Internet Statement 2015-19
Anläßlich
des Mordes an dem russischen Oppositionspolitiker Boris Nemzow
Maria Weiß 05.03.2015 Wenn die Ermordung Nemzows, wie Putin behauptet, eine „Provokation“ ist, dann hätte er selber doch erst recht, und zwar an aller erster Stelle, auf seiner Beerdigung erscheinen müssen. Das tat er aber nicht. Kein einziges führendes Regierungsmitglied war dort zu sehen. Das, könnte man meinen, ist auch eine Aussage. Man könnte es schlimmstenfalls sogar als eine Art Eingeständnis verstehen oder auch mißverstehen, wie man will. Selbst wenn man dem sogenannten Westen ein gewisses Interesse an einer Provokation in der gegenwärtigen Situation nicht gänzlich absprechen kann, hier sozusagen exakt vor den Toren der russischen Regierung einen solchen Mord zu organisieren, so ist doch das Interesse an der Beseitigung der ermordeten Person eher nicht auf dessen Seite zu suchen.
Betrachtet man den politischen Lebensweg von Boris Nemzow, dann sieht man, daß dieser vor allem in den 1990er Jahren, in der Zeit nach dem Zusammenbruch des Revisionismus der Sowjetunion, durchaus eine gewisse hervorstechende Rolle spielte in dem Versuch, diesem Land wieder auf die Füße zu helfen und eine gewisse wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung in Gang zu bringen, wenngleich auch unter einem vorwiegend privatwirtschaftlichen, man kann sagen kapitalistischen Vorzeichen, ebenso wie das eine Reihe anderer Vertreter damals getan haben. Er arbeitete vor allem in dem Umkreis des russischen Präsidenten Jelzin, und mit diesem zusammen. Man kann sogar sagen, daß seine Nichternennung zum Präsidentschaftskandidaten durch Jelzin eher eine Überraschung für die internationale Öffentlichkeit darstellte, und daß statt dessen Putin schließlich an seiner Stelle zu seinem Nachfolger bestimmt wurde. Allerdings soll sich Nemzow selber damals auch nicht in diese Position gedrängt haben.
Man kann dem nachfolgenden und auch gegenwärtigen Präsidenten Putin nicht absprechen, daß er diese Aufgabe mit Energie und auch mit einer gewissen Hingabe verfolgt hat und auch während der letzten fünfzehn Jahre einiges zur Stabilisierung und zu dem Wieder-auf-die-Beine-Kommen Rußlands nach dem Zusammenbruch vor 25 Jahren getan hat. Allerdings muß man ihm ebenso vorhalten, was er alles nicht getan hat, nämlich eine Entwicklung der Ökonomie des Landes in vielfältiger Weise in die Wege zu leiten und voran zu bringen, anstatt sich im wesentlichen auf die Rohstoffe zu verlassen und sich mit den entsprechenden Oligarchen zusammen zu tun. Eine vielfältigere ökonomische Entwicklung ist im Land unterblieben, was sich eben heute in seiner ganzen Tragweite zu zeigen beginnt. Von daher ist auch klar, daß jeder Oppositionspolitiker, der das ändern will und vielleicht auch die Fähigkeiten dazu mitbringt, für die gegenwärtige regierende Schicht mitsamt deren Aushängeschild und Topmanager Putin eine erhebliche potentielle Gefahr darstellt, was verdeutlicht, daß die gegenwärtige Regierung Rußlands durchaus ein Interesse an der Ausschaltung einer solchen Konkurrenz haben muß.
Ein weiteres Kapitel in diesem Zusammenhang ist natürlich der Ukrainekonflikt. Dieser Konflikt ist auch eine Sache mit mindestens zwei Seiten, und zwar sehr gegensätzlichen, sowohl für die Ukraine als auch für Rußland. (Ich verweise an dieser Stelle an die beträchtliche Zahl von Veröffentlichungen unserer Organisation zu diesem Thema.) Presseberichten zufolge hatte Nemzow vor, dazu einiges an konkreten Details vor allem über die Kämpfe in der Ostukraine und deren russische Unterstützung zu veröffentlichen. Auch soll er geäußert haben, wenn es nach ihm ginge, solle die Krim an die Ukraine zurückgegeben werden.
Natürlich kann nicht übersehen werden, daß der sogenannte Westen, allen voran die USA, eine Politik der massiven Einkapselung Rußlands zumindest in der Tendenz seit Jahren vorantreibt, indem Stück für Stück Staaten der früheren Sowjetunion herausgelöst und der Nato eingegliedert wurden, auf freiwilliger Basis allerdings, jedenfalls wenn man der offiziellen Berichterstattung der Medien folgt. Auf die vielfältig geführte Völkerrechtsdebatte möchte ich an dieser Stelle nicht näher eingehen. Allerdings gab und gibt es in diesem Zusammenhang viele Verletzungen von sämtlichen beteiligten Diskutanten! Es gab auch Presseberichten zufolge einige Details, zum Beispiel die oben erwähnte Absicht der Rückgabe der Krim an die Ukraine von seiten des ermordeten Boris Nemzow, die der gegenwärtigen Regierungslinie zuwider liefen und Putin wenig gefallen haben dürften. Die Spaltung eines Landes, wie sie sich jetzt in punkto Ukraine ankündigt, gegen die der ermordete Politiker Nemzow angehen wollte, ist jedoch in den meisten Fällen die schlechteste aller Lösungen. Putin tut daher gut daran, für die Aufklärung dieses Mordes seines Kontrahenten vor seiner Haustür eine unabhängige Kontrolle zuzulassen, zumal er objektiv ein Interesse daran haben muß, den unweigerlich sich aufdrängenden Verdacht aus der Welt zu schaffen.
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Solange die Verhältnisse auf der Welt so sind, daß für viele Staaten eine Entwicklung des Kapitalismus noch einen Fortschritt bedeutet, solange kann man ihn weltweit noch nicht schlagen. Das sieht man an der Entwicklung in China in der Folge des revisionistischen Umsturzes durch Deng Xiaoping und auch erst recht erneut im heutigen Rußland. Das kann man offensichtlich nicht so ohne weiteres überspringen, bzw. durch etwas Besseres ersetzen. Hartmut Dicke hat nicht umsonst mal von 400 Jahren gesprochen, die das noch dauern kann, bis der Sozialismus sich weltweit durchgesetzt hat. Das kam mir zunächst als ein sehr langer Zeitraum vor, aber inzwischen begreife ich es wesentlich besser, wenn man zum Beispiel sich Entwicklungen in verschiedenen Staaten ansieht, nicht zuletzt auch zum Beispiel in der Ukraine.
Zusammenschlüsse müssen immer freiwillig sein. Das gilt sowohl für Zusammenschlüsse von Menschen, für Paarverbindungen, für Organisationen und erst recht für Staaten. Ist das nicht freiwillig, dann bedeutet es unweigerlich ein Zwangsverhältnis, nicht selten ein Machtverhältnis, welches nicht akzeptabel ist. Das gilt auch beispielsweise für Zusammenschlüsse wie die Nato. Ein Zusammenschluß funktioniert überhaupt nur dann, wenn zugleich die Möglichkeit der Lostrennung jederzeit auch gegeben ist. Siehe zum Beispiel Lenins Ausführungen zu diesem Thema. Warum sollte ein solches Recht beispielsweise für die Ukraine nicht bestehen? Das ist doch überhaupt nicht logisch. Das heißt noch lange nicht, daß sie unbedingt in die Nato rein muß, das steht auf einem anderen Blatt. Überhaupt ist die Bevölkerung dort viel zu wenig beteiligt an der ganzen aktuellen Entwicklung. Im Gegenteil, es geht nicht nur über ihre Köpfe, sondern vor allem auf ihre Köpfe.
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