Internet Statement 2010-37
Wassili Gerhard 08.09.2010In der Nacht zum 31. August verkündete der amerikanische Präsident Obama im Fernsehen formell das Ende des Kampfeinsatzes, der sogenannten „Operation Iraqi Freedom”. Obama sagte, die US-Bürger sollen „turn the page“ bezüglich Irak, also einen Schlußstrich ziehen. Jetzt solle man sich verstärkt den wirtschaftlichen Problemen des Landes widmen. Und ein Kommentator der NBC-News sagte schon Tage zuvor enthusiastisch: „It’s gone on longer than the Civil War, longer than World War II. And tonight, U.S. combat troops have pulled out of Iraq.” (18.8.2010) Zunächst einmal ist der Kampfeinsatz gar nicht wirklich beendet. Das Ende der alten Operation ist zugleich der Beginn einer neuen. 50.000 Soldaten werden zunächst im Irak bleiben. Diese, zumeist voll ausgerüstete Kampftruppen, werden in Ausbildungseinheiten umbenannt werden und irakische Truppen anleiten. Gleichzeitig soll die Zahl der privaten Söldner verdoppelt werden, von einer Erhöhung um 7.000 ist die Rede. Somit sind in der nächsten Zeit noch immer erhebliche bewaffnete Verbände der USA im Lande. Die USA haben so weiter die Möglichkeit bewaffnet einzugreifen, mit Hilfe der privaten Söldner können dabei sogar besonders schmutzige Operationen durchgeführt werden, für die die USA-Regierung dann jegliche Verantwortung ablehnt. Aber man wird wahrscheinlich im weiteren die Zahl der getöteten Soldaten niedriger halten können, indem in Zukunft vermehrt die privaten Söldner und die einheimischen Soldaten die Kastanien aus dem Feuer holen. Die zunehmende Zahl der getöteten Soldaten hatte mit Sicherheit ein entscheidende Rolle gespielt, daß im Laufe der Zeit sich der Kriegstaumel in Ernüchterung verwandelt hat und die Zustimmung zu diesem Kriegseinsatz von rund Dreiviertel der US-Bürger 2001 auf weit unter die Hälfte gesunken ist. Die Verkündigung der Beendigung des Kriegseinsatzes soll für die Obama-Regierung auch innenpolitischen Gewinn vor den anstehenden Kongreßwahlen bringen. Eine „starke zivile Präsenz“ auch nach dem Abzug der letzten Truppen, der ja erst für Ende nächsten Jahres angekündigt ist – bekanntlich ist so etwas „nicht in Stein gemeißelt“ - ist aber auf jeden Fall schon angekündigt. Mal angenommen, sie wollten wirklich, wie angekündigt, bis Ende 2011 ihre Truppen völlig abziehen, was ist mit den Folgen ihres unter erfundenen Vorwänden begonnenen Krieges und ihrer Besatzung? Meinen sie, sie könnten mal eben ein Land zugrunde richten und dann wieder abziehen, ein heilloses Chaos hinterlassen, und sind für die Folgen ihres Tuns nicht zur Verantwortung zu ziehen? In der Rede Obamas war von den schweren Opfern der USA die Rede, von den Kriegskosten, die 1 Billion Dollar ausmachen sollen. Was ist mit den schweren Opfern der irakischen Bevölkerung, die unschuldig in Leiden einer ganz anderen Dimension geworfen wurde? Der Irak, vormals eines der entwickeltsten und prosperierendsten Länder der Region, ist in seiner Entwicklung völlig zurückgeworfen. Die USA haben die alte Struktur des Landes zerstört und hinterlassen ein System von verfeindeten ethnischen und religiösen Gruppen, die um die Vorherrschaft kämpfen. Ein permanent schwelender Bürgerkrieg mit ständigen Überfällen, bewaffneten Zusammenstößen und Attentaten hat bereits unzählige Opfer gefordert. Seit der letzten „Wahl“ sind schon mehr als fünf Monate vergangen, aber die verfeindeten Kräfte konnten sich noch auf keine Regierungskoalition einigen. Bei der „Wahl“ selbst wurden Hunderte Kandidaten nicht zugelassen, weil man ihnen Nähe zur ehemals regierenden Baath-Partei vorwarf. Das wird sich mit Sicherheit auch gegen diejenigen Kräfte wenden, die für die Einheit des Irak eintreten. Ein enormer gesellschaftlicher Rückschritt hat stattgefunden, die rechtliche Stellung der Frauen z.B. - der Irak war in dieser Hinsicht einst eines der moderneren Länder in der Region - hat sich erheblich verschlechtert. Alle Übel, die dem alten Regime nachgesagt werden konnten, sind in dem heutigen Regime verstärkt zu finden. Schätzungen von 2009 sprechen von 2,5 Millionen Irakern als Flüchtlinge im Ausland. Hochrechnungen über die Opfer der Aggressionskriege gegen den Irak, die auch solche Opfer mit einbeziehen, die durch mittelbare Kriegsfolgen zugrunde gingen, kommen bis heute auf Opferzahlen bis zu einer Million und mehr unter der Zivilbevölkerung. Der massenweise Einsatz von Uranmunition hat zudem eine radioaktive Verseuchung zur Folge, die an manchen Orten zu einer hohen Rate mißgebildet geborener Kinder führt. Die irakische Stadt Falludscha wird in dieser Hinsicht bereits mit Hiroshima verglichen. Unter dem Besatzungsregime der USA und ihrer Verbündeten wurden unwiederbringliche Kulturschätze, die Zeugnis geben von der jahrtausendealten Kultur im Zweistromland, einer der Wiegen der menschlichen Zivilisation, zerstört oder geplündert. Auch das ein barbarisches Verbrechen. Was in den vergangenen Kriegen 1991 und 2003 zerstört wurde, ist zum großen Teil bis heute nicht wieder aufgebaut. Anlagen der Stromversorgung, Wasserversorgung, die Ziele von Luftangriffen waren, sind bis heute nicht wiederhergestellt. Auch das Embargo ließ wichtige Ersatzteile für viele Anlagen nicht ins Land. Manche wurden auch erst unter der Besatzung von einem wildgewordenen Mob, der besonders in der ersten Zeit unglaubliche Verwüstungen unter den Augen der Besatzungstruppen anrichtete und dessen Hintergründe bis heute im Dunklen geblieben sind, geplündert und unbrauchbar gemacht oder zerstört. So fällt z.B. in der Hauptstadt Bagdad, einst eine blühende moderne Stadt, heute die Stromversorgung so häufig aus, daß von einer kontinuierlichen Versorgung nicht mehr gesprochen werden kann. Eine unglaubliche korrupte und willkürliche Verwaltung erweist sich als völlig unfähig, die Zustände nennenswert zu verbessern. Die Mittel, die für die Beseitigung der Mißstände aufgebracht werden, verschwinden in irgendwelchen dunklen Kanälen. Aber da gehen auch die Besatzer mit eigenem Beispiel voran. So sind hunderte Millionen von Dollars für die Besatzungskosten ohne Belege verschwunden, wie erst kürzlich bekannt wurde. Heute ist noch deutlicher erkennbar, was bereits im Januar 2005 in einem Internetstatement unserer Gruppe, verfaßt von Hartmut Dicke, festgestellt wurde:
Die USA haben den Irak in ein Land verwandelt, in dem der islamistisch-fundamentalistische Terror à la „Bin Laden“ zu einer alltäglichen Geißel geworden ist – ganz im Gegenteil zu der Zeit vor dem Besatzungsregime der USA und ihrer Bundesgenossen! Und dabei war der Vorwurf, Saddam Hussein habe enge Verbindungen zu „Al Quaida“, einer der wichtigsten dreist herbeigelogenen Vorwände der Aggression, neben den angeblichen Massenvernichtungswaffen, die zuletzt angeblich auf Lastwagen im Lande hin und her kutschiert worden sein sollten. Dabei kam ihnen kurz vor der Entfesselung des Angriffskrieges, wie bestellt, eine der üblichen „Botschaften von Bin Laden“ zur Hilfe, die blumig etwas von der „Zusammenarbeit der Sozialisten und der Muslime gegen den Kreuzzug“ schwadronierte, wobei unter den sog. Sozialisten namentlich Saddam Hussein aufgeführt wurde. Der heute alltägliche Terror fundamentalistischer Kräfte, vorwiegend gegen die breite Masse der Bevölkerung gerichtet, hat eine wichtige Rolle dabei gespielt, den Irak völlig auf den Hund zu bringen. Eines aber fällt immer wieder ins Auge: Man trifft solche Kräfte immer wieder im Schlepptau der USA, die ja auch einen Bin Laden z.B. erst in seine Position gebracht, ausgebildet und ausgerüstet haben. Diese Kräfte spielen eine unverzichtbare Rolle im Kalkül der USA:
So wird es in dem oben schon angeführten Statement der Gruppe Neue Einheit auf den Punkt gebracht. So glauben die USA, daß sie einen Großteil ihrer Truppen abziehen können, ohne völlig die Kontrolle zu verlieren. Die Einsätze im Irak und in Afghanistan, deren Kosten bereits in die Billionen Dollar gehen, drücken immer schwerer auf dem völlig überschuldeten und in einer tiefen Krise steckenden Land. Sie können die militärische Kraftanstrengung nicht auf die Dauer durchhalten und nicht immer weiter aufstocken. Da Afghanistan für sie einen unverzichtbaren strategischen Wert hat, wollen sie im Irak Truppen frei machen, um die in Afghanistan, wo die Lage für sie nicht zum Besten steht, weiter aufzustocken. Dort, in der Nähe zu Rußland, China und Indien krallen sie sich mit allen Mitteln fest. Die von ihnen abhängigen Kräfte würden dort ohne ihre massive militärische Präsenz kaum einen Tag überleben. So bleibt unter dem Strich letztlich eine von den Verhälnissen, insbesondere von der schweren Krise und vom Verlauf des Krieges in Afghanistan, erzwungene Umgruppierung und Konzentration der militärischen Kräfte. Ob sie das erreichen werden, was sie damit bezwecken, darf bezweifelt werden. Auf jeden Fall aber ist es zu verurteilen, wenn sich die USA im Irak aus der Verantwortung für die Folgen ihrer willkürlich vom Zaun gebrochenen Aggression stehlen wollen! Der inhaftierte ehemalige Vizepremier und Außenminister des Irak Tarek Aziz, wird dazu wie folgt zitiert:
Umfangreiche Entschädigungsleistungen für die immensen Zerstörungen und Schädigungen und umfangreiche Hilfe beim Wiederherstellen des Irak, ein Ende der massiven Subversion sind doch das Mindeste, was zurecht verlangt werden muß. Und was ist mit der Bestrafung der Verantwortlichen?
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