Internet Statement 2013-11
Lebensmittel-Skandale - Die Geschädigten sind schuld?
Wassili Gerhard 14.04.2013 Schon wieder hat es einen Pferdefleisch-Skandal gegeben. Ein niederländischer Lieferant soll 50.000 t Fleisch ausgeliefert haben, bei denen ohne Angabe Pferdefleisch untergemischt war. In der Presseschau des Deutschlandfunks vom 12.04.2013, immerhin ein öffentlich-rechtlicher Radiosender, wurde zu diesem Thema unter anderem ein Kommentar des Delmenhorster Kreisblatts gebracht, in dem es heißt:
„Er [der Verbraucher] muss Fleisch wieder als das verstehen, das es einst mal war: ein Luxusgut, das seinen Preis hat.“
Wenn dieser selten offene Kommentar hier auch von einem Kreisblatt kommt, so wurde er doch für so ernsthaft befundenen, dass er in diese Presseschau mit aufgenommen wurde. Natürlich wird dann auch noch ein Beitrag gebracht, der mitfühlend gegenüber dem Verbraucher ist, man ist ja ausgewogen, aber überwiegend richten sich die Kommentare gegen den Verbraucher, der angeblich schuld an solchen Betrügereien sei, weil er nicht genügend Geld ausgeben will. Und das ist ja nicht nur in dieser Presseschau so. Als wenn es dergleichen in der Klassengesellschaft nicht schon immer gegeben hätte und man nicht auch den Ärmsten, die sich gar kein Fleisch leisten konnten, nicht manchmal noch das Brot mit Sägespänen gestreckt hätte.
Was ist das hier für eine Unverschämtheit. Der durchschnittliche Verbraucher hat immer weniger Geld in seinem Portmonee, und deshalb sieht er natürlich darauf, dass er nicht mehr als nötig für seine Ware bezahlt. Und natürlich hat er einen Anspruch darauf, beim Lebensmittelkauf nicht betrogen zu werden, und natürlich schon gar nicht geschädigt. Heutzutage ist es mit den modernen Methoden der Massenproduktion durchaus möglich, Waren, die früher Luxusartikel für Betuchte waren, in großer Menge und zu günstigen Preisen herzustellen, was unbedingt ein Fortschritt ist. Und natürlich muß man auch verlangen können, daß die Qualität zumindest akzeptabel ist. Wenn der durchschnittliche Verbraucher versucht, die Waren des täglichen Bedarfs da zu kaufen, wo er sie am günstigsten bekommen kann, dann wird das verurteilt und ihm wird die Schuld zugeschoben, wenn er betrogen wird. Nicht nur, dass er betrogen wird, er wird, wenn man das Fazit mancher Kommentare etwas zuspitzt, eigentlich nur seiner gerechten Strafe zugeführt, weil er so unbescheiden ist. So weit ist die grün unterlegte Logik, daß „der Mensch“ bescheidener in seinen Ansprüchen zu werden hat (aber natürlich nicht die privillegierten Klassen), schon Allgemeingut in unseren Medien.
Die doppelte Moral, die hier an den Tag gelegt wird, ist eigentlich ganz offensichtlich. Warum argumentiert man denn nicht so: Jedes größere Unternehmen beschäftigt heute Fachpersonal, das Betriebswirtschaft studiert hat und „auf Deubel komm raus“ die Kosten drücken soll. Vor allem werden die Personalkosten gedrückt, wo es überhaupt nur geht, außer in den allerobersten Rängen, wo man sich von den eingesparten Mitteln fürstliche Einkommen leistet. Das gilt natürlich als völlig in Ordnung. Da ist es z. B. in der Regel auch völlig normal, dass Aufträge vergeben werden, die zu den vereinbarten Preisen und Konditionen weder ordentlich ausgeführt werden können, noch von ordentlich bezahlten Arbeitskräften. Nun ja, dann verabschiedet man eben eine Ethikrichtlinie, nach der die Auftragsnehmer nur ordentlich bezahlte Arbeitskräfte einsetzen dürfen. Papier ist geduldig (chlorfrei gebleicht muss es aber sein) und im Zweifel ist dann eben der Auftragnehmer schuld. Schließlich muss man bei der Auftragsvergabe doch betriebswirtschaftlich denken, das gilt doch als völlig normal. Daß der Fleischgroßhändler auf das gegenwärtig gerade anscheinend so billige Pferdefleisch zurückgreift, was doch beim Endprodukt garnicht auffällt, das vielleicht sowieso mit allerlei Tricks im Geschmack aufgepeppt wird, ist bei einer Herangehensweise, wo es um Gewinnmaximierung um jeden Preis geht, ja garnicht so fernliegend.
So könnte man auch argumentieren, aber so wird die Sache nicht angegangen. So wird hier eben mit zweierlei Maß gemessen. Das kommt auch in anderen Fällen zum Ausdruck. Man nehme nur die jüngst beschlossene Verschärfung der Überprüfung von Hartz-IV-Empfängern, die sich krank melden. Da fällt mir doch spontan ein Herr Neuling ein, seines Zeichens “Investor“ in Wohnblöcke, der im Zusammenhang mit dem Berliner Bankenskandal vor Gericht kommen sollte, weil er seinen Mietern mit fingierten Heizkostenabrechnungen zusätzlich Geld abnehmen und damit seine Pleite abwenden wollte. Natürlich wurde der arme Mann vor dem Prozeß so krank, dass er nicht vor Gericht erscheinen konnte und der Prozess auf unbestimmte Zeit vertagt werden musste. Kurze Zeit danach fiel auf, dass er trotzdem an einem Marathonlauf teilnehmen konnte. Natürlich bescheinigte ihm sein Arzt, dass das seiner Heilung diente, während ein Gerichtsprozess bei ihm Suizidneigung auslösen würde. Natürlich verstand er es auch, auch im weiteren nicht so schlecht zu leben. Zu den bösen Menschen, die den Pferdefleisch-Skandal verschuldet haben, weil sie nicht genug für ihr Essen ausgeben, gehört er also sicher nicht.
Wie werden denn nun eigentlich die Gangster bestraft, die mit solchen betrügerischen Machenschaften einen extra Gewinn einheimsen wollten, denn darum geht es ja wohl dabei? Das wäre ja mal interessant. Aber davon ist nicht viel zu hören.
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