Internet Statement 2016-67

 

 

Ein Kommentar kritisiert das Trugbild Schäubles, aber die Probleme gehen viel tiefer

 

Wassili Gerhard   23.09.2016   

Ein Kommentar im Berliner Tagesspiegel widerspricht den gegenwärtigen Prahlereien mit den Haushaltsüberschüssen und der angeblich guten Lage auf wirtschaftlichem Gebiet. Zwar meldete das Statistische Bundesamt im ersten Halbjahr 2016 einen Überschuß von 18,5 Milliarden in den öffentlichen Kassen gegenüber den Ausgaben, aber da muß eine Menge dagegen gerechnet werden, um das wirkliche Bild zu erhalten.

Die „Claqueure aus Medien und Wirtschaftswissenschaft“, so der Autor Harald Schumann, verbreiten zwar ihre Meldungen über die Solidität der deutschen Verhältnisse, aber das ist ein Trugbild. Dagegen wird aufgeführt, daß seit einem Jahrzehnt die Netto-Anlage-Investitionen im roten Bereich liegen und seit 2005 nicht einmal ausreichend für die Erhaltung der Substanz sind. Das heißt in verständlichem Deutsch, daß die öffentliche Substanz verfällt. Wir verheizen Stück für Stück den Ast, auf dem wir sitzen. Schumann führt das Beispiel an, daß von den Brücken an Fernstraßen und Bahnstrecken 2500 so marode sind, daß sie als nicht ausreichend oder ungenügend klassifiziert werden, für weitere 38.000 ist der Sanierungsbedarf absehbar. Tausende Schul- und Universitätsbauten sind marode. Für das Bildungswesen gibt der Staat weniger aus, als der Durchschnitt der OECD-Länder. Also ist die angeblich so gute Kassenlage eine Illusion auf Kosten der zukünftigen Generationen. So steht es also in Wahrheit -- jenseits der Sonntagsreden über „Nachhaltigkeit“.

(Dabei läßt diese Darstellung noch aus, daß diese Überschüsse zu erheblichen Teilen auch daraus resultieren, daß bei fallenden Zinsen auch der Staat weniger Zinsen für seine Schulden bezahlen muß, wogegen diese fallenden Zinsen gleichzeitig zur Entwertung von Sparguthaben, Versicherungsrücklagen - auch von privaten Rentenversicherungen - und dergleichen führen.)

Aber es geht nicht nur finanziell auf Kosten der zukünftigen Generationen, die zukünftigen Generationen selbst werden geopfert. Das ist in dem Kommentar ausgeblendet. Die negative Geburtenbilanz ist selbst ein ganz entscheidender Teil davon, wie auf Kosten der Zukunft gelebt wird. Auch hier spart dieses Land auf Kosten der Substanz. Was verkörpert denn an erster Stelle die Zukunft dieses Landes, wenn nicht die zukünftigen Generationen selbst? Und die Geburtenrate reicht auf absehbare Zeit nicht einmal aus, um die älteren Generationen zu ersetzen. Wenn dann zusätzlich noch an der Bildung dieser zukünftigen Generation gespart wird, wird das Ganze noch erheblich verschärft, wird deren Vermögen zusätzlich geschwächt, mit den hinterlassenen Problemen fertig zu werden. Zumal die zukünftige Generation zu einem erheblichen Teil aus den Kindern von Einwanderern besteht, wo schon die Erreichung eines gewissen Minimums einen höheren Aufwand erfordert, weil zum Teil besondere Probleme wie Sprach- und Kulturbarrieren zu berücksichtigen sind. Wann wird diese Aufgabe denn endlich ernsthaft angegangen? Das ist doch „Nach mir die Sintflut“. Die Praxis spricht den Propagandaphrasen Hohn, wenn sie von Nachhaltigkeit reden oder auch das Stichwort „Demografische Frage“ im Munde führen.

Die herrschende Klasse, inländisch wie international - und deren Sicht „Nach uns die Sintflut“ repräsentiert Schäuble - ruiniert in Wahrheit dieses Land. Sie machen überwiegend noch große Gewinne oder haben große Vermögen beiseitegeschafft, gleichzeitig haben sie zunehmend durchgesetzt, daß bei der Erhaltung und Weiterentwicklung der Substanz des Landes zunehmend die Lasten auf die unteren Schichten der Bevölkerung verlagert werden, von denen ein großer Teil von Produzierenden, einen Überschuß Erwirtschaftenden, in Kostgänger von Versorgungssystemen verwandelt wurde, und von der Erbringung eines Anteils so abgehalten wird. So werden sie entrechtet und auf einen Aussterbeetat gesetzt. Die wirklich Vermögenden und vor allem diejenigen, die riesigen Profite machen, national wie international, ziehen sich aus der Finanzierung der öffentlichen Aufgaben zunehmend zurück, sie legen die Profite lieber international dort an, wo die Investitionen entsprechende Profite versprechen und sie nicht auf eine so organisierte und erfahrene Arbeiterklasse treffen, wie hier in der Vergangenheit. Ausgehend von ihren Beziehungen mit den Gläubigern des Staates reißen sie zusätzlich noch große Teile des öffentlichen Vermögens an sich, die sich gut in Quellen ihrer Bereicherung umwandeln lassen. Das alles geht in Richtung Kollaps des Landes, entgegen allen Sonntagsreden. Damit haben sie sich weiter in Richtung einer parasitären Klasse entwickelt, die immer mehr ihre einst vorantreibende Rolle für die Entwicklung verliert und immer dringender ersetzt gehört. Das Zurückweichen vor der Lösung dieser Aufgabe, deren Verhinderung seit über 100 Jahren hier entscheidender Faktor der Entwicklung ist, hat auf längere Sicht gesehen nur katastrophale Auswirkungen gehabt, obwohl es immer zeitweilig so aussieht, als wenn es möglich wäre, dieser Frage und den damit unzweifelhaft verbundenen Opfern, Härten und Schwierigkeiten auszuweichen. Auch Schumanns Vorschlag, wieder vermehrt Schulden für öffentliche Investitionen und Bildung zu machen - eine alte Parole der SPD - kann die Probleme nicht lösen, deren Ursache eben viel tiefer liegt.

Besonders muß gewarnt werden vor den Rezepten, basierend auf internationaler Ausbeutung einen Scheinausweg zu suchen. Das hatten wir in extremer Form schon beim Nazifaschismus, der 10 Millionen Zwangsarbeiter im Inland beschäftigte und die eroberten Länder so extrem ausbeutete, daß er dort Millionen dem Hungertod aussetzte. Damit wurden die Löcher gestopft, die vorher bei einem Scheinaufschwung im Zusammenhang mit der Kriegsvorbereitung gerissen wurden. Daß solche Konzepte früher oder später wieder auf die Urheber zurückschlagen, sollte doch inzwischen begriffen sein. Allerdings muß befürchtet werden, daß dies bei den Herrschenden weniger der Fall ist, weil einige der Profiteure und der Ausführenden sich nach der Niederlage bei den Siegermächten andienten und wieder auf die Füße fielen. Das nächste Mal würde es aber sicher nicht genauso ausgehen.

Heute gibt es die Illusion, die internationale Ordnung am Leben erhalten zu können, die heute noch den früher entwickelten Industriestaaten einen Vorteil verschafft, gestützt auf den vorher erworbenen Reichtum, auch auf Kosten von Kolonien, und die militärische Überlegenheit mittels der entwickeltsten Armeen und Waffensysteme, überall mit zu verdienen, wo heute die Erarbeitung von Werten und die Gewinnung von Naturreichtümern stattfindet. Und manche Konzepte wollen hierzulande im Inland die Profite aus der internationalen Ausbeutung anders verteilen. Das ist illusorisch. Gegenwärtig will man mit Hilfe einer ökologistischen Propaganda, die letztlich den anderen Nationen in der Welt verbieten will, selbst zu entwickelten Industriestaaten zu werden, wie die entwickelten Länder es auch einst taten, die Zementierung der privilegierten Stellung erreichen. Natürlich steht hier auch die wirtschaftliche und militärische Macht im Hintergrund, mit der ausgesprochen oder unausgesprochen gedroht wird, wenn andere sich diesen Bestrebungen nicht fügen wollen. Und die angebliche „Rettung der Welt“ soll scheinbar die Legitimation dazu schaffen, diese Mittel auch einzusetzen, weil es ja angeblich um das Schicksal der Menschheit gehe. Der Widerstand gegen solche Konzepte ist gerechtfertigt. Sie retten nicht die Welt - die Welt muß vor ihnen gerettet werden!

Und deshalb ist Sozialismus, die revolutionäre Umwandlung der Gesellschaft eben nicht überholt, sondern steht dringender denn je auf der Tagesordnung. Alle Niederlagen und Rückschläge, auch alle Fehler und Schwächen, die die ersten Versuche in diese Richtung hatten, die in der Hauptsache doch kühne Schritte vorwärts darstellten, können nichts daran ändern, daß der Kapitalismus genauso durch eine bessere Ordnung abgelöst werden muß wie vorherige Gesellschaftsordnungen, die an ihre Grenzen gestoßen sind, damit einer weiteren Entwicklung der Menschheit die Bahn gebrochen wird. Aus den Fehlern muß gelernt werden, um es eben beim nächsten Mal besser machen zu können.

 

 

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