Internet Statement 2016-73

 

 

 

In welcher Kontinuität sieht sich die „Berliner Republik“?

 

Wassili Gerhard   10.10.2016   

Jetzt soll es in Berlin ein Einheitsdenkmal geben, ausgerechnet vor dem nachgemachten Hohenzollern-Schloß. Zurück zu den falschen Anfängen. Das bestätigt auch ein Debattenbeitrag des Mitinitiators des Denkmals und ehemaligen Präsidenten des Bundesamtes für Bauwesen F. Mausbach im Tagesspiegel vom 10.Oktober.

Sein Debattenbeitrag beginnt gleich mit einer Lobpreisung der wieder hergestellten Reichstagskuppel. Als der Reichstag in Betrieb genommen wurde, beherbergte er ein kastriertes Parlament, denn einen modernen Parlamentarismus gab es nicht, die halbfeudalen JunkerAnm. 1 mit dem Kaiser als Oberhaupt hatten immernoch eine erhebliche Macht, beharrten auf dem von ihnen dominierten Staat Preußen, der denn auch der dominierende in Deutschland sein sollte, und ignorierten in Gestalt ihres Repräsentanten Bismarck bisweilen das Parlament einfach. Der Kaiser bestand weiterhin auf seinem Herrschaftsanspruch „durch die Vorsehung“ und konnte vom Parlament nicht überstimmt werden, durfte weniger kritisiert werden als Erdogan in seinem Land. Kaiser Wilhelm II. hingegen nannte den Reichstag in der Tradition seines Vorgängers „Reichsaffenhaus“.

Man will nun aber das Einheitsdenkmal ausgerechnet auf dem Sockel des ehemaligen Nationaldenkmals für Kaiser Wilhelm I vor dem Hohenzollernschloß errichten, richtet den Sockel sogar erst einmal wieder dafür her - Erinnerung auch an diese traurige Gestalt, die nur widerwillig ihr Amt angenommen hatte, eigentlich lieber König von Preußen geblieben wäre, auch weil der neue Staat ein Parlament bekommen sollte. Für ihn war das Stadtschloß mit seiner zentralen Lage Symbol seiner Herrschaft in Deutschland. Der Reichstag dagegen war ihm viel zu zentral gelegen. Die Kuppel wollte er garnicht, sein Schloß sollte höher sein. Das ist schon ein Kunststück der Verkleisterung der Gegensätze.

Dann wird wieder an die große Kundgebung vom 4. November 1989 erinnert, die auch an diesem Ort stattfand, die größte Kundgebung der DDR. Wenn man dann genau auf diesen Platz eine Nachbildung des Hohenzollernschlosses setzt, mit einem Denkmal auf dem Sockel des Kaiserdenkmals, das hätten auch die ehemaligen Teilnehmer dieser Demonstration zum großen Teil nicht gewollt.
Diese Kundgebung fand 1989 auf dem großen Kundgebungsareal statt, das die DDR in ihrer Frühzeit durch Sprengung des ursprünglichen Schlosses, als Symbol der Hohenzollern-Herrschaft, geschaffen hatte. Damals war das der Platz vor dem Palast der Republik - Honecker hatte nun ebenfalls wieder ein Schloß bauen lassen, „Palast der Republik“ genannt, aber ein modernes, auch als Ort für Brot und Spiele. Zu seiner Zeit wurde übrigens auch zunehmend an die preussische Tradition wieder angeknüpft. Das hätte man auch stehen lassen können als Zeitdenkmal. Aber das reicht den ewig Rückwärtsgewandten nicht, sie wollen zurück zu Bismarck und den Hohenzollern. Sie fälschen diesen Ort zurecht, damit er ihrem rückwärtsgewandten Denken entspricht - Retusche der Geschichte.

Es scheint vielleicht widersprüchlich, wenn Mausbach auch an die demokratische Revolution von 1848 erinnert, aber diese verpaßte Chance zum Sturz der Hohenzollern in Preußen, als Schritt zu einer wirklichen Einheit Deutschlands von unten, zu einer wirklichen demokratischen Revolution, die die Dynastien der Hohenzollern und Habsburger vom Thron fegt, das paßt durchaus zu dem Denkmal, das schon den Spitznamen „Wippe“ weg hat. Mausbach hebt doch ausgerechnet die Geste des Kaisers hervor, der seinen Hut vor den Märzgefallenen, den Opfern der Revolution zog - für ihn „dramatischer Höhepunkt“. Damit hatte dieser vor allem an den Widerwillen des gehobenen Bürgertums angeknüpft, eine wirkliche Revolution zu machen, wollte die Wogen glättenAnm. 2. „Schließen wir nen kleinen Kompromiß“Anm. 3 Und es kam bei dieser Revolution, die höchstens eine halbe war, denn auch ein Kompromiß zwischen Bürgerlichen und Junkern heraus. Die deutsche Einheit unter Bismarcks Führung war kein kühnes Projekt wie das Frankreich der bürgerlichen Revolution, kein wenigstens illusorischer Anspruch, eine neue Volksherrschaft aufzurichten, sie nahm für sich nicht in Anspruch, die Menschheit voranzubringen, sondern war gegründet auf einen Kompromiß zwischen bürgerlichen und halbfeudalen Kräften, die bereits beide Angst vor einer wirklichen demokratischen Revolution hatten. Das blieb als ein Geburtsfehler an diesem Staat hängen. Vielleicht ist hier auch ein Grund dafür zu finden, daß sich in diesem Land so wenig eine normale Einstellung zur eigenen Nation entwickelte.

Bei diesem verhängnisvollen Anfang war ein Lichtblick die erstarkende und wachsende Sozialdemokratie, damals noch eine wirkliche Partei der Arbeiterbewegung. Auf sie richteten sich die Hoffnungen der wirklich fortschrittlichen Kräfte, ihre Massenbasis war die tragende Kraft der Novemberrevolution 1918/1919, die auch mit diesem Ort verbunden ist. Da die DDR auch eine Quelle in dieser Bewegung hatte, wiegt die Austilgung ihrer Spuren am Nationaldenkmal um so schwerer. Aber sie hatte von Anfang an auch schon den Lassalleanismus in sich, der sich mit Bismarck gegen das Bürgertum verbünden wollte, kombiniert mit einem „parlamentarischen Kretinismus“ (Zitat Engels), der in dem kastrierten Parlament schon die Möglichkeit des friedlichen Übergangs zum Sozialismus sah. Auch da wieder: „Schließen wir nen kleinen Kompromiß“ Man arrangierte sich mit diesen Kräften in der Partei, die gestützt auf die Förderung durch die Staatsmacht schließlich in zäher Unterwanderungstätigkeit die Oberhand errangen. Wohin sie damit gekommen ist, sehen wir heute, nach zwei Weltkriegen, dem Nazifaschismus, der Teilung Deutschlands, dem Scheitern des Versuches einer sozialistischen Ordnung in einem Teil des Landes. Zur Zeit der Novemberrevolution war sie in ihrer Degeneration schon so weit, daß die Führung die Soldateska der Freikorps auf die Revolution los ließAnm. 4, eine Soldateska, die eine der Quellen des späteren Nazifaschismus darstellte. Da sieht man, was der Kompromiß als Selbstzweck mit den reaktionären Kräften, um dem Kampf auszuweichen, hervorbringt: Sie gehen nicht freiwillig, vorher lassen sie alles in Flammen aufgehen. Sollen wir das noch feiern?

 

 


Anm. 1  Feudalherren in Preußen, die ihre Gutshöfe in kapitalistische Unternehmen umwandelten und kapitalistische Unternehmungen gründeten, ohne in Preußen ihren feudalen Dominanzanspruch aufzugeben und auf ihren Gütern oftmals weiter als wirtschaftliche, juristische und Polizeimacht in einem zu fungieren. Eine „Gesindeordnung“, die bis nach dem Ersten Weltkrieg Gesetzeskraft behielt, bewahrte Regeln aus der Feudalordnung. Die letzten faktischen Reste der Leibeigenschaft wurden östlich der Elbe erst nach dem Zweiten Weltkrieg beseitigt. Im wilhelminischen Deutschland hatten sie politisch die Dominanz und verschmolzen teilweise auch mit sogenannten „Industriellendynastien“, deshalb auch der Ausdruck „Schlotbarone“   .Zurück

Anm. 2  Die Gefallenen der Revolution waren vorwiegend Menschen aus dem Volk, besonders Handwerksgesellen.  Zurück

Anm. 3  Aus dem Gedicht von Kurt Tucholski: „Das Lied vom Kompromiß“, 1919. > http://www.textlog.de/tucholsky-lied-kompromiss.html <  Zurück

Anm. 4  Dabei wurde sie angeleitet von USA-Militärberatern. Die alliierten Sieger des ersten Weltkrieges hielten zudem über das Kriegsende hinaus die Lebensmittelblockade aufrecht, die Hunderttausenden das Leben kostete, und wollten sie erst aufheben, wenn die Revolution besiegt war.  Zurück

 

 

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