Internet-Statement 2012-27
Ihr Kampf ist auch unser
Kampf und muß entschieden
unterstützt werden!
Kollegen aus der Textilindustrie in
Indien, Sri Lanka und Bangladesh berichten
von ihrem Kampf
Wassili
Gerhard 24.9.2012
Am 19.09.2012
fand in Berlin eine Veranstaltung statt, auf der Vertreter von Textilgewerkschaften
aus Indien, Sri Lanka und Bangladesh von ihrem Kampf berichteten.
(Von der GAFWU, Gewerkschaft der Textil- und Modearbeiter in Indien;
der FTZ&GSEU, Gewerkschaft der Beschäftigten allgemeiner
Dienste und der Freihandelszonen in Sri Lanka; der NGWF, Nationale
Textilarbeiterföderation in Bangladesh.) Anm.
In der Einladung wurde festgestellt, daß über 60 % der
Kleidung, die von europäischen Markenunternehmen verkauft wird,
in Asien gefertigt wird, verbunden mit dem Hinweis:
“Galt China noch bis vor wenigen Jahren als zentrales Land der Textilproduktion,
rücken aufgrund wachsender Löhne auch andere Länder
stärker ins Visier. Bangladesh, Indien und Sri Lanka sind zunehmend
wichtige Länder für europäische Textilien.“
Am Anfang wurde
von Indien berichtet. Die indische Kollegin vertrat eine junge Gewerkschaft,
die als Frauengewerkschaft angefangen hat. Sie erzählte, daß
die indische Textilindustrie hauptsächlich in drei großen
Zentren konzentriert ist. Dort arbeiten vor allem sehr junge Frauen.
80 % kommen vom Land und sind die erste Generation in ihren Familien,
die in die Industrie geht. Viele darunter sind auch alleinstehende
Mütter. Es werden extrem niedrige Löhne bezahlt, die immer
noch weiter real sinken. Seit 2004 sind sie im Grunde stehen geblieben,
während die Lebenshaltungskosten die ganze Zeit steigen. Ein
weiteres wichtiges Thema ist die sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz.
Die Aufseher und das Management sind in der Regel männlich und
nutzen bisweilen ihre Macht zu Übergriffen aus. Die Frauen wechseln
dann höchstens die Arbeitsstelle, aber trauen sich meistens nicht,
die Übergriffe öffentlich zu machen, haben auch kein Vertrauen,
daß sie wirklich geahndet werden. Trotzdem wollen die Frauen
lieber in der Fabrik arbeiten, als zu Hause im Haushalt oder in der
Landwirtschaft, denn die Arbeit in der Fabrik, mit der sie meistens
einen wichtigen Beitrag zum Familienunterhalt leisten, verschafft
ihnen eine geachtetere Stellung.
Um Kontakt zu den Arbeiterinnen zu bekommen, sind die Gewerkschafter
zuerst in die Wohngebiete gegangen und haben sich dort um die Lebensbedingungen
gekümmert, um Zugang zu sauberem Wasser und dergleichen, und
damit hätten sie erst einmal Vertrauen aufgebaut. In der Fabrik
wäre es kaum möglich gewesen, Kontakt zu bekommen, denn
die Frauen hätten dort Angst gehabt, mit der Gewerkschaft, die
im Betrieb nicht legal agieren konnte, in Verbindung gebracht zu werden.
Das hätte sofort den Verlust der Arbeit zur Folge gehabt. Namhaft
gemachte Gewerkschaftsmitglieder werden rausgeworfen. Gegenwärtig
hätte man trotzdem ca. 5 % der Arbeiterinnen organisiert, damit
habe man schon Streiks organisieren können. Man versucht den
jungen Frauen klarzumachen, daß sie Teil einer globalen Kette
sind.
Dann wurde von
Sri Lanka berichtet. In diesem Land mit 20 Millionen Einwohnern habe
„die Globalisierung 1977 begonnen“. Man richtete „Freihandelszonen“
ein, mit Elektrozäunen eingezäunt, und lud ausländische
Investoren ein, sich dort niederzulassen. Es kamen vor allem Investoren
aus Ländern wie Korea, Taiwan, Singapur, Malaysia u.a., die alte,
gebrauchte Maschinen aufstellten und die billige Arbeit ausnutzen
wollten. 1992 wurde dann das ganze Land zur Freihandelszone. Ausländischen
Investoren wurden „tax concessions“ , also Steuererlasse, für
die Dauer von 15 Jahren angeboten. 280.000 Arbeiter arbeiten dort
in der Textilindustrie, vor allem junge Frauen von 18 bis 25 Jahren,
die in der Regel umgerechnet im Monat
etwas über 50 Euro Lohn bekommen, was auch für dortige Verhältnisse
sehr wenig ist. Auch dort müssen sie andere Familienmitglieder
mit unterstützen. Also machen sie jeden Tag Überstunden.
Wenn man keine Fehltage hat, gibt es eine Anwesenheitsprämie,
also arbeiten sie auch dann, wenn sie krank sind. Es wird im Akkordlohn
gearbeitet und das Soll wird ständig weiter hochgeschraubt. Manche
arbeiten die Pausen durch, um das Akkordsoll zu schaffen, sie trinken
möglichst wenig, trotz der Hitze, die oft herrscht, um nicht
auf die Toilette zu müssen. Viele hausen in der Nähe des
Arbeitsortes in kleinen Zimmern zu mehreren, ohne Wasser und Strom.
Untersuchungen haben ergeben, daß 60 % der Frauen an Anämie
leiden.
Dabei wird gleichzeitig so getan, als ob sogenannte „faire Bedingungen“
herrschen würden. Man redet von „corporate social responsibility“
(CSR), eine Erfindung internationaler Konzerne, womit sie vor allem
ihr Image aufbessern wollen, sogenannte „emloyees councils“ werden
überall eingerichtet, so etwas ähnliches wie Betriebsräte
mit Kandidaten, die der Firma genehm sind. Manche Konzerne schicken
auch sogenannte Auditoren, die die Produktionsbedingungen überprüfen
sollen. Diese reden aber zumeist nur mit den Managern, und diese sind
geschult, wie sie zu antworten haben. Es gibt auch ein Arbeitsrecht,
aber das steht nur auf dem Papier und wird nicht wirklich angewendet.
Von über 50 Arbeitsgerichtsverfahren, von denen man Kenntnis
erhalten habe, sei keines erfolgreich gewesen.
Wenn sie mehr Lohn fordern, dann heißt es, die Markenfirmen,
wo fertige Kleidung vermarktet wird, wären diejenigen, an die
man sich wenden müsse, wenn die bereit seien, mehr zu bezahlen,
dann könne man auch mehr Lohn bezahlen. Die Gewerkschafter machen
sich aber keine Illusionen, daß es etwa mehr Lohn gäbe,
wenn diese mehr zahlen würden.
Gegen gewerkschaftliche Organisierung wird meist brutal vorgegangen.
Bei einem großen Streik wurden alle bekannten gewerkschaftlichen
Aktivisten entlassen, 33 an der Zahl, davon 30 Frauen. Die Polizei
hat sie erst einmal ins Gefängnis gesteckt. Das war 2010 und
bis heute hat keiner von ihnen wieder Arbeit bekommen. Aber die Gewerkschaft
habe schon viele Streiks durchgeführt, teils auch erfolgreich.
Es gibt sogar schon Fabriken, wo die Gewerkschaft als Verhandlungspartner
anerkannt ist. In einem Betrieb hat man das nach vier Monaten Streik
erreicht.
Der Berichterstatter
zu Bangladesh verwies zunächst auf die kürzlichen Fabrikbrände
in Pakistan, bei denen insgesamt etwa 400 Arbeiter elend umgekommen
sind, der Gewerkschaftsvertreter nannte es eigentlichen Mord. Diese
Fabriken sind oft in einfachen Häusern ohne besondere Vorkehrungen
zum Brandschutz, vollgestopft mit brennbarem Material, die Fenster
sind vergittert und die Türen abgeschlossen, bis das Produktionsziel
erfüllt ist. Vorher dürfen die Arbeiter nicht die Fabrik
verlassen. So sei es auch in Bangladesh. Dort ist die Textilindustrie
der wichtigste Wirtschaftszweig mit 3,5 Millionen Arbeitern. Ein ungelernter
Arbeiter dort bekommt umgerechnet etwa 30 Euro im Monat, ein qualifizierter
40 Euro und manchmal etwas mehr. Das ist auch für dort nicht
viel Geld. Eine einfache kleine Blechhütte kostet etwa 3000 Euro.
Auch dort wird immer auf die Vermarkter wie die Markenfirmen verwiesen,
die allerdings den Löwenanteil des Profites einstecken. Die seien
Schuld, daß nicht mehr Lohn gezahlt werden könne. Diese
weisen die Schuld aber von sich und geben der Regierung in Bangladesh
die Schuld. Es sei aber in Wahrheit so, erklärt der Gewerkschaftsvertreter:
Ein Shirt kostet manchmal 11 cent, wenn es wenige cent mehr kostet,
könnte der Lohn beträchtlich gesteigert werden oder die
Arbeitsbedingungen verbessert werden. Das würde beim Endpreis
gar nicht soviel ausmachen. Was wirklich helfen würde, wäre
eine Mitsprache der Gewerkschaften, wenn sie legal in den Fabriken
tätig sein können und die Interessen der Arbeiter dort vertreten,
wenn sie zum Beispiel beim Brandschutz mitreden und die Einhaltung
kontrollieren können. Darum hat man vier Hauptforderungen aufgestellt:
1. Brandschutz, 2. „Living wage“, also ein Lohn, von dem man leben
kann., 3. „Righ to access“, also das Recht, Kontakt zu den Arbeitern
in den Fabriken aufzunehmen, und 4. Transparenz (Durchschaubarkeit,
wo und unter welchen Bedingungen das Produkt produziert wurde).
Diese Kollegen berichten von opferreichen Kämpfen, wie sie ganz
ähnlich auch schon hierzulande und anderswo geführt worden
sind. Auch hier haben wir bereits ähnliche Erfahrungen gehabt.
Immer wieder und an immer neuen Orten auf dem Erdball ziehen die Kapitalisten
neue, unerfahrene Arbeitskräfte in ihre Fabriken und unterziehen
sie einer solchen brutalen Ausbeutung, wollen sie auspressen wie Zitronen.
Aber sie lernen, sich zusammenzuschließen und zu kämpfen.
Dann will das Kapital wieder zu neuen unerfahrenen Kräften vorstoßen,
um dort wieder mit ähnlichen Methoden zu arbeiten.
Junge, gut gebildete und interessierte Menschen waren auf dieser Veranstaltung,
die in englischer Sprache geführt wurde. Das ist auch gut so.
Aber eigentlich müßte es auch Versuche geben, diese Vertreter
mit Arbeitern hier zusammen zu bringen. Die Gewerkschaft hat die Pflicht,
den Arbeitern hier klar zu machen, daß diese Kollegen nicht
nur für ihre eigenen Interessen kämpfen. Es ist keine alte
abgedroschene Phrase, wenn wir hier sagen, daß ihr Kampf auch
unser Kampf ist. Das Kapital will die Arbeiter hier mit den schlecht
bezahlten Arbeitern dort in Konkurrenz setzen. Daß, man dort
keine Löhne zahlen will, von denen es sich leben läßt,
steht auch im Zusammenhang damit, wenn Kapitalvertreter hier sich
öffentlich hinstellen und verkünden: Es müsse hier
endlich von dem Anspruch herunter gekommen werden, daß man von
dem Lohn für eine einfache Arbeit leben können muß.
Und in der Tat bekommen hier zunehmend Menschen für ihre Arbeit
so wenig Lohn, daß sie unter dem offiziellen Existenzminimum
liegen. Wenn die Arbeiter in den genannten Ländern z.B. einen
entschiedenen Kampf für „Living Wages“ führen, ist das auch
in unserem Interesse, wirkt das auch gegen die Absenkung der Standards
hier. Ihr Kampf ist in dieser Hinsicht tatsächlich auch unser
Kampf. Und es ist z.B. auch der Kampf der Arbeiter in China, die in
der jüngsten Vergangenheit viele Kämpfe geführt haben,
wo das Kapital sich vielleicht schon wieder mit dem Gedanken trägt,
wegzugehen zu neuen, unerfahrenen und unorganisierten Arbeitern. Wenn
es auf dem Weg dahin auch noch viele Probleme zu überwinden gibt
und die herrschenden Klassen alle Register zur Spaltung ziehen werden:
Sie erziehen damit weltweit auch ihre Totengräber, die sich auf
gemeinsame Positionen verständigen können.
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Anm.: Veranstalter waren INKOTA-Netzwerk, TIE Germany und Bundesvorstand
ver.di.
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