Internet Statement 2007-19
Wassili Gerhard 22.07.2009 Ab Montag den 20.7.09 ist ein großer Teil der S-Bahn-Linien bis auf weiteres eingestellt worden, darunter z.B die Anbindung des Hauptbahnhofes oder des Flughafens Schönefeld, weil die zur Deutschen Bahn gehörende S-Bahn die Kapazitäten an Wagen nicht mehr zur Verfügung hat, alle Strecken zu betreiben. Es soll Monate dauern, bis die Züge wieder normal fahren. Viele Menschen, die auf die S-Bahn angewiesen sind, vor allem um zur Arbeit zu kommen, haben erheblich verlängerte Fahrtzeiten, Stunden an Mehraufwand, denn im Großraum Berlin und Umgebung nehmen manche Arbeitenden täglich lange Anfahrtswege auf sich, die oftmals nur mit der S-Bahn in einer halbwegs erträglichen Zeit zu schaffen sind, oder aber mit dem Auto. Und fiele das Ganze nicht in die Ferienzeit, wäre das Chaos noch viel größer. Eventuell ist hier das Eisenbahn-Bundesamt der S-Bahn noch entgegengekommen. Und warum das Ganze? Laut den bekannten Berichten hat die S-Bahn offenbar an sicherheitsrelevanten Überprüfungen und Wartungsarbeiten gespart, die Untersuchungsintervalle unzulässig lange ausgedehnt, so daß jetzt eine sehr große Zahl von Waggons aus Sicherheitsgründen zur Überprüfung aus dem Verkehr gezogen werden mußten. Am 1.Mai diesen Jahres entgleiste ein mit Fahrgästen besetzter Zug am Bahnhof Kaulsdorf, weil ein Rad brach. Zum Glück fuhr der Zug gerade langsam, bei schnellerer Fahrt und einem anderen Streckenverlauf hätte es zu einem schweren Unglück mit vielen Opfern kommen können. Das führte zu umfangreichen Untersuchungen des Eisenbahn-Bundesamtes, das seitdem immer mehr Wagen aus Sicherheitsgründen aus dem Verkehr genommen hat, weil es Zweifel an ausreichenden Sicherheitsüberprüfungen gibt. So steigerte sich schon seit einiger Zeit das Chaos bei der S-Bahn, die nach einem Notfahrplan lief: Züge fielen aus, die Wagen reichten manchmal nicht aus, die wartenden Fahrgäste aufzunehmen, bis es schließlich zu dem jetzigen Desaster kam Offenbar hat man die Intervalle für gründliche Untersuchungen
der Räder und Achsen, die einem besonderen Verschleiß unterliegen
zu sehr in die Länge gezogen. Es wird dem Vernehmen nach über
verkürzte Prüfintervalle und Verkürzung der Laufzeit bis
zum kompletten Austausch nachgedacht.
In den letzten Wochen habe sie das festgestellt? Also nachdem ihnen durch die verunglückte Bahn in Kaulsdorf auch nichts mehr anderes übrig blieb, als genauer hinzusehen. Tatsache ist, daß die Bahn ursprünglich eine strengere Sicherheitsphilosophie hatte und neue Betriebsmittel vor dem Einsatz selbst gründlich prüfte. Heute kauft man „Fahrzeuge von der Stange“, und ein neues Auto kaufe man ja auch nicht erst, wenn man es auf den Prüfstand gestellt hat, wie der frühere Bahnchef Dürr sich ausdrückte, und so sieht man teilweise erst nach einiger Einsatzzeit, welche Schwachpunkte bestehen, wie Z.B. bei den sogenannten „Pendolino-Zügen“ die nach großem Vorschußlob wegen eines Achsbruches wieder aus dem Verkehr gezogen werden mußten. Und ist nicht das schwere Unglück von Enschedde auch auf einen Schäden an den Rädern zurückzuführen? Offenbar hat der Mutterkonzern Deutsche Bahn der S-Bahn seine Methoden übergestülpt, um Kosten zu sparen. Warum wurde bei der S-Bahn alles auf knirsch gefahren und dabei das Leben und die Unversehrtheit der Fahrgäste gefährdet? Hat sie schon mit der Pleite gekämpft? Laut Zeitungsberichten hat die S-Bahn Berlin im vergangenen Jahr über 220 Millionen an Zuschuß vom Berliner Senat bekommen und gleichzeitig 56 Millionen an die Muttergesellschaft abgeführt. In den vergangenen Jahren wurden viele neue Züge gekauft, die alten, die oft viele Jahrzehnte in Betrieb gewesen waren, sollten alle auf einmal nur noch zu verschrotten gewesen sein. Von hundert voll einsatzfähigen Zügen ist die Rede, die aus dem Verkehr genommen wurden. Man dachte natürlich, daß neue Züge erst einmal weniger Wartungs- und Reparaturaufwand machen. Ein Viertel der Beschäftigten wurde entlassen, ein großer Teil der Werkstätten für Wartung und Reparatur wurden geschlossen, hoch qualifizierte Handwerker und Techniker entlassen, die für die Behebung der jetzigen Misere fehlen wie die alten Züge. Ist es nicht vielmehr so, daß die S-Bahn-Manager die hohen Gewinnvorgaben des Mutterkonzerns erfüllen wollten, die im Hinblick auf den geplanten Börsengang der Deutschen Bahn aufgestellt wurden ? Mit neueren Zügen, wertvolleren Immobilien - viele Bahnhöfe wurden sehr aufwendig und teils nicht mehr nachvollziehbar teuer saniert - steigt der Wert des Unternehmens; man betrieb „Verschlankung“ des Betriebes nach bekanntem Muster – also Personal reduzieren, Werkstätten für Wartung, Reparatur und Instandhaltung schließen, Personal von den Bahnhöfen abziehen, Schalter schließen ... Man steigerte den Gewinnbetrag, der an den Mutterkonzern abgeführt wurde auf die genannten 56 Millionen - alles Maßnahmen, die das Unternehmen bei einem Börsengang attraktiver machen. Nicht zuletzt die hohen Zuschüsse aus Steuermitteln machen es möglich. Der eigentliche Sinn eines Massenverkehrsmittels gerät dabei in den Hintergrund gegenüber der Funktion als Kapitalanlage, gegenüber dem „Shareholder Value“, und wird nun rabiat mit Füßen getreten.
Busse und U-Bahnen sollen nun nicht nach dem reduzierten Ferienfahrplan
fahren, sondern wieder in kürzeren Takten. Das ist ja auch das Mindeste.
Aber die BVG nutzte die Gelegenheit, daß alles auf die S-Bahn sieht,
um Überlegungen öffentlich zu machen, daß U-Bahn-Linien
einzustellen seien. „falls es dem Unternehmen in den nächsten
Jahren nicht gelingt, Geld für den Kauf neuer Züge zu beschaffen“.
(so im Tagesspiegel vom 19.07.09) Konkret gehe es um zwei Linien, eine
in der Innenstadt durch Schöneberg zum Innsbrucker Platz (deren Anschluß
bis nach Steglitz seit ewiger Zeit vorgesehen ist, die entsprechenden
Bahnsteige wurden bei den neu gebauten Steglitzer Bahnhöfen bereits
mitgebaut) und eine, die raus in die Grunewaldgegend nach Dahlem (Krumme
Lanke) geht. Da hätten die Leute ja sowieso alle ein Auto, heißt
es gleich dazu. Nur daß es da auch zur Freien Universität geht,
haben die Studenten auch alle ein Auto? Und dabei fehlen in Berlin eher
noch U-Bahn Strecken. Der neue Hauptbahnhof ist z.B. überhaupt nicht
an die U-Bahn angebunden und eine Reihe von U-Bahn-Strecken wurden schon
teils seit Jahrzehnten geplant und nie ausgeführt, bis auf das eine
oder andere unterirdische Bauwerk, das schon im Voraus erstellt wurde.
Im letzten Jahresabschluß legte die BVG über 150 Millionen zurück, um sich gegen erwartete Verluste aus Wertpapiergeschäften abzusichern. Es ist bekannt, daß die BVG sogenanntes „Cross Border-Leasing“ betrieben hat, z.B. ganze U-Bahnzüge an amerikanische Investoren verkauft und zurückgemietet. Dabei konnten beide Seiten Steuervorteile in Millionenhöhe in Anspruch nehmen. Die Internetseite Financial.de schreibt dazu:
Das ist doch unerhört! Ein Unternehmen, das mit Steuergeldern subventioniert wird, weil es eine unerläßliche öffentliche Aufgabe erfüllen soll, verzockt die Gelder und schränkt dann dafür das Angebot ein? Auch ist die BVG in eine neue Firmenzentrale umgezogen, zahlt dort monatlich
250.000 Euro Miete. Ihre alte Zentrale haben sie verkauft und teilweise
wieder zurückgemietet. Hat man die Immobilie verkauft, um am Finanzmarkt
mitzocken zu können? Einen kuriosen Aspekt gibt es außerdem noch dabei: Es fehlen die Waggons und Triebwagen für ältere Strecken, die eine schmalere Spurweite und schmalere Tunnel haben. 120 Waggons der Reihe „Gisela“, eine DDR-Entwicklung, die für diese Strecken passend sind, hat man nach Nordkorea verscherbelt, angeblich weil sie zu störungsanfällig waren. Sie sind äußerlich leicht am Streifenprofil ihrer Blechhülle zu erkennen. Wenn man heute auf die Webseite der Untergrundbahn von Pjöngyang geht, kann man dort lesen, wie diese Züge wegen ihrer Zuverlässigkeit gelobt werden, ihre viel bessere Qualität als chinesische Modelle wird hervorgehoben. Da kann ja dann die alte Spirale der BVG in Gang gesetzt werden: Das Angebot wird verschlechtert, die Preise werden erhöht, daraufhin sinken die Fahrgastzahlen und die erwarteten Einnahmen werden nicht erzielt, also muß das Angebot wieder verschlechtert werden und so weiter. In Berlin, wo 600 000 von Hartz IV oder anderen Transferleistungen leben, ist es längst so, daß sich viele der Ärmeren nur noch selten eine BVG-Fahrkarte leisten. 2 BVG-Fahrkarten kosten mehr als ein Drittel dessen, was ein Hartz IV-Empfänger pro Tag für alle Ausgaben (außer Wohnung) zur Verfügung hat, einen verbilligten Einzelfahrschein für Arbeitslose sah die BVG als Zumutung an. Einen verbilligten Fahrschein nur für die verkehrsärmeren Tageszeiten, ursprünglich mehr für Rentner gedacht, der von vielen Arbeitslosen als Notlösung genutzt wurde, schaffte sie sogar wieder ab. Es gibt eine verbilligte Monatskarte, aber die lohnt sich nur für Vielfahrer und die Hartz IV Empfänger versuchen gerade so wenig wie möglich zu fahren und weniger als die 32 Euro auszugeben, die diese Karte kostet. Berlin preist immer seine öffentlichen Verkehrsmittel an. Als Autofahrer bekommt man ständig den Rat, doch das Auto stehen zu lassen, Berlin habe doch so tolle Verkehrsmittel. Neu gebaute Betriebe dürfen nicht ausreichend Parkplätze anlegen, die Beschäftigten sollen doch mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit fahren. Aber man sehe, wie mit denen umgegangen wird, die wirklich auf diese öffentlichen Verkehrsmittel angewiesen sind. Da ist man verraten und verkauft. Der kürzlich aus dem Amt geschiedene Berliner Finanzsenator Sarrazin
fühlte sich ständig verpflichtet den angeblichen Beweis zu führen,
daß man mit Hartz IV doch prima leben könne, sparte an notwendigen
öffentlichen Ausgaben „bis es quietscht“, aber bei der
Kontrolle, wie mit den Hunderten Millionen Subventionen gewirtschaftet
wird, legte er nicht den gleichen Eifer an den Tag. Berlin bleibt dem
Ruf der „Hauptstadt von Filz und Korruption“ treu. (Man denke
an die Privatisierung von BEWAG, Gasag, Wasserwerken, Berliner Bankgesellschaft,
um einige Beispiele der letzten Jahre zu nennen, immer wieder gab es große
Verluste für den öffentlichen Haushalt, damit einige Reiche
oder Konzerne ihren Reibach machen konnten) Und gerade in Zeiten der Krise
werfen Kapitalisten ein besonders begehrliches Auge auf die Steuereinnahmen
des Staates, suchen sie für ihren Profit nutzbar zu machen. Und da
der Staat selbst zutiefst verschuldet und auf neue Kredite angewiesen
ist, ergeben sich auch Möglichkeiten, in dieser Richtung Druck auszuüben.
Berlin mit seiner völlig verrotteten Finanzlage ist da ein Paradebeispiel.
Hier hat das Abzocken von Subventionen eine besondere Tradition. Dafür
sollen dann die einfachen Bürger bei den elementarsten Bedürfnissen
Mangel leiden. ------------------------------------------------------------ • Erklärung der GDL-Ortsgruppe der S-Bahn, 2.7.09
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