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Statement 2015-21
Uwe Müller 17.04.2015 Heute lief die Meldung durch die Presseticker: „Antragsflut: 279.000 haben bis dato die Rente mit 63 beantragt“. Eine schöne Meldung für die Arbeitsministerin Nahles, da wird sie sich sicherlich freuen. Freuen tun sich natürlich auch die Antragssteller, nun früher und ohne Abschläge aus dem Arbeitsleben ausscheiden zu können. Es sei ihnen gegönnt, 45 Arbeitsjahre sind je nach Beruf auch wirklich genug (siehe unten).
Man muß das aber auch aus Sicht aller Arbeiter und Angestellten betrachten und bewerten.
Hat nicht grade die SPD mit dazu beigetragen, das Rentenalter bei uns auf 67 Jahre (stufenweise) anzuheben?! Und hat sie dafür nicht tausend Argumente angeführt? Und jetzt senkt sie es auf 63. Wie das denn? Da kann man nur eines sagen: Die Sache stinkt - das ist die reinste Klientelpolitik, das ist ein Wahlgeschenk, und nichts anderes. Wie groß war das Geheul (und völlig zu Recht!) gegen die FDP mit ihrem Wahlgeschenk für die Hoteliers!? Da kann Frau Nahles noch so viel rumsülzen von wegen „sozial“ und „Gerechtigkeit“ – das ist doch jetzt nichts anderes.
So mancher Kollege und Gewerkschafter wird mir nun einwenden: „Na und? Immerhin ist es mal ein Wahlgeschenk für Werktätige, für Arbeiter und Angestellte – und nicht für Hoteliers.“
Da ist was dran. Was wir aber brauchen, sind keine Wahlgeschenke und keine Privilegien für bestimmte Klientel, sondern eine grundlegend andere Politik.
Da könnte ich mir was ganz anderes vorstellen: Die Verdopplung des Kindergelds zur Ankurbelung der Geburtenrate zum Beispiel. Da hätten schließlich nicht bloß die Kinder und deren Eltern was davon, da würde die ganze Gesellschaft davon profitieren, und keineswegs bloß finanziell. Das wäre in die Zukunft gerichtet, das wäre eine Ansage gegen den Trend der Überalterung und Vergreisung.
Von der Rente mit 63 hingegen profitiert nur ein kleiner Teil der Arbeiter und Angestellten, die anderen und jüngeren müssen dafür bezahlen. Denn billig wird die Sache nicht, das wird in die Milliarden gehen. Allzu lange wird das Wahlgeschenk indes nicht gelten – dafür liegt es viel zu sehr gegen den Trend.
Es kommt zu einer Zeit, in der gerade auch hier in Deutschland die Rentenversicherung auf immer dünnerem Eis steht, weil das Generationenprinzip der gesetzlichen Rentenversicherung aufgrund der Überalterung und der seit 40 Jahren viel zu geringen Geburtenraten kurz vor dem Kollaps steht. Noch vor kurzem wurde doch genau aus diesem Grund das Rentenalter auf 67 Jahre (stufenweise) angehoben, (was natürlich den Bankrott des Rentensystems nicht verhindern, sondern nur ein wenig verzögern wird). Und nun gar eine Senkung? Wie widersinnig. Man kann da nur staunen.
Der Widersinn liegt auch darin, daß alle, auch die Frau Nahles übrigens, wegen Fachkräftemangels und fehlendem Nachwuchs seit Jahren danach schreien, daß Ältere so lange wie möglich im Berufsleben bleiben sollen. Nun dürfen und wollen viele früher gehen - das paßt nicht zusammen.
Die Rente mit 63 kommt auch zu einer Zeit, in der viele europäische Länder das Rentenalter hoch setzen, ja hoch setzen müssen, weil sie von der Troika (und damit indirekt auch von der deutschen Regierung) dazu gezwungen werden. Griechenland z.B. mußte das Rentenalter schon auf 65 Jahre, und bald auf 67 Jahre anheben, Portugal ist jetzt schon bei 66 Jahren angekommen. Andere zwingen, das Rentenalter hoch zu setzen – und selber das Gegenteil tun. Sehr europäisch, sehr solidarisch, Frau Nahles.
Mich erinnert das Ganze auch an die jahrzehntelange Welle der Frühverrentung in den 80er und 90er Jahren und darüber hinaus. Massenhaft wurde die Produktion verlagert, wurden Betriebe geschrumpft oder platt gemacht. Der Kampf seitens Gewerkschaften und vielen - nicht allen - Belegschaften wurde fast immer nicht dagegen, sondern lediglich für üppige Sozialpläne, Abfindungen und attraktive Frühverrentungsprogramme geführt. Hunderttausende kamen so in den Genuß einer Frührente mit 55 ohne Abschläge. Was jedoch für den Einzelnen attraktiv und toll gewesen sein mag, war für die Gesamtheit der Arbeiter und Angestellten, war gesellschaftlich betrachtet das glatte Gegenteil. Statt gegen die Produktionsverlagerungen, den Jobabbau und die Schließungen zu kämpfen, wurde gefeilscht und verhandelt. Für Abfindungen und Frührente wurde die Zukunft der Kinder verscherbelt. Denn die Jobs waren weg!! Und auch die Jugendlichen und die nicht 55-jährigen hatten das Nachsehen – die zumeist noch ordentlich bezahlten Jobs waren weg, und die Abfindung bald aufgebraucht. Und sie bekamen dann obendrein die Keule von Hartz IV und Agenda 2010 zu spüren.
Nichtsdestotrotz sei es den Glücklichen gegönnt, mit 63 Jahren aus der Mühle der fremdbestimmten kapitalistischen Arbeit herauszukommen. 45 Jahre mit oft 40 Stunden/Woche zu malochen sind auch wirklich genug. Ja viel zu viel. Und viele kommen ja gar nicht so weit.
Bei dem heutigen Stand der Produktivität würde es völlig ausreichen, wenn alle mit 20 Stunden/Woche arbeiten würden, und zwar alle Arbeiter weltweit. Niemand müßte deswegen hungern oder Verzicht üben – wenn nicht die Diktatur des Kapitals wäre, die auf der Ausbeutung der Arbeitskraft basiert und bei der der produzierte Mehrwert den Kapitalisten und deren Überbau zufließt und nicht denen, die ihn erarbeitet haben – den Arbeitern und Angestellten. Die muß weg, die muß mit vereinten Kräften (im Land und international) bekämpft und endlich auf den Müllhaufen der Geschichte geworfen werden.
Dann könnte man auch über ganz andere Arbeits- und Lebensmodelle diskutieren und wegkommen von dem hirnrissigen derzeitigen Modell, wo man 45 Jahre oder mehr am Stück malochen muß und erst dann, wenn man schon älter und vielleicht schon gesundheitlich angeschlagen ist, endlich ausreichend Zeit hat für andere wichtige Dinge des Lebens, für die Liebe, für Politik bzw. gesellschaftliche Fragen, für Wissenschaft, für Kunst, für Reisen, für musische und kulturelle Dinge, für Kinder usw.usf..
Wichtig dabei ist immer, daß es für und durch alle Arbeiter weltweit erkämpft werden muß, es darf nicht dabei bleiben, daß sich die Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen der einzelnen Länder und Kontinente so kraß unterscheiden, wie es heute der Fall ist. Die Ausnutzung dieser Unterschiede durch das Kapital zur Erpressung und zum Gegeneinander-Ausspielen der Arbeiter hat jeder schon am eigenen Leib zu spüren bekommen. Schluß mit der Ausbeutung, weg mit der Diktatur des Kapitals! Für gute humane Lebens- und Arbeitsbedingungen für Alle, weltweit! Das ist doch ein Ziel, für das zu kämpfen sich lohnt.
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