Internet Statement 2007-38
Die Scientology-Sekte und ihre Förderer
Hartmut Dicke, 10. Mai 2007
Zu Anfang des Jahres, genau am 13. Januar 2007, wurde mit großem Pomp und Presseecho ein großes Gebäude in Berlin-Charlottenburg als Zentrale der Scientologysekte eingeweiht. Offensichtlich war es dieser Sekte, um die es längere Zeit relativ still war, gelungen, ein größeres Gebäude über einen Mittelsmann zu erstehen, nach Angaben der Behörden hinter deren Rücken. Das alles führte vor vier Monaten zu einem Eklat, dann aber wurde es wieder still um diese Organisation. Inzwischen hört man Meldungen, daß die Sekte in der Umgebung ihrer neuen Großzentrale in Charlottenburg durchaus ihrer auf starke Finanzmittel gestützten Werbetätigkeit nachgeht.
Was diese Vereinigung lehrt, damit lohnt es sich nicht lange zu befassen. Wenn eine Organisation davon redet, daß in ihr 35 Milliarden Jahre alte Titanen sitzen, die in die Menschen eindringen oder sich wieder entfernen, wenn die obskure Sciencefictionphantasie zu einer „Lehre“ ausgebaut wird, ist das normalerweise noch kein Grund zu großer Besorgnis vor der „weltweiten Machtergreifung“ einer solchen Sekte. In der Tat wird diese Sekte vollkommen überschätzt.
In der Realität gibt es andere Gründe als ihre Lehre, warum sie zeitweilig auf bestimmten Sektoren Einfluß gewinnen konnte. Gerade im Bereich der Immobilienwirtschaft konnte sie während der 90er Jahre gewissen Einfluß gewinnen. Damals gab es viele Pressekommentare über dieses Thema. Will man die Aktivitäten dieser Sekte erfassen, muß man sich mit der ausgesprochenen Protegierung seitens derjenigen Macht befassen, der diese Sekte entstammt, den USA. Namentlich die Demokratische Partei der USA stützt und benützt diese Sekte offensichtlich als subversives Element, nicht nur gegenüber der Bürgern der Vereinigten Staaten, sondern auch gegenüber den in anderen Ländern, ob ihre einzelnen Vertreter nun selbst näher dazu in Beziehung stehen oder nicht. Ein weiterer Faktor für den zeitweiligen Erfolg ist auch der Umstand, daß im allgemeinen rüde und eigensüchtige Methoden praktiziert werden. Sie sind im Kapitalismus und insbesondere in bestimmten Sektoren dominant. Daran kann eine solche Sekte mit ihrer „Philosophie“ ohne Probleme anknüpfen.
Die Autoren Frank Nordhausen und Liane von Billerbeck kommen in ihrem bekannten Buch „Psycho-Sekten“ [1] zu dem Schluß:
„Während führende Repräsentanten der Republikanischen Partei in den USA immer wieder eine seltsame Nähe zur Mun-Sekte zeigten, haben die Demokraten offenbar ein Scientology-Problem. Die wiederholten Interventionen der Regierung Clinton in die deutsche Innenpolitik zugunsten von Scientology stimmen nachdenklich, auch der deutsche Botschafter in Washington wird immer wieder von amerikanischen Politikern aufgesucht, die sich über die Behandlung der Sekte in Deutschland beschweren.“ (!) „Als der Verfassungsschutz-Ausschuß des Berliner Abgeordnetenhauses am 24. Oktober 1996 über die Beobachtung von Scientology debattierte, verfolgten zwei amerikanische Botschaftsangehörige die Sitzung. ‚Unglaublich und erschreckend’ nannte Renate Rennebach, die sektenpolitische Sprecherin der SPD, die Vorgänge. Parlamentarier aus der Demokratischen Partei brachten sogar eine Resolution in den Kongreß ein, um Deutschland wegen seiner Sekten-Politik offiziell zu verurteilen.“(S.486)Derlei Interventionen gab es auch gegen den damaligen Bundeskanzler Kohl und gegen andere politische Repräsentanten der Bundesrepublik, ohne daß dies groß zu Aufsehen führte, denn die Bundesrepublik hat sich grundsätzlich vor den USA zu verneigen. Aber dies macht klar, daß die ganze Sekte für sich genommen kaum Bedeutung hätte, wenn sie nicht gewissermaßen auf dem Schoße und gemäß dem Expansionswillen dieses Staates operierte.
Von ehemaligen Mitgliedern, die sich von dieser Sekte losgelöst haben, werden zahlreiche Einzelheiten über die Vorgehensweise dieser Organisation gegenüber Mitgliedern, die einmal in ihre Fänge geraten sind, berichtet. Eiskaltes Intrigenspiel, Drohungen, Erpressungen und massivste Repressionen gehören zahlreichen Berichten zufolge zum Arsenal dieser Organisation; auch Abtrünnige, die sich losgelöst haben, werden nachträglich in zum Teil provokanter Weise verfolgt.
Bis zum Jahre 1993 war diese Sekte auch in den USA wenig gut gelitten. Das gleiche Buch von Nordhausen/Billerbeck beschreibt auch, wie sich in den USA Mitte Oktober 1993 eine Änderung in der Vorgehensweise staatlicher Organe in den USA gegenüber „Scientology“ abzeichnete.
„Die amerikanische Steuerbehörde Internal Revenue Service (IRS) hatte nach dreijähriger Prüfung entschieden, Scientology sei eine gemeinnützige Religionsgemeinschaft und daher von allen Abgaben zu befreien; dies betraf sogar kommerzielle Unternehmen wie die Medienfirma Golden Era Productions und die Wirtschafts-Dachorganisation WISE. Für Scientology bedeutete die Entscheidung eine Steuerersparnis in zweistelliger Millionenhöhe pro Jahr; amerikanische Scientologen können ihre teuren Kurse seitdem von der Steuer absetzen.“(S487/488)Diese Begünstigung durch amerikanische Organe kam sicher nicht von ungefähr. Man muß erneut darauf gerechnet haben, daß diese Organisation für die sich neu herauskristallisierende Situation nach dem Umsturz von 1989/90 für diese Großmacht günstig war. Es heißt:
„Bis zu der seltsamen Wende von 1993 galt Scientology ähnlich wie heute in Deutschland als eine gefährliche und verrückte Organisation; ihre Methoden beschrieb das ‚Time Magazine’ 1991 als ‚ungeheuer gewinnträchtige Gaunerei im Weltmaßstab’, die durch eine ‚mafiaartige Einschüchterung von Mitgliedern und Kritikern’ erreicht werde. Doch der denkwürdige ‚Sieg’ über das amerikanische Finanzamt änderte alles.“(S.488)Die Autoren führen auch an, daß von dieser Organisation Informationen über korrupte Vorgänge innerhalb von staatlichen Organen gesammelt wurden, um diese dann auch zur Erpressung und zur Änderung ihrer Einstellung gegenüber dieser „religiösen Organisation“ zu nutzen.
Es gibt über die Taten und Anschauungen der Scientology derweil schon eine unübersehbare Masse an Literatur, vor allen Dingen auch von Leuten, die aus dieser Organisation ausgestiegen sind. Sie beschreiben zahlreiche Einzelheiten. Es ist interessant, auf solche Begriffe wie „Ethik“ bei Scientology zu schauen. In dem Buch von Martina Müller/Christoph Minhoff [2] wird das folgendermaßen beschrieben: „Ethik auf Abwegen- Das Freiwildgesetz“ ist eine Überschrift, die ich hier zitiere. Dann Zitat:
„Feind-Befehl für suppressive Personen. Freegame[Freiwild]. Ihr kann das Vermögen weggenommen werden oder sie kann durch jedes Mittel geschädigt werden oder durch jeden Scientologen ohne Nachteil für den Scientologen. Sie kann ausgetrickst, verklagt oder belogen oder vernichtet werden.“(S.38) [3]Dieses Zitat erfolgte nach einer eidesstattlichen Versicherung bei einem Sammelverfahren mehrerer Ex-Scientologen auf Schadenersatz in Millionenhöhe gegenüber ihrer früheren Organisation (s.ebenda). Vielen dieser Mitglieder sind ihrerseits große Summen durch die sogenannten Kurse dieser Organisation aus der Tasche gelockt worden. Die Vorgehensweise knüpft immer an bestimmten Schwächen der Leute an, versucht die Neugier zu wecken, um sie dann auf den Weg des Obskurantismus zu führen. Nabelschau über Probleme statt konkrete Analyse gesellschaftlicher Fragen ist der Ansatzpunkt dabei. Das ist uns schon bei gewissen Leuten, die in der Vergangenheit als Revisionisten [4] bezeichnet wurden, eine wohl bekannte Erfahrung.
In der Tat darf man diese Organisation nicht bezüglich ihrer eigenen Kraft überschätzen, sie reitet aber einen gewissen Trend, hat Protegés. Es stellt sich die Frage, warum ausgerechnet in Berlin diese Organisation von staatlicher Seite einer recht freundlichen Duldung unterliegt. Dies kann man umfassend nur mit dem Einfluß erklären, den die Überbleibsel der früheren Besatzung auf diese Stadt bis heute haben.
Dazu ein weiter interessanter Hinweis, den wir dem Buch von Nordhausen/Billerbeck entnehmen können. Die Scientology hatte auch in einer Zwischenphase Beziehungen zur islamischen Milli Görüs, eine der gefährlichsten religiösen islamistischen Bewegungen, die in Deutschland operieren. [5] Auch sie besaß jahrelang viel staatliche Protegierung. Hier kommt ein sehr interessanter Bezugspunkt zustande: Die Scientology und die islamistischen Reaktionäre, die sich normalerweise kaum vertragen können, einigen sich bei dem Punkt der Subversion, die sie in diesem Lande gegenüber der Jugend und gegenüber weiteren Zielgruppen ausüben. In dieser Subversion sind sie sich einig und haben das gemeinsame Interesse.
Es ist immer wieder auffällig, daß gerade in der Justiz eine Förderung dieser Sekten zutage tritt. Das war bei den Zeugen Jehovas mit einem abenteuerlichen Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts und Oberverwaltungsgerichts (24.März 2005) der Fall. Das setzt sich hier fort. Obwohl nicht in allen Fällen, so gelingt es doch Scientology in vielen Fällen, die Justiz auf ihre Seite zu ziehen.
Während der 90er Jahre nun gelang dieser Sekte eine gewisse Ausbreitung auf dem Immobiliensektor, namentlich im Maklerbereich. Dies führte zu großer Unruhe, rief auf den verschiedensten Ebenen Widerstand hervor und führte schließlich zu einer Aufklärungsarbeit nicht zuletzt durch engagierte Autoren in der Öffentlichkeit. Ab etwa 1996/97 wird es stiller um Scientology. Sie muß sich in Vielem zurückgezogen haben. Kaum konnte man aber annehmen, daß sie wirklich verschwunden ist. Man muß eher davon ausgehen, daß sie sich darauf verlegt haben, längerfristig in Staatsorgane einzusickern oder im Immobiliensektor auf stillerem Wege erneut an Boden zu gewinnen. Sie setzen dabei auf „Toleranz“ oder Förderung aus bestimmten Winkeln der Gesellschaft heraus; die allgemeine kapitalistische Habgier und Niedertracht, die längst um sich gegriffen haben, bilden einen Boden für sie.
Das immerhin sollte nach der Eröffnung ihrer Prunkzentrale in Berlin Charlottenburg bedacht werden, auch wenn das Potential als viel zu groß angenommen wird und gar von „Welteroberungsdrang“ und ähnlichem geredet wird. Das ist zehn Nummern zu groß für diese Sekte. Sie steht lediglich als Nischenfüller einer wirklichen Noch-Weltmacht und ihrer Schleppenträger zur Verfügung.
Im Frühjahr 2007
[1] Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt a.M., Februar 1999, 2.Auflage 2000, Lizenzausgabe mit Genehmigung des Christoph Links Verlages Berlin, 1997, 1999
Frank Nordhausen, Liane von Billerbeck – Psycho Sekten- Die Praktiken der Seelenfänger
Bringt dieses Buch ein ganzes Kompendium an Fülle von Material und exzellenter Analysen sowohl über „Scientology“ wie über andere Sekten, so ist es in der Einschätzung der Rolle des eigenen Staates verhältnismäßig naiv, was inzwischen auch gründlich durch die jüngsten Entscheidungen, wie etwa das Urteil des Oberverwaltungsgericht Berlin vom 24.3.2005 zum Körperschaftsstatus der Zeugen Jehovas durch die Realität verdeutlicht wurde.
[2] Martina Müller/Christoph Minhoff „Scientology - Irrgarten der Illusion“, 1997, Econ Verlag GmbH
[3] IN dem Buch Müller/Minhoff zitiert nach ABI-Aktion Bildungsforum e.V. (Hrg.): „Eidesstattliche Versicherung zur Vorlage bei einer ‚Class Action’, einem Sammelverfahren mehrerer Ex-Scientologen auf Schadenersatz in Millionenhöhe’, ABI 12-80-94, S.94, Anmerkung 72, S.95
[4] Revisionisten –Richtung aus der Arbeiterbewegung, die sich durch das Ausblenden gewonnener gesellschaftlicher Kenntnisse auszeichnet und das Zurück predigt.(Daher auch die Bezeichnung.) Sehr oft ist diese Richtung auch mit einer Weigerung, sich den Widersprüchen in der Welt politisch zu stellen verbunden und kontemplativ und abstrakt „im stillen Kämmerlein“ Kenntnisse zu gewinnen.
[5] Nordhausen, Billerbeck, S. 470ff., Unterkapitel: Zusammenspiel mit islamischen Fundamentalisten