Internet Statement 2016-54

 

Wie weit darf Pragmatismus gehen, ohne sich schuldig oder mitschuldig zu machen?

Maria Weiß  29.07.2016     

Waffen sind niemals, zu keinem Zeitpunkt, die Ursache weder für Kriege noch für individuelle Auseinandersetzungen und nicht einmal für Morde. Waffen sind nichts weiter als ein Instrument, um bestimmte Dinge zu vollbringen. Die Dinge aber, die vollbracht werden sollen, haben ganz andere Ursachen, und auf diese Ursachen geht eine solche Sendung wie „Hart, aber Fair“ [1] überhaupt nicht ein. Darüber wird einfach hinweggequasselt.

Was in der Konkurrenz zwischen dem Westen mit Rußland als auch China immer mit drin steckt ist folgendes: Obwohl keiner der beiden letztgenannten Staaten heutzutage vom Gesellschaftssystem her noch als sozialistisch bezeichnet werden kann, liegt auch immer die Gefahr darin, daß so etwas noch mal wieder kommen könnte, und das ist es, was den Westen eigentlich daran stört und besonders keen in diese Richtung macht. Das ist auch der Grund, warum sie auch hierzulande revolutionäre Kräfte, und seien sie zahlenmäßig noch so gering, immer noch verfolgen, offen oder verdeckt. Der hat dieselben Ursachen, obwohl wir doch eine angeblich so völlig unbedeutende Minigruppe sind.

Nicht die Flüchtlinge sind das Problem – es ist die soziale Struktur hierzulande

Es gibt zwei Probleme bei der bestehenden Flüchtlingswelle, die es zu überwinden gilt. Das ist zum einen die Existenz bereits bestehender und seit Jahrzehnten hier im Land geduldeter sogenannter Parallelgesellschaften, die durch diesen jetzigen Zustrom neu gefüttert werden. Das Andere, zum Teil damit zusammenhängende, ist die organisierte Kriminalität, die sich in ganz Europa ausgebreitet hat und die auch durch die Flüchtlingswelle zwangsweise, naturgemäß, erheblichen Zulauf bekommt. Diese Probleme gilt es anzupacken und zu lösen. Fragen der Integration, der Verständigung innerhalb der verschiedenen Bevölkerungsteile sind demgegenüber völlig nebensächlich, denn diese funktionieren sowieso zu allergrößten Teil, und zwar besser als den herrschenden Kreisen hier lieb ist. Von den Rechten werden aber vorzugsweise gerade diese verschiedenen Richtungen gegeneinander ausgespielt und sogar auf den Kopf gestellt. Das muß durchbrochen werden und sozusagen unschädlich gemacht werden, dieses rechte Gesindel. Dazu gehört aber eine Linke, die sich hier mehr Mühe gibt, diese Dinge richtig zu verstehen und zu behandeln.

Die eigentliche Krux an der ganzen Geschichte ist die, daß in diesem Land seit langem, oder vielleicht sogar nie eine wirkliche Massenumwälzung von unten zugelassen wurde. Das war sogar im neunzehnten Jahrhundert der Fall, durch die Bismarcksche Politik, obwohl man das nicht in allen Punkten mit den heutigen Zuständen gleichsetzen kann, aber vor allem im zwanzigsten Jahrhundert, wo alles dafür getan wurde, daß eine solche revolutionäre Umwälzung vermieden wurde von der Bourgeoisie, bis hin zur Förderung und Unterstützung der faschistischen, rassistischen Perversion in diesem Land.

Aber damit ist es nicht genug gewesen. Danach wurde es fortgesetzt, in einer etwas abgewandelten Form. Auch in der DDR wurde nie eine wirkliche revolutionäre Umwälzung zugelassen, weder von der Besatzungsmacht Sowjetunion, geschweige denn von der westlichen kapitalistisch-imperialistischen Seite her. Auch darüber darf man sich keinen Illusionen hingeben. Die Fortläufer davon, die sogenannte Linkspartei, wesentliche Teile davon jedenfalls dienen dieser ihrer Herkunft besser als man sich das wünschen kann, bis zum heutigen Tag, abgesehen davon daß sie sich mit westlichen Revisionisten inzwischen längst verschmolzen haben.

Putin will sich mit Erdogan am 9. August in St. Petersburg treffen. Prima! Das paßt doch gut zusammen. Die beiden passen eigentlich sowieso recht gut zusammen. Beide sind der tiefen Überzeugung, sie wüßten das beste für ihr Land. Beide haben eine Schlüsselfunktion in punkto Europa. Und dank der Politik der Angela Merkel können sie die auch wahrnehmen, besser als es Europa gut tut. Das ist der größte Knüller von allem. Den USA wird das teilweise vielleicht nicht so besonders gut passen, allerdings ist momentan noch nicht klar, wer dort das Wettrennen um die nächste Präsidentschaft gewinnen wird. Man kann allerdings von Glück sagen, daß die drei Erstgenannten nicht allein die Geschicke Europas bestimmen.

Ohne das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei ist die Politik der Angela Merkel zum Scheitern verurteilt.

Merkel nimmt daher offensichtlich den Faschismus, welcher sich gegenwärtig in der Türkei entfaltet, das Mit-den-Füßen-Treten jeder selbst bürgerlicher demokratischer Prinzipien in Kauf, weil es sonst mit ihrer Flüchtlingspolitik restlos am Ende sein wird - ein echtes Beispiel charaktervoller bürgerlicher Politik! Davon spricht hier aber niemand. Die einzige, die es zumindest in Worten inzwischen ebenfalls kritisiert hat, die Co-Vorsitzende Wagenknecht, wird dafür heftig aus den eigenen Reihen attackiert und in eine angeblich rechte Ecke gestellt.. Die Türkei spielt aber in der Flüchtlingsfrage eine Schlüsselrolle. An dem Verhalten Erdogans, welches dieser gegenwärtig an den Tag legt, läßt sich zugleich eine Offenbarung erkennen auch des Charakters der Bundeskanzlerin Angela Merkel. Mir ist nicht bekannt, daß es hierzulande irgend jemanden in der politischen Welt gibt, der diesen eklatanten Zusammenhang, welcher nicht erst seit heute erkennbar ist, außer uns, bislang ernsthaft kritisiert. Rechte Verdrehungen sind selbstverständlich nicht nur in dieser Hinsicht absolut kontraproduktiv und werden von uns von Beginn an ebenfalls angegriffen.

Merkels wiederholt und auch jetzt vorgebrachtes „Wir schaffen das“ findet seinen krassen Widerhall in den gegenwärtigen Ereignissen in der Türkei, welche diese gezwungenermaßen zu tolerieren verdonnert ist, will sie nicht riskieren, daß Erdogan sich im Falle einer deutlichen Kritik an seinem faschistischen Kurs im Inneren in der Flüchtlingsfrage rächt und – wie bereits angedroht- das Abkommen aufkündigt. Eine feine Kumpanei der bürgerliche Klasse sowohl in Europa als auch im Mittleren Osten, die sich hier offenbart. Eine blutige Kumpanei, muß man sagen. Wie kann man nur darüber hinwegsehen, ohne ein Problem damit zu bekommen, sich selbst im Spiegel anzusehen.

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[1] "Amok in Zeiten des Terrors – wie verändert die Angst das Land?", Hart aber fair vom 24.07.2016   [zurück zum Text]

 

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