Internet Statement 2008-40

 

 

Die Forderungen nach Regulierung

– oder: wenn das Kapital sich selber „sozialisiert“

Walter Grobe  01.10.2008       

Der Ruf nach der Regulierung des Finanzsystems ist derzeit in aller Munde. Die Linkspartei fordert die Regulierung nicht weniger als Angela Merkel, und als oberster Regulierer betätigt sich derzeit der US-Finanzminister Henry Paulson zusammen mit anderen Vertretern der US-Oligarchien. Sie sozialisieren die Verluste und basteln an zusätzlichen monströsen bürokratischen Instrumenten der kapitalistischen Umverteilung durch den Staat. Sie versuchen die Entwicklung so zu regulieren, daß die größten und einflußreichsten internationalen Finanzcliquen gestärkt aus der Krise gehen können, nachdem sie das Kapital der Konkurrenten, die Guthaben und den Besitz von –zig Millionen kleinerer Eigentümer in den USA und anderswo auf der Welt enteignet haben, nachdem sie die Produktion und die Versorgung der Weltbevölkerung schwer geschädigt und geschwächt haben werden und zusätzliche Hunderte von Millionen Menschen, die nichts als ihre Arbeitskraft besitzen, weltweit dem völligen Ruin und der Vernichtung preisgegeben haben.
Und wenn sie es mittels der Ausnahmezustände, die auf allen möglichen Gebieten verhängt werden, schaffen sollten noch einmal zu überleben, dann wird die Ausbeutung noch brutaler und krimineller weitergehen und den nächsten Crash hervorbringen.

Eine andere Art und Weise der Regulierung des Finanzsystems ist unter der Herrschaft des Kapitals unmöglich. Wer jetzt in das Regulierungsgeschwätz einstimmt, versucht Stillhalten unter den Massen der Bevölkerung zu erreichen, damit die Auspowerung möglichst ungestört reorganisiert werden kann.

Man sollte sich einmal vergegenwärtigen, wie sich das internationale Finanzwesen eigentlich in den letzten Jahren und Jahrzehnten entwickelt hat.

Nach dem Wegfall des sozialistischen China, dem Umsturz in Richtung Kapitalismus Ende der 70er Jahre und der allmählichen Eingliederung des Landes in die internationale kapitalistische Ökonomie, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, die - obwohl ihre inneren Zustände seit den 60er Jahren schon selbst weitgehend kapitalistisch bzw. gangsterkapitalistisch geworden waren - mit ihrem Block der umfassenden internationalen Diktatur des Kapitals noch gewisse Hindernisse entgegengesetzt hatte, haben wir beobachten können, wie die Banken, wie das internationale Finanzkapital insgesamt als ein wesentlicher Teil und ein wesentliches Mittel des gesamten Kapitalismus fungiert haben, die Welt in seinem Sinne umzugestalten.

Die Profitwut konnte sich zunehmend frei betätigen. Die elende Lage von mehreren Milliarden Menschen der Weltbevölkerung, die schweren Verwerfungen der internationalen Ökonomie mit der fortschreitenden Entindustrialisierung der USA, aber auch in erheblichem Maße unseres Landes und Europas insgesamt, sind eine Seite dieser Entwicklung, eine für den Kapitalismus ganz typische und letztlich unvermeidliche Seite, insbesondere seitdem ihm sozialistische Staaten als Herausforderung abhanden gekommen sind. Auf der anderen Seite wurden große Teile der Weltbevölkerung, die zuvor am internationalen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben kaum Teil hatten, in eine gewisse Art moderner Weltgesellschaft hineingezogen. In China ganz konzentriert, aber auch verteilt in anderen Teilen der Welt entstehen Produktionskapazitäten, die alles Bisherige in den Schatten stellen, wenngleich sie auf der anderen Seite unter der Peitsche der Kapitalverwertung noch weit davon entfernt sind, Arbeit und ein anständiges Leben für die Gesamtheit der Weltgesellschaft zu produzieren. Das ist ja auch gar nicht ihr Sinn, das wird das Kapital auch nie wirklich anstreben, im Gegenteil.
Das internationale Finanzkapital mit seinem Zentrum vor allem an der Wall Street gehörte zu diesem Prozeß der Ausweitung der Produktion, der raschen Erschließung und auch Verlagerung von Produktionskapazitäten rund um den Globus, des Hineinziehens von Milliarden in die moderne wirtschaftliche und soziale Welt untrennbar hinzu. Es ist mit ein Antreiber der vergesellschafteten Produktion, deren sozialen und politischen Druck es gleichzeitig fürchtet und bekämpft. Es zeigt, in bisher nicht gesehene geschichtliche Dimensionen gesteigert, in besonders krassen Formen die Grundeigenschaften des Kapitalismus: die Anarchie der Entwicklung, die Krisenhaftigkeit der Entwicklung, die Neigung und den inneren Zwang, für den raschen Maximalprofit nicht nur über Leichen zu gehen, sondern sogar die eigene Existenz zu verspielen, den Boden zu ruinieren, auf dem man selbst gedeiht. Man wird das nicht los, ohne den Kapitalismus überhaupt loszuwerden.

Der Kapitalismus hatte sich in den letzten Jahrzehnten in China, aber auch in anderen Teilen der Welt ein ganz außergewöhnliches Dorado der Mehrwertauspressung erschlossen, mit hunderten von Millionen neuer Proletarier, die an der Grenze der Nichtbezahlung arbeiten, und das internationale Finanzkapital hat nach dem Prinzip gehandelt, die erwarteten Profite von morgen und übermorgen sich selbst als Kredit auszuzahlen. Es hat eine Verschuldung angehäuft, eine interne Verschuldung der großen Kapitalien und insgesamt der Geldbesitzer untereinander sowie eine Schuldhaftung großer Teile der produzierenden und arbeitenden Weltbevölkerung, deren Ausmaß so absurd ist, daß viele Beobachter und Kritiker im bürgerlichen Lager nur noch den Kopf schütteln und schon lange mit Gänsehaut auf den Zusammenbruch warten. Dieser Zusammenbruch vollzieht sich derzeit. Es ist logisch und es war auch in früheren Krisen immer so, daß die Wechsel auf die Zukunft, die das Kapital in historischen Wellen immer wieder ins Ungemessene anwachsen läßt, zu Papier erklärt werden müssen. Wenn man es so weit getrieben hat, daß Papiere zirkulieren, deren Auszahlung das Fünf- oder Zehnfache der Jahresproduktion der ganzen Welt verschlingen würde, muß der Großteil dieser Papiere eines Tages für wertlos erklärt werden. Das findet derzeit statt. In diesem Prozeß werden die meisten Zahlungsansprüche vernichtet, reduziert sich das fiktive Kapital auf einen praktikableren Umfang, wird das Chaos gelichtet, werden kapitalistische Strukturen geschaffen, mit denen das Kapital seinen Hasardeurs-Zyklus auf einer etwas veränderten Grundlage erneut in Gang zu bringen hofft. Das ist die Regulierung, die derzeit stattfindet, die einzige, deren das Kapital fähig ist. In eins damit arbeiten sie daran, die staatlichen Unterdrückungsapparate für weitaus brutalere und massenhaftere Aktionen gegen das eigene Volk und andere Völker zu rüsten als bisher. Ganz Ähnliches spielt sich auch in Europa und anderswo hinter den Kulissen ab.
Dabei sollen riesige Massen des weltweiten Proletariats, des Prekariats, aber auch erhebliche Teile der bisher etwas besser Gestellten über die Klinge springen. Und das wird so weitergehen, so lange nicht revolutionäre Massenbewegungen in den entscheidenden Ländern und mit Verbindungen auf verschiedenen Kontinenten die politische Herrschaft erobern, die großen Banken enteignen und unter die direkte Kontrolle der Revolution selbst bringen.

Man spürt, wie die Angst vor den Massen den Kapitalismus umtreibt, bisher aber konnte er das Zustandekommen offener revolutionärer Bewegungen im großen und ganzen unterdrücken und hintertreiben. Die Kapitalswissenschaften der politischen und kulturellen Niederhaltung der Massen wurden in den letzten Jahrzehnten in perfider und widerlicher Weise weiterentwickelt. Diese Umstände sind bisher ein wesentlicher Faktor der Arroganz und der ins Wahnsinnige gesteigerten Ansprüche des internationalen Kapitalismus gewesen.

Der Kapitalismus gerade in seiner heutigen internationalen Vernetzung und Organisierung, von der das Finanzkapital ein untrennbarer Teil ist, genauso wie die Vernetzung der Welt durch die Informationstechnologien und den internationalen Handel, war und ist in gewissem Sinn ein revolutionärer Prozeß, aber solange die Entwicklung unter der Herrschaft des privaten Profitinteresses stattfindet, wird auch immer wieder in riesigem Umfang desorganisiert und zerstört, droht auch eine offene Wiederaufspaltung der Welt in feindliche kapitalistische Blöcke, die einander mit Sicherheit auch wieder in verheerende Kriege verstricken werden, wenn revolutionäre Erhebungen weltweit und in großem Umfang dem nicht zuvorkommen. Daß die Aneignung und Kontrolle der gesellschaftlichen Produktion, die heute in einem Maße vergesellschaftet ist wie nie zuvor, in den Händen relativ weniger Privateigentümer konzentriert ist, steht längst im Widerspruch zur ganzen Grundtendenz der Entwicklung der Menschheit und ist reif fürs Ende . Die Grundlage für die Neuentstehung der sozialistischen revolutionären Bewegung ist vorhanden.

Hoffnungen, daß der Staat vielleicht am Runden Tisch mit den wichtigsten Kapitalvertretern, vielleicht sogar politischen Parteien und Gewerkschaften – dem Erfindungsreichtum für die Gästeliste wollen wir keine Zügel anlegen – einen Weg findet, die kapitalistische Krise so zu regulieren, daß möglichst viele Besitzer geschont und in Zukunft Exzesse verhindert werden, daß auch zu große Einbrüche in der Produktion, in der Beschäftigung überhaupt verhindert werden, werden in dieser Situation auf allen Kanälen geschürt. Das ist Betrug. Vielleicht erreicht man für eine kurze Zeit auf diese Weise in der Tat eine teilweise Beruhigung im Kampf der kapitalistischen Cliquen gegeneinander, aber die bereitet nur die nächste Krise vor, die noch deutlicher offenbaren wird, daß der Kapitalismus längst ein desorganisierendes zerstörerisches System geworden ist. Wie soll der Staat der Kapitalisten denn das Kapital anders regulieren als indem er die Ausbeutung weiter verschärft und die Massen noch mehr entmündigt? Solange der Staat selbst einer des Kapitalismus ist, zudem direkt von den prokapitalistischen und teilweise sogar unmittelbar mit dem Kapital verbundenen Politikern, Wissenschaftlern und Gewerkschaftsführern gelenkt wird, kann jede Regulierung nur eine Vorstufe sein zur erneuten Entfaltung der Umgehung aller Regeln, der Mißwirtschaft, der Korruption, der neuen großen Kampagnen des gegenseitigen Betrugs der Kapitalscliquen und der Verschärfung der Ausbeutung der internationalen Arbeiterklasse.

Je offener es im Kapitalismus an allen Ecken brennt, desto kriecherischer werden bestimmte Figuren und Parteien, die der Öffentlichkeit als „Linke“ präsentiert werden. Je brenzliger es für das Kapital wird, desto staatsfrommer werden deren Sprüchlein. Was man bspw. von den Vertretern der Partei „Die Linke“ hört, ihr Gerede von mehr staatlicher „Kontrolle“ des Finanzwesens, von mehr „Verteilungsgerechtigkeit“ (im Kapitalismus!) paßt sich zu gut in die Linie des großen Kapitals und der Regierungen ein, die es derzeit für angezeigt halten, Mäßigung der Exzesse und soziale Rücksichtnahme vorzuspielen. Was für eine Regulierung, von wem, unter wessen Kontrolle, wer hat die Macht bei der Durchsetzung der Regulierung? - das muß man doch fragen. An was für einen Staat appellieren diese Leute denn? Reden wir doch mal vom Pseudosozialismus, dem mentalen Hintergrund dieser „Linken“. Ein „Sozialismus“ ohne wirkliche Beteiligung revolutionärer Massen, ohne wirkliche Kontrolle der Produzenten über Produktion und Verteilung, ohne wirklichen internationalen Zusammenschluß revolutionärer Staaten und Massenbewegungen – davon sollte man nach den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte der Sowjetunion und mit ihr verbundener Staaten, als der Revisionismus die Herrschaft übernommen hatte, doch die Finger lassen. Dort hatten wir schließlich im Grunde einen bürokratisch regulierten Staatskapitalismus, denn Kapitalismus war es in der Tat, was sich dort durch den Revisionismus längst unter der Fassade des Sozialismus entwickelt hatte. Er war derartig reguliert, daß er offiziell als Sozialismus auftrat, in Wirklichkeit hatten die Massen absolut nichts mehr zu melden, und unter der Oberfläche entwickelten sich die Verletzung sämtlicher Regeln, die Untergrabung des Volkseigentums und sein Diebstahl, das Gangstertum und die mafiotischen Strukturen in einer Weise, daß sie auch vom Westen nicht „besser“ demonstriert werden könnten. Das heutige russische Regime, das Regime der mafiotischen Oligarchen und ihrer Geheimdienste ist das, was mehr oder weniger ausgereift schon im Schoße der Sowjetunion der 60er Jahre sich regte. Es darf kein Zurück zu derartigen Formen geben. Jede Art derartiger Nostalgie ist schädlich, und auch eine Assimilation dieses hiesigen heutigen Kapitalismus an solche Formen, wie sie schon immer eine gewisse „linke Sozialdemokratie“ (an die ein Lafontaine anknüpft) auf der Agenda hat, ist zu bekämpfen, nicht weniger als die Formen, die gern als „Neoliberalismus“ bezeichnet werden.

Es gibt keinen Sozialismus ohne die wirkliche Machtausübung der Massen in direkter Form, ohne durchgreifende revolutionäre Massenbewegungen und die führende Tätigkeit revolutionärer Parteien, die die besten Potenzen der Massen und der Nationen zusammenfassen, entwickeln und gleichzeitig als Element der internationalen revolutionären Bewegung agieren.

In Europa droht eine einschneidende akute Rezession, nachdem Europa in den letzten Jahrzehnten eine permanente schleichende Rezession erlebt hat, auch wenn da oder dort Produktionskapazitäten entwickelt wurden und auch ein gewisses Zusammenwachsen europäischer Länder zu beobachten war (das alles war jedoch bei weitem nicht ausreichend).

Anstelle von windelweichen Appellen an Regierungsstellen, bitte ein bißchen zu regulieren, ist der Kampf gegen die Krisenfolgen durch die Volksmassen angesagt. Dabei kann man auch nicht übergehen, was speziell die herrschenden Kreise in Deutschland, aber auch mit Varianten die herrschenden Kreise anderer europäischer Länder, an Verbrechen gegen die gesellschaftlichen Grundlagen schon längst auf dem Kerbholz haben: die Politik des Bevölkerungsabbaus, die Politik der Verwerfung, des Arbeitslos-Machens und der Vergreisung der eigenen Bevölkerung muß entschieden bekämpft werden. Nicht weniger die Politik der Abwertung der Arbeitskraft durch die Massenarbeitslosigkeit und die immer weiter nach unten gedrückten Löhne großer Teile der Bevölkerung. Man kann keineswegs sagen, daß diese Herrschaften untätig gewesen seien, auf ihre Weise Krisenfaktoren anzusammeln. In die kriminellen Machenschaften der internationalen Finanzoligarchien sind sie eh voll eingebunden.
Es muß und kann dafür gekämpft werden, daß die großen revolutionären Potentiale, die Potentiale der europäischen Arbeiterklassen, der Wissenschaftler, Ingenieure und Organisatoren, der Massen mobilisiert werden und politisch zur Geltung kommen

Zweifellos werden in zunehmendem Umfang Teile der Bevölkerung beginnen, sich der Abwälzung der Krisenfolgen zu widersetzen, und die Chancen, daß kämpferische Massenbewegungen entstehen, verbessern sich gegenüber den bisherigen Jahren. Vielleicht gibt es auch noch Linke in diesem Land, die die Verantwortung für eine langfristige progressive und sozialistische Entwicklung noch nicht völlig abgelegt haben, die noch wagen, davon zu sprechen und das zu erklären und sich nicht länger den pseudolinken Organisationen unterordnen, die den völligen Verrat organisiert haben und weiter zu organisieren versuchen. Es ist an der Klarstellung zu arbeiten, was der Kapitalismus im Wesen ist, warum er so ist, wie er jetzt sich zeigt, und was er für Entwicklungschancen bzw. genauer gesprochen was für Aussichten seiner historischen Ablösung er hat. Die Regulierungsversprechen sind im Kern ein Versuch, den Massen Sand in die Augen zu streuen und vorzugaukeln, daß der Kapitalismus sich doch etwas zivilisieren lasse bzw. „die Politik“ ihn an die Kandare nehmen könnte, sodaß ein weiteres Auskommen mit ihm doch noch einmal mehr möglich erscheine. Das bedeutet, genau die Ideologie, der das Kapital seine unglaubliche Frechheit und seine jetzigen Zusammenbrüche, mit denen es Millionen Menschen in den Abgrund schickt, verdankt, soll einmal mehr in die Zukunft verlängert werden. Das kommt nicht in Frage.
Außerdem: der Internationalismus der sozialistischen Aufklärungsarbeit, der Internationalismus der praktischen gewerkschaftlichen und politischen Arbeit muß von vornherein ein überragender Gesichtspunkt sein; der internationalistische Gesichtspunkt muß von vornherein in jeder sich entfaltenden sozial-kämpferischen Bewegung verfochten werden. Die Gefahr, daß die Krise Rechten, Rassisten, Chauvinisten, Vertretern der feindlichen Aufhetzung der Völker gegeneinander, kleinbürgerlichen rechten Knochen, Vertretern einer Rückabwicklung der Globalisierung, einer Rückabwicklung der internationalen Vergesellschaftung, in die Hände spielt, muß als akut betrachtet und bekämpft werden.

 

 

 

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