Internet Statement 2010-43

 

Grundsätzliches zur gegenwärtigen Hartz-IV-Debatte

Maria Weiß   30.9./14.10 2010        

Ein ganz wesentliches Merkmal der gegenwärtigen Debatten besteht darin, daß sich das alles nur an dem orientiert, wie es gegenwärtig ist, das heißt der Ist-Zustand wird sozusagen absolut gesetzt, als nicht veränderbar, als Norm. Und das ist schon mal allein eine völlig unmögliche Herangehensweise. Von dieser Norm, von diesem Ist Zustand auszugehen, das zieht sich durch bei sämtlichen Teilnehmern solcher Runden, egal ob von der Leyen oder der Vertreter des Wohlfahrtverbandes oder auch der Hartz-IV-Empfänger oder auch der ModeratorInnen selbst. Keiner geht davon aus, daß die gegenwärtige Situation sich verändert oder veränderbar ist. Vertreter wie Trittin oder andere grüne Exponenten tun das natürlich sowieso, die ja selber die ersten Kandidaten dafür sind, daß die gegenwärtige Situation so bleibt wie sie ist, bzw. besser noch zurückgefahren wird. Diese Herangehensweise ist sozusagen die Grund Krux, die sämtliche dieser Debatten durchzieht. Und das reflektiert eben ganz genau die tatsächliche Situation in diesem Land, auch in einer Reihe anderer hochindustrialisierter Länder, bei uns jedoch in besonders krasser Form. Das heißt nämlich, daß in Wirklichkeit hier ein Rückgang stattfindet, ein Rückgang der Produktion, ein Rückgang der Weiterentwicklung (Stillstand) und insofern stellen sich natürlich auch die Widersprüche, die aus den gesellschaftlichen Verhältnissen resultieren, entsprechend dar.

Das ist keineswegs überall auf der Welt so. Es gibt eine ganze Reihe von Schwellenländern, Entwicklungsländern oder auch aufstrebenden Ländern, z.B. in Asien, wo das überhaupt nicht so aussieht. Obwohl dort selbstverständlich auch extreme Unterschiede in der Bevölkerung auf Grund der Klassenverhältnisse existieren, findet trotzdem eine rasante Weiterentwicklung, ein Fortgang statt. Hier dagegen findet in Wirklichkeit seit Jahrzehnten auf sehr vielen Gebieten ein Rückgang statt. Und das ist die Grundlage, auf der diese Debatten stattfinden. Und der Grundfehler ist eben, daß das überhaupt niemand, weder von diesen Teilnehmern solcher Runden, noch sonst jemand in der Gesellschaft in ausreichender Weise angreift.

Warum soll ich darüber diskutieren, ob ein Kind von Hartz-IV-Empfängern beispielsweise mehr als zehn Euro im Monat benötigt, um entsprechende öffentlichen Transportmittel in Anspruch zu nehmen, wenn sich diese Transportmittel in dieser Gesellschaft seit Jahrzehnten nicht wirklich weiterentwickeln, sondern ganz im Gegenteil im Verhältnis zu ihren technischen Möglichkeiten und zu ihrer Herstellungsmöglichkeit immer höhere Preise von der Bevölkerung verlangen? Das ist eine Absurdität, die nämlich genau auch die Grundlage für solche Widersprüche mit hervorruft.
Oder auch andere Dinge. Wenn ich zum Beispiel in der Energiefrage einen Standpunkt vertrete, daß ich das fortschrittlichste Mittel, um zu effektiver Energieproduktion in der Gesellschaft zu kommen, einmotte und sogar liquidiere, dann brauche ich mich nicht zu wundern, daß eben die entsprechenden Mittel auch nicht billiger werden, sondern teurer. Und es ist wirklich die Spitze der Heuchelei, wenn ausgerechnet solche Vertreter, die hier so etwas mit durchzusetzen bestrebt sind, wie zum Beispiel die Grünen, die SPD oder die sog. Linkspartei, angreifen, daß hier zu wenig Geld für die Armen sei. Das ist ein Witz. Das ist pure Heuchelei. Und dem darf man nicht auf den Leim gehen. Und diese Grundkrux, die hier existiert, die greift auch sonst leider niemand an, auch nicht von den Vertretern, die ansonsten durchaus soziale Widersprüche sehen und auch bestrebt sind in gewisser Weise von ihrem Standpunkt her für Gerechtigkeit oder für mehr Gerechtigkeit zu sorgen. Das geht aber nicht. Die Gerechtigkeit richtet sich auch nach den objektiven materiellen Verhältnissen einer Gesellschaft und ist davon abhängig. Deswegen darf man diese Dinge nicht übersehen, sondern muß darüber nachdenken und Stellung beziehen.

Ein Punkt ist allerdings nicht verkehrt. Es wird zu Recht angegriffen, daß gerade auf der Grundlage dieser Stagnation und dieser Negativ- bzw. Rückwärtsentwicklung der Gesellschaft bestimmte Teile dieser Gesellschaft obendrein auch noch versuchen, die Einkommen zu drücken und aus den Niedrigeinkommen noch selber Geld für sich gemacht haben, nämlich die sog. Leiharbeitsfirmen, im Volksmund Sklavenhändler. Aus dieser Tatsache, daß es eben nicht nach Vorne weitergeht, daß eben nicht die Bewegung unter den Arbeitern zunimmt und auf der Grundlage einer fortschrittlichen Entwicklung der Produktivkräfte Kämpfe um höhere Löhne stattfinden, sondern das Gegenteil der Fall ist, Stagnation und Rückgang, daraus versuchen sie ihren Profit zu ziehen.

Es ist ja prinzipiell nicht falsch zu fragen: Warum muß eine Gesellschaft, warum muß ein Staat den Hauptsektor seiner Ausgaben für die soziale Unterstützung derjenigen aufwenden, die nicht imstande sind oder denen es, richtig ausgedrückt, verweigert wird, ihr Einkommen selber zu verdienen, ihren Lebensunterhalt selber zu bestreiten? Das ist ja nicht verkehrt, diese Frage zu stellen. Aber woher kommt es denn? Womit hängt denn das zusammen und wer hat das verursacht? Und wenn man diese Frage nicht stellt, dann kann man schon von vornherein nicht zu vernünftigen Lösungen dieses Problems gelangen.

In Ländern wo ein tatsächlicher Aufschwung stattfindet, wo eine fortschrittliche, nach vorne strebende wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung stattfindet, gibt es diesen Negativtrend, diesen Rückwärtstrend nach unten, diese Spirale nach unten nicht in dieser Form. Es gibt zwar dort extrem niedrige Löhne, die zum Teil sogar weit unter denjenigen liegen, die hier gezahlt werden, das kann man überhaupt nicht vergleichen. Aber es gibt insgesamt weniger den Trend, daß diese noch weiter sinken, sondern es gibt eher den Trend, daß diese steigen. Siehe zum Beispiel China und auch andere Länder Asiens. Und es gibt durchaus einen Zusammenhang dieser Entwicklungen mit unserer Entwicklung hier. Und der sieht folgendermaßen aus.

Es gibt die internationale Ausbeutung und es gibt den Trend, Betriebe und Produktionsstätten von Europa oder auch von Amerika oder anderen hoch industrialisierten Ländern in die sogenannten Entwicklungsländer zu verlagern, weil es dort billiger ist, das heißt, weil man dort mehr Profit machen kann. Dieser Prozeß läuft seit einigen Jahrzehnten und hat dazu geführt, daß innerhalb der traditionell hochindustrialisierten Länder die Produktion weitgehend zurückgegangen ist, bzw. in ganzen Industriezweigen nicht mehr oder kaum noch stattfindet. Wenn man den gegenwärtigen Trend sieht, was Deutschland sozusagen den Aufschwung bereitet, dann ist es zum Beispiel China. Und was in China? Einmal natürlich der Export, aber vor allen Dingen daß dort produziert wird und daß die entsprechenden Produkte, man nehme nur mal die Automobilindustrie, dort abgesetzt werden können und die Konzerne davon profitieren.

Und nun gibt es aber auch noch diesen anderen Trend, mal abgesehen von den Verlagerungen der Produktionsstätten, nämlich hier die Entwicklung zu bremsen und hier nach Möglichkeit einen Rückgang zu erreichen. Dieses hat zu dieser kolossalen strukturellen Arbeitslosigkeit in den letzten dreißig bis vierzig Jahren vor allen Dingen in Deutschland geführt und dieses ist der Grund für die seit Jahren andauernde Dauerarbeitslosigkeit, d.h. für die Unmöglichkeit eines größeren Teils der Bevölkerung, überhaupt noch eine Arbeit, geschweige denn eine von der man wirklich leben kann, zu finden in diesem Land. Und daraus resultiert auch die ganze Debatte über das Sozialsystem und dessen Ausmaß. Das hängt unmittelbar damit zusammen. Und es ist so, daß die herrschende Klasse hierzulande dafür verantwortlich ist, und nicht etwa die unteren Massen, die die Leidtragenden davon sind. Diese perverse Verdrehung findet aber permanent statt. Die Armen sind schuld daran, daß sie keine Arbeit finden und deswegen die Hand gegenüber dem Staat aufhalten müssen. So klingt es generell im Tenor. Und daß das nicht geht, ist ja klar, und daß diese Leute besser nach Arbeit suchen sollten, das propagiert am laufenden Band ein Großteil der herrschenden Klasse – als ob das nicht ohnehin der Fall wäre, das ist lächerlich, aber es wird trotzdem natürlich so propagiert. Das heißt, die Schuld wird den Massen zugeschoben. Die tragen aber keine Schuld daran. Ganz im Gegenteil.

So kam es eben auch zu der Situation, daß ein Teil der Bevölkerung im Lande eben keine entsprechende Arbeit mehr finden konnte und daß auf dieser Grundlage eben sogenannte Leiharbeitsfirmen, im Volksmund zu recht Sklavenhändler benannt, versucht haben, sich an dieser negativen Entwicklung gesund zu stoßen, indem sie selbst Leute in Niedrigstlohnarbeitsplätze vermittelt haben und gleichzeitig darüber auch noch abkassiert haben. Das heißt, sie haben im Grunde einen Teil des Lohnes, der an die Arbeiter selbst hätte gezahlt werden müssen, selbst eingestrichen, indem sie den Druck der Bourgeoisie für sich ausnutzen, Arbeitsplätze hier rar zu machen, was wiederum vom Staat als Vorwand benutzt wird, um das sogenannte Existenzminimum noch weiter herunter zu drücken.

Das heißt, es findet in diesem Land insgesamt eine Rückwärtsentwicklung statt - auch in anderen Ländern, aber vor allen Dingen in diesem Land. Dabei wird gleichzeitig davon getönt, was für einen wirtschaftlichen Aufschwung wir doch angeblich haben, der angeblich vor allen Dingen aus den Exporten nach China resultieren soll.

Was diese herrschende Klasse hier treibt, ist insgesamt von einer derartigen Arroganz und Schäbigkeit gegenüber den Massen, daß man es kaum ausdrücken kann. Aber solange diese sich drauf verlassen kann, daß hier generell von dem sogenannten nicht veränderbaren Ist-Zustand ausgegangen wird, unter tatkräftiger Unterstützung der Grünen und aller, die sich darauf einlassen, solange wird sich hier die Schäbigkeit auch nicht ändern, im Gegenteil, die wird sich noch weiter steigern.

Was notwendig wäre, ist ein Umschwung von unten, der diese ganze Stagnation durchbricht und eine andere Entwicklung erzwingt, die Weiterentwicklung der Produktivkräfte, vor allem auf Kerngebieten wie beispielsweise der Stromerzeugung, auch hierzulande erzwingt. In gewisser Weise ist es notwendig, die „Bescheidenheit“ zu zerschmettern. Warum sollen die Massen nicht fordern, daß sie selbst maßgebend teilhaben an der ganzen Entwicklung, an dem ganzen Fortschritt, welcher zu großen, ja überwiegenden Teilen ihr eigenes Produkt ist, in dem ihre ganze Arbeit und Lebenskraft selbstverständlich mit drinsteckt? Warum sollen sie das nicht fordern für sich? Warum sollen sie nicht aufstehen und eine ganz andere, dem Fortschritt und der Entwicklung der wissenschaftlichen und ökonomischen und sozialen Potenzen gerecht werdende und diese vorantreibende ökonomische und soziale Entwicklung auch hierzulande durchsetzen?

Soll man sich bis in alle Zeiten damit zufrieden geben, daß einem derartige Politikerfiguren hier zugestehen, so und so viel Euro im Monat als Existenzminimum zu haben oder nicht? Das ist doch völlig abwegig, das ist eigentlich überhaupt gar keine Diskussion wert. Und obendrein von solchen Leuten, die mindestens 20000 oder nicht selten weit mehr Euro im Monat für sich zur Verfügung haben, aus Steuergeldern wohlgemerkt. Soll man noch weiter zusehen, daß sie ihre Arroganz noch weiter mit Steuergeldern füttern? Ja, in gewisser Weise muß man hier auch den Aufstand der Armen, Abgeschobenen fordern. Das ist richtig. Das geht gar nicht anders. Aber man muß noch viel mehr machen. Man muß einen ganz anderen Trend in dieser ganzen Gesellschaft erzwingen. Und da wird wahrscheinlich solchen Leuten wie Trittin und anderen Grünen gar nicht besonders wohl sein, das anzusehen. Klartext gesprochen: es gilt die Sklavenmentalität abzulegen und entsprechende Forderungen durchzusetzen. Das heißt, man muß sich insgesamt einen Überblick verschaffen und sagen: ja, es ist richtig, es ist zuviel, 600 Milliarden für Sozialhilfe ausgeben zu müssen, man muß Hartz IV abschaffen, indem man die Notwendigkeit dafür in der Gesellschaft verschwinden läßt. Das heißt, man muß den Aufstand wagen. Das heißt man muß die Sklavenmentalität abstreifen. Das heißt letztendlich, daß hier die Machtfrage gestellt werden muß, und zwar möglichst bevor die Imperialisten der verschiedensten Sorte auf der Welt diese Machtfrage wieder unter sich stellen.

Und es versteht sich von selbst, daß mit dieser Fragestellung selbstverständlich sämtliche werktätigen Massen in diesem Land und auch anderswo, egal welcher Nationalität oder erst recht welcher Religion sie sind oder welchen „Migrationshintergrund“ sie repräsentieren, angesprochen und einbezogen sind. Es ist nicht mehr und nicht weniger als dieses Anliegen, was im Grunde alle vereint.

Wenn es immer heißt, den Banken werden Millionen oder Milliarden in den Arsch gesteckt, aber für Hartz IV ist nichts übrig, dann muß man doch mal sehen: was heißt denn, den Banken werden Milliarden in den Arsch gesteckt? Das heißt doch nichts anderes, als daß die Banken eben staatstragend sind, und um dieses System zu ändern braucht man in der Konsequenz einen anderen Staat. Davon aber wollen selbstverständlich die ganzen bürgerlichen Parteien wie auch die revisionistischen Parteien wie die sog. Linkspartei und andere in ihrer Mehrheit nichts wissen, denn sie selber sind längst in dieses ganze System integriert. Und von daher geht es für letztere nur darum, daß ein paar mehr Almosen fließen, um die Bevölkerung ruhig zu halten. Auch Rechte, die gerne bestrebt sind, sich solche Widersprüche in ihrem Sinne nutzbar zu machen, wollen davon nichts wissen. Gegenwärtig lenken einige von denen in absurder Weise alles auf eine angebliche „Islamfrage“ ab, was Blödsinn ist, denn der grundlegende Widerspruch ist und bleibt der Klassenwiderspruch, überall auf der Welt.

Die Losung muß also heißen: Wir wollen keine Almosen, sondern wir wollen ein menschenwürdiges, zur Weiterentwicklung befähigendes Leben. Und was die Konsequenz daraus sein muß, das dürfte wohl klar sein

Solange aber die Grünen, unter der Ägide der Bourgeoisie und des internationalen Finanzkapitals, im Verbund mit Teilen der gesättigten Schichten von Kleinbürgertum und Mittelbourgeoisie hier alles und jedes, was neu entstehen soll, verhindern, kann daraus nichts werden. Im Gegenteil, das Land wird sich vom jetzigen „Ist-Zustand“ weiter zurückentwickeln und zur weiteren Verarmung noch viel breiterer Schichten der Bevölkerung „voranschreiten“ bis hin zur „Teilhabe“ an imperialistischen Kriegsabenteuern.

Widerstand ist daher in jeder Hinsicht gerechtfertigt! Packen wir es also an!

 

 

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