Internet Statement 2013-22

 

 

              Arab Spring – the other way round?

 

 

Maria Weiß    15.06.2013       

Die Frage ist, wie sind die aktuellen Ereignisse in der Türkei einzuschätzen?

Es spricht einiges dafür, daß es so eine Art umgekehrter arabischer Frühling ist. Und zwar insofern als dort breite Teile der Bevölkerung die islamistische Tour ihrer jetzigen Regierung satt haben, und alles was damit zusammenhängt, und jetzt sozusagen dies auch mal zum Ausdruck bringen wollen. Das ist aber keine proletarische Bewegung dort, das ist eine ziemlich breit gefächerte, vielschichtige Massenbewegung, vor allem der gebildeten und sehr jungen (Mittel-) Schichten, die sich genau in diesem Sinne dort regt.

 

Der RBB brachte dazu gestern ein interessantes Interview mit einer, wie es hieß, Geschäftsfrau aus Istanbul, die das folgendermaßen analysierte und an dem einiges Wahre dran sein dürfte: Viele Leute dort haben die Nase voll von der ziemlich selbstgerechten und in gewisser Weise auch undemokratischen, auch im bürgerlichen Sinne undemokratischen und bevormunderischen Erdogan-Regierung, was aber – wie sie meinte - nicht heißt, daß nicht trotzdem die andere Hälfte der Bevölkerung diese immer noch unterstützen würde, wenn es zum Beispiel Wahlen geben würde. Die andere Hälfte, die das nicht will, ist aber so zersplittert, unter einander total uneinig, als daß sie sich politisch an die Stelle setzen könnten.

 

In Istanbul und wahrscheinlich auch in anderen Städten ist vor allen Dingen in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren ein ganz schöner Geldadel herangewachsen, wohlhabende Schichten, die sicherlich sich vom Islam, bzw. dieser rigiden Form davon, gerne (wieder) loslösen würden und eine andere, offenere Gesellschaft nach dem Vorbild des Westens vorziehen würden. Das stößt aufeinander, und man kann sich denken, was für Kräfte im Westen beispielsweise an der Förderung einer solchen Richtung Interesse haben und auch daran, daß sie vielleicht diesen jetzigen Möchte- Gern- Machthaber hinwegfegen. Dafür kommen etliche in Frage. Das muß man dabei natürlich unbedingt mit in Betracht ziehen. Interessant ist auch, daß Zeitungen wie die TAZ, deren Herkunft und Anhängigkeiten man ja sehr gut kennt und die auch in dieser Richtung zu suchen sind, mit ganz mächtigem Sturm da mit rein bläst und das sonstwie rausstellt.

 

Ein idealeres Feld für das Herumrühren ausländischer Mächte kann man sich eigentlich kaum vorstellen.

 

Sicherlich gibt es viele gute Gründe, gegen Erdogan zu demonstrieren. Aber gute Gründe sind eine Sache, und was man selber für Ziele verfolgt eine andere. Und bei Letzterem liegt einiges dort noch im Unklaren.

 

 

 

Die Türkei ist nicht irgendein Land. Sie ist ein Schlüsselland in einer Schlüsselposition im Fadenkreuz imperialistischer Interessen im Mittleren Osten. Und von daher ist es natürlich wichtig, welche Stellung dieses Land einnimmt. Obendrein ist die Türkei auch noch ein NATO-Mitgliedsland, was für USA-imperialistische Bestrebungen natürlich besonders von Bedeutung ist. Deswegen ist die Stellung der Regierung eines solchen Landes nicht unwichtig in dieser Hinsicht, und auch nicht, ob beispielsweise das Bestreben nach eigenen Vorteilen, die Verwirklichung eigener Interessen, so wie es sich bei Erdogan in den letzten Jahren zunehmend heraus kristallisiert hat, den Interessen anderer Mächte dort, beispielsweise des USA-Imperialismus, zuwider läuft oder nicht. Das kann man bei der Beurteilung der gegenwärtigen Entwicklung in diesem Land nicht außer Acht lassen.

 

Es ist doch momentan unübersehbar, welche Schwierigkeiten der USA-Imperialismus und namentlich die Obama Regierung gegenwärtig in diesem Teil der Welt hat. Versuche des Außenministers Kerry auf seinen Touren dort den Einfluß wieder zu stabilisieren, sind nicht gerade von Erfolg gekrönt gewesen. Andere zeigen sich ebenfalls widerborstig, angefangen bei Iran, aber auch anderen regionalen Potentaten. Deswegen ist es durchaus von Bedeutung, in welche Richtung sich beispielsweise die Türkei entwickelt. Und diese war durchaus in letzterer Zeit keineswegs mehr so sicher. Nicht umsonst wird Erdogan von gewissen medialen Exponenten derzeit mit Putin und dem Iranischen Machthaber in eine Reihe gestellt.

 

Es stellt sich daher durchaus die Frage, bei allem Verständnis und Sympathie für die jetzige Massenbewegung, was letztendlich politisch dabei heraus kommen wird.

 

Daß Erdogan selbst sehr unangenehme Seiten hat, hat man nicht zuletzt in unserem Land mehr als einmal zu spüren bekommen. Zuletzt bei seinem hiesigen Wahlkampf in 2011, wo er sich erdreistete, erstens überhaupt innerhalb der türkischen Minderheit in diesem Land Wahlkampf für das Herkunftsland zu betreiben und obendrein auch noch Empfehlungen auszugeben, es sei angebracht zuerst einmal die türkische Sprache, d.h. die Herkunftssprache zu erlernen und an zweiter Stelle die Sprache des Landes, indem man lebt, und obenrein auch noch Assimilation als Verbrechen zu verunglimpfen. Das war schon ziemlich reaktionär. Und man man kann daran schon sehen, wes Geistes Kind dieser Vertreter ist. Daß Erdogan nunmehr zunehmend auch in seinem Land auf Widerspruch stößt ist nicht nur sehr erfreulich sondern auch allzu berechtigt. Und trotzdem stellt sich dabei aber die Frage, in welche Richtung sich das entwickelt. Denn reaktionärer Charakter hin oder her – der Gegensatz auch zur eigenen Bevölkerung ist sowieso vorhanden, bei all diesen Staaten - stellt sich die Frage, welchen internationalen Bestrebungen diese nachgeben und welchen nicht, und was sie in dieser Hinsicht für sich genommen repräsentieren. Wenn man zum Beispiel sieht, daß aus den USA Druck in Richtung eines Rücktritts ausgeübt wird und eine Ersetzung Erdogan durch einen anderen AKP Vertreter, mit Sicherheit einen, der diesen mehr zu Paß zu kommen scheint, und auf der anderen Seite aus Kreisen der Protestler hört, daß zwar Erdogan verschwinden solle, aber nicht unbedingt die AKP, dann weiß man eigentlich schon ziemlich genau, wer das im Hintergrund mit angerührt hat. Herr Erdogan hat schon durchaus eigene ambitionierte Interessen, und die sind nicht immer dergestalt, daß sie gewissen anderen imperialistischen (oder auch regionalen) Mächten gefallen. Beispielsweise gewisse Bestrebungen auf energiepolitischem Sektor unabhängiger zu werden durch den Bau von Atomkraftwerken, dürften auch in den Augen gewisser Mächte nicht gerade unterstützenswürdig sein.

 

Zweifellos hat in den letzten Jahren, mit was für einer Unterstützung auch immer, eine starke Modernisierung in der Türkei, vor allen Dingen in den Städten stattgefunden. Daß diese natürlich auch Gegensätze innerhalb der Bevölkerung selbst hervor ruft und vertieft, ist überhaupt kein Wunder. Das ist gerade bei einer kapitalistischen Entwicklung immer der Fall. Aber auf der anderen Seite sind natürlich diese modernen Errungenschaften unbedingt von Nutzen. Das darf man nicht vergessen. Wenn zum Beispiel die jetzige Bewegung sich gegen eine weitere Brücke über den Bosporus wehrt, zugleich, dann paßt das vielleicht den Grünen und anderen reaktionären Kräften, (nicht umsonst hatte die TAZ in der Woche als Haupttitel „Willkommen in Resistanbul“) aber ein solcher Widerstand ist niemals im Sinne der Mehrheit der Bevölkerung. Und sicherlich ist ein Alkoholverbot nicht besonders effektiv gegen Alkoholsucht, das weiß man aus der Erfahrung. Und allein daß sich Erdogan dafür ausgesprochen hat, daß Familien möglichst drei Kindern haben sollten, ist auch nicht so eine Katastrophe, nicht annähernd so eine wie beispielsweise der Bevölkerungsschwund in unserem eigenen Land. Hier steht die Sache nämlich genau auf dem Kopf. In der Türkei ist inzwischen mehr als 60 Prozent der Bevölkerung unter 28 Jahre alt, bei uns ist das Gegenteil der Fall, bei uns sind bald 60 Prozent und in der Tendenz noch mehr über sechzig Jahre! Das ist wirklich eine Katastrophe. Bei uns gibt es in vielen Familien kein einziges Kind, dafür nicht selten mehrere Hunde. Das ist ein Verhältnis, was einen in seiner Gespensterhaftigkeit schon jetzt überall begegnet. Demgegenüber ist die Empfehlung, doch möglichst bitte mindestens drei Kinder zu haben, die reinste Erholung! Obwohl es natürlich dem Staatschef eines Landes nicht zusteht, schon gar nicht als Zwang. Allerdings gemessen an der Propaganda für die Perversion, wie sie von den Grünen hierzulande seit Jahrzehnten betrieben und vorangetrieben wird, ist selbst das noch zu relativieren. Wenn die Grünen in der jetzigen Bewegung in der Türkei Fuß fassen sollten, wie das zum Beispiel Cem Özdemir sich wünscht, dann kann man absehen, daß bald auch in der Türkei der sogenannten Homo -Ehe das Wort geredet wird.

 

Grundsätzlich muß man eine Bewegung, auch eine Massenbewegung daran messen, was für einen sozialen Gehalt sie hat, denn daran zeigt sich, ob sie Fortschritt repräsentiert oder nicht.

 

Brutal und grausam gegenüber fortschrittlichen aufständischen Bewegungen in der Gesellschaft sind grundsätzlich alle reaktionären Klassen. Es gibt aber welche, die haben noch zusätzlich andere Methoden, und daß sind solche, die die Gesellschaft von Innen her zerstören. Und die sind im Grunde gefährlicher, weil es die Menschen von Innen her kaputt macht und die Weiterentwicklung hemmt.

 

Daß Herr Erdogan ein Reaktionär ist, mit allem was da dran hängt und dazu gehört und mit der entsprechenden Brutalität selbstverständlich ebenfalls, und Massenfeindlichkeit, ist nicht erst seit gestern, seit dem Taksim- Platz klar geworden. Das war es auch schon vorher, nur in etwas verhüllterer Weise. Und nicht nur der, sondern die ganze AKP, die immerhin angeblich von über der Hälfte der türkischen Bevölkerung gewählt worden ist, bei den letzten Wahlen 2011, ist stockreaktionär. Und das ist auch nicht erst seit gestern klar. Aber was relativ neu ist, ist, daß der USA-Imperialismus im Mittleren Osten nicht voran kommt, im Gegenteil sich verheddert und Obama absolut kein Konzept hat und von daher die Türkei als strategisch wichtiger Punkt sich anbietet, um Dinge in ihrem Sinne zum Wandel zu bringen. Und es würde wirklich niemand wundern, nachdem er in Syrien quasi nicht zu Potte kommt, im Gegenteil sich in Widersprüche verheddert hat und im Grunde festsitzt, es erneut versucht. Und da ist die Türkei eben sehr naheliegend als Ansatzpunkt.

 

Es ist auch klar, warum die gesamte vereinigte Pseudolinke auf Obama steht. Obama als Oberhaupt der Vereinigten Staaten von Amerika ist zugleich oberster Militärführer der Streitkräfe der USA und damit weltweit selbst der oberste Garant des Systems der Ausbeutung, des globalen Systems der Ausbeutung. Und dieses globale System der Ausbeutung verschafft eben auch den Pseudolinken und Revisionisten massive Vorteile.

 

Nachdem nun auch herausgekommen ist, daß die USA eben nicht nur weltweit Militärerpressung betreiben wo immer es ihnen ratsam scheint und möglich ist, sondern zugleich weltweit Bespitzelung – eine Sache, die man sich allerdings sowieso hat denken können und in der sie natürlich auch keineswegs alleine da stehen, aber es ist immer gut, den direkten Beweis dafür zu bekommen, wie es konkret funktioniert- seitdem ist das alles noch viel beliebter geworden, in gewissen Kreisen, oder stimmt Letzteres etwa nicht? Auffällig ist nur, daß es keine einzige Kraft unter denen gibt, die den Typen selbst wirklich angreifen, bzw. das ganze System grundlegend angreifen. Da kann man lange drauf warten. Es gibt zwar alle möglichen Reformen und Reförmchen, hier und da und dies und das, und Eindämmungen da, wo es ihnen zu weit geht, aber das prinzipielle In-Frage-Stellen, das gehört wohl der Vergangenheit an. Letzteres stimmt natürlich nicht, aber wenn man dem oberflächlichen Eindruck folgt, dann könnte man so etwas vermuten. Und auch das Zur-Ordnung-Rufen gewisser regionaler Potentaten, die ihnen in die Quere kommen, stört sie überhaupt nicht. Im Gegenteil, sie klatschen Beifall.

 

Jedenfalls ist es sehr bezeichnend, wenn im Zusammenhang mit der Aufdeckung des weltweiten Bespitzelungssystems durch die CIA und Konsorten kein Aufschrei der Empörung durch die Linke wallt, sondern im gegenteil, es wie selbstverständlich hingenommen wird, daß diese Macht sich anmaßt, zu postulieren, daß eben alles, was ihre Sicherheit (ihr Ausbeutungssystem) gefährdet, ohne weiteres mit Fug und Recht bespitzelt und gegenbenenfalls eben auch per Drohne oder sonstwie eliminiert werden kann. Oder auch per Flugverbotszone als Auftakt, mit innerer Exekution im Anschluß, wie beispielsweise in Libyen geschehen. „Yes we can“. Das ist die Strategie dieser Macht, dieser Hegemonialmacht in modernen Zeiten, in jetzigen Zeiten. Und mir ist nicht bekannt, daß irgendwo dieses mal wirklich prinzipiell in frage gestellt wird. Im Gegenteil, jeder neuen Masche dieser Macht gehen sie erstmal auf den Leim, ob das Libyen ist oder jetzt Syrien oder morgen ein anderes Land (vielleicht die Türkei, wenn Erdogan nicht weichen will), egal, es wird hingenommen oder gar unterstützt. Weshalb legt denn der USA-Imperialismus schon seit Jahren soviel Wert darauf, die Türkei in die EU rein zu kriegen? Das kann man sich allerdings denken, wenn man sieht, was für eine strategische Lage dieses Land in puncto Osteuropa, dem Mittleren Osten und auch anderer Staaten auf der Grenze zu Asien hinein besitzt.

 

„Ein Volk kann nicht frei sein, welches ein anderes unterdrückt“. Dies gilt nach wie vor, und wenn man daraus zum Beispiel im Mittleren Osten die Schlußfolgerung zieht, dann ist klar, was dort zu verändern ist.

 

(Eine andere wesentliche Frage wäre mal, zu untersuchen, wer überhaupt diese ganze Gastarbeitereinfuhr in Westdeutschland angerührt und angeschoben hat.)

 

Eins muß man mal sehen: Klassenherrschaft konzentriert sich immer auch in dem Charakter ihrer Militärmacht. Proletarische internationale Militärmacht beispielsweise konzentriert sich immer auch in der Anerkennung der Existenzberechtigung und der Gleichberechtigung und dem Recht auf Unversehrtheit und Nichteinmischung in die Belange der Völker der ganzen Welt. Unter diesem Aspekt gilt es die heutigen internationalen Machtverhältnisse zu hinterfragen und daraus gegebenenfalls Konsequenzen zu ziehen. Und wenn einzelne Völker, auch z.B. das türkische Volk, gegen solche Militärmacht aufstehen, ist es berechtigt. Aber sie müssen es dann auch tun, indem sie die sozialen Widersprüche anpacken. Dafür braucht man ein soziales Programm, und davon kann aber bei der gegenwärtigen Bewegung in der Türkei natürlich überhaupt noch keine Rede sein. Darin kommt bis jetzt eher zum Ausdruck, daß sie sich anlehnen an die internationale Militärmacht USA, und daraus kann nichts werden. Im Gegenteil, sie unterstützen das allgemeine Demokratiegefasel dieser Militärmacht USA mitsamt ihren globalen Ansinnen, und daraus kann niemals etwas werden im Interesse der Volksmassen und der Völker. Das muß man durchschauen und daraus sind entsprechende Konsequenzen zu ziehen.

 

Die westdeutsche Studentenbewegung der 1960iger Jahre hat auf vielen Demonstrationen damals auch die Parole skandiert: USA-SA-SS. Darin steckte, neben der Anprangerung der Methoden der Unterdrückung gegenüber den Volksmassen und ganzen Nationen durch den USA-Imperialismus auch die Erkenntnis, daß dieser USA-Imperialismus als konzentrierter Ausdruck der Klassenherrschaft des internationalen Kapitals, sich selbst faschistischer Methoden bedient und diese sogar selbst in anderen Ländern über vielfältige Kanäle fördert und unterstützt, und auch in Deutschland dieses getan hat (und tut), um das Land in eine solche Richtung zu drängen und gegen den revolutionären Sozialismus als auch überhaupt gegen andere Mächte auszuspielen. Was damals aber noch nicht voll darin steckte, war die Erkenntnis über den Charakter des Revisionismus und daß dieser ganz ähnliche Tendenzen und Methoden verfolgte und verfolgt. Das hat sich aber längst geändert und heute wissen wir besser, wo überall auf der Welt sich die Konterrevolution in ihren verschiedenen Ausprägungen versteckt.

 

 

 

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