Internet Statement 2008-18

 

 

Zur Finanzkrise die Lebensmittelkrise – das Kapital fürchtet soziale Unruhen

15.4./ 26.4. 2008             

Die kapitalistische Krise auf dem Gebiet des Finanzsystems ist keineswegs „ausgestanden“, da meldet sich mit Wucht eine Lebensmittelkrise, die bereits in einer ganzen Anzahl armer Länder wütet, die Menschen in Hungerrevolten treibt, weil sie den Reis nicht mehr bezahlen können, und nach Aussage höchster kapitalistischer Kreise wie der Weltbank das Leben von hundert Millionen Menschen akut bedroht.

Bei der Bourgeoisie selbst macht sich Beunruhigung und das Suchen nach Rezepten breit, wie man die Krisen überstehen und wieder in ruhigeres Fahrwasser zurückkehren könne. Es ist nicht schlecht, wenn eine unruhige Debatte voller gegenseitiger Beschuldigungen, Ursachenforschung, Rezepten zur Milderung der Krisen entsteht, weil sie den einen oder anderen tieferen Einblick ermöglicht. Man sollte aber auch nicht darin steckenbleiben, denn trotz alledem wird das kapitalistische System selbst dauerhafte Lösungen nicht finden. Die Ursache solcher Zuspitzungen liegt im System der kapitalistischen Produktion, der Ausbeutung der Lohnarbeit selbst.

Als Faktoren spielen sicherlich Spekulanten, Mißernten, usw. bei der gegenwärtigen Zuspitzung eine Rolle, aber sie sind nicht die tiefere Ursache. Der Kapitalismus selbst ist die permanente Krise, weil er auf der Jagd nach dem Maximalprofit immer und systematisch nach der Senkung der Löhne in Richtung Unterkonsumtion bis hin zum Hungerniveau strebt. Es ist doch keine neue Erkenntnis, daß unter dem internationalen Kapitalismus Hunderte von Millionen von Arbeitskräften gerade in den sich entwickelnden Ländern zwar ihre Arbeitskraft ans Kapital verkaufen und sich so ihren Lebensunterhalt erarbeiten können, aber dennoch meist am Rande des Hungers leben müssen. Und neben diesen Menschen, die immerhin ihre Arbeitskraft verkaufen können und gewisse Möglichkeiten haben, für eine Besserung ihrer Lage zu kämpfen, gibt es Hunderte von Millionen von Menschen, für deren Arbeitskraft das kapitalistische System überhaupt keine Verwendung hat und die Tag für Tag ums Überleben kämpfen und sich irgendwie durchschlagen müssen. Wenn jetzt von Lebensmittelkrise gesprochen wird, dann ist das nur eine weitere Zuspitzung auf der Grundlage einer längst existierenden Lebensmittelkrise für große Teile der Menschheit. Dutzende von Millionen Kindern sterben jährlich an Unterernährung, medizinischer Nichtversorgung, mangelndem Trinkwasser – das ist eine der bezeichnenden Konstanten des internationalen Kapitalismus insbesondere der letzten Jahrzehnte, insbesondere nachdem der Gegenpol sozialistischer Länder zeitweilig in der Weltgesellschaft erloschen ist. Große Teile der Bevölkerung ganzer großer Länder wie Indiens leben im Zustand permanenter Mangelernährung, nicht weil zuwenig Lebensmittel produziert würden, sondern weil die Kaufkraft fehlt und die Lebensmittel exportiert werden. Letztlich gehen diese und ähnliche Erscheinungen darauf zurück, daß der größere Teil der heutigen Menschheit für den Kapitalismus bloß eine „industrielle Reserverarmee“ darstellt, wenn überhaupt; viele sind nicht einmal das, sondern bloß „unnütze Esser“ in der Sicht des Kapitals, derer es sich insgeheim, manchmal auch offen, irgendwie zu entledigen strebt. Entledigen muß die Menschheit aber sich des Kapitalismus - in dieser Richtung liegt die Lösung.

Mitten im sog. weltweiten Boom der letzten Jahre veröffentlichte eine Unterorganisation der UN, die International Labor Organization (ILO), im Jahre 2006 einen Alarmruf über die ständige Verschlechterung der weltweiten Beschäftigungschancen für die Jugend.. Dieser Bericht läuft darauf hinaus, daß die heutige globale kapitalistische Ökonomie nicht weniger als 400 Millionen Jugendlichen die elementare Existenzsicherung verweigert. Daß weitere hunderte Millionen von Menschen der älteren Generationen sich in ganz ähnlicher Lage befinden, darüber wird hier keine Aussage getroffen, aber darüber können im Grunde keine Zweifel bestehen. Großen Teilen der Menschheit bietet dieses System nur die Existenz des pauper, am Rande des Verhungerns.

„Trotz des überdurchschnittlich starken Wachstums der Weltwirtschaft in den vergangenen Jahren haben sich die Erwerbschancen junger Menschen verschlechtert. Die Arbeitslosigkeit unter den Jungen im Alter von 15 bis 24 Jahren nahm in einigen Teilen der Welt zwischen 1995 und 2005 sogar stark zu, vor allem in Südostasien/Pazifik, im Süden Afrikas sowie in Lateinamerika/Karibik. Im Nahen Osten und in Nordafrika, Regionen mit sehr hohen Geburtenraten, ist die Arbeitslosenquote der Jugend zwar zurückgegangen, sie ist aber mit 25,7 Prozent (siehe Grafik) weiterhin die höchste auf der Welt. In den westlichen Industrieländern ging die Quote ebenfalls zurück, doch sie lag 2005 mit durchschnittlich 13,1 Prozent immer noch rund zweimal höher als bei Erwachsenen.
’Der Welt droht eine noch schlimmere Krise bei der Jugendbeschäftigung’, schreibt das Internationale Arbeitsamt (ILO) in einer neuen Studie (Global Employment Trends for Youth), die am Wochenende in Genf veröffentlicht wurde. So hat die Zahl der arbeitslosen jungen Menschen im vergangenen Jahrzehnt um 14,8 Prozent auf 85 Millionen zugenommen. Daneben gibt es aber weitere 300 Millionen (das entspricht einem Viertel aller jungen Leute auf der Welt), die nicht ausreichend beschäftigt sind und daher zu den arbeitenden Armen (working poor) gezählt werden müssen, weil sie weniger als zwei Dollar am Tag verdienen.
Die UN-Sonderorganisation schätzt daher, daß man mindestens 400 Millionen neue und besser bezahlte Stellen schaffen müßte, um diese arbeitslosen und unterbeschäftigten Jungen in Lohn und Brot zu bringen.“        (aus der Wiedergabe des ILO-Berichts in „FAZ“ 30.10.2006)

Der Kapitalismus mit seinem Profitstreben, das über Leichen geht, der Kapitalismus mit dem Eigentumsmonopol an den Produktionsmitteln, das die Mehrheit der Menschen zu Proletariern macht, die gezwungen sind, ihre Arbeitskraft zu verkaufen, um leben, und immer öfter um auch nur überleben zu können – muß von Grund auf in Frage gestellt, bekämpft und überwunden werden, der Klassenkampf muß geführt werden. Mit sozialen Reförmchen des Kapitalismus hie und da, mit Kritik bloß an bestimmten Erscheinungsformen und Symptomen des Kapitalismus, wie der Kritik am Finanzkapital oder an der Spekulation, wie es derzeit bei nahezu allen bürgerlichen Medien und Parteien bis hin zu den Rechten und der sog. Linken so in Mode ist, wird dies allerdings nicht zu machen sein. Das lenkt ab, das ist erzrechte, heuchlerische Politik, deren Ziel es ist, die Herrschaft des Kapitals um jeden Preis aufrecht zu erhalten.

Einige der Erklärungsversuche, die in den bürgerlichen Medien für die Lebensmittelkrise gebracht werden, sind bezeichnend. So heißt es manchmal, Börsenspekulationen mit Lebensmitteln seien schuld an der Hungerkrise. Börsenspekulationen mit Lebensmitteln sind aber nicht die Ursache dessen, daß viele Menschen sich nicht ausreichend Lebensmittel kaufen können, selbst wenn die Spekulation die Preise zusätzlich treiben mag; die Ursache liegt in den zu geringen oder überhaupt nicht vorhandenen Löhnen, in der gesamten Tendenz des Kapitals, die Konsumtion der Massen zu beschneiden. Abgesehen davon läßt sich die Börsenspekulation mit Lebensmitteln im Kapitalismus genausowenig abschaffen wie die Spekulation mit irgendwelchen anderen Werten, weil sie von der Anwendung und Umsetzung des Kapitals nicht zu trennen ist. Die starke Herausstellung des Moments der Spekulation durch gewisse Kreise dient vor allem der Ablenkung von tiefer liegenden Gegensätzen.

So wird in einem Beitrag des Schweizer Fernsehens v. 11.4.2008 suggeriert, nicht die Abzweigung von geschätzt hundert Mio. Tonnen Getreide aus der jährlichen Nahrungsmittelproduktion zum Zwecke der Biospritherstellung sei ein wichtiger Grund der Verknappung, sondern die Spekulation:

Opfer von Spekulationen
Es scheint, dass diese Erklärung [die Herstellung von Biosprit aus Mais und anderen Nahrungsmitteln sei an der Verknappung der Lebensmittel schuld, wgr.] zu kurz greift. Für die seit fünf Jahren steigenden Preise scheint auf dem Markt nicht mehr die normale Angebot und Nachfrage Logik zu spielen. Nach dem Zusammenbruch des Handels mit verbrieften Forderungen haben sich Anleger und Banktrader auf die Rohstoffmärkte gestützt. In den Preisbewegungen von Reis, Weizen, Soja oder Mais spiegeln sich nun vermehrt auch Marktmanipulationen und Spekulationen.“

Hier stemmt man sich gegen eine ganze Welle von Alarmrufen, wie sie inzwischen aus der Bourgeoisie selbst kommen, die die Biosprit-Politik als Irrweg kritisieren, der schleunigst verlassen werden müsse, weil er die Lebensmittelversorgung der Menschheit gefährde. In der Tat ist die in erster Linie vom US-Imperialismus, aber auch von Merkel und Gabriel und der EU fanatisch betriebene Biospritpolitik einer der Hauptgründe der aktuellen Verknappung und der verschärften Preissteigerungen bei Grundnahrungsmitteln. Im Namen des „Klimaschutzes“ werden Lebensmittel buchstäblich verbrannt und damit weitere Millionen von Menschen zum Hunger verurteilt. Jeder, der es mit der Bekämpfung des Hungers wirklich ernst meint, muß als ersten Schritt den sofortigen Stop dieses perversen Ausflusses des kapitalistischen Systems, diese Lebensmittelvernichtungspolitik, fordern.
Auch die Behauptung, vor fünf Jahren habe auf dem Weltmarkt für Lebensmittelrohstoffe noch die Logik von Angebot und Nachfrage geherrscht, ist eine krasse Schönmalerei des Kapitalismus. Dieser Markt ist mindestens eben so stark wie andere, wenn nicht sogar mehr, durch ganz andere Gesetze bestimmt. Auch hier spielen große kapitalistische Monopole, z.B. bei Saatgut, Pflanzenschutz, Verarbeitung und Vermarktung von Lebensmitteln keine geringe Rolle, die aufgrund ihrer Machtpositionen gegenüber armen Ländern Erpressung und Raubbau betreiben; außerdem ist die Agrarpolitik der USA und auch der EU international schon seit langem in der Kritik wegen ihrer hemmenden Wirkung auf die Entwicklung der Agrarproduktion sehr vieler ärmerer, weniger entwickelter Länder, bspw. in Afrika. Wer diese Dinge untersuchen will, findet hier sehr wahrscheinlich eine Menge Faktoren der unzureichenden weltweiten Nahrungsmittelproduktion.

Was solchen Schreiberlingen die Finger führt, ist der unbedingte Wille, elementare Widersprüche des Kapitalismus wieder wegzuquatschen, die längst schon in die allgemeine bürgerliche Diskussion hineinragen. Sie können nicht anders als ihre menschenfeindliche Gesinnung in allen möglichen Formen zu dokumentieren. Ein weiterer krasser Passus:

Nachfrage aus China und Indien
Schuld ist auch die ungebremste Nachfrage aus China und Indien. Der Fleischkonsum der Chinesen ist in den letzten 30 Jahren um 150 Prozent gestiegen. Wenn Millionen Menschen mehr Fleisch essen, braucht es mehr Futter für Masttiere. Mit anderen Worten: Mit der gleichen Maismenge könnten mehr Menschen ernährt werden, wenn es statt als Futtermittel direkt gegessen würde.“

Hier wird den Menschenmassen Chinas und Indiens kaum verblümt empfohlen, auf Fleisch weiterhin zu verzichten und anstelle der Hühner, Kühe und Schweine Mais zu essen – damit die Herrschaften der reichen Länder weiterhin sich unter Ausschluß des „Pöbels“ an den Steaks erfreuen können und im übrigen die internationale Ordnung, so wie ist, mit dem obszönen Reichtum auf der einen und der Unterentwicklung und Mangelernährung auf der anderen Seite gar nicht erst ins Wanken kommt. Dazu hat man natürlich auch eine ganze Skala „ökologischer“ Argumente auf seiner Seite. Nieder mit dieser Sklavenhaltermentalität! Wenn es wirklich Paragraphen gegen Volksverhetzung gäbe, dann müßten solche Politiker und Journalisten dauerhaft hinter Gitter, das wäre noch das Mindeste, denn sie reden der kapitalistisch-systematischen Vernichtung der Lebenschancen ungezählter Menschenmassen das Wort.

Es kann nicht unerwähnt bleiben, daß auch in unserem eigenen Land staatlicherseits bereits in Richtung Mangelernährung größerer Bevölkerungskreise gearbeitet wird. Dieselben Parteien wie die der derzeitigen CDU-SPD-Koalition, die die Agrarproduktion hier wie international immer mehr auf Biosprit umbauen und eine systematische Politik der Energieverteuerung und Deindustrialisierung betreiben, verordnen Kindern und Jugendlichen, die unter Hartz IV fallen, einen täglichen Ernährungssatz von rd. 2,50 Euro. Obwohl die faktischen Bedingungen für die meisten Menschen hier immer noch deutlich günstiger sind als bspw. in Bangladesch, ist hier im Prinzip derselbe kapitalistische Zynismus am Werk, der zu anderen Zeiten auch viel krassere Auswirkungen haben kann und haben wird, wenn man ihm nicht entgegentritt.


Redaktion Neue Einheit -wgr
15.4./ 26.4. 2008   

(Dieser Artikel war ursprünglich am 15.4. 08 zur Veröffentlichung vorgesehen, die nunmehr nachgeholt wird.)

 

 

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