Internet Statement 2016-56


Syrien: Beständig Öl ins Feuer gießen und Krokodilstränen über die Brandopfer vergießen

 

Wassili Gerhard   06.08.2016    

Alle reden gegenwärtig von Aleppo. Da gibt es offensichtlich eine sehr entscheidende Schlacht, denn für die bewaffnete Opposition wäre das ein bedeutender Rückschlag, dort besiegt zu werden. Die dichter besiedelten Gebiete Syriens mit der überwiegenden Zusammenballung der Bevölkerung sind seit jeher überwiegend unter der Kontrolle der Assad-Regierung. Diese große Stadt unter überwiegender Kontrolle der Opposition ist in gewisser Weise eine Ausnahme. Wegen ihrer Lage nahe zur Türkei ist sie auch von wichtiger Bedeutung für Verbindung nach außerhalb Syriens. Entsprechend zugespitzt ist die Berichterstattung in den hiesigen Medien. Die Wellen schlagen hoch: Die USA beschuldigten Russland, dort Giftgas einzusetzen, Russland beschuldigte die USA, selbst hinter dem Giftgaseinsatz zu stecken. Die humanitäre Lage der Bevölkerung im eingekesselten Teil der Stadt, wird unabhängig davon zweifellos immer schlimmer, je länger ein großer Teil der Stadt eingekesselt ist.

Glauben kann man keiner Seite wirklich in diesem Krieg. Daß auch manche Gruppen der bewaffneten Opposition über Giftgas verfügen und in der Lage sind, es einzusetzen, weiß man auch schon länger. Die Assad-Regierung hatte sich immerhin zur Vernichtung ihrer Giftgasvorräte bereit erklärt, als sie des Einsatzes dieses geächteten Mittels beschuldigt wurde und fast die Militärintervention des Westens damit begründet worden wäre. Ob die Vorwürfe stimmten, ist bis heute unklar geblieben. Die Vernichtung bzw. Weggabe der Gasvorräte wurde kontrolliert und soll mittlerweile abgeschlossen sein. Aber in diesem unübersichtlichen Krieg ist eine sichere Kontrolle schwer. Immerhin setzt die Armee noch, wahrscheinlich auch aus Mangel an „präziseren“ Mitteln, die berüchtigten Faßbomben ein, einfach zu fertigende unpräzise primitive Sprengkörper mit breitgestreuter Splitterwirkung, aus großer Höhe von Flugzeugen abgeworfen, die vor allem unter der Zivilbevölkerung verheerend wirken. Die extrem islamistischen Gruppen sind aber auch durchaus in der Lage, Giftgasverbrechen zu begehen, bei denen gibt es ja auch keine „Rote Linie“, und waren auch bis in jüngste Zeit solcher Taten schon mehrfach dringend verdächtig, z.B. um es dann der Gegenseite in die Schuhe zu schieben und die Nato-Luftwaffe auf den Plan zu rufen, wie das in Libyen geklappt hat. Wenn die dann bombt sind die Klagen über die humanitären Auswirkungen nicht mehr so laut.

Zu den berüchtigten sog. islamistischen Kräften in Syrien gehört auch die Al-Nusra-Front, die sich gerade umbenannt hat in „Dschabat Fateh al-Scham“, um ihrem berüchtigten Ruf etwas zu entgehenAnm.1. In punkto Kreuzigen und Köpfen kennen sie sich auch aus, der IS hat sich in Syrien anfänglich nicht zuletzt durch Abspaltung eines besonders radikalen Teils von ihnen rekrutiert. Aber, siehe an, jetzt werden sie in den Medien zur letzten Hoffnung von Aleppo hochstilisiert! Weil es ohne sie nicht mehr geht? Das zeigt auch, daß es mit der „gemäßigten Opposition“ nicht mehr zum Besten steht, die immer zur Legitimierung in den Vordergrund geschoben wurde. Wer bekommt denn gegenwärtig die großen Waffenströme, die z.B über Saudi Arabien in diesen Raum gehenAnm.2? Ob die angebliche Distanzierung der Al Nusra-Front von Al-Qaida mehr als ein taktisches Manöver ist, muß sich noch zeigen. Immerhin haben sie sich artig für deren Verständnis für diese Maßnahme bedankt. Aber der Spiegel posaunt gleich: Syrien: Die Islamisten sind Aleppos letzte Hoffnung. In der Presse bekommen Berichte zu ihren Gunsten die „empathischen“ Bilder, die Mitleid erregen, während ihre Aktionen mehr technisch und abstrakt geschildert werden, wie das im Propagandistenhandwerk heute üblich ist.

Das kommt vor allem daher, daß sich dort die Rivalität, nicht zuletzt der USA und Russlands, aber auch verschiedener regionaler Mächte, zur Zeit konzentriert. Und es geht darum, welche Kräfte man als Sieger sehen will, die elementaren Interessen der Bevölkerung dort spielen nicht wirklich eine große Rolle. Wäre das eine Stadt, die von der Assad-Regierung gehalten wird, den manche im Westen nach wie vor unbedingt weghaben wollen, dann hieße es hier in den meisten Zeitungen: „Er gebraucht die Zivilbevölkerung als menschliche Schutzschilde“, wie das stereotyp inzwischen üblich ist. Obwohl die Opposition dort auch echte Unterstützung haben muß, sonst könnte sie sich nicht so lange halten, hindert man möglicherweise auch tatsächlich Menschen in Aleppo am Weggehen. Man darf auch nicht vergessen, Syrien ein Land mit einer sehr alten Geschichte, aber auch mit alten inneren Widersprüchen, war schon vor dem Bürgerkrieg in z.T. kulturell sehr unterschiedliche Stämme und Volksgruppen aufgeteilt, was Syrien ja nicht zuletzt so verwundbar für ausländische Einmischung macht. Aber für die Medien hier müssen solche Dinge nicht in Erwägung gezogen werden. In der Berichterstattung über diesen Krieg ist das Zurechtdrehen der Wahrheit, die Auswahl der Bilder, je nachdem welche Seite als die bessere erscheinen soll, in einer schon grotesken Weise auf die Spitze getrieben worden, so auch jetzt wieder.

Auf keinen Fall darf man sich darauf einlassen, jetzt eine offene verstärkte ausländische Intervention dort zu befürworten, die findet bereits viel zu weitgehend statt und hat alles Übel verstärkt und großen Schaden angerichtet. Sollen demnächst z.B. kurdische YPG- und islamistische Milizen aufeinander mit deutschen Waffen schießen? Dem muß stattdessen mit allen Mitteln entgegen gearbeitet werden.

Im Schatten dieses Krieges wird Libyen gleicherweise in den Abgrund geschleudert.

USA-Kräfte bombardieren die Stadt Sirte. Das ist das gleiche Sirte, das 2011 schon einmal als „Ghaddafi-Hochburg“ völlig zerbombt und zerschossen wurde, siehe Bilder auf unserer Webseite beim Artikel von 2011: „Ist das die neue Kriegsstrategie der USA-Imperialisten?“ ( http://www.neue-einheit.com/deutsch/is/is2011/is2011-41.htm ) . Daß die Einwohner dieser Stadt das neue Regime nicht erbittert verteidigt haben, das damals die Bombardierungen herbeigerufen hat, ist ja wohl zu einem gewissen Grade nachvollziehbar. Also hatte IS da wahrscheinlich weniger Widerstand zu befürchten und hat sich gerade da festgesetzt, was sie vor der Beseitigung des Ghaddafi-Regimes sicher nicht so leicht geschafft hätten. Also haben die USA mit ihren damaligen Bombardierungen die Bedingungen mit geschaffen, die ihnen heute als Vorwand für neue Bombardierungen dienen. Ein Artikel vom 2.August im „Guardian“ sagt, sie haben das Machtvakuum geschaffen, in das nun IS hineinstößt: Zitat: „The latest airstrikes against Isis are happening because the last offensive created a power vacuum. There’s a good bet that will happen this time too.“ (The US is bombing Libya again. It's a too-familiar vicious cycle https://www.theguardian.com/commentisfree/2016/aug/02/us-bombing-libya-isis-strongholds-vicious-cycle ). Das gleiche Muster wie im Irak. Das ist eine Logik die immer wiederkehrt. Obama hat die Bombardierung Libyens 2011 vor Kurzem noch als „Fehler“ bezeichnet, aber das hindert ihn nicht daran, es wieder zu tun. Salbungsvolle Reden und barbarische Praxis.

So ziehen sich die USA selbst die Kräfte mit heran, die sie später wieder als Vorwand ihres Eingreifens nutzen, das ist schon seit Afghanistan in den Siebzigern so, als sie einen Bin Laden (aus dem salafistischen Saudi-Arabien) dort erst zu Jemandem gemacht haben. So wie 2011 in Libyen viele islamistische Kämpfer herangezogen wurden, mit den Nato-Flugzeugen als ihre Luftwaffe, die danach nach Syrien und wer weiß wo noch (Nigeria, Mali?) hingingen, um die Verhältnisse zu destabilisieren -- und jetzt teilweise auch wieder zurück nach Libyen. Schon damals hißte dort mancher die Al-Qaida-Fahne aber da sah man lieber erstmal weg. So kreieren die USA die Kräfte mit, die ihnen später als Vorwand für ihre Interventionen dienen. Es ist militärische Doktrin der USA, daß es niemanden auf der Welt geben soll, der ihnen widerstehen kann. In diese Logik paßt deren Tätigkeit im Mittleren Osten durchaus.

Die neu kreierte sogenannte libysche Einheitsregierung ist schwach und kontrolliert keineswegs allzu große Gebiete des Landes. Aber die Wahrheit wird immer jeweils in die Richtung verdreht, wie es gebraucht wird. Um die Bombardierungen und sonstigen Militäraktionen scheinbar zu „legalisieren“ reicht ihre Legitimität. Um die Dutzenden von Milliarden Guthaben der früheren Regierung auf westlichen Banken zu erhalten, dafür reicht sie nicht, dafür muß sie erst einmal ihre Legitimität nachweisen -- vielleicht durch Willfährigkeit? So sieht heute Neokolonialismus aus. Da ist die zeitweilige Bemäntelung mit „humanitären“ Phrasen so durchsichtig wie früher auch schon.

Auch in Nigeria ist eine riesige Katastrophe im Entstehen.

Dort verhungern bereits Kinder in Gebieten, wo wegen des Krieges mit der salafistischen Organisation Boko Haram die Landwirtschaft schwer geschädigt wurde. Die Menschen wurden während des Krieges daran gehindert, sich um ihre Felder zu kümmern. Schon 2011 verübten sie einen Anschlag auf ein UN-Gebäude und 2014 waren bereits eine Viertelmillion Menschen dort auf der Flucht. Aber erst Ende 2013 wurde B.H. von den USA auf die Terrorliste gesetzt, wogegen sich übrigens eine gewisse Hillary Clinton als Außenministerin lange gewehrt hatte, mit dem merkwürdigen Vorwand, sie wolle diese Gruppe nicht aufwerten. (siehe z.B. http://www.heise.de/tp/artikel/41/41740/1.html oder „Hillary's State Department Refused to Brand Boko Haram as Terrorists“ http://www.thedailybeast.com/articles/2014/05/07/hillary-s-state-department-refused-to-brand-boko-haram-as-terrorists.htm )

Nigeria machte nicht lange davor noch mit erstaunlich hohem Wirtschaftswachstum von sich reden. Aber die Auseinandersetzung mit Boko Haram und der Verfall der Ölpreise haben dort gravierende Änderungen zum Schlechteren mit befördert, neben inneren Ursachen, die es sicher auch gibt. Wann ist denn jetzt das Desaster groß genug, daß es genügend Aufmerksamkeit verdient hat? Der Widerstand von Nigeria in Zusammenarbeit mit Nachbarstaaten findet wenig Beachtung und Unterstützung. Immer wieder drängt es sich förmlich auf: Nicht nur, daß „Al Qaida“ und Abkömmlinge, sowie verwandte Kräfte, immer wieder im Fahrwasser der USA auftauchen und groß werden, so wie früher die Syphilis die Begleiterscheinung der großen Söldnerheere war. Sie wirken auch in deren Interesse, nirgendwo etwas bestehen zu lassen, was ihnen annähernd Paroli bieten kann, woraus sich eine unabhängige nationale Entwicklung entwickeln läßt. Die extremen Islamisten, die mit USA-Unterstützung hochgepäppelt wurden, sind ja ein Feind solcher Entwicklung, setzen ihr die simple Zweiteilung der Welt in Umma und „Ungläubige“ entgegen, ein Konzept, das keine wirkliche Entwicklungsperspektive bietet. Nigeria soll mit deren Hilfe wohl erst soweit heruntergewirtschaftet werden, daß es bei den USA völlig zu Kreuze kriecht und um Hilfe bettelt.


Was haben denn diese ganzen Interventionskriege gebracht? Noch ein anschauliches Beispiel: Ist etwa die Lage in Afghanistan besser geworden? Hier ein paar Schlagzeilen aus den News der Gruppe RAWA (Revolutionäre Frauenorganisation aus AfghanistanAnm.3) seit 25.Juli: Taliban publicly execute 19-year-old girl in North of Afghanistan ++ Child marriage, still a challenge for Afghan girls ++ Taliban militants gang rape woman in Helmand, official claims ++ Ghor Cleric Arrested On Charges Of Marrying 6-Year-Old ++ Afghan woman, 22, killed for having relations with a man over the phone ++ 81% Afghans don’t have job security ++ Afghan civilian casualties hit record, with 5,166 dead or maimed – UN.

Natürlich gilt hierzulande Afghanistan als ein „Sicheres Herkunftsland“. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf? Weil der wahre Charakter des Konzepts der „Interventions“-Söldnerarmee unbedingt geleugnet werden muß? Der heuchlerische Charakter des ganzen „humanitären“, in Wirklichkeit neokolonialistischen Konzepts ist doch längst durchschaubar für jeden, der es sehen will. Aber das Festhalten an einer imperialistischen Ordnung, die ja für einen Teil auch ein angenehmes (teilweise auch Nischen-) Dasein bereithält, kann ja auch den Blick trüben. Auch dafür, daß dieses System in allen Fugen kracht und zu immer irrsinnigeren Methoden greifen muß, um seine Existenz zu verlängern.

 


      Anmerkungen

1   Trennung von Al Qaida? In einer in westlichen Medien vielbeachteten Ansprache erklärte deren Anführer Al-Dschaulani (auch als Julani transkribiert) angeblich seine Trennung von Al Qaida. Zitat:
„Wir erklären den kompletten Abbruch aller Operationen unter dem Namen Jabhat al-Nusra und die Bildung einer neuen Gruppe unter dem Namen Jabhat Fatah al-Sham, welche keine Zugehörigkeit zu irgendeiner externen Organisation hat“
, erklärte Julani, nachdem er Al-Qaedas Führung Lob und Respekt ausgeprochen hatte. (Nach http://www.carta.info/83017/die-nusra-front-hat-sich-nicht-von-al-qaeda-getrennt-nicht-einmal-vermeintlich/)
In der Zeit hieß es unter der Überschrift “Terrormilizen Al-Kaida und Al-Nusra trennen sich“: Dem Sender Al Jazeera sagte Al-Dschaulani, er danke den Anführern von Al-Kaida dafür, "dass sie die Notwendigkeit verstanden haben, die Verbindung abzubrechen".

In Wikipedia wird die „Trennung“ auch schon als Tatsache gehandelt. Es gibt aber durchaus Anzeichen, daß sie nur formal getrennt sind, so wie sich Firmen auch in mehrere GmbHs aufteilen und doch unter einem Dach bleiben, und sich inhaltlich verbunden bleiben. So heißt es in www.carta.info , daß bei der Ansprache Al-Dschaulanis ein bekannter Repräsentant von Al Qaida nebem ihm saß. In dem zuerst zitierten Artikel heißt es dazu:
“Der Mann zu al-Julanis Rechten, Ahmad Salama Mabruk, ist ein lebendiger Hinweis darauf, weshalb die verkündete Unabhängigkeit von externen Organisationen und die weitere Zugehörigkeit zu Al-Qaeda sich nicht ausschließen.
Al-Qaeda ist längst in Srien
Der Ägypter Ahmad Salama Mabruk arbeitete seit Ende der 1980er Jahre für Ayman al-Zawahiri, seit dem Tod Osama Bin Ladens Al-Qaedas Nummer Eins. Wie viele andere Al-Qaeda Veteranen hält er sich in Syrien auf und nimmt eine Führungsposition in der Nusra-Front — oder neuerdings Jabhat Fatah al-Sham (JFS) — ein.“  zurück

2   In Balkan-Medien ist jüngst der florierende Waffenhandel mit Saudi-Arabien thematisiert worden, auch mit vielen Tonnen von alten, billigen Waffen aus dem Arsenal der ehemaligen Jugoslawischen Armee, also ganz bestimmt nicht für die saudische Armee bestimmt. Siehe z.B. „Serbia pm defends lucrative saudi arms sales“ http://www.balkaninsight.com/en/article/serbia-pm-defends-lucrative-saudi-arms-sales-08-02-2016-1 oder „Making a Killing: The 1.2 Billion Euro Arms Pipeline to Middle East“ http://www.balkaninsight.com/en/article/making-a-killing-the-1-2-billion-euros-arms-pipeline-to-middle-east-07-26-2016  zurück

 

3  Auch ein Beispiel für die grenzenlose Heuchelei hierzulande. Als man die Intervention dort begründen wollte, hatte diese Gruppe, die besonders gegen die Unterdrückung der Frauen kämpft, auch hierzulande Aufmerksamkeit. Inzwischen redet man nicht mehr von ihr. Auf deren Webseite www.rawa.org kann man sehen, daß für die Afghanen und speziell die Majorität der Frauen dort die Verhältnisse nicht wirklich besser wurden. Auch diese Organisation sagt inzwischen, daß eher alles schlimmer wurde, denn die Militäraktionen der Interventionstruppen mit ihren „Kollateralschäden“ in erheblichem Umfang kommen jetzt noch obendrauf. Man vergleiche das mal mit den schönen Reden z.B.auf der „Petersberg“-Konferenz. Und eine Söldnertruppe für solche Interventionen soll die Bundeswehr noch mehr werden. Zurück

 

 

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