Internet Statement 2012-39

 

 

Wer soll dieses Mal aufs Glatteis geführt werden?

Historische Erfahrungen geben eine deutliche Warnung   

 

 

Wassili Gerhard   21./22.11.2012         

In was soll da die Bundesrepublik eventuell hineingezogen werden, wenn dem Wunsch um Unterstützung mit „Patriot“-Raketen seitens der Türkei entsprochen wird? Die Begründung, daß sich die Türkei von Syrien bedroht fühlt, ist ja wohl nicht wirklich ernst zu nehmen. Eher geht es wohl darum, daß die Türkei sich bereits so weit aus dem Fenster gelehnt hat in der Unterstützung der „Rebellen“, daß man sich dort keinen Weg zurück leisten zu können glaubt. Die Verwicklungen bei einer Beteiligung könnten unabsehbar sein. Das um so mehr, als die türkische Militärführung auch noch die Verfügung haben will, wann die Raketen eingesetzt werden. „Der Drücker wird bei unserer Armee liegen“, soll der Sprecher der Regierungspartei gesagt haben. Man soll sich ihnen also auch noch  ausliefern, ihrer Definition, wann sie sich angegriffen fühlen. Kann man diesen Kräften etwa blind vertrauen?

 

Beim jüngsten Luftkrieg gegen Gaza ergibt sich bereits ein verworrenes Bild. Auf der einen Seite steht Israel - bisher engster Verbündeter der USA in der Region - auf der anderen Seite die Hamas und eventuell Untergruppierungen, verbündet mit Ägypten unter der Regierung der Moslembrüder, die von den USA zum Teil gestützt wird, auch gegen große Teile der Bevölkerung im eigenen Land, die mit ihrer Rebellion keineswegs derartige Kräfte ans Ruder bringen wollten und jetzt vom Regen in die Traufe gekommen sind. Die Palästinenser in Gaza sind im Grunde ähnlich dran. Ägypten rivalisiert in seiner regionalen Rolle gleichzeitig mit Saudi-Arabien, das sich lange Zeit als Schirmherr der Palästinensischen Administration aufgespielt hat. Die Türkei, die offenkundig ebenfalls ehrgeizige Pläne als Regionalmacht verfolgt, ergreift offen Partei für die Hamas, ist eng verbündet mit Ägypten und hat Israel jüngst als Terrorstaat bezeichnet. Da muß in der Bundesrepublik bei der „Staatsräson“ aber irgendwie der logische Salto rückwärts aufgeführt werden, wenn man der Türkei zur Hilfe kommt. Aber zur „Staatsräson“ gehört ja auch angeblich die Treue zu den USA, die die Suppe nicht selber auslöffeln wollen, die sie dort angerichtet haben.

 

Gleichzeitig tut die  Erdogan-Richtung in der Türkei alles,  wie überhaupt die Islamisten der Region, das Regime in  Syrien umzustürzen und dort ebenfalls ein islamistisches Regime zu installieren. Der Umsturz des Regimes in Syrien ist erklärtermaßen Teil der USA-Agenda in der Region. Zu diesem Zweck soll in Abstimmung mit den USA an der türkischen Grenze dem Vernehmen nach eine zumindest faktische Flugverbotszone errichtet werden, eine Schutzzone für die Rebellen, denn die Assad-Regierung wehrt sich bisher mit Erfolg gegen ihre Beseitigung, und die teilweise Bestialität der islamistischen Kräfte unter den Rebellen, in deren Reihen fanatische Kämpfer von überall auf der Welt mitkämpfen, die gegen alles und jeden, der nicht ihrer Auslegung des Islam entspricht, zu Greueltaten bereit sind,  trägt nicht zu deren Popularität in der Bevölkerung bei, sicher auch nicht bei solchen Kräften, die eventuell berechtigte Kritik an den vorherigen Zuständen hatten. Auch das Beispiel Libyens kann da nicht gerade Enthusiasmus wecken.1) In einer solchen Schutzzone an der türkischen Grenze und quasi unter dem Schirm der Patriot-Raketen der Bundeswehr hätten diese Rebellen eine sichere Ausgangsbasis.

 

Wie da eine Weltregion in ein Chaos gestürzt wird, und nach welchem Muster, das hat irgendwie seine Parallelen mit anderen Vorgängen. Diese Region ist von ungeheurer weltweiter Bedeutung, deshalb heißt die regionale Kommandostruktur der USA-Streitkräfte für diese Region auch Centcom, also das zentrale Gebiet ist dem Namen nach dort und nicht die USA. Die Kontrolle der dortigen Zusammenballung von Rohstoffen ist ein Eckpfeiler der USA-Weltpolitik. Nun hat aber gerade die USA verkündet, sich in Zukunft mehr auf die eigenen – durchaus bedeutenden –  Rohstoffressourcen stützen zu wollen und von den Ressourcen in diesem Gebiet weniger abhängig zu werden. Konkurrenten will man sich aber dort auch nicht schaffen. Die aufstrebenden neuen Industriemächte auf der Welt sollen sicherlich davon nicht profitieren und neue regionale Wirtschaftsmächte wollen sie seit jeher dort nicht hochkommen lassen, was einen ganz wesentlichen Hintergrund für die Entwicklungen dort und das Vorgehen in dieser Region darstellt. Und dementsprechend sind wirklich fortschrittliche Bewegungen in dieser Region, die einen eigenen, selbständigen  Entwicklungsweg vertreten, auch nicht erwünscht, lieber läßt man alles hochgehen.

 

Aber die USA sind auch nicht gewillt, sich dabei allzusehr selbst die Finger schmutzig zu machen. Wer immer sich dort vor den Karren spannen lassen will, sollte nicht  gewisse Erfahrungen vergessen. Das Thema USA und Islamismus ist ja auch kein ganz neues und man sollte nicht nur auf das sehen, was von den USA mit einem enormen Propagandaaufwand ständig in das Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt wird. Bereits 1979/80 in Afghanistan wurden die Islamisten von den USA hochgepäppelt, um ihren Zwecken dienlich zu sein.  Dabei wurden übrigens auch heute noch wichtige „Kadertruppen“ der Islamisten geschaffen und auch Figuren wie ein Bin Laden mit massiver Unterstützung der USA und solcher Verbündeter wie Saudi Arabien und Pakistan überhaupt erst zu Führergestalten aufgebaut. Damals ging es darum, den großen Rivalen Sowjetunion, die einen erheblichen Einfluß in diesem Nachbarland hatte, zu Abenteuern zu verleiten und in einen ungewinnbaren Krieg zu ziehen. Und die Frage stellt sich gleich: Wer soll wohl heute aufs Glatteis gelockt werden?

 

Später folgten dann die „Taliban“, die speziell im Nachbarland Pakistan regelrecht systematisch aus Flüchtlingskindern herangezogen wurden, wohlgemerkt zu einer Zeit, als dieses Land ein sehr wichtiger Verbündeter weiterhin war. Diese übertrafen die vorherigen Mudschaheddin noch in ihrer geistigen Verkrustung und Rückwärtsgewandtheit, schon Schulunterricht für Mädchen oder irgendwelche moderneren Erscheinungen (außer auf dem Gebiet der Waffentechnik), die im Koran nicht erwähnt sind oder nach ihrer beschränkten Lesart nicht hinein interpretiert werden können, waren rigoros zu unterdrücken. Sie griffen die teilweise bei den Mudschaheddin vorhandene Banditenmentalität und Verfolgung von Partikularinteressen an, um sich dann selbst als sittenstrenge Moral- und Tugendwächter aufzuspielen, die dem von Banden- und Cliquenkämpfen zerrissenen Land wieder Ordnung bringen. Die sich schon anbahnende Korrumpierung und Zersetzung auch dieser Kräfte, sobald sie einmal an der Macht waren, wurde durch den Afghanistankrieg abgeschnitten

 

Daß man sich  auf extrem rückständige Kräfte stützte und nachher rivalisierende rückwärtsgewandte Kräfte gegeneinander antreten ließ, brachte den USA den Vorteil, daß die Entwicklung von wirklich fortschrittlichen, wirklich vorwärts gewandten Kräften extrem behindert wurde, denn diese mußten zwischen die Mühlsteine der Fremdherrschaft und der inländischen Reaktionäre geraten. Eine solche Vorgehensweise ist typisch für die USA-Politik. Der bekannte USA-Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski, dem Vernehmen nach auch einer der Promoter der Wahl Obamas,  war später  zufrieden mit dem Resultat der Operationen. Zum Beleg, wie zynisch solche Kräfte kalkulieren, möchte ich noch einmal Teile eines Interviews wiedergeben:

 

Question: The former director of the CIA, Robert Gates, stated in his memoirs ["From the Shadows"], that  american intelligence services began to aid the Mujahadeen in Afghanistan 6 months before the Soviet intervention. In this period you were the national security adviser to President Carter. You therefore played a role in this affair. Is that correct?

Brzezinski: Yes. According to the official version of history, CIA aid to the Mujahadeen began during 1980, that is to say, after the Soviet army invaded Afghanistan, 24 Dec 1979. But the reality, secretly guarded until now, is completely otherwise: Indeed, it was July 3, 1979 that President Carter signed the first directive for secret aid to the opponents of the pro-Soviet regime in Kabul. And that very day, I wrote a note to the president in which I explained to him that in my opinion this aid was going to induce a Soviet military intervention.  2)

[. . .]

Q: When the Soviets justified their intervention by asserting that they intended to fight against a secret  involvement of the United States in Afghanistan, people didn't believe them. However, there was a basis of truth. You don't regret anything today?

B: Regret what? That secret operation was an excellent idea. It had the effect of drawing the Russians into the Afghan trap and you want me to regret it? The day that the Soviets officially crossed the border, I wrote to President Carter: We now have the opportunity of giving to the USSR ist Vietnam war. Indeed, for almost 10 years, Moscow had to carry on a war unsupportable by the government, a conflict that brought about the demoralization and finally the breakup of the Soviet empire.

Q: And neither do you regret having supported the Islamic fundamentalism, having given arms and advice to future terrorists?

B: What is most important to the history of the world? The Taliban or the collapse of the Soviet empire? Some stirred-up Moslems or the liberation of Central Europe and the end of the cold war?

Q: Some stirred-up Moslems? But it has been said and repeated: Islamic fundamentalism represents a world menace today.

B: Nonsense! It is said that the West had a global policy in regard to Islam. That is stupid. There isn't a global Islam. Look at Islam in a rational manner and without demagoguery or emotion. It is the leading  religion of the world with 1.5 billion followers. But what is there in common among Saudi Arabian fundamentalism, moderate Morocco, Pakistan militarism, Egyptian pro-Western or Central Asian secularism? Nothing more than what unites the Christian countries.


(Interview mit Zbigniew Brzezinski, President Jimmy Carter's National Security Adviser in 'Le Nouvel Observateur' (Frankreich), Jan 15-21, 1998, S. 76  Übersetzt ins Englische von Bill Blum,
im Internet zu finden unter http://emperors-clothes.com/interviews/brz.htm)

Hier sieht man gut, zu was solche Kräfte in ihrem Pragmatismus fähig sind. Das haben sie ja auch schon bei anderen Gelegenheiten bewiesen. Gegen Islamismus als solchen hat man eigentlich nicht so sehr viel, solange man ihn für die eigenen Zwecke nutzen kann, zumindest hat man mit manchen Vertretern auch seine Gemeinsamkeiten, zumindest gemeinsame Feinde. Auch als Buhmann können sie nützlich sein. Und wenn sie nicht mehr nutzen, dann muß man sie eben wieder irgendwie loswerden.  Das sollten sich alle Akteure auf der internationalen Bühne mal gut überlegen, ob sie sich zum Büttel einer solchen Politik machen, sie sollten auch nicht später Dankbarkeit erwarten. Das sei insbesondere jenen ins Stammbuch geschrieben, die jetzt so eifrig und dienstbeflissen tun: „Letztes Mal gegen Libyen waren wir auch nicht voll mit dabei, da können wir uns doch nicht schon wieder entziehen.“ Doch, das sollten sie tun. Wollen sie für andere die Kastanien aus dem Feuer holen, in dem Sumpf mit herumrühren, den diese angerührt haben, und eventuell später noch einen Fußtritt dafür bekommen? Sollen doch die USA selbst ihre Patriot-Raketen dort aufstellen. Aber die schieben in einer solchen Gemengelage lieber andere vor, lassen die Türkei sich produzieren und die Bundesrepublik zum Mittun auffordern. Dann können sie sich später evtl. auch noch  vornehm als Schiedsrichter aufspielen.

 

Über all dem sollte allerdings auch nicht vergessen werden, die Rolle der Putin-Regierung im Auge zu behalten, die auf verschiedenen Wegen Einfluß zu nehmen versucht und natürlich versuchen wird, in die verschiedenen Widersprüche hineinzustoßen.

 

 

 

 

Anmerkungen



1) Gerade hatten wir in Berlin aktuell den Fall, daß Libyer, die im Bürgerkrieg gegen Ghaddafi gekämpft hatten und dabei schwer verwundet wurden, die sich hier zur ärztlichen Behandlung aufhalten, in der Libyschen Botschaft erbittert  protestierten, wobei es sogar einen Toten gab, weil die Zahlungen für ihren hiesigen Heilaufenthalt in irgendwelchen Taschen der neuen Verwaltung verschwinden. In Libyen müßten sie wahrscheinlich aufpassen, daß sie nicht selbst verschwinden.

 

 

2) Die Vertuschung des Datums ist auch aus anderem Grund nicht so unwichtig, denn die Rhetorik gegen die Islamistische Machtergreifung Khomeinis beherrschte gleichzeitig 1979 die öffentliche Propaganda. Damals kam auch zum ersten Mal ganz massiv die Forderung seitens der USA auf, die Europäer sollten eine Interventionsarmee aufstellen, gerade mit Hinweis auf den sich ausweitenden Islamismus. Wie wahrscheinlich war es aber, daß die USA damals ernsthaft gegen einen solchen Umsturz vorgehen, wenn sie nebenan sich gerade auf gleichartige Kräfte stützen. Das wußte wahrscheinlich auch Khomeini, der die USA öffentlich herausforderte und deren vermeintliche Bedrohung mit dafür nutzte, die Unterdrückung jeglicher Opposition im Lande zu rechtfertigen. Und amerikanische Techniker hielten gleichzeitig sein Fernsehen am Laufen, das angesichts des Analphabetismus im Lande einen unschätzbaren  Wert für ihn hatte. So haben sich beide Seiten gegenseitig die Bälle zugespielt, wie wir das damals auch analysiert haben. Eine ähnliche Konstellation ist zwischen Islamisten und dem USA-Imperialismus immer wieder zu beobachten. Das kann natürlich auch wieder in offene Konfrontation ausbrechen. So ist der Iran den USA einfach nicht rückwärtsgewandt genug, schließlich könnte sich auch wieder eine fortschrittlichere Richtung durchsetzen und dann eine Basis für die Entwicklung des Landes vorfinden. So ist der Islamismus einmal vorteilhaft, weil er eine fortschrittliche Entwicklung unterdrückt, dann wieder nicht, weil er droht, in seiner Wirksamkeit dagegen nachzulassen.

 

 

 

 

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