Internet Statement 2010-45
Wieso gerade jetzt Irland? Uwe Müller 22.11.2010 Die Irland-Krise bringt auch in Deutschland wieder ins Bewußtsein, daß von einem Ende der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise keinerlei Rede sein kann. Sie bringt auch sofort wieder zu Tage, daß es mit dem temporären und in der EU recht isolierten Mini-Aufschwung Deutschlands nicht weit her ist. Man kann eben Deutschland nicht isoliert betrachten. Man konnte es in einzelnen Kommentaren lesen: Eigentlich ist Irland noch gar nicht akut von Zahlungsunfähigkeit bedroht, sondern erst nächstes Jahr wird es richtig eng. Und dennoch wurde Irland vom „Markt“ – wir nennen es Finanzkapital und Spekulanten – massiv attackiert und die Zinsen für die Anleihen derart hochgetrieben, daß der Staatsbankrott Irlands bedrohlich nahe kam. Irland sieht sich gezwungen, unter den EU-IWF-Rettungsschirm zu schlüpfen – mit allen Konsequenzen, die das in sich trägt. Keine Frage, Irland stand und steht kurz vor der Pleite. Die milliardenschwere Rettung der irischen Banken – und dahinter stehen insbesondere britische und deutsche Banken – ist vom irischen Staat und dem nun dafür bluten müssenden irischen Volk nicht zu schultern. Auch das jetzt schon rigide „Spar“-Regime der irischen Regierung kann und konnte das nicht verhindern. Und dennoch bleibt die interessante Frage, wieso gerade jetzt Irland so in die Bredouille getrieben wurde? Ist dieser Zeitpunkt Zufall? Wohl kaum. Die jetzigen Spekulationsattacken richten sich nicht nur gegen Irland, sie richten sich gleichzeitig gegen den angeschlagenen Euro und gegen die durch die Krise gebeutelte EU. Sie verschärfen wie schon in der Griechenlandkrise im Frühjahr erneut die Widersprüche innerhalb der Euro-Zone und der EU insgesamt. Die Alarmglocken in Brüssel schrillen. Irland ist derzeit wohl lediglich das schwächste Glied in der Kette der Euro-Länder. Die Schuldenkrise Irlands zeigt die Tiefe der Wirtschaftskrise, die beileibe nicht vergangen ist, wie man in Deutschland meinen könnte, wenn man sich die Schlagzeilen sämtlicher Zeitungen der letzten Monate vor Augen hält. Pustekuchen. Die Krise schwelt weiter, die Wirtschaft der USA ist noch immer am Boden, die Dollars werden gedruckt, ohne daß ein Ende absehbar ist. Auch die Schwäche und Wackeligkeit des Euro zeigt sich erneut in aller Deutlichkeit. Einiges erinnert einen ans Frühjahr, als Spekulanten-Attacken gnadenlos in die ökonomische Schwäche Griechenlands hinein gehauen, und den Euro und die ganze EU massiv in die Bredouille gebracht haben. Sie haben damals zum weiteren Aufweichen des Euro-Stabilitätspaktes und zur überstürzten Einrichtung des sog. Euro-Rettungsschirmes über 750 Mrd Euro geführt. Gewissermaßen bringt die Krise auch die Konstruktionsfehler des Euro gnadenlos ans Tageslicht (wobei der Hauptfehler darin liegt, eine gemeinsame Währung ohne eine gemeinsame Wirtschafts- und Steuerpolitik eingeführt zu haben). Trotz gemeinsamem Euro sind die wirtschaftlichen und wirtschaftspolitischen Unterschiede zwischen den einzelnen Euro-Ländern wie auch innerhalb der EU immer noch gravierend, durch die Krise gar wieder gewachsen. Und so bieten sie den USA und dem von ihnen dominierten Finanzkapital immer wieder eine gute Angriffsfläche. Das eigentliche Ziel des Angriffs, so scheint es, ist gar nicht Irland, sondern Deutschland und die Eurozone als Ganzes. Zu scharf prallten auf dem letzten G20-Gipfel Anfang November in Südkorea die widersprüchlichen Interessen der USA einerseits und der EU, Deutschlands und Chinas andererseits aufeinander. Die USA konnten sich dort mit ihrer Forderung nach Begrenzung der Exporte aus Deutschland und China nicht durchsetzen. Und im Vorfeld und auch während des Gipfels wurde nicht nur seitens Chinas, sondern auch seitens Deutschlands, massiv die Politik der FED, immer noch mehr Dollars zu drucken, ungewohnt deutlich kritisiert. Selten hat man Bundeskanzlerin Merkel so scharf gegen die USA auftreten sehen. Und so drängt sich der Gedanke, der jetzige Spekulanten-Angriff auf Irland ist eigentlich ein Angriff auf das „störrische“ Deutschland, ist eigentlich die Retourkutsche der USA auf die massive Kritik und ihr weitgehendes Scheitern auf dem G20-Gipfel, doch irgendwie auf.
Die Krise hat auch Europa weiter voll im Griff. Die Lebensverhältnisse
von Millionen EU-Bürgern haben sich seit dem Ausbruch der Krise massiv
verschlechtert, wobei die Gewichte in den einzelnen Ländern sehr
ungleich verteilt sind, ja durch die Krise sich die Unterschiede noch
vergrößert haben. Aber auch der Widerstand der Arbeiterklasse
und der breiten Masse der Bevölkerung wächst allerorten. Wichtig
dabei wird unter anderem sein, der Auseinanderdividierung der einzelnen
europäischen Länder entgegenzuwirken und sich über die
Ländergrenzen hinweg zu verbinden. Das gilt selbstredend auch über
Europa hinaus. Genauso wenig, wie man im internationalen kapitalistischen
System Deutschland isoliert für sich betrachten kann, genauso wenig
kann man Europa für sich isoliert betrachten.
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