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Statement 2007-24
Wahlkampf
in Zeiten der Weltwirtschaftskrise
Uwe
Müller 26.9.2009
In einem sind sich alle Kommentatoren einig, so langweilig und inhaltsleer
wie dieser Wahlkampf war noch keiner. Woran das liegen mag, darüber
gibt es durchaus unterschiedliche Ansichten. Jedenfalls steht diese Inhaltsleere
in solch einem krassen Widerspruch zur sozialen und ökonomischen
Realität in diesem Land und weltweit, daß es frappierender
nicht sein kann. Diese Ignoranz und Abgehobenheit der Parteien alleine
sind schon Grund genug, um auf die Barrikaden zu gehen.
Nähme man nur den Wahlkampf und die lauen Diskussionen der um die
Macht buhlenden Parteien, dann könnte man fast meinen, man ist im
falschen Film. Man würde gar nicht mitbekommen, daß sich Deutschland
mitten in der größten Weltwirtschaftskrise seit 1929 befindet,
mitten in einer grundlegenden und tiefen Krise des globalen Kapitalismus,
wie sie die Welt noch nicht gesehen hat.
Nähme man nur den Wahlkampf, dann bekäme man den Eindruck,
daß Deutschland mit Hilfe der „großen“ Koalition
die Krise klug gemeistert hätte und das Schlimmste schon überstanden
wäre. Deutschland sei eben „gut aufgestellt“ und könne
gar gestärkt aus der Krise hervorgehen. Und dies wird beileibe nicht
nur von der CDU/CSU und der SPD so vertreten, sondern auch von den anderen
um die Macht mitbuhlenden Parteien der FDP, Grünen und „Die
Linke“. Denn in punkto „Notmaßnahmen“ wie dem
gigantischen „Bakenrettungspaket“ inklusive diverser Staatseingriffe
und Stützung von Landesbanken, HRE usw. mit Hunderten von Milliarden
Euro, in punkto „Krisenbewältigungsmaßnahmen“ wie
Verlängerung und Verbilligung der Kurzarbeit, Abwrackprämie
und sonstigen Milliardeninvestitionen zur „Stützung der Konjunktur“
staatlicherseits sind sich all diese Parteien im Prinzip einig gewesen.
Hier, wie in den USA und allen anderen kapitalistischen Staaten, galt
und gilt die Devise: Die Banken, das Finanzsystem, und damit letztlich
der Kapitalismus müssen vor dem Totalzusammenbruch gerettet werden
– koste es was es wolle. Alle system- und staatstragenden Parteien
rund um den Globus haben das zu unterstützen.
Man muß nun aber beileibe kein Ökonom und auch kein Schwarzseher
sein, um zu erkennen, daß alle bisherigen sogenannten Krisenbewältigungsmaßnahmen
und „Rettungspakete“ im Unfang von mehreren Billionen Dollar
weltweit lediglich auf Pump finanziert sind, die früher oder später
über Inflation und/oder Steuerauspressung und Sozialkürzungen
von den Massen wieder herausgepreßt werden. Und dabei stellen sie
doch nur reine Sofortmaßnahmen in allerhöchster Not dar. Die
führenden kapitalistischen Staaten mit den USA an der Spitze konnten
damit lediglich den sofortigen Komplettabsturz des globalen Finanzsystems
fürs Erste verhindern. Das globale kapitalistische Finanz- und Wirtschaftssystem
steht aber nach wie vor auf tönernen Füßen, die Weltproduktion
und der Welthandel sind massiv eingebrochen, die Handelskonflikte mehren
und verschärfen sich, die Krisenursachen wirken weiter, und kosmetische
Korrekturen etwa am Finanzsystem werden daran auch nichts ändern
können. Die kapitalistische Krise vertieft sich weiter, sie führt
zu verheerenden sozialen und ökonomischen Verwerfungen.
Unzählige Millionen Menschen haben weltweit schon ihre Arbeit, ihr
Dach über dem Kopf, ihre Lebensgrundlage verloren und wurden ins
Elend und in die Perspektivlosigkeit geschleudert. Alleine in China gehen
die auf die Straße geworfenen Arbeiter schon jetzt in die Millionen!
Ganze Staaten stehen vor dem Bankrott, die Staatsverschuldung der USA,
Deutschlands und vieler Länder explodieren in einem bislang unbekannten
Ausmaß und Tempo – und jeder weiß, daß das nicht
lange gut gehen kann, und jeder weiß auch, wer innerhalb dieses
Systems dafür geradestehen und bluten muß.
Von alledem war im Wahlkampf herzlich wenig zu hören und zu spüren.
Über das, was nach der Wahl alles krisen- bzw. systembedingt an Steuerauspressung,
Sozialkürzungen, Teuerung, Inflation, Entlassungen auf die breite
Bevölkerung zukommen wird, wurde herzlich wenig geredet. Da gab es
von den Parteien höchstens einige Andeutungen – mehr nicht.
Schönrederei, Täuschung, Betrug allerorten. Oder eben
bloße Floskeln und fromme Wünsche.
Selbst bürgerliche, kapitalnahe Zeitungen wie z.B. die „Wirtschaftswoche“,
sind da unverblümter:
„Am frühen Morgen des 28. September 2009, zwölf Stunden
nach dem Ende der Bundestagswahl, werden die Deutschen in einem anderen
Land aufwachen. Es wird viel von Sorgen die Rede sein, von Arbeitslosigkeit,
von Schulden, von engen Spielräumen und von gewaltigen Aufgaben,
vor denen man stehe. Es wird von allem die Rede sein, von dem im sogenannten
Wahlkampf nicht die Rede war. Von 152 Milliarden Euro Steuerausfällen,
von 320 Milliarden neuen Schulden, von Löchern in den Sozialkassen,
von 90.000 Stellen, die in der Autobranche gefährdet sind, von
180.000 Jobs, die in der Finanzbranche wackeln, von bald vier bis fünf
Millionen Arbeitslosen insgesamt. Die Deutschen werden lernen, dass
es so etwas gibt wie eine „historisch niedrige Kapazitätsauslastung“
bei „einmalig hohem Konsolidierungsbedarf“ – und sie
werden lernen, was das bedeutet: weniger Arbeit, mehr Steuern, tiefe
Einschnitte und höhere Abgaben.
...
Jede Regierung wird versuchen, die Lasten der Krise den Bürgern
aufzubürden.“
(aus. „Worüber vor der Wahl keiner spricht“
in Wirtschaftswoche vom 16.9.2009)
In der Tat ist es ziemlich egal, wer letztlich an die Regierung kommt.
Sei es nun „Schwarz-Gelb“ oder die Fortsetzung der „großen“
Koalition, was am wahrscheinlichsten ist, oder auch irgendeine Ampelkoalition.
Die Angriffe auf die Massen werden kommen, so oder so.
Die Auftragslage vieler Betriebe in etlichen Branchen geht weiter zurück,
unzählige Betriebe stehen vor dem Bankrott, Massenentlassungen in
großem Umfang sind schon angekündigt, die Erpressung der Belegschaften
zur Durchsetzung von Lohnkürzungen und Zugeständnissen aller
Art werden verschärft fortgesetzt werden usw.usf.. Auch die Kurzarbeit
kann und wird nicht ewig gefahren werden, sie verzögert nur den Sturz
in die Arbeitslosigkeit und führt jetzt schon zu teils massiven Lohneinbußen.
Von Staats-Seite werden massive Steuererhöhungen (sei es die Mehrwertsteuer
oder die Ökosteuer, auf die die „Grünen“ ja so stolz
sind) und verschärfte Sozialkürzungen kommen. Sie werden einen
noch viel radikaleren Sparkurs fahren, als bisher schon. Allen Sonntagsreden
zur Bildung usw. zum Trotz. Sie werden versuchen, die Krisenlasten- und
auswirkungen werden auf die breite Bevölkerung abgewälzt werden.
Ob das mehr über Steuern und Sozialkürzungen oder über
angeheizte Inflation versucht wird, bleibt unterm Strich dasselbe.
Da sind ganz andere Dinge gefordert, als bei dieser Wahl, bei der man
eh keine Wahl hat, irgendeiner Partei seine Stimme zu geben. Diese Parteien
agieren alle als Ausführungsorgane des Kapitals, die all diese Dinge
schon in petto haben und zum Schlag nach der Wahl ausholen.
Da hilft nur eines: Gegenhalten. Rebellion gegen das
kapitalistische auf Ausbeutung und Auspressung gegründete System,
das auch bei uns die Menschen kaputtmacht, das Millionen aufs Abschiebgleis,
Perspektivlosigkeit und in die Armut abdrängt. Hier hilft nur, völlig
unabhänig von irgendwelchen Wahlen, sich zusammenschließen
mit den Arbeitern und Arbeitslosen und fortschrittlichen Kräften
im Lande und international und den Klassenkampf aufzunehmen. Nur der entschlossene,
zähe und prinzipielle Kampf und Zusammenschluß der Arbeiter
international ist das, was dem Kapital und seinem Staat Einhalt gebieten
kann bei der massenhaften Vernichtung von Produktion, Arbeitsplätzen
und Menschen!
Mit irgendwelchen Bitten, moralischen Appellen an den Staat - wie das
DGB, Attac, die „Linke“ so gerne tun - er solle doch bitte,
bitte wieder sozialer werden, ist nichts, aber auch gar nichts zu gewinnen
– im Gegenteil, man ist damit dem Druck und dem Terror des Staates
und des Kapitals dann hilflos ausgeliefert.
Weg mit den Illusionen! Schluß mit dem faulen sozialen Frieden!
Das Kapital und sein Staat erklären uns den Krieg. Schließen
wir uns zusammen und schlagen wir zurück!
Und auch die „Linke“ weiß nur zu gut, daß all
ihre sozialen Versprechungen in diesem System niemals umgesetzt werden
können – es sei denn, sie würden den sozialen Widerstand,
den Klassenkampf hier und international propagieren und führen wollen.
Dafür gibt es aber keinerlei Anzeichen, im Gegenteil. Sie, wie alle
anderen bürgerlichen Parteien sowieso, legen viel mehr Wert auf „sozialen
Frieden“ und „soziale Abfederung“. Sie wollen nach Lassalle´scher
Manier alles von Staats wegen regeln, so als ob dieser Staat nicht der
Staat des Kapitals wäre, und lassen so objektiv den Klassenkampf
nur in eine Richtung zu, nämlich den Klassenkampf von oben. Wer Illusionen
in diesen Staat und dieses System schürt und leere Versprechungen
macht, und obendrein durch radikalen reaktionären Ökologismus
an der Liquidation der Industrie und Technik und somit auch an der Aushöhlung
der Basis der Arbeiterklasse mitarbeitet, der macht objektiv genau das.
Wenn ein Gysi z.B. meint „Je mehr Stimmen für 'Die Linke' –
desto sozialer geht es im Lande zu.“ dann schürt er Illusionen
und führt die Menschen genauso in die Irre wie die SPD, die Partei
der Hartz-Gesetze und der Agenda 2010, die sich heute wieder ach so sozial
und „links“ geben.
Man braucht sich nur mal die „rot-rote“ Politik der Berliner
Regierung anzusehen. Die ist kein bißchen sozialer als in anderen
Bundesländern, eher noch unsozialer. Oder etwa nicht? Käme es
also dazu, daß die „Linke“ mit in eine Regierung mit
der SPD und den Grünen kommt, was derzeit recht unwahrscheinlich
ist, dann wäre es mit dem „Sozialem“ nicht weit her.
Wie heißt es so schön in ihrem Wahlprogramm:
„DIE LINKE steht für einen Neuanfang. Die Interessen der
Beschäftigten und der großen Mehrheit der Gesellschaft sind
in einer anderen Wirtschaftsordnung grundsätzlich besser aufgehoben,
einer Wirtschaftsordnung, die den Kapitalismus schrittweise
überwindet, die in Kernbereichen der Wirtschaft auf öffentlichem
und Belegschaftseigentum aufbaut und die Marktsteuerung von Produktion
und Verteilung in die soziale und politische Verantwortung demokratischer
Institutionen einbindet.“
(s..Bundestagswahlprogramm der Partei Die Linke Seite
5. Fett markiertes von mir, U.M.)
Da wird es den Kapitalisten und Bankern ja Angst und Bange… und
sie geben im Interesse der Menschen ihre Macht schrittweise freiwillig
auf. Bernstein läßt grüßen.
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Es darf im Schatten der Krise auch nicht vergessen werden, daß die
sozialen und ökonomischen Verhältnisse, die Lebenslage von Millionen
von Menschen in diesem Lande schon längst vor der Weltwirtschaftskrise
dergestalt war, daß Rebellion dagegen berechtigt und überfällig
ist. Das wird von den Parteien heute allzu gerne weggelassen.
Immer wird so getan, und bei den „Linken“ ist das noch stärker
ausgeprägt als bei den bürgerlichen Parteien, als ob Deutschland
quasi eine Insel der Glückseligkeit wäre, völlig losgelöst
von der internatonalen Ausbeutung und der internationalen kapitalistischen
Konkurrenz. So ungefähr nach dem Motto: Man müsse nur den Sozialstaat
wollen, dann könne man ihn auch haben.
Schon seit den 90er-Jahren gibt es hierzulande über 5 Millionen
Menschen ohne Arbeit, und nur durch statistische Tricksereien einerseits,
sowie durch verschärfte Repressionsmaßnahmen gegenüber
den Arbeitslosen und deren Hineindrängen in den massiv ausgebauten
Niedriglohnsektor (Prekarisierung der Arbeit: Mini-Jobs, Praktika, Zeitarbeit,
1-Euro-Jobs usw.) andererseits, hat es die „Große“ Koalition
geschafft, die Zahl auf unter 4 Millionen zu drücken.
Schon seit Anfang der 70er-Jahre wurden nach und nach die sozialen Errungenschaften
und Versprechungen Schritt um Schritt abgebaut, während parallel
dazu die moderne Industrie und Technik zentral attackiert und verteufelt
worden sind, Produktion abgebaut und verlagert wurde und Schritt um Schritt
die industrielle Basis dieses Landes ausgehöhlt wurde. Die deutsche
Einigung ging einher mit der weitestgehenden Deindustrialisierung der
neuen Bundesländer.
Und noch massiv verschärft wurde dieser ganze Kurs der Aushöhlung
der industriellen und auch technologischen und wissenschaftlichen Basis
und die damit verbundene, parallel dazu laufende Entrechtung der Arbeiterklasse
und dem Abbau sozialer Errungenschaften dann ab 1998 durch die SPD-Grüne-Regierung.
Man braucht nur die Kernpunkte dieser Regierung zu nennen: Hartz-Gesetze,
Agenda 2010 und den sog. Konsensbeschluß zum Atomausstieg. Seit
dort ist Kinderarmut in Deutschland massenhaft und alltäglich geworden,
ist die Arbeitslosigkeit auf einem Level von über 5 Millionen, sind
prekäre Arbeitsverhältnisse, von denen man nicht wirklich leben,
sondern höchstens überleben kann, massiv ausgeweitet worden
und so Millionen Menschen jeglicher Zukunftsperspektiven beraubt worden.
Das Bildungssystem ist gelinde gesagt auf den Hund gekommen, das Gesundheitssystem
wie auch das Rentensystem stehen vor dem Kollaps, die Leistungen immer
mehr zusammengestrichen. Man kann über die bürgerliche Kohl-Regierung
sagen, was man will. Solch eine Liquidation der Zukunftsgrundlagen des
Landes und solch einen regelrechte Entrechtung der breiten Masse der Bevölkerung
wie unter „Rot-Grün“ hat es vorher in der Bundesrepublik
noch nicht gegeben. All dies darf nicht vergessen werden. (Anmerkung)
Die „große“ Koalition hat diesen Liquidationskurs weitergeführt.
Das liegt zum einen daran, daß die SPD, die Hauptvertreterin dieser
Liquidationspolitik, weiter in der Regierung geblieben ist, und vor allem
aber daran, daß sich Angela Merkel beim Angelpunkt dieser Liquidationspolitik,
nämlich der unbedingten Festhaltung am Atomausstieg, gegen den Widerstand
in der eigenen Partei auf die Seite der SPD geschlagen hat. Und daran
auch bis heute - entgegen jeglicher ökonomischer und wissenschaftlicher
Vernunft - felsenfest festgehalten hat.
Die Liquidation zeigt sich aber nicht nur bei den Energie- und Technologiefragen.
Sie durchdringt alle gesellschaftlichen und politischen Bereiche von der
Bildung bis hin zur Veralterung der Gesellschaft. Sie zieht damit das
ganze Land immer tiefer herunter, sie versucht, jeden technischen und
gesellschaftlichen Fortschritt zu verhindern. Nirgendwo auf der Welt gibt
es das in dieser scharfen Form wie in Deutschland. Auch hier ist längst
der Punkt zum Gegenschlagen erreicht..
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Anmerkung: Um nur mal eine Zahl zur Verdeutlichung
zu nennen: 1970 betrug der Anteil der Industrie an der Bruttowertschöpfung
in der Bundesrepublik noch 36.5%. Im Jahre 2007 lag dieser Anteil nur
noch bei 23,7%. In Bezug auf die in der Industrie Beschäftigten dürfte
diese Reduzierung aufgrund der Produktivitätsfortschritte noch deutlicher
ausfallen.
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