Dingen um den Erhalt ihrer Arbeitsplätze und des Werkes. Die Streikenden hatten sich schon entschlossen, mit dem Streik nicht nur in Gartenfelde im Werk zu bleiben und dort die Tore besetzt zu halten. Sie sind auch am 5. Oktober zu einem „Marsch der Solidarität“ durch das Land nach München zur Siemenskonzernzentrale aufgebrochen, um in verschiedenen Werken, Orten und Städten Solidarität und Aufmerksamkeit für die Auseinandersetzung und ihren Kampf zu gewinnen, und sich mit anderen Belegschaften, wie Miele und BenQ praktisch zusammenzuschließen. Und heute gab es eine weitere bemerkenswerte Veranstaltung vor Ort im Streikzelt in Gartenfelde. Im zweiten Teil der heutigen Streikversammlung waren Gewerkschafter aus der Türkei und Polen zu Gast. Der Kollege aus Spanien hatte es wegen der Kurzfristigkeit des Termins erst einmal nicht geschafft, und konnte so nur seine Solidaritätsadresse über die Dolmetscherin vermitteln lassen. Aber es blieb nicht, wie so oft bei solchen Anlässen, bei den obligatorischen Solidaritätsadressen und -bekundungen. Bosch-Siemens produziert Weiße Ware nicht nur in Deutschland sondern hat Produktionswerke ebenfalls in anderen Ländern aufgebaut, unter anderem in der Türkei, Polen, Spanien, China; läßt dort lieber zu billigsten Löhnen arbeiten und will hier die Produktion plattmachen. So war zu hören, daß in Polen nach 1989 die dortige eigene Produktion an Weißer Ware kaputt gemacht wurde, und dann die ausländischen Investoren kamen. Polen hat jetzt offiziell 3,5 Millionen Arbeitslose und viele müssen das Land verlassen. Die Solidarność, die am Anfang eine sehr große Gewerkschaft war, hat viele Mitglieder verloren. Bosch-Siemens hat sein Werk in der polnischen Freihandelszone Lodz errichtet und produziert dort quasi seit den drei Jahren steuerfrei. Die Arbeiter bekommen dort im Durchschnitt einen Nettolohn von 300-400 Euro im Monat. Wobei es aber keine klaren Grundsätze für die Entlohnung gibt, sodaß dieser von Monat zu Monat schwankt. Die Mehrheit der Beschäftigten bekommt nur befristete Verträge, und es ist unter diesen Bedingungen sehr schwer, dort eine Gewerkschaft aufzubauen. Was bisher auch noch nicht gelungen ist. Der Vertreter der Solidarność trat für eine gegenseitige Unterstützung beim Aufbau einer Gewerkschaft im Werk in Polen, sowie hier im Streik, ein. Der türkische Gewerkschaftsvertreter informierte über einige Zahlen des Werkes in Cerkezköy, nahe Istanbul, wie Profit, Umsatz usw, um dann über den Durchschnittsverdienst in dem dortigen Bosch-Siemens Werk zu berichten. Der Monatslohn liegt bei etwa 680 Euro Brutto. Wobei man dann nach Abzügen auf ca. 500 Euro Netto kommt. In dem Werk herrscht eine große Fluktuation, und auch dort sind viele nur befristet eingestellt und viele erhalten gar nur einen Lohn nahe über dem Mindestlohn, der bei 380 Euro liegt. Es wird sogar vermutet, daß viele ohne Registrierung und Sozialversicherung dort arbeiten. Im Werk ist eine sog. Gelbe Gewerkschaft als offizielle Vertretung, und selbst dem Berliner Betriebsratsvorsitzenden war es noch nie gestattet, das Werk zu betreten. Als der türkische Gewerkschaftsvertreter dann auch noch über einen seit Monaten anhaltenden Streik berichtete, den sie in einem anderen Werk führen, spendeten die BSH-Kollegen spontan 300 Euro zur Unterstützung der dortigen streikenden Kollegen. Auf besonders große Empörung stieß es, als berichtet wurde, daß jemand aus dem Werk in der Türkei entlassen worden ist, weil er in einem Interview etwas über die dortigen Verhältnisse und den Verdienst gesagt hatte. Dieser Bericht von Spiegel TV zu Bosch-Siemens, dem Plattmachen hier, sowie den Werken in Nauen, Polen und der Türkei lief am letzten Sonntag im Fernsehen. Güngör Demirci von der hiesigen Streikleitung erklärte dazu spontan: Wir sind nicht in Gartenfelde sitzen geblieben, sondern haben unseren „Marsch der Solidarität“ begonnen. Wir werden auch nach München nicht sitzen bleiben. Wir werden, wenn es nötig ist, auch darüber hinaus gehen, in die Türkei oder auch nach Polen. Und wenn nötig, in Istanbul eine Demo machen mit 1000 Taxis. Es wird nun versucht, in Verbindung mit der türkischen Gewerkschaft, daß der entlassene Kollege nach Deutschland kommt und auf der Kundgebung am 19.Oktober vor der Bosch-Siemens Zentrale in München sprechen kann.
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